Catedral de Santiago de Compostela
19.5.23
Santiago de Compostela
nach Negreira
23 km
Früh bin ich auf den Beinen. Die Sonne lacht, es kann losgehen zum Ende der Welt. Ich freue mich total, fühle mich gut und erfrischt, packe meine Sachen. Ein leichter Wind weht mir um die Ohren, als ich aus der Türe trete und den Berg runter zu meinem Frühstücks-Café gehe. Sie öffnen um 7 Uhr, pünktlich bin ich da und bin auch erst mal die einzige, nehme meine beiden Klassiker zu mir und mache mich alsbald auf zum Praza do Obradoiro. Da steh ich nun vor der Kathedrale, der Platz ist fast leer, aber wer kommt da ums Eck? Es ist Walter, auch früh auf den Beinen. Wie schön. Also starten wir nochmal eine kleine Fotosession vor der Kathedrale, bevor wir losgehen, das muss schon sein. Walter trifft einen ihm bekannten Reiter, der gerade mit seinem Pferd ums Eck kommt. Also mit dem Pferd in der Stadt, das ist schon eine Herausforderung, denke ich.
Wir gehen gemeinsam aus der Stadt hinaus, am Parque da Alameda vorbei, der nun verlassen ohne Partygäste daliegt, vorbei am Krankenhaus und raus. Ein neuer Kilometerstein zeigt beide Entfernungen, die nach Fisterra oder die andere nach Muxia an. Wir werden nach Fisterra gehen. Für mich ist das dann das Ende, nach Muxia gehe ich nicht, irgendwie reizt mich das nicht so. Damals vermutete man, dass der Westen Spaniens das Ende der Welt darstellt, irgendwo draußen auf dem Meer geht es dann abwärts, wo auch immer hin. Nun, heute wissen wir ja, dass die Erde keine Scheibe ist, obwohl manche da auch Zweifel haben, aber lassen wir das, und dann nach einer ganzen Weile Amerika in Sicht kommt. Übersetzt bedeutet Finisterre bzw. Fisterra „Ende der Erde“, wobei das Kap tatsächlich nicht der westlichste Punkt des europäischen Festlands ist, der liegt in Portugal. Auch ist es nicht der westlichste Punkt Spaniens, der liegt weiter nördlich. Fisterra und Muxia sind schon im Mittelalter zu Pilgerorten geworden, man sagt sogar, dass der Weg dahin älter als der Camino Francés sein soll, keltischen Ursprungs. Die Kelten hielten hier heidnische Rituale ab, man dachte, dass die Sonne hier „stirbt“. Auch der Name der Costa del morte weist auf verschiedene Theorien hin: Der Tod der Sonne allabendlich, den Tod aller bekannten Länder, also das Ende der Welt oder den Tod vieler Seefahrer, die an der Küste auf Grund gingen. In Muxia soll Maria, die Mutter Jesu oft gesehen worden sein. Viele Mythen rangen sich um die beiden Orte. Der Weg wurde nie offiziell als Jakobsweg anerkannt und es gibt auch zwei eigene Compostelas am Ende, in Fisterra die Fisterrana und in Muxia die Muxiana. Es geht ordentlich einen Berg hoch, das sollte uns nun häufiger begegnen, denn der Weg ist sehr bergig, Galicien im Allgemeinen ja sowieso.
Ein Blick zurück zeigt die Stadt mit der Kathedrale im aufgehenden Sonnenlicht, wie schön. Wir kehren ihr nun den Rücken und gehen weiter gen Westen. Ruhig ist es auf dem Weg, nur ein Bruchteil der zuvor in Santiago ankommenden Pilger, das waren bei uns 750 laut Pilgerbüro, sollte sich aber im Verlauf zu Pfingsten noch auf 2500 steigern, gehen hier lang. Der Weg schlängelt sich durch einen schönen Eukalyptuswald und führt durch diverse kleine Ortschaften. In den Gärten wachsen nun Zitronen- und Orangenbäume mit dicken Früchten dran, das ist ja toll. Wir erzählen uns unsere Lebensgeschichten und gehen gemeinsam voran.
Die Sonne ist nun voll da und fängt an ordentlich zu wärmen, das ist doch mal schön. Steil bergauf geht es hoch zur Alto do Mar de Novells, puh, das ist ein Programm. Zählend und schnaufend arbeite ich mich die 2 km nach oben vorwärts.
Oben kommen wir im hübschen Ort Carballo an, 12 km liegen hinter uns und es ist Zeit für eine Pause im hiesigen Café mit leckerem Bocadillo caliente, also warmen Bocadillo und einem Kaffee mit Füße lüften, klar, das muss schon sein. Die Jacken werden ausgezogen, es ist angenehm warm. Ein kühler Wind weht aber immer noch im Rücken, der bleibt uns auch erhalten.
Nun geht es langsam bergab in den wunderschönen Ort Ponte Maceira mit seiner schönen Brücke über den Río Tambre. Wow, das sieht echt hammermäßig aus. Eine große alte Steinbrücke führt in mehreren Bögen über einen reißenden breiten Fluss. Der Ort besteht aus einigen mittelalterlichen Gebäuden, die alte Mühle, ihrem Wehr und einem Gutshaus, was fast wie eine Burg aussieht. Große Dattelpalmen wachsen am Wegesrand und das Flussufer ist mit üppigem Wiesenkerbel bestückt. Wirklich ein Highlight: Unos de los pueblos más bonitos de España, klar!
Wir verbringen einiges an Zeit und Fotos hier bevor wir die Brücke überqueren und den Ort passieren. Wahlplakate sind überall angebracht, es wird in Galicien gewählt und das auch recht lautstart. Man hört mitunter laute Musik und Ansprachen aus vorbeifahrenden Autos für die verschiedenen Parteien. Gewählt wird erst nach Pfingsten, aber alle sind voll dabei. Selbst durch die kleinen Futzeldörfer, wo kaum Leute wohnen, fahren sie. Nun, gibt es in Galicien davon ja auch viele, zusammengenommen bilden sie sicher einige viele Wähler.
Nun denn, es geht leicht bergauf auf einem Steinweg aus dem Ort raus. Weit ist es nicht mehr nach Negreira und kurz vor dem Ort trennen sich unsere Wege, denn Walter kommt hier am Stadtrand in der Albergue San José unter und ich gehe weiter durch die Stadt am schönen Schriftzug vorbei zu meiner Albergue, die mittendrin liegt. Einiges an Verkehr geht hier vorbei, nun so richtig schön ist es nicht, auch ist mein Rucksack noch nicht da. Unten befindet sich ein Restaurant, oben zwei große Zimmer mit jeweils 16 Betten. Ich bin die erste, die hier einzieht. Ich breite mein Plastiklaken aus, ziehe die Schuhe aus und lege mich aufs Bett. Von draußen kommt der Lärm der Autos hinein, was aber noch viel schlimmer ist, es riecht ziemlich streng nach Fett aus dem Restaurant von unten. Ich versuche es mit lüften. Leichte Übelkeit liegt mir im Magen. Das war nach dem Bocadillo schon so gewesen, verstärkt sich aber gerade. Mir ist echt übel und der Fettgeruch macht es nicht besser. "Okay, du musst jetzt irgendwie damit klar kommen". Komme ich aber nicht! Ich entscheide kurzerhand, als mein Rucksack dann doch ankommt, in der Albergue von Walter unterzukommen, außerhalb der Stadt ohne Gestank. Sie haben auch ein Bett, das ist gut. Ich teile dem Hospitalero mit, dass es mit dem Gestank so gar nicht geht und ich nun weiterziehen muss. Ohne dass ich ihm etwas sagen muss gibt er mir die 14 Euro zurück, das ist doch mal toll. Ich mache mich nun auf den Weg die Straße runter und komme am Ende in eine schöne Herberge, zwar mit großen Zimmern, auch ziemlich belegt, aber mit Garten im Hinterhof, an. Ich muss oben schlafen, die anderen Betten sind schon besetzt, okay, dann mach ich das so. Auch ist Wäsche waschen angesagt, das konnte ich im Hotel in Santiago ja nicht und ein Garten mit Wäscheleine ist da ideal. Bin ich froh hier zu sein. Nach einer guten Dusche lege ich mich erst mal auf mein Bett und döse vor mich hin, versuche die Übelkeit zu überwinden. Zum Glück riecht es hier gut, das mit dem Fett ging gar nicht. Es ist ruhig im Zimmer, ich schlafe fast ein, als es etwas geschäftiger wird. Drei große Zimmer à jeweils 12 Betten, da braucht es später wohl Ohrstörpel. Nun gut, die mache ich mir in Mehrbettzimmern sowieso immer rein, denn irgendwer schnarcht immer. Nach dem Kennenlernen der Pilgerin die unter mir schläft, es ist Birgit mit ihrer Freundin Brigitte aus Bregenz, wasche ich meine Klamotten per Hand und hänge sie in die pralle Sonne in den Wind, dass sollte schnell gehen mit dem Trocknen. Ich lege mich auf die Wiese auf meinen Sarong und mache meine Übungen, esse meine Orange und genieße einfach das Sonnenbad. Mir ist aber immer noch übel, ich weiß auch nicht was das ist. War das Bocadillo zu fettreich, das vertrage ich manchmal nicht oder war da was nicht in Ordnung?
Nun, ausruhen ist angesagt und wenig später verzieht sich auch die Übelkeit und ich kann mit Walter runter in den Ort was essen gehen. Wie schön, dass wir jetzt hier zusammen sind, das freut mich sehr und wir übernachten im Verlauf auch in den gleichen Orten. Nach einer Weile finden wir eine schöne Lokalität mit einem netten Wintergarten und bestellen uns mal ein galizisches Zorza, das ist Geschnetzeltes in einer Marinade mit viel Paprika gewürzt und Pommes. Dazu gibt es ein schönes Estrella Galicia, mmh, lecker! Gut gesättigt geht’s nochmal in den Gadis-Supermarkt Essen für morgen besorgen. In der Herberge angekommen sind meine Klamotten schön auf der Leine getrocknet und mein zweites Opinelmesser, welches ich in Villafranca del Bierzo gekauft hatte, auf der Wiese liegen gelassen. Oh man Maika, wo hast du dein Gehirn gelassen? Ab morgen heißt es dann die Orange mit den Zähnen aufmachen, nun, sei's drum! Früh soll es morgen losgehen, denn ein langer Tag wartet auf mich, 28 km werden es wohl werden, somit ist der Rucksack schon gepackt, damit ich morgens gleich alles mitnehmen kann ins Bad und keinen wecke. Ich sitze auf meinem Bett und schreibe, mache alsbald dann aber das Licht aus.
20.5.23
Negreira nach Lago
28 km
Kurz vor dem Klingeln meines Weckers werde ich wach, krepel mich nach unten aus dem Bett und greife alle meine Plünnen, gehe ins Bad. Alle schlafen noch, es ist 6 Uhr in der Frühe. Nun, ich ziehe mich an, packe den Rucksack vor die Tür in den großen Eingangsraum und mache mich auf den Weg. Still ist es nun in den Straßen Negreiras. Alleine gehe ich die Rúa Carmen hinunter, gelbe Straßenlaternen leuchten mir den Weg.
