Le Grand-Lemps/Grenoble nach Figeac 1

Le Grand-Lemps

5.9.20 Lüneburg nach Grenoble

Und nun folgt ja doch glatt die Fortsetzung. Wer hätte das gedacht?

Die Zeiten sind für das Pilgern keine guten. Es war nicht ganz klar, ob es überhaupt klappen würde in den Zeiten von Corona. Nun jeder versucht in diesen Zeiten weiterzuleben und sein Leben zu gestalten, so auch ich. Ich habe glatt fünf Wochen frei bekommen und mein großer Traum es bis nach Cahors zu schaffen, rückt tatsächlich in die Sicht des Möglichen.

Die Coronazeiten erfordern auch ein doch ziemlich anderes Reisen, somit brachte mich diesmal keiner morgens zum Bahnhof, eigenartiges Gefühl. Wir stehen mit Maske am Gleis und warten auf den Zug. Ein lauer Wind weht mir um die Ohren, als ich in die Bahn einstieg. Wie das mit dem Mundschutz die lange Fahrt über werden soll, weiß ich auch noch nicht, aber der Mensch ist ja ein Gewohnheitstier und somit war auch dieses möglich. Ich ergatterte auch einen Platz für mich alleine, den ich auch lange beibehielt, das war sehr angenehm. Auch klappte die Verbindung halbwegs gut und so trudelte ich in Lyon ein, schnell das Gleis für den weiterführenden Weg gefunden und weiter ging's Richtung Grenoble, wo ich nun wieder starten werde.

Klar, Grenoble liegt nicht auf dem Weg, aber morgen werde ich dann den Bummelzug nach Le Grand-Lemps nehmen und dort die Via Gebennensis weiterlaufen, ich bin schon ganz aufgeregt. Dies ist der Ort, wo ich meine Pilgertour letztes Jahr beendete und wo ich nun morgen wieder starten werde.

Kühl war es damals hier gewesen und sehr bewölkt. Heute scheint die Sonne, oder ist bereits am untergehen, als ich aus dem Bahnhofsgebäude auf den Vorplatz komme. Es ist noch total warm, richtig sommerlich, T-Shirtwetter, wie schön. Eine Weile stehe ich dort und lasse alles auf mich wirken, die Menschen, die Busse und Straßenbahnen, Musik im Hintergrund, das Plätschern des Springbrunnens neben mir.

Ich buche mich wieder im Hotel gegenüber des Bahnhofs ein. Diesmal ist es kein Zimmer mit Aussicht, diesmal schaue ich auf die gegenüberliegende Wand, toll. Nun denn, ich schlafe ja nur hier, mir soll es egal sein. Essen gibt’s heute bei McDoof gleich gegenüber. Ich sitze draußen und beobachte die Leute. Die Berge um Grenoble sind alle wolkenlos und ragen schroff und steil empor. Tolle Stimmung. Ich gehe danach noch rüber zur Isère, der Fluss, der dem Département Isère den Namen gab, in dem ich mich gerade befinde. Meine ehemalige Nachbarin meinte noch, ich solle mir doch das Lied: „À Grenoble“ von Gribouille anhören, das sei ganz wunderbar. Ich hatte es mir runtergeladen und nahm es einfach mit.

Nun sitze ich hier an einem lauen Sommerabend auf dem Mäuerchen an der Isère, sehe die Lichter sich im Wasser des Flusses widerspiegeln und mache diesen Chanson an, höre dieses wunderbare Lied, mir kommt eine Träne. Ich kann es mal wieder so gar nicht fassen, dass ich mich auf dem Chemin befinde, morgen jedenfalls…

“Souviens-toi de la pluie qui pleurait cette nuit sur Grenoble...“

Die vier kleinen Göndelchen, die hoch zum Fort de la Bastille fahren sind noch unterwegs, die Menschen sitzen draußen in Restaurants, lachende Jugendliche gehen an mir vorbei und singen. Die gelben französischen Laternen geben immer ein ganz heimeliges Licht und neben mir befindet sich ein Schild, dass die Tour de France am 16. September hier vorbeikommt und somit der Quay dann gesperrt sei. Es ist eine tolle Stimmung und ich möchte gar nicht mehr fort hier. Ich erinnere mich an den Abschluss der letzten Tour von Bettina und mir, als wir hier unser Abschlussessen hatten und uns am nächsten Morgen verabschiedeten. Schön war es gewesen…

Zeit zurück zu gehen, zu duschen und schlafen zu gehen. Oh man, ich stehe unter der Dusche und weiß nicht wie die angeht. Das kann doch echt nicht wahr sein. Tja, andere Länder, andere Armaturen. Ich ziehe mich also wieder an und frage den Herrn unten an der Rezeption, wie das gehen soll. Duschhebel in Frankreich gehen nicht nur zu drehen, sondern auch zu kippen. Okay, habe ich jetzt gelernt, man lernt ja bekanntermaßen nie aus. Peinlich, aber ich kam dann doch noch zu meiner Dusche. Merken! Später sollte ich aber noch Duschen haben, die man nur drücken kann und dann einfach von selbst wieder ausgehen, so wie im Schwimmbad, das kann auch nerven, nun denn. Morgen früh gegen 9 Uhr fährt mein Zug, da habe ich es schön entspannt.

6.9.20

Grenoble nach La Côte-Saint-André

18 km

Das Frühstück lasse ich ausfallen, ist mir zu teuer. Ich hole mir am Bahnhof meine heißgeliebten Pains au chocolat, die eigentlich kein Pain (also Brot), sondern Schoko-Croissants sind, noch einen Kaffee und so sitze ich hier nun auf dem corona-akuraten Bahnhof von Grenoble und warte auf den Zug. Alles ganz klar geregelt, wer wo langgehen soll, wer wo sitzen darf und wo nicht. Die haben das total süß und auch hübsch gestaltet. Ich frühstücke, hmm, lecker! Es ist leicht bedeckt, aber angenehm warm. Mein Zug kommt und ich steige ein, lasse Grenoble nun hinter mir, hab schöne Erinnerungen an die Stadt.

In einer guten halben Stunde steige ich bei strahlendem Sonnenschein in Le Grand-Lemps aus und stehe da wieder auf dem Bahnhof. Ich finde es immer besonders, wenn ich an die alten Orte vom letzten Mal zurückkehre, die Orte, die ich schon kenne, in denen ich mich schon etwas auskenne, weiß, wo ich langgehen muss. Das ist für den Start immer sehr angenehm. Eine andere Pilgerin steigt mit mir aus. Ich bin verwundert, hätte nicht gedacht, jetzt schon auf Pilger zu treffen. Sie wird auch ab und an in Sichtweite vor mir herlaufen und dann irgendwann verschwinden, ich sollte sie nicht wiedersehen und wir sprachen auch kein Wort miteinander. Ich möchte für mich sein und das jetzt hier alles genießen. Ich muss schmunzeln, als ich das Wartehäuschen ohne Bank erblicke, hat sich nicht geändert, gibt immer noch keine „Bancs“. Ich mache ein Foto für Bettina zur Erinnerung mit dem Bahnhofs-Ortsschild. 