Wenn man in die Stadt kommt meint man, sie hätte nicht viel zu bieten. Wenn man aber aus ihr herausgeht zeigt sich das imposante Pazo de Cotón, ein großes Landhaus, besser gesagt eine mittelalterliche Festung, durch dessen zinnenbestücktes Tor man den Ort verlässt. Linkerhand befinden sich diverse Arkaden mit Galerien und rechterhand die Kapelle San Mauro. Und auch das schrill in gelb-pink beleuchtete Rathaus macht im Dunkeln was her. Hier sind schon einige mittelalterliche Gebäude zu besichtigen, schön. Jetzt aber nix wie los, 28 km ist schon eine Nummer, aber ich bin entspannt was das betrifft, so hat es sich ja gezeigt, dass alles möglich ist. Nun, und die klimatischen Bedingungen sind auch ganz anders als letztes Jahr, bei über 30 Grad würde ich das auch nicht machen wollen, aber wir haben wieder unseren frischen Rückenwind zugegen, der mich nach vorne schiebt. Ein breiter Weg führt an der Nationalstraße entlang, die aber nicht viel befahren ist. Die Sonne geht auf und ein neuer sonnenreicher Tag erwartet mich.
Es geht alsbald von dieser Straße ab und stetig bergauf, Strecke machen ist angesagt. Die ersten 10 Km bin ich immer sehr fit, dann geht es langsamer voran. Der Weg wird ein schöner schmaler Mäuerchen umrandeter Wald- und Wiesenweg. Der Ginster blüht hie und da, es gibt Farne in sämtlichen Varianten und in den Felslöchern blüht der Venusschnabel. Ich höre den Ruf des Wiedehopfes und sollte ihn tatsächlich im nächsten Ort auch endlich mal zu Gesicht bekommen. Er sitzt auf einer Stromleitung mit einem Wurm im Schnabel, was für ein hübsches Tier mit dem großen Kamm auf dem Kopf. Toll! Happy gehe ich weiter, bin immer noch alleine unterwegs.
Es geht hoch auf einen Berg, oben sind einige Windräder auszumachen. Hier unten kommt der Fingerhut mit seinem hübschen Pink nun auch noch mit dazu und ebenfalls die gelbe Sonne, und wie! Sie scheint nun wieder von einem strahlend blauen Himmel und es wird langsam wieder wärmer. Ein kleiner Bach wird überwunden und ich habe alsbald die 60 km schon unterschritten. Die Monolithen mit den Kilometerangaben sehen alle richtig gut aus, nicht beschmiert mit irgendwelchen doofen Namen und Daten, sondern wie neu. Sind sie wohl auch, sie wurden letztes Jahr erst alle ausgetauscht.
An einer kleinen Landstraße geht es weiter über die Anhöhe mit weitem Blick in die grüne Landschaft, bevor ich den Berg runter im Ort Vilaserio ankomme. Nun ist Pause angesagt, 12 km liegen hinter mir. Die erste Albergue beglückt mit einem schönen Garten mit Liegestühlen und einem schönen Hórreo. Hier werde ich mich für mein Frühstück niederlassen, Liegestuhl, Füße lüften und hochpacken, lecker Orange, Magdalenas und Schokis. Ich schreibe eine Whats app an Walter und teile mit wo ich jetzt angekommen bin, bekomme aber keine Antwort, nun dann sehen wir uns später wieder, denn wir kommen in derselben Herberge unter.
In der nächsten Albergue im Ort treffe ich ihn dann. Ich hole mir hier meinen Stempel und dachte, dass wir nun gemeinsam weitergehen werden. Aber es bleibt nur bei einer kurzen Begrüßung, er ist kurz angebunden, und zieht mit Birgit aus Bregenz vondannen. Okay, eigenartig. Nun denn, mit Fragezeichen vor der Nase warte ich bis die beiden weitergegangen sind und setze meinen Weg fort. Mit Iria im Ohr verschaffe ich mir gute Laune und gehe singend durch die Prärie: „Ich sage ja, ja, ja, ja, ja!“ und treffe auf die am Wegesrand sitzende Kathrin aus Pankow, die mal einen ganz anderen Camino gelaufen ist, nämlich den Camino Inglés, der von Ferrol aus, das liegt an der Nordwest-Küste in der Nähe von A Coruña, nach Santiago geht. Das kann man gut in einer Woche schaffen. Nun ist sie auf dem Weg nach Fisterra und später nach Muxia. Wir grüßen und ich gehe singend weiter.
Happy gehe ich auf meinem Weg im Sonnenschein. Es geht an einigen Bauernhöfen vorbei und leider haben wir scheinbar Gülletage, denn es stinkt mitunter gewaltig danach, die Felder sollte man besser nicht betreten. Puh, das ist mitunter herausfordernd und verursacht wieder ein leichtes Übelkeitsgefühl im Magen. Mitunter halte ich mir sogar meinen Sarong vor die Nase, weil es echt arg ist. Die Landschaft ist schön in Patchwork mit quietschgrünen Flächen, Wiesen und braunen Ackerflächen gehalten. Ab und an kommt ein Eukalyptuswäldchen in Sicht, der durchschritten wird. Der Mais wächst in akkurat geraden Linien und ist noch sehr klein, an den Wegesrändern blüht der Ginster und das ein oder andere Affodil-Pflänzchen ist zu erkennen.
Ich mache Pause im kleinen Örtchen Santa Mariña. Kathrin sitzt schon draußen auf der Terrasse und ich setze mich mit meinem Café con leche dazu, auch ist wieder Wasserauffüllen vonnöten. Ich lasse das spanische Chlorwasser beiseite, mit der leichten Übelkeit, die ich immer noch habe, ist das gar nicht gut und Zweifel kommen auf, ob es vielleicht auch am Wasser liegen könnte. So hole ich mir also eine große Flasche Wasser aus der Bar. Wir schnacken etwas und gehen wenig später wieder jeder ihren Weg. Kurze Zeit später komme ich am Km 50-Stein vorbei, es geht voran. Der Hammer kommt aber kurz vor dem Abzweig zum Monte Aro. Da versprüht ein Bauer frisch die Gülle auf dem Feld und der steife Nordostwind weht das schön rüber auf unseren Weg. Oh nee, die beiden Pilger vor mir werden ordentlich eingenebelt, was für ein Scheiß. Ich halte Abstand und warte ab, also in Gülle eingetaucht möchte ich ja nicht werden. Als der Bauer mit dem Sprühen innehält, gehe ich raschen Schrittes, fast rennend mit dem Tuch vor der Nase dran vorbei und bin Gott sei Dank so verschont geblieben. Die beiden anderen, die ich wenig später am Abzweig zum Monte Aro treffe sind frustriert, haben sie doch gestern Wäsche gewaschen und sind nun mit Dung eingesprüht, schönes Parfum, irgh! Hape Kerkeling hat schon von den Güllegerüchen in Galicien berichtet. Nun, das hat sich nicht geändert, ist immer noch so. Vorzugsweise ist hier eben Landwirtschaft oder halt vor Santiago Viehwirtschaft zugegen. Ich komme am Abzweig an und trau nicht so richtig meinen Augen, aber der nun folgende Aufstieg ist richtig steil, das so am Ende der Tour ist schon der Hammer.
Ich setze mich erst mal Mentos-essend auf einen Stein und stelle mich gedanklich auf den nun krassen Aufstieg ein. Ein humpelnder Pilger kommt ums Eck und schaut auch fassungslos auf den Berg. Man hätte es auch sein lassen und eine Variante gehen können, erfahre ich ein später, aber das wäre auch nicht toll gewesen, denn der Ausblick von oben auf die Landschaft und zum nicht weit entfernt liegenden Stausee Encoro da Fervenza ist wirklich herausragend. Schnaufend kämpfen wir uns den Berg hoch. Die beiden Güllepilger werden vom vorhandenen Wind gut durchgelüftet, vielleicht ist es am Ende gar nicht so schlimm. Ich fange wieder an zu zählen, mache Pause zwischendurch, verschnaufe und weiter geht’s. Irgendwann kommen wir oben an. Wow!
Was für eine wunderschöne Aussicht über das grün-gelb-blaue Land. Einfach herausragend. Mein Herz hüpft und alle Anstrengung von eben ist vergessen. Ich lasse mir den Wind um die Ohren pusten. Mittlerweile laufe ich im T-Shirt durch die Gegend, das ich das noch erleben werde. Über 30 Grad im letzten Jahr und dieses Jahr so frisch. Nun für's Wandern ist’s doch gut.
Nun geht es wieder steil bergab, gut dass ich die Stöcke dabei habe, unten im Tal ist schon das kleine Dorf auszumachen. Oh oh, hoffentlich müssen wir nicht im Güllegeruch schlafen, da dreht sich mir glatt der Magen nochmal um. Die Steilheit und das Geröll des Weges machen es nicht einfach, auch ist nach den langen Kilometern nun doch ordentlich Erschöpfung zu spüren, klar.
Unten angekommen erreiche ich meine Herberge auch sogleich, Walter und Birgit sitzen auf der Terrasse am Tisch und essen. Ich sage „hallo“ und gehe rein zum Counter und zahle mein Bett. Die Herberge ist tatsächlich auch voll belegt, nun, sonst gibt's hier halt auch nicht viel. Ich komme oben in einem großen Dormitorio mit bestimmt über 20 Betten an, welche aber verwinkelt aufgestellt sind, und suche mir eins aus. Zwei Hospitaleras sind am Start, die sich scheinbar nicht ganz einig sind, denn die ältere kommt nach oben und will mich, nachdem ich mich schon sortiert und mein Bett belegt habe, woanders hin verfrachten, da wohl eine kleine Gruppe kommt die zusammenliegen sollen. Oh man, ich soll da mitten im Gang schlafen. Nach viel Gewurschtel und Gestresse, am Ende bleibe ich wo ich bin, richte ich mir meine kleine Höhle ein. Es gibt überdimensionale Bettdecken, die man kaum bewältigen kann, eine wird mein Höhlenvorhang werden. Erst mal duschen gehen, für die vielen Pilger gibt es nur zwei Duschen, nicht doll, aber ich habe Glück und bin bald fertig. Der Hunger treibt es rein, viel habe ich heute nicht gegessen. Ich fühle mich wieder fit, erstaunlich nach den vielen Kilometern und setze mich zu der Frauengruppe bestehend aus den beiden aus Bregenz, Kathrin und mir. Ein schöner großer Salat muss her, der wirklich auch klasse ist. Die Terrasse ist auch toll, aber leider gibt es keinen Garten heute. So mache ich später mit Birgit zusammen auf dem Steinfußboden meine Übungen, das muss nach dem langen Tag schon sein und ich merke wie verspannt die Muskeln um die Hüfte rum sind. Mit Walter gehe ich dann noch durch den nicht viel sagenden Ort. Wir machen Scherze über die Sehenswürdigkeiten, aber der vorhandene Hórreo ist schon toll, mit großen Steinen auf großen Steinstelzen gebaut, der hat was.
Dem Nachbarcafé wird ein Besuch abgestattet, denn es beherbergt den kleinen Pilgershop mit ein paar überteuerten Fressalien. Schoki und Co müssen für den langen Weg morgen her, denn wenn ich gar nichts mehr zu essen in der Tasche habe, dann werde ich nervös. Also eine Notration muss schon sein, man weiß ja nie was kommt, schlechte Erfahrungen aus meinen Touren in Brandenburg. Ja ja, "pack dir was zu essen ein, wir fahr‘n nach Brandenburg", das hat Rainald Grebe schon gesungen und da ist was dran, da habe ich schon kasse Sachen erlebt. Wir sitzen alle draußen auf der Terrasse. Marina, die ich ja in Murias de Rechivaldo das erste mal beim Abendessen kennenlernte, und später in Rabanal mit Olaf und Christian traf, ist auch mit einer kleinen Gruppe zugegen. Sie haben sich auf dem Camino kennengelernt und irgendwann entschieden zu dritt weiterzugehen, so haben sie sich ein Dreibettzimmer gebucht, das ist dann natürlich praktisch und auch günstiger. Morgen in Ceé haben sie dann eine Wohnung für sich, das kann man sich dann auch gut leisten. Sie hat schreckliche Blasen an den Füßen, meint aber, dass die gar nicht schlimm sind, sie humpelt aber. Ist schon erstaunlich, denn sie ist in Saint Jean Pied de Port losgelaufen und hat immer noch Blasen. Also das wäre ja der Horror für mich, den ganzen Weg über mit Blasen zu kämpfen, das ist echt Shittenkram. Jetzt ist endlich mal Zeit zu schreiben, denke ich und setze mich an einen der Tische in den Schatten, aber es setzt sich Andreas, ein etwas wie ein wilder Waldschrat aussehender Pilger, an meinen Tisch und redet drauf los. Er kommt aus MeckPomm und ist auch ehemals von da losgelaufen, toll. Okay, Schreibkram beiseite gepackt, dann eben reden! Ein schönes Bier ist mit anbei und die wärmende Sonne treibt alle nach draußen, wir sind eine richtig große tolle Runde. Essen gibt es abends dann im Restaurant drinnen, Walter und ich haben uns wieder zusammengetan und sitzen mit dem Walschrat zusammen und essen ein ordentliches gutes Pilgermenü, was kaum zu schaffen ist, der Salat vorhin war ja auch nicht ganz klein. Zum Nachtisch gibt es seit Santiago immer den Tarte de Santiago, den Santiagokuchen, ein Mandelkuchen mit leichtem Zitronengeschmack, zu viel für mich jetzt, der kommt mit in die Tasche für morgen. Zurück im Zimmer vervollständige ich meine Höhle mit meinem Sarong und einer weiteren Decke. Nebenan liegt ein grummeliger alter Deutscher, der vorhin schon so grantig war und auch scheinbar keinen Kontakt wünscht, und schnarcht extrem laut vor sich hin, das ist echt krass, da helfen auch keine Ohrstöpsel. Ich wurschtele neben ihm einfach extrem laut in meinem Rucksack, dann ist Ruhe, jedenfalls für eine Weile. Das eine Mädel ist nachts tatsächlich nach unten in den Aufenthaltsraum gezogen, weil sie es nicht ausgehalten hat. Schlimm! Solche Leute sollten doch besser alleine schlafen, wenn sie so laut sind, aber scheinbar interessiert es den Herren nicht. Auch habe ich vorhin dann doch die Fenster geschlossen, denn ums Eck ist ein Kuhstall und es kam Güllegeruch hinein, das muss nun echt nicht sein, das geht gar nicht. Die ganze Nacht hat immer wieder der Nachbarshund gebellt, das war schon auch eine Herausforderung. Also ich frage mich wie die Leute da schlafen können? Schöne Herberge, kann man nicht anders sagen, aber so ein Hund kann einem alles vermiesen. Nun dank Ohrstöpsel ging es für mich. Alles ist gepackt für morgen, denn es geht wieder früh los.
21.5.23
Lago nach Ceé
26 km
Heute werde ich das Meer sehen, ich bin ganz aufgeregt. Um 6.20 Uhr bin ich schon auf dem Weg und gehe aus dem spärlich beleuchteten Ort raus in die Dunkelheit Galiciens. Über nun wieder sanfte Hügel pilgere ich einsam meiner Wege und erreiche dann bei Sonnenaufgang Ponte Olveira. Die Brücke überspannt einen großen reißenden Fluss, den Río Xallas.
Ein großes Schild besagt, dass ich in einer neuen Gemeinde, in Dumbría angekommen bin, aha! Ich komme im kleinen Ort Olveiroa an, welches sogar einen eigenen Schriftzug besitzt, schön, ansonsten gibt es nicht viel, ein paar Herbergen und ein paar schöne Hórreos hat es. Der Wind weht mir eiskalt um die Ohren. An Ermangelung meines tollen Pilgerhalstuches packe ich einfach meinen Sarong um den Kopf, Multifunktionsteil, sage ich ja, nun sehe ich ein bissel wie ein Wüstenkarawanen-Mensch aus.
Es geht einen netten Steinweg an viel Wasser vorbei, bevor es noch mal ordentlich den Berg nach Logoso hoch geht und auf einem schönen Höhenweg weiterführt.
Der Blick reicht weit über die grüne bergige Landschaft und unten im Tal fließt der reißende Río Xallas entlang. Also bisher kann ich den Weg auch landschaftlich nur empfehlen, schöne Wege, spektakuläre Landschaften, alles dabei. Ich komme bei KM-Stein 30 an, nun ist es wirklich nicht mehr weit und mein Camino ist beendet, denn weiter geht es dann nicht, dann wird’s nass und das will ja keiner :-) Ich komme strammen Schrittes scheinbar in Logoso an.
Ein Schild an der vorhandenen Albergue teilt mit, dass es hier bis Ceé das letzte Wasser gibt. Ich nehme das alles nicht ernst und denke, vielleicht gilt das für die Autofahrer, die hier vorbeikommen (warum auch immer ich das denke, erschließt sich mir nicht) und gehe weiter gen Hospital de Logoso, welches mich mit einem geschlossenen Informationszentrum über die Region Dumbría empfängt. Ein böser Wolf ist auf dem Foto zu sehen, der Vákner. Es soll sich um ein wildes Tier gehandelt haben, der in den Bergen des Xallas Plateaus lebte. Die Geschichte handelt von einem Bischof, der 1489 seine Pilgerreise bis nach Fisterra und Muxia fortsetzte und in seinem Pilgerbericht verfasste, dass er den Vákner, das große wilde Tier gesehen hätte und ihm aber entkommen konnte. Keiner weiß bisher worum es sich hier handeln könnte, aber es soll wohl noch heute unterwegs sein. Das ist ja mal gruselig. Aber solche wilden Tiere scheinen ja häufiger mal vorzukommen, das gab es in Frankreich ja auch. Nun viele Mythen und Geschichten handeln von dieser Region hier, ist sie doch sehr abgeschieden und einsam. Ich lasse unwissentlicherweise auch Hospital hinter mir und marschiere weiter. Ich wollte ja nach ca. 10 Km eine Pause einlegen, habe es aber irgendwie nicht geschnallt. Ich bin noch fit und wandere die Straße hinunter und komme nun an die Abzweigung: Links geht es nun nach Fisterra, mein Weg, und rechts kann man nach Muxia gehen. So biege ich links ab und laufe hinter zwei jungen Pilgerinnen hinterher.
Sogleich biegt der Weg von der Straße auf einen schönen Schotterweg über die Berge ab und führt sanft nach unten. Das Hochplateau wechselt später in einen Waldweg mit Kiefernplantagen und mit Fingerhüten links und rechts.
Die Mädels sind weg, ich laufe hier alleine durch die Gegend, das finde ich großartig. Und da steht das Monster plötzlich vor mir. Naja, also nicht in echt. Hmm, so soll er also aussehen, naja, geht so. Angst habe ich jetzt keine und grinse in mich rein. An einem Jesuskreuz bleibe ich stehen und bete, gehe sogleich an zwei netten Pilgerbänken vorbei weiter in den dichten Wald hinein. Was für ein schöner Weg.
So langsam könnte aber mal Logoso kommen, denke ich, ich könnte mal eine Pause vertragen. Aber Logoso kommt nicht, nur Natur um mich rum. Es geht bergab an großen Felsen vorbei zu einer kleinen Kapelle, nett sieht die aus, ist aber geschlossen. Ich denke, scheiß auf Logoso, vielleicht mache ich hier einfach Pause, finde aber keinen guten Platz. Es ist die Capilla da nosa Senora das Neves, ein kleiner steinerner Altar mit Bildern, Ketten und Muscheln behängt ist innen auszumachen. Ich muss schon die ganze Zeit pieschern, aber Logoso kommt einfach nicht.
Ich setze mich einfach schnell hinter die Kirche ins Gras und höre wenig später Stimmen von sich anbrüllenden Menschen. Erstaunt komme ich aus meinem Versteck hervor, was ist los? Da sind ein paar in leuchtende Warnwesten gekleidete Rentner unterwegs und unterhalten sich. Boah, nach der Stille ist das echt der Hammer, was soll das denn? Ich trete die Flucht an, bloß weg hier, und schreite schnellen Schrittes den nächsten Berg hoch und lasse die Brüllbande hinter mir. Leute gibt’s! Vielleicht sind die schwerhörig, vielleicht aber auch nur Spanier. Ich weiß nicht warum die immer so laut reden müssen. Nun denn, ich gehe weiter meinen Höhenweg entlang, schiebe mir ein Mars zwischendurch rein, denn der Bauch fängt an zu knurren und trinke meinen letzten Tropfen Wasser. Hmm, nicht gut! So langsam fange ich doch an mich zu wundern und schaue jetzt doch mal auf mein Handy, welches mir mitteilt, dass Logoso zwei Stunden entfernt ist, aber in die andere Richtung. Naja, denke ich, ist wieder ein anderes Logoso und Google schnallt es nicht. Ich gehe weiter, bin aber echt erschöpft und sage mir, nee ich muss Pause machen, egal ob ich im Ort ankomme oder nicht. Ich schaue über die Berge ins Tal und sehe hinten am Horizont was Blaues schimmern. Könnte das schon das Meer sein? Klar ist es das, noch kaum als das zu erkennen, aber was sollte es sonst sein? Mein Herz hüpft und ich lege einen Schritt zu.
Einige Leute sind nun mit auf dem Weg zugegen, auch welche, die nicht nach Pilger aussehen. Hmm, vielleicht einfach Sonntag und man geht gerne in den Bergen wandern? Ist ja auch schön hier. Als ich wenig später an der Capilla de San Pedro Martín ankomme traue ich meinen Augen kaum. Heerscharen von Menschen in schicken Kleidern, viele Autos, deren Fahrer versuchen einen Parkplatz zu finden, ein großer Tisch mit Kuchen und Getränken aufgebaut. Was ist denn hier los? Mal wieder eine Fiesta, eines von vielen in Galicien? Ich muss leider hier einkehren, denn ich habe Durst und kein Wasser mehr. Eine große grüne Wiese befindet sich vor einem kleinen Steinkapellchen mit kleiner außen hängender Glocke. Ich höre Gesang aus der Kirche, es findet ein Gottesdienst statt, diverse Leute stehen auch am Eingang davor, passen wohl nicht mehr rein. Zu meiner linken befindet sich ein Brunnen, Pilgerbrunnen steht darauf. Ob man das Wasser trinken kann? Ich sehe eine Frau, die aussieht, als ob sie hier alles regelt und frage sie einfach, sie sagt: „Ja klar ist das Trinkwasser, si, si“. Wie geil! Ich fülle mir mein Wasser ab und es schmeckt herrlich lecker. Ich packe mich einfach auf die Wiese daneben, ziehe die Schuhe aus und esse meine Orange und alles was ich noch so in der Tasche habe, puh bin ich im Eimer. Jetzt schau ich doch mal genauer in meinem Handy wo ich bin und stelle fest, oh man, ich bin einfach an Logoso vorbeigelaufen und ja, es war das letzte Wasser was man kaufen könnte vor Ceé. Ich bin also 20 km durchgelaufen und habe es nicht geschnallt, oh man, nun bin ich aber platt. Okay, allzu weit ist es jetzt nicht mehr nach Ceé. Ich schaue noch dem bunten Treiben auf der Wiese zu, noch mehr Autos und Leute kommen ums Eck, ein Priester in weißem Gewand unterhält sich mit ein paar Gästen. Mir wird das nun doch alles zu viel, denn nun wollen die Autos auch noch auf der Wiese parken. Also Schuhe wieder anziehen und weitergehen. Zumindest bin ich jetzt gesättigt und habe auch keinen Durst mehr. Es geht nun den Berg runter, Ceé liegt natürlich unten an der Bucht und somit auf 0 Höhenmetern. Ein sehr steiler Abstieg soll mir bevorstehen, besagt der Wanderführer. Davor muss ich doch noch mal eine richtige Pause machen, das war jetzt einfach viel Gelatsche und außerdem bemerke ich ein leichtes Pieken an der Innenseite der Ferse. Oh nee, da wird doch wohl nicht etwas kommen? Ich setze mich auf einen Steinsims und betrachte meine Füße, kann nicht wirklich was erkennen, sichere den Pieks-Punkt aber mit einem Compeed ab. Jetzt am Ende des Weges noch eine Blase bekommen, weil ich ich keine Pause und kein Füße lüften gemacht habe, das wäre doch doof, aber genau das passiert tatsächlich. Das kann doch nicht wahr sein, ich ärgere mich über mich selbst. Anfängerfehler! Ja, ja, Pause machen mit Füße lüften ist doch existenziell, auch und vor allem weil es jetzt auch wärmer geworden ist. Aber was soll ich machen? Ich sitz hier auf der Böschung am Wegesrand und beobachte die Pilger vorbeiziehen. Mich zieht's jetzt aber auch nach Ceé, ich will ankommen, also weiter geht’s. Ich komme über den Berg rüber, und vor dem Bergab-Steil reicht der Blick weit in die Ebene und jetzt kann ich so richtig das Meer sehen. Wie schön, wie geil ist das? Toll! Ich bin total begeistert und kann gar nicht schnell genug unten ankommen.