Wenig später mache ich mich auf den Weg zum Marktplatz und hole mir im Café nicht nur einen Kaffee, sondern auch den Anfangsstempel. Oh, das mit dem Französisch ist mir noch unheimlich, wenngleich ich ganz offen für alles bin. Ich habe mir wieder meine Vokalbelliste mit in den Zug genommen und gelernt, mich etwas vorbereitet. Mein Herz ist weit und offen, ich bin entspannt und ich freue mich auf das was da kommen mag. Nun habe ich auch neue Schuhe, da ich ja mit den alten ein großes Problem mit meinem ehemals gebrochenen Zeh bekommen habe. Diese hier sind nun weiter und biegsamer, aber leider nicht wasserdicht, was im weiteren Verlauf doch ein Problem darstellen sollte. Nun denn. Ich habe außerdem eine Sprunggelenks-Bandage, die mir tollen Halt gibt, eine zweite kaufte ich dann am nächsten Tag, damit lief es supergut. Ich gehe vom Marktplatz die Straße hinunter und stehe vor einem tollen bemalten Haus, das können die hier echt total gut, weitere sollten folgen. 

Ich laufe den Chemin des Pèlerins entlang, dann ist es soweit, ich bin aus dem Ort raus und stehe am Schild mit der Jakobsmuschel: Chemin de Compostelle, es geht nach rechts. Daneben ein großes Kreuz. Ich stelle mich davor und bete: „Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir, dafür danke ich dir.“

Es geht los, der erste Schritt in ein unbekanntes Abenteuer…

Wir befinden uns immer noch in der Region Auvergne Rhône-Alpes und es ist wunderbares Wanderwetter, schön warm, ein leicht kühlender Wind weht mir um die Nase. 

Es zieht sich leicht zu, während ich durch das Tal wandere. Links und rechts die Berge, weit hinten die schneebedeckten Alpen, als ich in den nächsten Ort La Frette einwandere. Die wunderbar kreierten Straßenschilder Frankreichs faszinieren mich von neuem, die alten Häuser, teilweise unfertig, als ich auf dem Hügel meine erste Kirche erblicke, die aber leider zu hat. Oh oh, ich hoffe das ist nicht in ganz Frankreich jetzt der Fall. Weiß man ja nicht, was in Zeiten von Corona so alles auf einen warten wird. Die Zahlen steigen langsam wieder an, das ein oder andere Gebiet in Frankreich wurde schon zum Risikogebiet erklärt, meines jedoch nicht, was sich aber im Laufe der Wanderung ändern sollte, aber dazu später. Der alte Friedhof nebenan mit seinen tollen großen Grabsteinen ist so richtig französisch und beeindruckend. An der Kirche prangt eine große Maria, ein Sonnenstrahl stielt sich durch die Wolken und bescheint diese. Ich mache Pause auf der tatsächlich vorhandenen Bank und lasse alles auf mich wirken. Es gibt noch etwas Uneinigkeit mit meinen neuen Schuhen, was ich aber, wie ich schon sagte, später mit den beiden Sprunggelenksbandagen in den Griff bekommen sollte. Ich hatte leider keine Zeit diese einzulaufen, die Suche nach den richtigen Schuhen für meinen doofen Zeh hat viel Zeit in Anspruch genommen.

Weiter geht’s den Berg ansteigend einen schönen einsamen Feldweg entlang, als ich plötzlich vor einem großen Via Gebennensis-Buch-Denkmal stehe. Das ist ja großartig. Viele Pilger haben Steine niedergelegt. Ich nehme eine der vielen runtergefallenen Kastanien auf und lege sie inklusive Schale dazu, entscheide mich aber sie mitzunehmen und sie anderswo mit all meinen Lasten und Sorgen abzulegen, so wie ich es gewöhnlich immer mit einem Stein mache, die Schale lasse ich dort. Hier gabelt sich der Jakobsweg: Geradeaus geht es nach Le-Puy-en-Velay, mein Weg, und nach links geht's Richtung Arles, auch schön.

Wallnussbäume, Maronen, später auch Feigenbäume säumen den Weg, es ist Erntezeit. Das ist mitunter mal gar nicht so schlecht, wenn einen der Hunger heimsucht. Auch bin ich das erste Mal zur Traubenlese unterwegs, der erste Weinhang zeigt sich schon gleich ums Eck, toll sieht das aus mit den Trauben, schmecken auch ganz gut, muss ich schon sagen, wenngleich sie natürlich später zu Wein verarbeitet werden, klar. Ich komme an einen Frischwasserbrunnen vorbei, der ganz aus Feldsteinen gebaut ist, toll sieht er aus. Aber kann ich das Wasser trinken? Ich bin mir unsicher. In Frankreich, heißt es, kann man das Wasser von den Friedhöfen trinken, das ist immer Trinkwasser, warum auch immer. Im weiteren Verlauf sollte ich mitbekommen, dass mitunter das Wasser aus der Leitung leicht bis mäßig nach Chlor schmecken kann. Nun, andere Länder, andere Wässer. Ich bin ja froh, dass man das Wasser hier aus der Leitung trinken kann, ich weiß gar nicht wie das später in Spanien sein wird. 

Aber nun bin ich ja hier und komme an der Kapelle von Gillonay an. Sie ist offen, Zeit für ein Gebet in der Stille, ganz allein. An Maisfeldern und Wiesen vorbei geht es über sanfte Hügel dann runter nach La Côte-Saint-André, direkt aufs Schloss zu, dann in netten verwinkelten Treppchen runter zum Marktplatz. Hier tobt der Bär im Kettenhemd. Viele Menschen mit Maske sind unterwegs, Musik spielt, Verkaufsstände. Oh oh, hier ist ja was los. Ich setze meine neu erstandene Herzchenmaske auf und begebe mich in die Menge. La Côte-Saint-André ist die Heimatstadt von Hector Berlioz, welcher wohl als wichtiger Vertreter der Musik der Romantik gilt und großen Einfluss auf Franz Liszt und Richard Strauß hatte. Er wird hier sehr verehrt und im August gibt es hier immer ein großes Musikfestival. Heute ist es eine andere Party, nun denn. Ich gehe an „Les Halles“, wie der überdachte Platz heißt, vorbei und wurschtel mich durch die Leute zu meinem heutigen Schlafplatz, einem Hotel. 