Steil geht es nun steinig nach unten und die Wanderstöcke leisten ganze Arbeit. Alles leistet hier ganze Arbeit, die Knie und die Hüften, die Handgelenke und die Konzentration, der Weg ist nicht ohne. Die ersten Häuser von Ceé werden sichtbar. Unten angekommen lande ich auf einer lauten vielbefahrenen Hauptstraße und zusätzlich ein Wahlwerbeauto mit lauter Musik und Gequatsche. Oh je, mir rutscht das Herz in die Hose, was kommt da auf mich zu? Linkerhand ist nun ein strahlend blaues Meer zu sehen, bzw. die Bucht von Ceé. Es geht am Friedhof vorbei, der wirklich auch was hermacht, diesmal mit richtigen Gräbern. Noch ein bissel muss ich in den Ort hineingehen, ich hoffe ich muss nicht an dieser Straße hier nächtigen, das wäre echt Frust.
Aber nein, es geht scharf links ab in eine Seitenstraße und so lande in meiner Albergue Moreira in einem alten Steinhaus. Es stehen schon zwei Pilger vor dem Eingang, ich warte. Gegenüber ein grässlich beschmiertes, hässliches Haus, ich hoffe, dass ich nicht das Zimmer mit Aussicht nach hinten, sondern mit Ausblick zum Meer habe. Alle Sorgen waren aber umsonst, der Herr des Hauses führt mich in mein Zimmer, heute Einzelzimmer, mit einer tollen Sicht in die Bucht von Ceé, wie geil, das ist ja der Oberhammer! Ich freue mich total. Ein großes Bett, ein großer Schrank, alles da was man braucht. Ich öffne die Fenster und lasse alles auf mich wirken. Nun bin ich nach so langer Zeit am Meer angekommen und habe dazu noch so obertolles Wetter, ich kann es kaum fassen.
Ich dusche inklusive Haare waschen, die können bei der Wärme in der Luft trocken, und richte mich gemütlich im Zimmer ein, als der Hospitalero anklopft und mir sagt, ob ich noch was zu essen kaufen will, denn die Läden schließen gleich? Warum das denn, wieso schließen die? Nun es ist Sonntag! Okay, ich habe das Gefühl ich gerate von einer Fiesta und von einem Sonntag in den nächsten. Ich spurte mich und eile im Laufschritt die kleine Straße ins Zentrum runter, suche hier und da und finde glatt dann einen großen Carrefour. Heute war auch Markttag, aber es wird gerade alles abgebaut. Schnell rein in den Laden, schnell shoppen und schon macht er zu, Glück gehabt. Nun, wenn ich schon mal hier bin, schaue ich mich auch etwas um und komme an der netten Kirche des Ortes, der Igrexa de Santa María da Xunqueira vorbei, was für ein Name. Ceé ist ein kleiner Ort an einem Seitenarm des Atlantik gelegen, ca. 7500 Einwohner zählt die Stadt, sieht teilweise recht modern aus, hat aber auch schöne Altstadtecken mit schmalen Gassen, Bars und Restaurants, einen schönen großen Plaza mit ebenfalls vielen Möglichkeiten zu essen und zu trinken, einen schönen Strand und eine kleine Marina. Also alles was das Herz begehrt.
Aber ich habe jetzt echt Hunger, so habe ich nicht wirklich viel gehabt heute und natürlich einen anstrengenden, weiten Walk hinter mir. Ich habe mir glatt jetzt eine Blase gelaufen, die unangenehm schmerzt, wie ärgerlich. Aber was soll ich mich jetzt ärgern, es ist wie es ist. Ich gehe rüber in eine der kleinen Gassen, da gibt es eine kleine galizische Bar und bestelle mir einfach eine Runde Patatas fritas mit Majo und ein kleines Bier, sitze draußen in der nun echt warmen Sonne und genieße das Menschenstimmen-Geraune um mich rum. Danach geht’s zum Strand, klar, das muss schon sein, da muss ich unbedingt hin. Ein paar Pilger sitzen auf einem Steinmäuerchen, nebenan wird wohl einiges neu gemacht, denn es ist schweres Baugerät aufgefahren, da kann ich wohl froh sein, dass wir heute Sonntag haben. Ein überdachter Pavillon befindet sich mittig am Strand, eine kleine Promenade, das war’s. Scheiß auf die Blase, die ist schön eingepackt und wird dann heute Abend angepiekt. Ich ziehe die Schuhe aus und gehe durch den warmen Sand zum Wasser hin, mal die Füße reinhalten. Uh, kalt, ich glaube ich werde da wohl nicht schwimmen gehen, aber es ist einfach nur schön.
Das Wasser ist klar und schwappt in kleinen Wellen ans Ufer, Möwen fliegen schreiend über mich hinweg, also das ist ja mal ein krönender Abschluss der Pilgertour.
Das Meer ist ja immer schön. Naja und bei dem tollen Wetter ist es dann auch gleich doppelt schön. Ich besuche ums Eck noch die kleine Marina, nett haben sie es hier gemacht, mit Palmpflanzen und Mosaikbildern.
Es ist Zeit wieder zurückzukehren in meine Bude, die ja gleich ums Eck ist. Walter und ich machen aus uns um 18 Uhr im Ort zu treffen. Er ist in einer Herberge außerhalb der Stadt untergekommen, Missgeschick, passiert. Aber so weit ist es jetzt auch nicht. Ja und dann sitze ich hier so auf dem Bett. Wie geht es weiter? So langsam muss ich mir mal Gedanken machen wie ich wieder nach Hause komme, einen Flug habe ich ja noch nicht. Ich fange an zu recherchieren, das nervt gewaltig, weil immer irgendwas nicht so hinhaut wie es soll. Ja was wäre das Leben ohne Probleme? Es wäre einfach nur schön, ja! Ich bleibe zwei Tage in Fisterra und werde dann mit dem Monbus nach Santiago zurückkehren, der ist nun auch gebucht. Dann werde ich da eine Nacht übernachten und mit dem Alsa-Bus nach Porto fahren und von da aus losfliegen. Ich habe in Facebook gehört, dass es von da aus billiger ist, was auch stimmt, denn Santiago ist nicht nur teuer, sondern man muss auch umständlich mit langen Wartezeiten umsteigen, auf den Stress und auch auf die Kosten habe ich keine Lust. Ich mache es gemächlich, habe ja Zeit. Mit viel Gewurschtel, Eurowings fliegt erst am Freitag, habe ich nun alles unter Dach und Fach, puh, schwere Geburt. Jetzt bin ich aber entspannter. Somit treffe ich mich alsbald abends mit Walter im Ort. Wir suchen hier und da nach einem schon geöffneten Restaurant, was aber nicht nur geöffnet ist, sondern auch schon Speisen anbietet, meist gibt es nur Getränke um diese Zeit. Aber auf dem großen Platz werden wir dann fündig und setzen uns schön draußen hin. Wenig später kommt Kathrin aus Pankow vorbei und setzt sich dazu, dann muss sie nicht alleine essen, ist ja auch schön. Wir stellen fest, dass wir beide zwei Nächte in Fisterra bleiben, somit tauschen wir Nummern aus, dann kann man sich ja treffen. Walter wird nur eine Nacht bleiben und dann von Santiago aus mit dem Zug nach Málaga fahren und dort noch etwas Urlaub machen. Marina und ihre beiden Mitpilger kommen ums Eck und setzen sich auch mit dazu. Nun sind wir eine schöne große Runde und es gibt lecker Raxos, Geschnetzeltes ohne Marinade, wird auch viel in Galicien gegessen. Wir hauen ordentlich rein, dazu gibt es das ein oder andere Bier, nette Runde. Wir verabschieden uns voneinander, morgen ist dann der letzte Tag unser aller Pilgertour, morgen geht es ans Ende der Welt, ich freue mich total.
Meine Albergue hat unten noch ein kleines Mehrbettzimmer, welches aber nur zur Hälfte gefüllt ist. Vor dem Eingang komme ich noch mit einer Frau ins Gespräch, die eine Zigarette auf einem klapprigen Stuhl sitzend raucht. Dann ist es Zeit für mein Riesenbett mit Riesenbettdecke. Die Lichter der Stadt gehen an und es sieht wirklich ganz wunderbar heimelig und friedvoll aus, ich schließe die Fensterläden. Morgen werde ich es etwas gemächlicher angehen lassen, denn es ist nicht mehr so weit bis nach Fisterra. In diesem Sinne: Buenas noches.
22.5.23
Ceé nach Fisterra
und Kap Finisterre
23 km
Heute stehe ich mal erst um 7 Uhr auf und springe topfit und ausgeschlafen aus dem Bett, mache die Fensterläden auf und schaue in einen blauen Himmel. Die Sonne ist noch nicht ganz aufgegangen hinter dem Berg, ein frisches Lüftchen kommt herein, aha, also wieder warm anziehen. Ich packe die Sachen, lasse meinen großen Rucksack wie abgesprochen, im Zimmer stehen und mache mich auf den Weg zur Strandpromenade. Ich bin ganz alleine auf weiter Flur und gehe ganz bewusst den letzten Abschnitt meines Pilgerweges, umrande den Strand und mache mich auf in den nächsten Ort Corcubión.
Es geht leicht rechts bergauf mit einer schönen Sicht in die Bucht mit den verstreut daliegenden kleinen Booten und eine angenehme Stille liegt über allem. Die Wolken färben sich langsam rosa und dann ist es soweit, die liebe Sol ist da, sie kommt hinter den Bergen hervor. Wie wunderschön das alles ist. Der nächste Kilometerstein besagt, dass es nur noch 13,541 km sind, nicht weit nach Fisterra, aber ich werde sicher heute noch zum Leuchtturm gehen, das sind nochmal 3 km oder so. Es geht wieder leicht bergab durch sanfte grüne Hügel. Gegen 8 Uhr erreiche ich eine abgesperrte Obstplantage und kann von weitem das erste Mal das Kap Finisterre sehen und ganz klein den Leuchtturm darauf. Wie toll, mein Herz hüpft mal wieder und es wird noch so einige Hüpfer heute erleben.
So langsam könnte ich einen Kaffee und etwas zum frühstücken vertragen, aber es hat einfach nichts auf. Im nächsten Ort Estorde, an einem schönen weißen Strand mit großen knorrigen Kiefern gelegen, werde ich nicht fündig. Ich stehe am Strand, hübsch sieht das aus, das Wasser in einem wundervollen azurblau, der weiße Strand, ein Bötchen schaukelt in den sanften Bewegungen des Wassers, und diverse Strandblumen sind zu sehen, Idylle pur.
Das Restaurant ums Eck hat noch zu, der Campingplatz gegenüber noch keine Saison. Ich besuche kurzerhand die wirklich schöne mit Palmen bestückte Terrasse des Restaurants und entscheide mich dann einfach ein paar Kekse am Strand sitzend zu essen, ist ja auch ganz wunderbar und die Sonne wärmt schön.
Als ich aufbreche treffe ich auf eine ebenfalls suchende Pilgerin, sie ist deutsch und wir quatschen ein wenig oder will mal sagen sie textet mich komplett zu. Aber eines ist wichtig von dem was sie erzählt, sie ist mitten in eine große Gruppe Tagespilger mit Guide geraten, die sind gerade auf dem Weg hierher. Oh, oh, nix für mich. Ich sage ihr, ich müsste nun weiter und verabschiede mich, puh, das war eine Menge Gequatsche. Im nächsten Ort Sardiñeiro werde ich dann fündig und betrete das kleine Café. Ein paar andere Pilger sind auch zugegen und ich genehmige mir nun meine beiden Klassiker. Wenig später breche ich dann wieder auf, komme bei KM 8 in ein hübsches Kiefernwäldchen. Ein netter Weg geht hindurch und geht über in einen schönen Höhenweg mit herausragender Sicht auf das blaue Meer der Bucht. Wie wunderschön ist das denn? Oh man, ich bin total geflasht und happy. Bin ich froh, dass ich weitergegangen bin, das ist ja jetzt hier echt noch mal ein Highlight erster Klasse. In der Ferne ist Fisterra und der schöne weiße lange Strand davor zu erkennen, ja und das gesamte Kap mit dem Leuchtturm oben drauf. Wow!
Leider höre ich Stimmen und da stehen sie, die gesamte Gruppe mit dem Guide, der gerade versucht von allen ein Foto vor der Meer-Kulisse zu machen. Als ich dazu komme wollen sie sich gerade aufmachen und weitergehen. Nee Leute, lasst mal! Ich quetsche mich durch die Truppe und lege einen Zahn zu. Aufgrund der Größe der Gruppe sind sie sehr langsam und so sollten wir uns nicht mehr in die Quere kommen. Der Weg führt nun weiterhin im Kiefernwald bergab und der Blick reicht auf einen kleinen leeren Strand unterhalb, der Praia (Playa) de Talón, welcher nur über einen schmalen steilen Weg zu erreichen ist. Ein einzelner Mensch steht dort und schaut aufs Meer hinaus. Alsbald geht es runter zum großen Strand von Fisterra, den Praia de Lagosteira, der fast 2 km lang ist und feinen, weißen Sand bereithält.
Dazu gibt es viele Muscheln in allen Varianten, ein strahlend blaues Meer und den ein oder anderen Bohlenweg. Wow, wow, wow, kann ich da nur sagen! Ich entscheide mich den Strandpromenadenweg ein Stück weiterzugehen und ziehe dann meine Stiefel aus, hänge sie an den Rucksack und gehe barfuß durch den weichen, warmen Sand. Toll, was für ein Gefühl jetzt hier am Meer und am Strand angekommen zu sein.
Und wie ist das Wasser hier so? Ich versuche es nochmal und tauche meine Füße in die dezent an den Strand schwappenden Wellen. Uhh, kalt! Aber schön! Ich setze mich einfach mal hin und genieße den Ausblick, der ein oder andere Pilger zieht vorbei, viele sind es aber nicht. Die meisten hören halt in Santiago auf und so ist es hier verhältnismäßig ruhig. Angenehm warm ist es und ein mäßiger bis starker Wind weht, als ich muschelsuchend den Strand hinuntergehe. Tolle Muscheln gibt es hier, ich nehme ein paar mit.
Ich komme am Ende des Strandes an einem kleinen Restaurant mit Bänken davor an und ziehe mir die Botten wieder an. Weiter geht’s jetzt mit tollen Aussichten nach Fisterra, dessen Ortsrand ich kurze Zeit später auch erreiche.
Ich schlendere erst mal durch den Ort, am Hafen entlang, leider ist hier überall Baustelle, sie machen die Uferstraße neu, nun kann man nichts machen. Viele Fischerboote liegen im Hafen, Fisterra ist ein Fischerort. Hier kommen die Fischer täglich vom Meer herein und in der Auktionshalle (die Lonja de Finisterre) nebenan werden dann die Fische, Muscheln und Krebse versteigert und abgegeben an Hotels und Restaurants vor Ort. Alsbald mache ich mich auf meine Herberge zu finden und lande in der Albergue do Sol e da Lua, Sonne und Mond, nett von außen, sogar mit einem kleinen Meditationsraum, das finde ich ja toll. Der Herr, der mich begrüßt und hier scheinbar nur saubermacht, weiß aber nichts von mir und führt mich hoch zu den Zimmern, die wenig einladend sind und ein Einzelzimmer weiß er auch nicht, da muss die Besitzerin erst noch kommen, die ist aber gerade nicht da, desgleichen gilt für meinen Rucksack. Hmm, naja, geht so. Ich gehe noch auf ein unglaublich schrottiges Klo und bin mit allem wenig begeistert. Wir verabreden, dass er sich dann bei mir meldet, wenn die Besitzerin wieder da ist. Kurze Zeit später klingelt Walter an, wie es mit Essen aussieht, ob ich schon da bin. Ich erkläre ihm das mit der Albergue und er fragt mich ob ich wirklich in der richtigen bin. Ich schaue noch mal nach, oh nee, meine heißt ja Sonia und nicht Sol! Nun, hat beides irgendwie mit Sonne zu tun. Er ist auch bei Sonia und ich gehe noch etwas den Berg hoch und treffe dann auf Walter und auf meine richtige Herberge, die einen sehr netten und gepflegten Eindruck macht. Was bin ich happy, jetzt doch hier unterzukommen, auch mein Rucksack steht da schon in der Ecke. Die Hospitalera bringt mich in mein Zimmer. Es ist ein 3-Bettzimmer, was ich alleine beziehe. Oh, damit habe ich nun nicht gerechnet. Sie meint, das sei momentan kein Problem, denn es gibt viele freie Betten. Okay, dann richte ich mich mal ein und treffe kurze Zeit später Walter zum essen. Wir sitzen draußen auf einer schönen Terrasse und essen Rationes mit einem schönen kühlen Bier. Walter möchte heute natürlich zum Leuchtturm, denn morgen ist er ja schon wieder auf dem Weg nach Santiago. Das ist wunderbar, dann gehen wir zusammen. Gut gesättigt machen wir beide uns auf den Weg und gehen auf dem schmalen Gehweg an der Straße die weiteren 3 km zum Turm und somit zur Kapspitze und zum Ende der Welt. Die Sonne lacht, es ist echt warm geworden und der Weg staubt vor sich hin. Es geht am Pilgerdenkmal vorbei, wieder so einer, der sich mühsam gegen den Wind ankämpft, so wie der in den Bergen von Alto de Poio, heute jedoch bei tollem Wetter.
Wir kommen am Jesuskreuz vorbei, ich bete und dann ist es soweit, über den Parkplatz mit diverse Souvenirläden sehen wir das Hotel und dahinter den Faro, den Leuchtturm und natürlich den 0 KM-Stein, 0 Kilometer, das war’s, Ende der Pilgertour nach acht Jahren von Lüneburg bis ans Ende der Welt. Was für ein Hammer, was für ein absoluter Oberhammer, ich bin um es mal auf Englisch zu sagen: overwhelmed! Der 0 KM-Stein wird gefeiert und fotografiert was das Zeug hält. Wir stehen hier zu viert und jeder will ein Foto von sich. Nun, ich habe schon Fotos gesehen, wo die Pilger hier Schlange stehen, das haben wir zum Glück nicht.
Wir gehen weiter zum Leuchtturm und darüber hinaus zu den Klippen. Der Atlantik mit seiner unendlichen Weite begrüßt uns. Wow ist das toll!
Wir klettern über die Steine und kommen an ein weiteres Kreuz, hier haben Pilger viele Steine, Muscheln, ihre Schuhe und auch Stöcke abgelegt. Mitunter ist es wohl immer noch Brauch, abends bei Sonnenuntergang hier ein Kleidungstück, welches nach der langen Tour verschlissen ist, zu verbrennen, seine Botten hier zu lassen oder sonstiges. Es ist verboten, wird aber trotzdem gemacht. Ich lasse meine Muschel, die ich vorhin aufgesammelt habe, hier und schließe die Augen, bete, lasse meine Pilgertour gedanklich Revue passieren.
Nun sitzen wir hier, Walter und ich, und schauen auf das Meer hinaus, atmen die frische salzige Atlantikbrise ein und schauen rüber nach Amerika, am Rande der Welten Ende. Da sitze ich nun und denke mir, Maika, wie toll ist es, dass du dir deine Träume verwirklichst und nicht nur träumst. Und wie dankbar bin ich, dass ich sie mir auch verwirklichen kann, dass ich die körperliche Kondition dazu habe, (wenngleich die ja nun auch ein bissel aufgemuckt hat, aber alles in allem ist es ja jetzt mit der Hüfte super gelaufen), dass ich die finanziellen Mittel habe, denn klar, es sind schon einige Kosten, dass ich den Mut dazu habe, ja den braucht es mitunter auch sehr, dass ich die Möglichkeit überhaupt dazu habe, da ich in einem Land wohne, wo das möglich ist, auch als Frau, das ist ja nicht in allen Ländern zu machen, dass ich von der Arbeit her genug Zeit bekommen habe, ich bin einfach nur dankbar. Danke Gott, danke Jesus, danke für alles was ich erleben durfte, die Menschen, die ich kennenlernen durfte, die glücklichen und traurigen Momente, die Berge, Ebenen, Hitze, Kälte, Regen und Sonne, danke für die tollen unterschiedlichen Unterkünfte, die vielen Nationalitäten und Sprachen, das viele unterschiedliche Essen in allen Ländern, die ich durchschritten habe, die tollen Biere und Weine, klar, für die Lieder des Weges und meine Eigenkreationen und vor allem, dass meine Füße das alles mitgemacht haben. Danke, dass ich das alles erleben durfte.
Walter und ich sitzen immer noch hier und ich fange an das Ultreia-Lied zu singen und er steigt mit in den Refrain ein. Hier auf dem Stein zu sitzen, in die endlose Weite des Atlantiks zu schauen und zu singen, das ist besonders.
Tous les matins nous prenons le chemin,
tous les matins nous allons plus loin.
Jour après jour la route nous appelle,
c'est la voix de Compostelle.
Ultreia, Ultreia, et Suseia,
Deus, adjuva nos!
Jeden Morgen nehmen wir den Weg
Jeden Morgen gehen wir weiter
Tag um Tag ruft uns der Weg
Das ist die Stimme von Compostela
Auf, auf, weiter geht’s
Und Gott sei mit uns!
Meine Augen werden feucht, ich bin unendlich gerührt von diesem Moment. Nach einer ganzen Weile gehen wir wieder hoch und statten der Hotelbar noch einen Besuch ab und trinken ein schönes Bier. Alsdann geht es die drei Kilometer wieder zurück nach Fisterra. Ab und an kommt uns ein uns bekannter Pilger entgegen, kurzer Schnack und weiter geht’s. Wir verabreden uns später für den Abend zum Essen. Ich muss noch ein paar Sachen aus dem Supermarkt besorgen und lege mich dann aufs Bett in mein tolles Dreibettzimmer und entspanne. Was für ein schöner Tag.