Ich habe ein kleines nettes Zimmer mit der schönen Aussicht über die Dächer und zum Kirchturm, toll. Erst mal duschen und Sachen sortieren. Das nervt am Anfang immer sehr. Bis man weiß wo was hingehört und zu finden ist, das dauert, aber gehört dazu. Die Wolken machen der Sonne so richtig Platz und ich gehe mal schauen, ob es nicht was Essbares für mich gibt. Leider ist vor 19 Uhr in Frankreich nicht daran zu denken, damit muss man sich abfinden. Die Kirche ist leider zu, kann man nichts machen. Oh man, die Zeit bis zum Essen zieht sich hin. Ich warte in der Sonne auf einem Stein sitzend bis der Pizzaladen aufmacht. Der Herr im Laden sagt mir dann aber, dass es nur zum Abholen geht, kein Restaurant, Corona verändert einiges. Nun denn, er muss den Ofen erst mal anschmeißen, also heißt es bis 19.30 Uhr warten. Noch ein Bier dazu und ab ins Hotel aufs Bett und endlich, endlich essen. Lecker! Ich genieße den Abend in meinem Hotelzimmer, die Kirche bimmelt im Hintergrund, ich höre Grillen zirpen und bin einfach nur glücklich. Auch mit dem Französisch sprechen habe ich keine Hemmungen und plapper einfach drauf los, klappt gut. Mein erster Pilgertag war so ein richtig schöner gewesen. 

 

7.9.20

La Côte-Saint-André 

nach La Bissera

17 km

Ich fange meinen Tag mit Dehnübungen an, das habe ich mir nun immer vorgenommen und tut auch sehr gut. Durchs geöffnete Fenster höre ich die Kirche bimmeln, vor einem strahlend blauen Himmel. Ich fühle mich großartig und bin gespannt was mich heute erwarten wird. Heute werde ich dann auf einem Campingplatz unterkommen, irgendwie habe ich nichts anderes in der Nähe gefunden oder es war mir ein leichteres einfach eine Mail zu schreiben. Ich habe ca. zwei Wochen vorgebucht, der Rest wird sich dann ergeben. Aufgrund von Corona habe ich auch meine Isomatte dabei, man weiß ja nicht was kommt, hätte ich mir aber sparen können, es sollte keine Unterkunftsprobleme geben.

Ich gehe runter zum Frühstück, bin die einzige, die da hockt. Es gibt eine Schale Kaffee, Baguette und süße Marmelade. Das ist nun das was ich vorzugsweise zum Frühstück hier bekommen werde, denn der Franzose isst morgens nicht viel. In der Regel wird alles in den Kaffee getunkt, Brot mit oder ohne Marmelade. Nun, meins ist das nicht. Der Franzose isst mittags ordentlich, da sind alle Restaurants besetzt, na und dann spät abends wieder. Ich frage noch nach einer Farmacie und verabschiede mich. In der Farmacie berät die Apothekerin mich hervorragend auf Französisch über Sprunggelenksbandagen und Zahnzwischenraum-Bürstchen (Broisettes des dents), sehr spannend. Nun also beidseits bandagiert geht es aus der Stadt raus, fühlt sich toll und sicher an in meinen neuen Schuhen, ich bin happy, damit sollte es klappen. 

Ich fühle mich unglaublich frei, gehe alleine meinen Weg, ein angenehmer Wind weht, ich kann machen was ich will, kann einfach sein wie ich will, es ist wunderbar. Ein beeindruckender Hohlweg folgt, die Bäume geben etwas Schatten, Hagebutten, Vogelbeere und Schwarzdorn zieren den Weg, als ich hinaustretend den Ort Ornacieux mit seinen tollen Steinhäusern erreiche. Das hat schon was sehr südländisches finde ich. Sieht auch sehr hübsch aus und sollte mir im weiteren Verlauf mit unterschiedlichen Gesteinsarten viel Freude bereiten. Der kleine Ort hat viel zu bieten. Die Häuser sehen klasse aus, die Kirche auch ganz aus Feldsteinen gebaut und innen sehr einladend in warmen Tönen gehalten.

Am Ortsrand gibt es eins der vielen offenen Waschhäuschen, auch ganz mit Feldsteinen bestückt. Ich glaube gewaschen wird hier nicht mehr, man hat doch sicher auch jetzt  Waschmaschinen :-) Alles sehr liebevoll gebaut und gepflegt. Die Landschaft im Tal ist äußert trocken, hat schon was sehr mediterranes, finde ich. Sie ist landwirtschaftlich genutzt und man kann erkennen, dass schon lange kein Regen mehr gefallen ist. Nun ich möchte es nicht anders haben. Es ist ordentlich warm geworden, aber der kühlende Wind macht das ganze angenehm. Meine Schuhe sind nun auch etwas luftiger, als die alten, das macht auch vieles wett. Ich laufe durch die Ebene, eine staubige Straße entlang, da sehe ich wieder die Pilgerin vom Bahnhof in Le-Grand-Lemps vor mir, ich lasse sie ziehen.

Da hinten ist ein Berg mit einem Dorf obendrauf, das ist Pommier-de-Beaurepaire, was für ein seltsamer Name. Also mit den französischen Ortschaften tue ich mich manchmal schon schwer, kann ich mir oft einfach nicht merken. Nun denn. Es geht also den staubigen Berg hoch, an einem Jesuskreuz vorbei (davon gibt es hier einige) hoch in den Ort. 

Und hier in der Einsamkeit kann man Eier kaufen, super Sache :-)

Auch dieser ist verlassen, keine Menschenseele in Sicht, aber die schöne Kirche ist geöffnet. Scheinbar haben doch jetzt einige Kirchen auf, ist ja auch katholisches Gebiet, dann sollte das doch öfter vorkommen. Die Kirche ist einen Besuch wert und wartet mit schöner lebensbejahender Bemalung auf. Ein schöner Ort zum in sich gehen. 

Nun heißt es aber für mich den Weg verlassen und Richtung Campingplatz gehen, heißt wieder runter ins Tal und dann hoch auf den Berg. Okay, packen wir's an. Ich komme an einem Feld vorbei mit Pflanzen, die ich noch nie gesehen habe, aber die Ähren kommen mir doch irgendwie bekannt vor. Anhand meiner tollen Pflanzen-App, die auch hier funktioniert, weiß ich es handelt sich um Hirse. Stimmt, sieht aus wie das was man den Vögeln in den Käfig hängt, die sogenannte Gewöhnliche Mohrenhirse. Was man damit wohl macht? Nun zumindest soll sie glutenfrei sein, das könnte ja schon interessant sein. Sie sieht klasse aus und ich mache neben dem Feld auf einer Wiese in der Sonne Pause. Schön hinlegen und relaxen. Ich finde es äußerst spannend jetzt auch auf Pflanzen zu treffen, die mir unbekannt sind bzw. die es in Deutschland so nicht gibt. Auch die Nadelbäume sind beeindruckend. Die Kiefern mit riesigen Zapfen, die Pinie, Zeder und natürlich auch die Zypresse ist hier oft zugegen und verbreiten einen wundervollen Duft. 

Nach einigem Geschnaufe ob des Berges auf der anderen Seite des Tals, komme ich im kleinen Ort La Bissera an. Ein älterer Herr grüßt mich und ich frage ihn wo denn der Campingplatz sei. "Gleich ums Eck" antwortet er. Sehr nett.

Ich erreiche den kleinen am Hang liegenden Campingplatz und klingel an der Tür. Keiner öffnet, na toll. Auf sowas kann ich verzichten. Ich versuche es mit anrufen, als plötzlich eine Frau ums Eck kommt. Sie hatte mich wohl vergessen, aber nein es sei kein Problem, sie hat ein Mobil-Home, wie sie es so schön nennen, für mich. Ich folge ihr und freue mich über meine kleine Hütte, mit einer kleinen Veranda mit Tisch und Stühlen, die bis spät von der untergehenden Sonne beschienen wird. Man muss wissen, dass es abends doch kühler wird. Naja und wer wandert, der weiß, dass man nach dem Wandern erstmals friert, bis der Kreislauf sich wieder reguliert hat. Zu essen wird es hier nichts geben, aber das wusste ich im Vorfeld und habe genug Brot und Käse dabei, welcher zuvor noch aus Scheiben bestand, jetzt aber zu einem Stück geworden ist im Laufe des Tages. Er ist etwas zusammen geschmolzen. Nun denn, schmeckt trotzdem. Aber ein Bier holt sie noch aus dem Kühlschrank, das ist doch nett.

Es ist ein kleiner Campingplatz, direkt oben auf dem Berg, am Hang gelegen, eigentlich ganz nett. Nichts los hier, die Ferien sind vorbei, leider ist der Pool auch abgelassen. Ein paar Leute hie und da, das war's. Okay, muss ja auch nicht sein. Bei Sonnenuntergang begebe ich mich noch mal an den Hang. Das Türabschließen wird zu einer Herausforderung. Wieder so eine Anlage, die ich nicht kenne. Nun, so eigenartig, wie die Franzosen in ihren Filmen manchmal rüberkommen, so eigenartig sind scheinbar auch die Konstruktionen. Es dauerte lange, bis ich schnallte, dass man Türen mitunter nur abschließen kann, wenn man zeitgleicht die Klinke in die Senkrechte drückt. Okay, merken! Das sollte mir so auch öfters noch begegnen. Ich ging also zum Hang rüber. Toll sieht das aus mit den Bergen und dem Licht. In der Ferne auf der anderen Seite kann ich zurück auf Pommier-de-Beaurepaire blicken. Die kleine Kirche bimmelt abends um 19 Uhr leise im Hintergrund. Die Sonne geht unter oder um es auf Französisch zu sagen: le coucher du soleil, die Sonne geht schlafen, schön. Oben am Himmel sind Jupiter und Saturn wieder zu erkennen, die beiden habe ich zu Hause schon immer bewundern dürfen, und die Grillen sind auch wieder mit dabei. Ich fühle mich einfach nur wohl. Es wird kühler, ich gehe rein, sitze im Dunkeln auf der Bank und bete das Ruhegebet, ganz in mich versunken. Später liege ich Taizélieder-singend im Bett, bevor ich einschlafe. Schön!

8.9.20

La Bissera nach Bellegarde Posieux

20 km

Ein Hahn kräht, ein Hund bellt, die Sonne geht auf vor einem wolkenlosen Himmel und der Mond ist auch noch mit dabei. Toll, das wird ein schöner Tag. Ich hüpfe freudig aus meinem Bett, packe meine Sachen zusammen, Frühstück wird es später irgendwo auf ner Wiese geben. Ich verabschiede mich von den Campingbesitzern und gehe meiner Wege, wieder den Berg runter, um wenig später dann auch wieder auf den Jakobsweg zu treffen. Hie und da weiden Rinder in sämtlichen Farben, die Charolais sind hier noch zugegen, auch schwarz-weiß gestreifte, die sehen echt witzig aus. Es geht Richtung Revel Tourdan an kleinen Weinplantagen mit roten Weintrauben vorbei, auch stehen  wieder viele Maronenbäume am Weg und die ein oder andere Grille ist zu hören. Der Ort ist von weitem schon sichtbar. Revel Tourdan ist wirklich sehenswert und der Chemin windet sich in einigen Kurven charmant durch den Ort. Die kleine Kirche St-Jean-Baptiste sieht wirklich komisch von außen aus. Es ist schon erstaunlich wie unterschiedlich die Kirchen in den Ländern und Regionen aussehen. Innen verbindet sie gotische mit romanischen Elementen und wundervollen farbenfrohen Fenstern. Ich sitze darinnen und singe „Agios O Theos“, es schallt so schön.  Durch enge Gassen geht es aus dem Ort raus an einem kleinen Jakobus in einer Häusernische vorbei, da muss man schon genauer hinschauen, süß.

Aufregungslos geht es über verdorrte Weiden weiter und runter zur TGV-Strecke, welcher auch gleich an mir vorbeirast. Der TGV ist tatsächlich der schnellste Zug Europas und kann bis 500 km/h erreichen. Das ist schon der Hammer. Ich packe mich zur Pause auf die Wiese und erfreue mich an vorbeirasenden Zügen. 

Ein Pilger läuft an mir vorbei, den ich später einhole und der sich als Deutscher aus Memmingen herausstellt. Wir gehen eine kleine Strecke gemeinsam und verpassen prompt das Rechtsabbiegeschild. Ja ja so ist das, wenn man unkonzentriert ist. An einer Jagdhütte angekommen gibt es endlich Wasser aus einem Brunnen. Das ist wunderbar, denn ich bin langsam am verdursten. Es ist doch ziemlich warm geworden und somit ist mehr Wasser vonnöten. In meinem Reiseführer stand, dass es hier welches gäbe. Betend gehe ich zum Wasserhahn und Gott sei Dank funktionierte er auch. So ohne Wasser ist nicht wirklich klasse. 