Walter und ich treffen uns und gehen gemeinsam zur Auktionshalle, wollen doch mal sehen wie es da so zugeht. Noch sind Verhandlungen im Gange, aber sie befinden sich in den Endzügen. Auch ist hier eine Ausstellung über den Fischfang und was man hier alles im Meer finden kann, wirklich nett und interessant gestaltet. Von oben kann man dann bei der Auktion zuschauen, es wird ordentlich gefeilscht und geredet. Dann findet jeder Fisch und jede Muschel seinen neuen Besitzer, ab geht es dann ins Restaurant, somit kann man hier den frischesten Fisch essen.
Wir beschließen das dann heute auch zu machen, scheiß aufs Geld. Als wir aus der Halle treten hören wir wildes Geschrei am Himmel, eine Riesenhorde Möwen unterhalten sich lautstark über den Hafen fliegend. Oh oh, hoffentlich kriegen wir nichts ab. Nee, Glück gehabt. Unweit der Halle sind ein paar Fischrestaurant auszumachen, macht ja auch Sinn. Wir ordern uns einen großen Fischteller zu zweit und schlemmen ordentlich, schließlich ist es ja unser Abschiedsessen. In tollen Bildern sind sämtliche Fische und Muscheln mit den entsprechenden spanischen Namen darunter rund ums Restaurant angezeigt, das ist praktisch, dann weiß man gleich was das alles sein soll. Mitunter ist es mit spanischen oder galicischen Speisekarten nicht so einfach, auch mit Google Translater nicht. Wir verabreden uns dann später für den Sonnenuntergang am Strand, der Praia do Mar de Fóra soll es sein, der sich gleich in der Nähe unserer Albergue an der engsten Stelle des Kaps befindet. Da der Sonnenuntergang erst sehr spät ist, sind wir auch erst kurz vor 21 Uhr da. Es geht über einen schönen Bohlenweg direkt an den Strand.
Die liebe Maika hat wirklich alle Pelze dabei, die man nur dabei haben kann, denn der Wind ist kalt und wenn die Sonne weg ist, dann ist Frostalarm. Also Leggings drunter, Hose drüber, Regenhose, alle Pullover und Fließjacke, Sarong als Schal, ich kann mich später kaum noch bewegen, aber mir ist warm. Der Atlantik ist hier dermaßen in seinem Element, das ist schon krass. Ein kräftiger Seitenwind treibt die Wellen in die Höhe und lässt die Gischt von den hohen Wellen zur Seite wehen, ein tolles Schauspiel. Der Sand ist weiß und weich. Ein paar Pilger haben sich eingefunden, unter ihnen auch Kathrin aus Pankow, der ich zuvor geschrieben habe, ob sie mit herkommen will, nun sie war schon unterwegs. Wir sitzen am Boden und warten, unterhalten uns ein wenig dabei. Dann kommt eine Pilgerin ums Eck und Kathrin verabschiedet sich von uns und setzt sich mit ihr unweit von uns entfernt. Okay, das ist speziell, aber wenn sie meint. Ob wir uns dann morgen sehen, so wie wir oder ich gedacht hatten, das scheint dann in den Sternen zu stehen, scheinbar doch eher nicht, so wie es aussieht. Nun, dann verbringe ich meinen Tag eben alleine, ist auch okay. Walter und ich sitzen hier und warten.
Nebenan sitzen zwei Mädels in dezenter Klamotte und frieren sich den Hintern ab, nicht gut. Es ist wunderschön, aber eine dicke Wolkenwand über dem Meer wird das Versinken der Sonne im Meer verdecken. Nun gut, ist so, macht nichts, ist trotzdem total schön. Nu isse wech und wir gehen wieder zurück.
Vor unseren Türen der Zimmer verabschieden Walter und ich uns mit einer Umarmung, denn er wird morgen früh losgehen, nimmt den ersten Bus nach Santiago. Ich gehe auf mein Zimmer und höre noch leise etwas Musik bevor ich einschlafe.
23.5.23
Ein Tag am Kap Finisterre
12 km
Heute schlafe ich so richtig aus und stehe erst um 8 Uhr auf. Ich mache mich fertig und gehe runter in den großen Gemeinschaftsraum. Zwei Franzosen sitzen nebenan am Tisch und frühstücken. Eine Deutsche kommt nach unten und bietet mir Baguette mit Marmelade an, Kaffee gibt es vom Hause aus. Das ist ja großartig, dann muss ich gar nicht frühstücken gehen, sondern kann hier bleiben und habe noch nette Unterhaltung. Was mache ich heute schönes? Die Sonne lacht und mir steht alles offen. So entscheide ich mich nochmal zum Faro zu gehen, aber diesmal nicht den Straßenweg, sondern den Wanderweg auf der anderen Seite an den Klippen entlang, der wurde mir wärmstens empfohlen. Meine Wanderapp leitet mich durch die Gassen Fisterras den Berg hoch und so stehe ich kurze Zeit später auf einem schmalen steinigen Weg, der wiederum kurze Zeit später einen herausragenden Blick auf die wundervolle Bucht und den Strand von gestern Abend bereitet.
Und was noch viel geiler ist, man kann sogar den 2 km-Strand auf der anderen Seite der Halbinsel sehen. Wie schön das alles ist, ja ich weiß, ich sagte es bereits. Große Farne, Ginster und teilweise auch Heidekraut wächst hier an den Berghängen. Mit dem strahlend blauen Meer, immer an meiner rechten Seite, geht es weiter, mutterseelenallein, keine Horden, niemand, schön! Der Weg ist wirklich wunderbar und die Aussichten sind klasse.
In der Ferne kann ich eines der Fischerboote sehen, die sicher nachher ihren Fang in der Auktionshalle verkaufen. Die kleine Felseninsel A Centolo war sicher mal so ein Teil, an dem ein Schiff zerschellt ist, kann ich mir vorstellen. Es geht steil, steinig und windig bergauf, da ist wieder zählen angesagt, aber je höher man kommt um so toller sind die Aussichten, ist doch so! Große aufeinander gestapelte Felsen laden zum Pause machen ein.
Ich klettere auf einen rauf und sitze hier einfach nur so. Ein starker, ich will mal fast sagen, Sturmwind ballert mir um die Ohren und lässt es fast zu einem Ding der Unmöglichkeit werden ein Selfie von mir zu machen. Oh oh, aufpassen, dass das Handy nicht gleich die Klippe runter segelt, das wäre nicht so schön. Nee! Der Leuchtturm ist von hier oben gut zu sehen, ebenfalls die Umrisse des Kaps selbst. Wirklich ein toller Wanderweg, den sollte man sich nicht entgehen lassen.
Nun geht es lange bergab und an einem Schild vorbei, welches jeden Berg und Ort benennt und wann in welchem Monat die Sonne wo untergeht. Ist ja nicht ganz unwichtig für die abendlichen Sonnenuntergangs-Gucker.
Unten angekommen stehe ich wieder vor dem 0 km-Stein, diesmal ganz alleine. Scheinbar sind die Pilger und auch die Tagesgäste einfach noch nicht da, es ist relativ leer hier.
Im hiesigen Restaurant hole ich mir einen Kaffee und sitze Mentos-essend mit eben diesem draußen auf der windigen Terrasse: El Fin de la Tierra, ja so sei es, das Ende der Welt. Den Berg wieder hochzulaufen habe ich keine Lust, auch der Straßenweg reizt mich nicht. Ich lasse mir einfach ein Taxi bestellen, was mich dann für wirklich wenig Geld direkt zur Touriinfo bringt, denn hier kann ich mir meine Fisterrana abholen, meine Compostela vom Camino nach Fisterra. Die nette Dame hinterm Counter stellt sie mir aus, hübsch sieht sie aus, also die Fisterrana, ja die Frau auch :-) Zurück in der Albergue wird erst mal ein stolzes Foto gemacht, klar. Nun ist waschen angesagt, das ist ganz wichtig, denn im Flugzeug übermorgen will ich ja nicht stinken. Ich gebe meine Wäsche in einen großen Korb und die Hospitalera wäscht und trocknet alles, dann kann ich das nachher alles gleich so mitnehmen. Super. Ich entscheide mich dann noch ein bissel am schönen 2 km-Strand zu verbringen und mache mich wieder auf den Weg. Auch fängt der Magen an zu knurren. In Fisterra selbst will ich nicht bleiben, also mache ich ein Restaurant in der Nähe des Strands ausfindig und mache mich auf den Weg. Da sich Kathrin nicht meldet, gehe ich davon aus, dass wir uns nicht wiedersehen werden. Nun denn. Ich komme oberhalb des Beaches an und genieße am Jesuskreuz die tolle Aussicht auf ebendiesen. Was für Farben, sieht echt aus wie in der Karibik.
Leider hat die Wassertemperatur nicht Karibikflair, also werde ich wohl eher nicht baden gehen, sehe aber den ein oder anderen im Ozean schwimmen. Das sind die Kernigen, ich gehöre da eher zu den Weicheiern und Warmduschern, da bin ich ganz ehrlich. Mein Blick schweift weit über den wunderschönen weißen Strand.
Ich gehe den Jakobsweg nun in umgekehrter Richtung an der Promenade entlang, einige Pilger kommen mir entgehen, ich begrüße sie mit einem beherzten: "Buen Camino". Mein kleines Restaurant ist schnell gefunden, hat eine schöne Wiese und eine Terrasse draußen, das ist genau das was ich mir vorgestellt habe. In der Sonne ist es ohne Wind brutzelnd heiß, also Terrasse mit Sonnenschirm ist angesagt. Ich bestelle mir ein schönes galizisches Raxos und ein Bier dazu. Nebenan sitzt ein spanisches Pärchen, ihr fallen fast die Brüste aus dem Dekolleté, da kann man gar nicht weggucken, selbst als Frau nicht. Nun, wer‘s braucht! Das Essen kommt alsbald und ist lecker und reichhaltig.
Nach dem Essen mache ich mich auf zum Strand, suche mir eine windgeschützte Ecke und packe mich im Bikini und mit viel Sonnencreme hin, lausche dem Wellenrauschen und den Möwengesprächen. Schön ist das hier, was für ein schöner Abschluss. Der ein oder andere Pilger kreuzt, viel los ist aber nicht. Die Einheimischen selbst müssen ja auch arbeiten, ich kann mir vorstellen, dass hier am Wochenende mehr los ist, macht ja Sinn, wenn man einen so tollen Strand vor der Tür hat.
Nach einer Weile mache ich mich wieder auf und laufe muschelsammelnd am Strand entlang, da kommt ein lustiger Italiener den Strand runter gepilgert. „Mach mal ein Foto von mir“, sage ich ihm, macht er und ich von ihm. Er erzählt, dass er jetzt 54 km gelaufen ist und froh ist wenn er heute ankommt. Oh Gott, was tun sich da manche an? Warum läuft man 54 km? Das erschließt sich mir nun wirklich nicht, aber jeder ist da ja anders und jeder soll so viel laufen wie er will. Wir verabschieden uns und ich suche weiter Muscheln. Wieder in der Herberge angekommen ist meine Wäsche nun sauber, gut duftend und trocken, das ist wunderbar, dann kann ja nichts mehr schief gehen. Gegen frühen Abend gehe ich dann wieder runter zum Hafen und schaue mir den mal genauer an.
Diverse Netze und Reusen sind sorgfältig am Kai drapiert, kleine Fischerboote sind fest vertäut und schaukeln leicht auf den kleinen Wellen. Hübsch sieht das aus. Draußen auf den Terrassen der Fischrestaurants ist schon einiges los. Ich finde für mich einen Platz und schaue in die Speisekarte. Heute werde ich dann mal Jakobsmuscheln essen, wenn ich schon mal hier bin. Diese kommen dann auch alsbald, sehen klasse aus und schmecken auch gut, ist aber was für den hohlen Zahn. Da ich aber zu Mittag gut und reichlich gegessen habe, reicht mir das.