Der Memminger und ich verabschiedeten uns dann wenig später an der kleinen Chapelle Notre Dame de la Salette, die von Zypressen umgeben auf einer Anhöhe steht. Er hatte noch keine Unterkunft und Hunger kam auch ums Eck. Ich bin manchmal sehr erstaunt, wie manche Leute unterwegs sind, also für mich währen solche Ungewissheiten nichts. Ich meine, wir haben hier auch keine großen Ortschaften mit Läden und so weiter. Nun denn, jeder muss wissen was er macht und wie wer pilgert, ist ja auch in Ordnung. Aber er kam schon leicht in Unruhe, das konnte ich ihm ansehen. Ich werde heute in einem Chambre d'hôtes übernachten, das sind die Pensionen hier in Frankreich, etwas teurer, aber mit Einzelzimmer. Essen habe ich selber dabei und Frühstück gibt es immer mit dazu. Die Kirche sieht von außen sehr schick aus, von innen kann ich es leider nicht beurteilen, da zu. Nun denn, schade, kann man nichts machen.

Ich komme an einer Landstraße mit Bushäuschen an, darinnen sitzt ein weiterer Pilger. Man, ist ja voll was los hier. Nun, er ist Franzose und wartet auf Abholung, er möchte auch dort unterkommen, wo ich unterkomme. Das passt ja gut, denn die Pension La Vieroz blanc ist drei Kilometer vom Weg entfernt. Kurze Zeit später kommt der Pensionsinhaber ums Eck und sammelt uns ein. Wir sitzen wenig später auf Sofas mit Überdachung draußen und trinken ein kleines Bier. Es wird einiges gequatscht und ich versuche mich fleißig in Französisch, ganz schön anstrengend für mich, da doch ziemlich schnell miteinander geredet wird. Endlich geht’s aufs Zimmer, was urgemütlich eingerichtet ist, ein großes, schickes Bad mit toller heißer Dusche, einen klasse Föhn und Fenster mit Aussicht. Toll. 

Überhaupt handelt es sich um einen tollen Hof mit tollem Garten und tollem Ausblick auf die Berge. Rechts kann ich einen sehr hohen Berg mit Kreuz erkennen, das ist der Pilat, sagt mir der Herbergsvater, dessen höchste Erhebung mit 1432 Metern der Crêt de la Perdrix ist und welcher sich am östlichen Rand des Zentralmassivs befindet. Oh, ich dachte irgendwie das Zentralmassiv fängt erst ab Le Puy an. Tja, falsch gedacht liebe Maika :-)

Ich sitze draußen am Tisch in der Sonne mit meinem Baguette, welches es hier in Frankreich hauptsächlich als Brot gibt, dann aber in allen Längen, Breiten, Größen und sogar ein etwas dunkleres ist vorhanden. Nun ich esse es gerne, habe noch mein Käse-Brikett dabei und ein kleines Bier bekomme ich auch dazu. Oh man, die Franzosen trinken echt Minibiere, die Kölschgröße haben, das ist was für den hohlen Zahn. Nun später sollte ich erfahren, dass es auch den Pint du pression gibt, den Pint (halben Liter) gezapft, das ist doch mal was. Nun hier jedoch nicht. Das Ehepaar sitzt mit dem Franzosen am Tisch und sie reden munter drauflos, es wird irgendwas gebrutzelt. Ich denke noch so bei mir, schön, dass ich hier für mich bin, denn das mit dem Französisch ist nicht ganz einfach für mich. Der französische Pilger, ich habe leider seinen Namen vergessen, ist mit Turnschuhen unterwegs und hat wirklich fürchterliche Blasen am Fuß, damit will er bis Le Puy kommen. Im weiteren Verlauf habe ich noch oft an ihn denken müssen, besonders wenn die Wegbeschaffenheit grenzwertig wurde. Mit dicken Blasen hätte ich das nicht machen wollen. Nun, ob er es nach Le Puy geschafft hat, weiß ich nicht, ich habe ihn nicht wiedergesehen. Die Sonne geht unter, es wird kühl. In der Ferne ist der Ruf des Waldkauzes zu hören und die Grillen (Cigals) sind auch wieder lautstark mit von der Partie. Ich habe das Gefühl ich bin echt im Süden angekommen, toll klingt das alles. 

9.9.20 

Bellegarde Posieux nach Chavanay

26 km

Ich habe gut unter meiner monströsen Riesendecke geschlafen (diese gibt es in Frankreich ja oft, da schlafen normalerweise Pärchen drunter und müssen sie dann teilen). Es gab ein extrem süßes Frühstück, irgh, gar nicht meins! Danach entschied ich mich im weiteren Verlauf die Frühstücks eher zu meiden, besser is! Halt andere Länder, andere Gebräuche, what can I do? Der Herbergsvater brachte uns wieder an die Haltestelle. Ich verabschiedete mich von dem französischen Pilger, denn ich wollte alleine unterwegs sein. Ich habe ein tolles Fußgefühl, keine Blase, das Wetter ist klasse und der Weg schön. Vor mir immer der Blick auf den Pilat. Ich werde nun ein wenig in eben diesem Nationalpark umherwandern, ich freue mich drauf. Mit leichtem Anstieg geht es den Berg hoch, um wenig später an der Site de la St. Lazare über einen kleinen Weg steil runter zu einer Quelle und im weiteren Verlauf über Serpentinen nach St-Romain-de-Surieu zu gelangen. Es ist ein kleiner Ort, den ich alsbald auch durchquere, um an der Eglise-St-Romain Halt zu machen und den ganzen Friedhof nach Wasser abzusuchen, denn das geht mir langsam aus. Ich habe einfach zu wenig mit bei diesen Temperaturen, will aber auch nicht mehr schleppen. Nun, ich finde einfach keinen Robinet (Wasserhahn). Bringen die ihr Wasser für die Blumen mit oder wie geht das? Ich weiß es nicht, die Kirche ist auch zu, also gehe ich weiter den Berg hoch. 

Gut wenn man weiß wo es langgeht und wo nicht :-)

Zum Glück geht es durch kühle Wälder, somit brauche ich weniger Wasser. Ich komme am Abzweig nach Assieu an, hier könnte ich in den Ort reingehen und mir was besorgen, habe aber überhaupt keine Lust dazu, selbst schuld. Ich packe mich außerhalb auf eine Wiese und mache ausgiebig Pause. Weiter geht’s, immer in Gedanken, bald fangen die Obstplantagen an und wir haben September, heißt, dass ich mir vielleicht einen saftigen Apfel abstauben kann, dann habe ich erst mal etwas Flüssigkeit.

Ich laufe und laufe, es gibt eingezäunte Plantagen, na toll, damit habe ich nun nicht gerechnet. Auch an Kiwis komme ich vorbei, auch damit habe ich nicht gerechtet, toll, aber noch nicht reif. Die Aprikosen sind hingegen schon geerntet. Man merkt, man befindet sich doch schon sehr im Süden. Wenig später gibt es wieder einen Feigenbaum mit reifen Früchten, aber irgendwie kann ich mich nicht dazu durchringen eine zu essen, Feigen sind nicht so meins, dachte ich bisher. Aber ich sollte noch eines besseren belehrt werden, denn wenig später probierte ich einfach mal eine und? Hammer-lecker! Toll schmecken die. 

Irgendwann war das Universum am Start, meine Bitte nach oben: doch jetzt mal einen Apfelbaum uneingezäunt vor mir auftauchen zu lassen mit tollen saftigen Äpfeln dran. Und? Wenig später ums Eck, da standen sie: viele tolle mit roten Äpfeln behängte Bäume. Ist mir jetzt alles egal, ich habe Durst, ich würde auch dafür zahlen, aber es ist keiner da zum zahlen und es sind auch keine ausgelegt, so wie wir es hier in Deutschland mitunter haben. Ich schleiche mich einfach mal rüber, greife mir den ersten und: oh…..

Lecker! Er verschwindet in meinem Bauch, der nächste auch sogleich, der Durst ist erst mal weg. Ein paar nehme ich noch mit, dann noch ein paar Trauben, das sollte erst mal genügen. Und wie ist es mit den Wallnüssen? Auch die sind reif, ich nehme mir ein paar mit, müssen aber noch trocknen.

Frohgemut und gestärkt überschreite ich die Autobahn und reite in Clonas-sur-Varèze ein, hier gibt es zum Glück ein, ja wie soll ich es beschreiben? Tabakladen mit Boulangerie und Brasserie gemischt. Egal, hier wird meine Wasserflasche aufgefüllt. Toll, dann kann es ja weitergehen. Das öffentliche Klo lasse ich dann doch mal sein, ist so ein typisches Stehklo, wie sie in Frankreich häufig anzutreffen sind. Nee, lass mal. Auch heute möchte ich auf einem Campingplatz in einem Mobil-Home unterkommen. Frohgemut lief ich aus Clonaz-sur-Varèze raus und stand dann sehr unschlüssig und ratlos an der vielbefahrenen D4. Die sollte ich nun langgehen, leider ohne Radweg oder sonstiges. Die Autos rasten an mir vorbei. Also ich bin ja nicht ängstlich, aber das geht nun mal gar nicht. Es gab auch keinen anderen Weg zum Campingplatz. Somit legte ich erst mal meinen Rucksack ab und rief an. Nee, abholen kann mich keiner, dann weiß sie auch nicht, meinte die Dame am Telefon. Na toll, die Gedanken hätte sie vielleicht vorher mal haben können, ich habe ja gesagt, dass ich als Pilger unterwegs bin und nicht mit dem Auto. Ja da hat sie jetzt auch keine Idee. Okay, ich schulterte kurzerhand meinen Rucksack, überquerte die Straße und ging einfach weiter. Als ich es etwas ruhiger hatte, versuchte ich telefonisch eine andere Unterkunft zu finden, schwierig so auf die Schnelle. Somit entschied ich mich einfach nach Chavanay weiterzulaufen, da sollte es doch was geben. Zum Glück habe ich genug zu essen und trinken dabei. 

Ich stapfte apfelessend weiter, als ich erschrocken stehen bleib. Oh Gott, ich habe meinen Hut liegenlassen am letzten Telefonort. Nun, kann man nichts machen. Als ich aber feststellte, oh, die Lesebrille ist auch nicht da, bin ich nun mittlerweile doch genervt zurück gelaufen, wieder am kläffenden Hund vorbei, über die blöde Brücke, kam am Ort an, um dann doch festzustellen: Ach Maika, hast einfach alles in die falschen Taschen gepackt und nichts liegen gelassen. Naja, ich war aber erleichtert, dass nichts verloren gegangen war. Also wieder zurück, blöde Brücke, kläffender Hund, Apfel essend, oh man! Und ewig grüßt das Murmeltier.

Viel Asphalt wartet nun auf mich, im Hintergrund das schöne Kernkraftwerk Saint-Alban, irgh, eine vielbefahrende Strecke über die Rhône, an der ich mich auf einem schmalen Seitenstreifen entlang quetschte. Chavanay liegt gegenüber auf der anderen Seite des Flusses. Na toll, toller Ort zum übernachten, klasse, dachte ich mir noch. Aber was soll’s! Ein Hinweis ist an einen Baum geheftet über eine Gîte in Chavanay, das ist ein Zeichen, dachte ich mir, gleich abfotografieren. Die Rhône-Überquerung hatte für mich aber trotz der Umgebungssituation etwas Besonderes und emotionales. So bin ich doch eine Weile an der Rhône entlang gegangen und nun lasse ich sie hinter mir. Vor mir die wundervollen Weinberge, des Nationalparks Pilat, daneben das AKW, Dualitäten eben. Ich überschritt feierlich den Fluss, verließ damit das Département Isère und wanderte ins neue Département Loire

Auf der anderen Flussseite liegt nun Chavanay, wurde auch langsam Zeit. Eine kleine Bank lud mich zur Pause ein und zum Telefonieren, Ich hatte immer noch keine Unterkunft und es ist ja nun mittlerweile auch schon später. Anrufbeantworter! Oh man, das kann doch nicht wahr sein. Ich ging trotzdem Richtung Altstadt, die eine sehr schöne ist, und Richtung Gîte. Da meldete sich der Gîte-Typ zurück, ja er hätte einen Platz, kein Problem. Toll! Erleichtert kam ich hinter der Kirche zur Gîte

Audrey, eine Belgierin, die mit dem Fahrrad den Rhône-Radweg runterfuhr begrüßte mich. Sie konnte sogar deutsch. Na das ist ja mal eine Überraschung nach dem ganzen Mist. Audrey und ich blieben alleine. Sie wollte gerade einkaufen gehen, ob sie mir was mitbringen soll. Oh ja, nach 26 km bin ich doch ziemlich k.o. Sie hat dann später auch gekocht und wir haben zusammen draußen auf der Bank in der Sonne Nudeln mit Soße gegessen, danach mein Obst verspeist und gequatscht. So wurde es noch richtig schön. Irgendwann wird doch alles wieder gut, ist doch so! Wir machten noch gemeinsames Stretching und gingen dann schlafen, quatschen aber noch eine Weile miteinander. Morgen habe ich es entspannter, da ich ja nicht einen so weiten Weg vor mir habe. Audrey wollte gegen 8 Uhr los. Und was sehen meine Augen da? So ein blödes grünleuchtendes Notausgangsschild über der Zimmertüre, das geht gar nicht. Da kann ich nicht schlafen mit. So ein blödes Teil hatten wir in Les Abrets einst auch gehabt, die Nacht konnte ich vergessen. Sie stand kurzerhand auf und packte ihre Unterhose drüber, die das ganze toll abdeckte. Schön, dem Schlaf stand nun nichts mehr im Wege. Leider hat sie eben diese am nächsten Tag vergessen. Ich nahm sie mit und werde sie ihr später zuschicken. Sachen gibt’s. Man muss sich nur zu helfen wissen. 

Ich bin stolz auf mich heute 26 km geschafft zu haben, das ist schon klasse und gibt mir viel Selbstvertrauen, dass vieles möglich ist. 

Abendrundgang in Chavanay

10.9.20

Chavanay nach Le Buisson

14 km

Gut geschlafen stehen wir beide morgens auf, frühstücken zusammen, noch ein gemeinsamer Besuch in der Boulangerie und los ging es für Audrey mit ihrem Fahrrad Richtung Genfer See, wo ich ja ehemals hergelaufen kam. Als sie weg war, packte ich in aller Ruhe meine Sachen und machte mich auf die Kirche zu besuchen, die ebenfalls in warmen Tönen gehalten und mit Feldsteinen bestückt ist. Ein kurzes Gebet, Rucksack schultern und los kann es gehen aus Chavanay raus und den Berg hoch Richtung Kapelle. Über ein kleines Brückchen am Tour (Turm) verlasse ich den schönen Ort, die Häuser hier sehen schon ganz anders aus, überall die Feldsteine mit verbaut, rote Dächer, toll. 

Es geht einen schmalen steinigen Weg hoch zur Chapelle du Calvaire, welche schöne Jakobuselemente enthält, aber vor allem ist der Ausblick von hier auf das Rhônetal und Chavanay einfach unglaublich schön. Was für eine schöne Landschaft. Ein lauer Wind weht mir um die Ohren, ich fühle mich einfach nur frei, unabhängig, wunderbar. Ich bin hier, ganz mit mir, ganz bei mir in diesem wunderbaren Land. 

Der kleinen Kapelle statte ich natürlich einen Besuch ab. Sie ist offen und beherbergt ein schönes Bild von Pilgern an der Wand und einen Schrank mit allerlei Pilgergedöns.

Wenig später befinde ich mich oben in den Weinbergen inmitten der Weinlese. An steilen Hängen stehen die Menschen und ernten die roten Trauben, die in riesigen Dolden an den Weinstöcken hängen. Hier soll es hervorragende Weine geben. Nun, die Trauben schmecken schon mal gut, kann ich bezeugen. Die Landschaft wirkt schon sehr mediterran, trockene Gräser folgen nach den Weinhängen, steinerne Mäuerchen säumen den Wegesrand, zwei Hunde kommen des Weges. Oh oh, ich habe schon gehört, dass die freilaufenden Hunde nicht immer sehr nett sind, diese laufen aber nur ein Stück vor mir her, bevor sie in einen anderen Weg abbiegen. 

Ein Esel bringt sein eigenartiges IAH zum besten, und zu seiner großen Freude teile ich meinen Apfel mit ihm. In der Ferne ist die Spitze des Pilatberges auszumachen. Ein Hinweisschild besagt, es sind noch 1631 km nach Santiago. So langsam nähere ich mich dem Ziel. 

Es geht weiter stetig bergauf. Am Örtchen Bessey besuche ich die kleine Kirche, die eher schlicht gehalten, aber schön ist. Davor steht eine alte mit Blumen bewachsene Weinpresse, daneben ein tolles Hausbild, mein zweites, was ich hier gesehen habe, toll finde ich die. In Le Puy soll es auch zwei so tolle Hausbilder geben, die ich mir unbedingt anschauen möchte. 

Ich komme wieder an Apfelplantagen vorbei und erfreue mich am kühlen Nass des Bewässerungsschlauches, der ein oder andere Apfel verschwindet wieder in meiner Tasche, Zeit für eine ausgiebige Pause unter Apfelbäumen inklusive Zikadengezirpe und natürlich Zeit für ein leckeres Pain au chocolat und einen leckeren Apfel, toll. 

Der Weg ist weiterhin hervorragend ausgeschildert, inklusive Beschilderung, wie er denn zu verstehen ist, also was links, rechts und geradeaus bedeutet, für die ganz doofen. Es entspannt enorm, finde ich, wenn man nicht ständig in einem Buch oder in einer App nach dem Weg schauen muss, das habe ich ja auch schon anders erlebt, vor allem in Deutschland. Nun denn. 

Ich komme am Maison du Tao, meiner heutigen Unterkunft, an. Hmm, sieht irgendwie eigenartig aus, ein verschlossenes Tor, sonst nur Mauer, ob ich da richtig bin? Der Ort selbst wirkt verlassen. Ich klopfe einfach mal ans Tor und ein Herr macht mir auf, er stellt sich als Pascal vor und macht einen leicht gestressten Eindruck, da er mich so früh noch nicht erwartet hat und er nochmal in den Ort runter muss, ob ich mich denn hier schon mal hinsetzen will. Ja ja, nur mit der Ruhe. Ich sitze somit im wunderschönen Innenhof eines kleines Gehöftes, welches komplett aus diesen tollen Steinen gebaut ist und trinke ein heimisches Bier aus der Pilat-Region und Wasser….

Ja, davon hatte ich wieder zu wenig. Leicht angeheitert schaue ich mir die Umgebung an, kann meine Sachen abstellen und hinten raus gehen und da auch wieder reinkommen. Mein Zimmer sei noch nicht fertig. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass er so ein bissel verpeilt ist, ich hatte mich doch angemeldet, hmm! Naja, war schon mit dem Emailkontakt nicht so ganz leicht gewesen.

Der Ort bietet nicht viel, alles wie ausgestorben und so gehe ich runter nach Maclas noch was einkaufen, komme an riesigen Oleandern, tollen Zedern und mediterranen Kiefern vorbei. Ein paar Carambars müssen schon sein. Ich liebe diese französischen Maoam-Teile, lecker! Nicht leicht zum transportieren, da sie ein hohes Eigengewicht haben, aber lecker. Ich kaufe noch etwas Brot für das Abendbrot, alles obligatorisch mit Maske (masque obligatoire), wie es auf Plakaten an sämtlichen Eingangstüren an den Geschäften von einem verlangt wird. Nun gut, klar, kenne ich nicht anders. 