In der Albergue angekommen setze ich mich in den Schatten im vorhandenen bunten, leicht chaotischen Innenhof mit einem guten Bier und schreibe. Im Hintergrund ist ordentlich Möwengeschrei zu hören, da gibt es wohl Streit, hört sich jedenfalls so an. Eine Whatsapp kommt von Kathrin, ob ich zum Sonnenuntergang mit zum Faro komme. Nee, habe ich keine Lust zu, geh mal alleine. Somit habe ich sie nie wiedergesehen. Ich möchte jetzt entspannen, bin genug heute gelaufen und ja, die Blase nervt schon auch etwas, ärgerlich, aber ist halt so. Die Hospitalera kommt ums Eck und nimmt die Laken von der Leine, wir kommen ins Gespräch, sie spricht deutsch und kommt aus Österreich. Sie ist von dort mit ihrem Pferd ehemals losgepilgert und ist dann letztendlich hier hängengeblieben und arbeitet nun ein paar Monate als Hospitalera in hiesiger Albergue und das Pferd steht nebenan auf der Weide. Das ist ja mal klasse. Sachen gibt’s. Ja der ein oder andere ist dann auch ganz da geblieben oder hat eine Herberge eröffnet oder wie der Engländer von A Balsa, dann seine Galerie in the middle of nowhere. Wo es die Leute so hinschlägt, spannend. Wie ihr Leben weitergehen soll, wenn sie hier fertig ist, weiß sie noch nicht, nun, irgendwie geht es immer weiter. Für mich heißt es nun Sachen packen, denn morgen geht es dann mit dem Bus zurück nach Santiago. Ich finde es gut, dass ich jetzt die Heimreise entspannt in Etappen angehen kann und nicht mit 1000 Stunden Flug und warten und so. In diesem Sinne…
24.5.23
Fisterra
nach Santiago de Compostela
Ich packe meinen Kram, gehe runter zum Aufenthaltsraum und treffe da auf Enni, mit der ich zusammen frühstücke. Wir haben uns gestern schon kennengelernt, sie hatte mir ja Brot und Marmelade angeboten. Leider ist sie auf dem Camino gestürzt und muss jetzt etwas pausieren, ihr Handgelenk hat ordentlich was abbekommen, aber mit Kühlung sieht es schon viel besser aus. Ja ja, der Camino ist nicht ohne, bin ja auch zweimal gestürzt, das lag aber nicht am Weg, sondern an den kleinen blöden, unscheinbaren Bordsteinen, die es hier in Spanien ja überall in den Orten gibt. Grr! Ich verabschiede mich von ihr und mache mich auf zur unweit entfernt liegenden Haltestelle. Der Bus ist schon da und alle anderen auch. Oh, damit habe ich nun nicht gerechnet, ich geselle mich dazu und versuche mein Ticket vom Handy irgendwie an die Busfahrerin zu bringen, höre neben mir zwei auf Deutsch reden, die das gleiche Problem haben. Wir kommen ins Gespräch und wenig später sitzen wir hinten im Bus auch zusammen, das finde ich gut. Der Bus ist auch voll geworden. Ich habe tatsächlich gehört, dass es Probleme für manche Leute gab einen Platz zu bekommen, also Vorbuchen ist hier definitiv sinnvoll. Nun, mit Handy ist ja alles gut möglich, ich mag mir gar nicht ausmalen, wenn man das nicht mit dabei hat, das ist dann wahrscheinlich nur noch anstrengend. Die beiden heißen Marcel (aus Luxemburg) und Aileen aus irgendwo im Rheinland. Vier Stunden soll die Fahrt dauern, warum auch immer. Es geht wohl durch jedes Minidorf und an der Küste entlang. Wir quatschen miteinander, das finde ich klasse und macht die Fahrt kurzweiliger. Ich achte aber schon darauf, dass mir bei den Kurven nicht übel wird, da habe ich ein bissel Probleme mit. Aber alles gut und irgendwie sind wir nach zwei Stunden auch schon da. Nun, auch gut, wir wundern uns nur und für die beiden, die am Nachmittag bzw. am frühen Abend noch weiterreisen nach Porto, heißt es dann länger in Santiago hängen.
Aber wir sind nun zu Dritt und verbringen die Zeit auch zusammen, das ist ja schön. In Santiago am großen Busbahnhof angekommen, machen wir uns auf in die Stadt und gehen in eines der netten Gassen-Cafés was essen. Die Sonne lacht, viele Leute sind wieder unterwegs, im Hintergrund Musik, schön. Ich suche dann mein Hotel auf. Oh oh, es ist mitten an einer vielbefahrenen krassen Hauptstraße, Shittenkram, darauf habe ich nicht geachtet beim buchen. Aber es soll Kathedralenblick haben, na da bin ich ja mal gespannt. Gegenüber im Café melde ich mich an und bekomme die Zugangsdaten, fahre in den vierten Stock mit einem Mini-Fahrstuhl, der aber einen Fernseher in sich hat, welcher mir nun die Wetteraussichten für die kommenden Tage mitteilt. Aha, was es alles so gibt! Oben im Zimmer angekommen freue ich mich total, denn es ist liebevoll eingerichtet und hat tatsächlich über die Dächer hinweg Kathedralenblick und diesen für Santiago typischen verglasten Erker. Das Pensionsschild draußen klappert ätzend im Wind, aber die liebe Maika ist ja lösungsorientiert, das wird mit Taschentüchern ausdrapiert und befestigt, dann ist Ruhe im Karton. Der Verkehrslärm ist hier oben etwas dezenter, na und ich schlafe ja sowieso mit Ohrstöpseln, das sollte also kein Problem sein. Also bin ich nun wieder beruhigt und happy.
Ich lege alles ab und mache mich wieder auf den Weg, treffe die anderen beiden und wir gehen ein leckeres Eis essen. Um 15 Uhr fährt dann Marcels Bus, wir verabschieden uns mit einer Umarmung und so bleiben noch Aileen und ich übrig. Wir sitzen gemeinsam im hiesigem Italiener, den ich ja schon kenne, und gehen dann noch rüber zur Kathedrale, wo schon wieder einiges los ist. Ich lege mich einfach davor auf den sonnendurchwämten Boden und lasse alles auf mich wirken. Hammer, das ich das geschafft habe, ich bin immer wieder overwhelmed.
Ich beobachte die ankommenden glücklichen Pilger, es zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht, das ist wirklich schön, so viele glückliche Menschen. Das helle Gestein der Kathedrale vor dem azurblauen Himmel, das sieht schon klasse aus und im Hintergrund höre ich wieder den Dudelsackspieler aus dem Tor zur Plaza spielen. Schöne Atmosphäre. Ich verabschiede mich nun auch von Aileen. Sie ist den Camino del Norte gelaufen, der auch ganz wunderbar gewesen sein soll, aber nun heißt es auch für sie wieder nach Hause zurückzukehren. Ich hatte ja auch, wie gesagt, eigentlich den Camino del Norte im Sinn, aber es kam dann doch anders, vieles kam anders und sowieso kommt ja im Leben auch immer vieles anders, als gedacht, manchmal schön und manchmal doof anders. Ich gehe nun runter in die kleine Igrexa San Fructuoso, die soll meine Abschlussgebets-Kirche sein, sie ist klein, kaum Leute, das ist wunderbar.
Ich trete in den Raum, eine leise Musik ist zu hören. Ein Pärchen sitzt linkerhand, sie schweigen. Ich setze mich in die Bankreihen und gehe in mich, lasse Revue passieren. Was für eine schöne Tour von León bis Fisterra, Höhen und Tiefen, Glücklich sein und Frust, Sonne und Regen, warm und kalt, schön und doof, Dualitäten eben, so wie es das Leben eben auch immer bereithält. Der Pilgerweg ist das Leben, nur komprimiert und das Leben ist ein Pilgerweg, meine Erkenntnis schon bei meiner ersten Tour nach Hannover. Ich gehe rüber zur Maria und zünde Kerzen an, bete: Der Herr ist mein Hirte. Wie ist es mit Gott und mir weitergegangen? So habe ich ihn ja letztes Jahr verloren und wir haben uns wieder angenähert, aber den Glauben, den ich mal hatte, den werde ich so wohl nicht mehr zurückbekommen. Jetzt ist er ein anderer, aber immer noch da. So sei es, annehmen und vertrauen, dass alles so gut ist wie es ist. Ich gehe mit Jesus meinen Pilger-und Lebensweg weiter. Was mir aber die Katastrophe vom letzten Jahr beschert hat ist, dass ich oft einfach den guten Moment wahrnehme und mich dann freue: „Jetzt in diesem Moment ist alles gut.“ So sitze ich hier betend und es ist jetzt in diesem Moment alles gut! Schön.
Ich schlendere durch die schöne Altstadt, kaufe noch das ein oder andere Souvenir und mache mich auf zu meinem Italiener und bestelle wieder eine schöne Pizza und beobachte die vorbeigehenden Menschen. In meinem Hotel angekommen sitze ich musikhörend auf meinem Bett und genieße vom Bett aus den tollen Kathedralenausblick, ist schon klasse.
Die Verkehrsgeräusche von unten muss man dann einfach ausblenden und das Schild an der Außenseite des Hotels hält jetzt auch seine Klappe und quietscht nicht mehr vor sich hin. Morgen früh geht es dann mit dem Bus nach Porto, nach Portugal. Das ist spannend, aber Portugiesisch werde ich jetzt nicht auch noch lernen, das muss so klappen. Man sagt auch, dass die Portugiesen wohl mit dem Englisch bewanderter sind als die Spanier, nun ich bin mal gespannt ob das so ist. Aber „hallo“, „guten Tag“ und „danke“, das schaue ich dann doch mal nach: „olá“, „bom dia“ und „obrigado/a“ und „auf Wiedersehen“: adeus. Nun, das kann ich mir merken.
25.5.23
Santiago de Compostela
nach Porto
Ich stehe gemütlich um 8 Uhr auf, schultere meinen Rucksack und mache mich auf ein Café zu suchen, in dem ich etwas frühstücken kann. Unweit meiner Pension werde ich fündig. Eine lange Theke, der Fernseher läuft im Hintergrund, der ein oder andere Einheimische frühstückt hier ein wenig, bevor es zur Arbeit geht, so wie man es hier in Spanien so kennt. Ich nehme zum letzten Mal meine Klassiker zu mir, es gibt ein Churro mit dazu, das sind frittierte Teigstäbchen aus Weizenmehl, Wasser und Salz, ein Nationalgebäck Spaniens. Nun, meins sind sie nicht, zu fettig. Ich mache mich alsbald auf zum Busbahnhof und finde auch sogleich meinen blauen Alsa-Bus, das war ja einfach. Viele Leute stehen anbei und sind leicht verwirrt, denn es gibt zwei Busse nach Porto, einer in die Stadt und einer gleich zum Flughafen, das ist meiner, denn ich werde in einer kleinen Wohnung unweit des Flughafens übernachten und kann dann morgen einfach rübergehen. Der Flug geht morgens um 9 Uhr, ist ja noch eine akzeptable Zeit. Neben mir steht ein leicht verwegen aussehender Herr. Ich frage ihn einfach, ob er auch Pilger ist und so kommen wir ins Gespräch. Er ist Holländer, heißt Jimmy, spricht deutsch und hat auch den Camino hinter sich und fliegt morgen heim. Das ist ja schön, wir sitzen auch noch zusammen und können so die Fahrt über quatschen, dann sind die vier Stunden, die es dauern soll, kurzweiliger. Aber auch hier sind es irgendwie keine vier Stunden, sondern nur zweieinhalb, auch schön. Pünktlich geht es los, wir sagen Santiago adieu, das war’s dann jetzt wohl. Ob ich jemals wieder hierher komme? Wer weiß das schon, das ist eine andere Geschichte und ob die erzählt wird?