Abends sitze ich noch mit meinem Käsebaguette und leckerem Bier am Tisch und whatsappe mit Audrey, die mittlerweile am Genfer See angekommen ist. Pascal musste glatt noch das Zimmer fertig machen, welches aber sehr nett ist, mit riesen Bett ganz für mich alleine. Auch ein wenig waschen ist nun vonnöten, trocknen geht ja hervorragend in der Sonne mit dem leichten Wind, ist in zwei Stunden trocken, toll. Das Gespräch mit Pascal ist ein wenig schwierig so auf Französisch, fällt mir noch sehr schwer. Dumm, denn er kann super englisch, hätte er mir auch gesagt, meinte er am nächsten Morgen. Habe ich nicht mitbekommen. Also verschoben wir das Ganze auf den nächsten Morgen und plapperten dann auf englisch, ist doch einfacher für mich. So erklärte er mir dann auch, warum es Maison du Tao heißt. Er macht hier Meditationen mit kleinen Gruppen, hat oben auf dem Hügel auch ein schönes Meditationshäuschen. Er ist viel rumgekommen in der Welt. Einmal im Jahr fährt er nach Indien zum Meditieren, er hofft, dass es dieses Jahr auch klappen wird, glaube aber nicht mehr so dran. Das mit Corona wirbelt bei allen alles durcheinander. Ich wünsche ihm, dass es hinhauen möge. 

11.9.20

Le Buisson nach Mounes

20 km

Das Frühstück war mal wieder grenzwertig, mit einer Schale Instantkaffee (irgh!), wo er den Zucker schon rein gemacht hatte, was ich so gar nicht mag, und einem Steinbrot, welches wirklich nur genießbar war, indem ich es in den Kaffee tunkte. Ich hoffte noch, dass die orangene Marmelade (orange Marmelade mag ich nicht) bitte keine bittere Orangenmarmelade ist (was sie leider war), oh oh! Zum Glück kam er mit etwas Honig ums Eck, so konnte man noch ein bissel was retten. Oh Mensch, nee, französische Frühstücks hauen mich wirklich nicht vom Hocker. Komisch, in Savoie war es nicht so krass, fand ich. Nun vielleicht ist das hier im südlicheren Bereich doch anders. Besser selber machen.

Nach einem wie gesagt schönen englischen Gespräch verabschiedeten wir uns und ich machte mich auf, den Berg hoch zum Croix St. Blandine, meine höchste Erhebung bisher, knapp 700 m. Nicht wirklich hoch, aber steil. Schnaufend kam ich am Santiago-Stein an. Nur noch 100 km nach Le Puy, so so! 

An der Gîte vorbei, die verlassen da lag, ging es weiter steil bergauf. Ein Schäfer führte seine Schafherde die Wiese hinunter, es bimmelte und blökte vor sich hin. Ganz alleine lief ich hoch zum Croix, zum Gipfelkreuz, mit tollem Ausblick über die Berge und Täler. Eine kleine Eidechse schlängelt sich schnell am Gestein entlang, hoch oben die Milane und Bussarde mit ihren charakteristischen Rufen. Ich fühle mich großartig und kernig. Mensch, ich habe die 26 km nach Chavanay geschafft und nun auch den Aufstieg hier. Was soll mich noch schocken? Ich machte mir wegen des Zentralmassivs (in dem ich mich ja eigentlich auch schon befinde) doch ein paar Sorgen. Schließlich wird es auf über 1300 m Höhe gehen. Aber gut, das Haggenegg in der Schweiz war noch höher, habe ich auch geschafft und außerdem habe ich ja auch den innerdeutschen Kolonnenweg bewältigt, das ist viel krasser :-)

Nach der Pause mache ich mich auf, gehe über den Bergkamm wieder bergab Richtung St-Julien-Molin-Molette, was für ein toller Name für einen Ort, finde ich. An viel Ginster vorbei geht’s steil bergab in den Ort hinein. Irgendwie stelle ich mir was ganz großartiges bei dem Namen vor. Nun, es hat eine sehr schöne Kirche, die Eglise St-Julien, klar, davor gibt es den spannenden Brunnen Espace aux six Fontaines, welcher an die historische Identität als Kunstgewerbestadt erinnern soll. Die Kirche selbst ist eher schlicht, die Fenster aber herausragende Kunst, finde ich. Leider hat sie keinen Stempel, ich hätte gerne einen Stempel aus diesem Ort mit diesem tollen Namen gehabt, aber nichts. Generell ist in den Kirchen an Stempeln in Frankreich nicht viel zu holen. Die bekommt man dann in den Unterkünften, nun hätte ja sein können. Ich gehe noch in eine Brasserie, frage nach Wasser. Die Herren, die am frühen Tage schon ihr Bier trinken, mustern mich interessiert. Nun sollen sie doch. Der Barmann meinte noch, dass das Wasser aber nicht schmecken würde. Hä, warum das denn nicht? Nun egal, ich brauche Wasser, sonst geht nichts mehr. Wenig später verstand ich was er meinte, es war total verchlort. Es läge an der Lage des Ortes, weil der so tief liegt, meinte er. Nun denn, dann also Chlorwasser, was soll man machen? 

Genauso steil wie es zuvor runterging, ging es wieder den Berg hoch auf eine Ebene, die wieder so ein wenig an Steppe erinnerte, unten eingebettet: St-Julien-Molin-Molette, schön sieht das aus. Abgeerntete Felder, Ginster und Kiefern prägen das Bild. Der warme Wind weht über die ockerfarbenen Felder, Zeit für Pause und einfach mal genießen. Der steinige Weg geht leicht bergab und endet in Lampony, einem kleinen Ort umgeben von riesigen Maronenbäumen. Ich kann das alles kaum fassen, so wunschschön ist das.

Am Ortsausgang steht allein und verlassen ein Feigenbaum. Nun werde ich mal eine probieren: Oh wie lecker, dann noch eine und überhaupt noch ein paar mitnehmen… Alles besser als das Chlorwasser, welches ich kaum anrühre, schmeckt wirklich schlimm. Auch die Wallnüsse werden geknackt. Toll so im September unterwegs zu sein und immer genug zu essen zu haben. 

Ich schlender so vor mich hin, komme am Col du Banchet an, hier geht es runter nach Bourg Argental, kurz dahinter in Mounes werde ich unterkommen. Noch eine ausgiebige Pause auf der Wiese mit Blick runter zum Ort, dann mache ich mich an den Abstieg ins Tal, der es wirklich in sich hat. Also ich habe ja schon viel erlebt und