Aber das Leben geht weiter und es werden auch wieder neue Träume in mein Hirn kommen. Mein Pilgertraum von Lüneburg nach Santiago de Compostela zu laufen, den habe ich mir nun verwirklicht. Wir fahren aus der Stadt raus Richtung Grenze, die bei Tui erreicht ist. Der Río Miño ist der Grenzfluss. Das ist ja spannend, das ist der Fluss, der an Portomarín vorbeifließt und der zurück gestaut den Ort ehemals unter Wasser gesetzt hat. Er fließt hier in den Atlantik und trennt Spanien und Portugal voneinander. Nun sind wir also in Portugal, schön. Ab und an kann man Jakobspilger den Camino Portugués, der ja hier entlang führt, sehen. Es ist wieder sehr warm geworden, ist bestimmt nicht ganz einfach heute, aber sie haben ja ihren steifen Gegenwind aus Nord-Ost, der kühlt bestimmt etwas, auch wenn er nervt. Noch ein Zwischenhalt in Braga, was für ein doofer Name, Jimmy und ich machen uns darüber lustig und haben viel Spaß, dann sind wir auch alsbald am Airport angekommen.
Wir entscheiden was zusammen essen zu gehen, denn ich kann noch nicht in meine Wohnung und er muss auf seinen Freund warten, der einen Bus später kommt, da er keinen Platz mehr in unseren bekommen hat. So gehen wir leicht abenteuerlich vom Flughafen weg in Richtung seines Hotels, er legt seine Sachen im Zimmer ab und unweit davon gibt es eine Bar an der Ecke, die uns zumindest ein schönes Bier, aber sonst ein trockenes Brot mit einem trockenen undefinierbaren Fleisch anbietet. Egal, das Bier tut seine Wirkung und somit rutscht dann auch irgendwie das Trockene runter, dazu gibt es Chips, aha! Aileen hatte mir zuvor noch erzählt, dass sie immer in den Städten mit dem Uber-Taxi fährt, das probiere ich jetzt mal aus, soll ja viel günstiger sein, als die herkömmlichen und man weiß am Anfang schon genau, was man zahlen muss, kann also nicht übers Ohr gehauen werden. Jimmy und ich verabschieden uns und Alfonso, mein Taxifahrer, kommt auch sogleich ums Eck und nein er spricht nicht englisch, geschweige denn von gut englisch. So bleibt es bei spanisch, dessen er aber auch nicht wirklich mächtig ist. Nun, dann muss ich passen, mehr geht bei mir nicht. Er bringt mich zu meiner Wohnung. Puh, ist doch noch ein ganzes Stückchen vom Flughafen entfernt, ob ich das morgen früh laufen will? Nun mal sehen. Ich kann mir meinen Schlüssel aus einem Briefkasten holen und gehe in den schönen Innenhof und dann in meine Wohnung, preislich war das gar nicht mal so teuer. Sie ist wirklich süß, nett und liebevoll eingerichtet. Das ist ja toll so als Abschluss noch so eine nette Unterkunft zu haben, ich freue mich total und lege meine Sachen ab. Die Hausdame hat Wasser, Schokolädchen und diverses auf dem Tisch gestellt, das finde ich ja nett, vor allem das Wasser ist der Hit, ich weiß nicht ob man hier in Portugal das Wasser trinken kann, habe auch keine Lust dazu, ich will kein Chlor mehr. Somit bin ich nun gut versorgt. Ich mache mir umständlich und mit wenig Erfolg mit vorhandener Kaffeemaschine einen Kaffee, den ich dann aber wegschütten muss, nicht gelungen, egal! Ich packe meinen Bikini und Sarong ein und bestelle mir wieder eines der Uber-Taxis, welches alsbald auch gleich ums Eck kommt und mich an den Strand bringt. Das ist ja wirklich klasse.
Ein langer weißer Sandstrand und ein azurblauer Atlantik erwarten mich, gleich nebenan befindet sich eine Strandbar, die ich nachher zum Essen aufsuchen möchte. Hier geht es auf einem Bohlenweg den Küstenweg des Camino Portugués entlang, aber Pilger sehe ich nicht. Ich packe mich in den Sand und sonne mich, brutzel fast ein bissel weg, ist warm geworden im Lande. Ein paar Jugendliche wagen sich ins Wasser, sehen doch aber ziemlich fröstelnd aus, Atlantik eben. Ich lasse das mal sein, nee, ist nichts für mich. Praya da Memória heißt mein Strand, Denkmalstrand. Hier gibt es ein Denkmal was wohl an irgendwelche kämpfenden Truppen erinnern soll. So so, gekämpft wird ja immer irgendwo, Blödmänner! Der Bohlenweg geht an ebendiesem vorbei.
Ich mache mich auf zur Bar, die mit toller Sicht auf das Meer und vielen Sonnenschirmen, Tischen, Stühlen und Sofas aufwartet, nett sieht das aus. Ich bestelle mir einen schönen Salat mit Ziegenkäse und ein Bier. Lecker, aber zu wenig, ein Burger muss noch mit dazukommen. Nicht ganz billig, aber es ist der letzte Abend und die Location ist schön.
Ich lasse mir ein Taxi rufen, Uber ist gerade nicht available, warum auch immer. Der Fahrer eines herkömmlichen Taxis kommt alsbald ums Eck, heißt José und kann englisch, wir reden übers Pilgern. Er möchte im September den Camino Portugués nach Santiago gehen, das ist ja schön, das soll er mal machen. José setzt mich zu Hause ab und wir verabreden uns für den nächsten Morgen, denn ich will nicht den ganzen Weg zum Flughafen gehen. Ich hatte es wohl beim Buchen etwas unterschätzt, sind doch fast drei Kilometer. Ich mache es mir noch im Innenhof gemütlich und lasse den Abend ausklingen. Morgen muss ich früh raus.
26.5.23
Porto nach Lüneburg
Früh bin ich auf den Beinen, mein Taxifahrer ist pünktlich und so bin ich auch schnell am Flughafen angekommen. Es ist ein moderner kleiner Flughafen, schön übersichtlich, nicht so wie in Madrid. Schnell habe ich eingecheckt, meinen Rucksack mit den teuren Stöcken aus León habe ich aufgegeben, die wollte ich nicht hierlassen. Falls der Rucksack nicht ankommen sollte, dann ist’s nicht schlimm, dann kann ich zu Hause warten. Meine Aufzeichnungen habe ich diesmal sicherheitshalber mit ins Handgepäck genommen, man weiß ja nie. Ich suche mir ein Café und esse ein schönes teures Bocadillo mit einem schönen teuren Kaffee, Flughafen hat. Gut gesättigt schlendere ich noch durch die Shops und dann zum Gate. Wir müssen übers Flughafengelände laufen und ich muss ja echt mal lachen und ein Foto davon machen: Horden kommen uns entgegen, der Camino de Aeroporto. Toll das ist ein ganz besonderer Camino und viele Pilger pilgern ihn, Ziel: das eigene Flugzeug oder eben die Flughafenhalle.
Kann man auch machen. Ich mag es kaum für möglich halten, aber das Flugzeug hebt eher ab als geplant, scheinbar ist mal alles extrem glatt gelaufen, hat man ja auch nicht alle Tage. Drei Stunden Flug sind es. Währenddessen schaue ich in meine Website, lese und schwelge in Erinnerungen, somit ist es doch kurzweilig und wir kommen überpünktlich mit tollem Blick auf die unten liegende Elbe in Hamburg an und das zu einer gesitteten Uhrzeit, nicht so wie letztes Jahr, als ich hier total lost um Mitternacht auf dem Flughafen stand. Nee, heute ist alles tiefenentspannt, schön. Ich stehe am Kofferband und es dauert ewig. Wird mein Rucksack diesmal ankommen? Oh man, ich setze mich in die Ecke und warte. Aber da, da ist er, toll! Ich freue mich total. Also es ist ja schon geil, wenn man nur Handgepäck hat, dann kann man einfach rausgehen und ist unabhängig, aber gut, ging jetzt nicht anders. Obwohl ich auch Leute gesehen habe, die ganz offiziell ihre Stöcke mit ins Handgepäck genommen haben, außen am Rucksack. Ich verstehe das nicht. Alles geht zügig vonstatten, alsbald bin ich am Hauptbahnhof und wenig später in Lüneburg. Meine Mutter holt mich ab und teilt mir mit, dass ja mein Bruder im Anmarsch ist, ob ich nachher nicht noch vorbeikomme, es ist Pfingsten und die Familie kommt. Hatte ich total vergessen bei meiner Pilgerei. Schön so ganz unabhängig unterwegs zu sein.
Zu Hause angekommen mache ich ganz nach Pilgersitte erst mal ein Bier auf und setze mich auf den Balkon in die Sonne. Ja auch hier ist es schön warm und das ganz ohne Wind von hinten. Entspannt sitze ich hier so, höre den Vögeln und den Stimmen von meinen Nachbarn zu, die mit dem grillen anfangen. Schön ist es hier. Es ist schön wieder zu Hause zu sein, in meinem wundervollen Heim und nachher in meinem eigenen Bett. Ich genieße die Aussicht über die Felder, deren Korn schon ordentlich in die Höhe gewachsen ist. Der Kuckuck ist im Hintergrund zu hören, ich grinse in mich rein, so habe ich den in Spanien ja auch oft zugegen gehabt. Zwei Kraniche unterhalten sich im Hintergrund. Hach, zu Hause ist auch einfach schön. Diverse Nachrichten sämtlicher Pilgerbekanntschaften diesen Jahres treffen ein und ich bin gedanklich wieder voll auf dem Camino. Der letzte, der vom Camino zu Hause eintreffen wird, ist Walter, der noch zwei Wochen in Andalusien verbringt, alle anderen sind jetzt da. Rick hat es mit Linda und Steve tatsächlich mit seinem schmerzenden Knie bis nach Porto geschafft, Maynard hat noch San Sebastian und Paris besucht und ist auch zu Hause in Texas angekommen, Monika und Bernd kurieren ihre schmerzenden Füße aus, Chloe aus Taiwan wird noch Italien besuchen, bevor es für sie wieder zurückgeht und Harmut ist schon eine Weile wieder in der Schweiz angekommen. Nun sitze ich hier so. Was für ein spannender Camino liegt nun hinter mir, das muss ich erst mal alles verarbeiten. Die Compostelas liegen auf meinem Schreibtisch, ich muss noch ein schönes Plätzchen für sie finden. Meine vielen Pilgerpässe zusammengenommen ergeben sagenhafte 8 Meter und die Frage, die mir oft gestellt wird, wie viele Kilometer ich denn jetzt insgesamt gelaufen bin, die ich nie beantworten konnte, weil ich es nie zusammengerechnet habe, das mache ich jetzt:
Es sind sage und schreibe 3860 km in 11 Etappen und 8 Jahren, Hammer, Hammer, Hammer!
Ich habe meinen Traum verwirklicht und was kommt jetzt? Auch diese Frage wird mir sehr oft gestellt. Ich weiß es noch nicht. Ich habe momentan keine Träume, die ich verwirklichen möchte, aber wie ich mich kenne, wird das nicht lange dauern, und dann ist wieder einer da. Ich bin jedenfalls nicht eine, die den gleichen Camino noch einmal gehen würde. Den bin ich ja schon gegangen und ich würde es dann immer mit dem vorangegangenen vergleichen, das finde ich nicht gut, somit weiß ich nicht, was auf mich zukommen wird. Wer weiß das auch schon? Was auch immer es sein wird, das ist eine andere Geschichte, die vielleicht ein anderes Mal erzählt wird. In diesem Sinne…
Von allen Seiten umgibst du mich
Und du hältst deine Hand über mir
Dafür danke ich dir, Herr.
Amen
Alle Stempel von Lüneburg nach Fisterra: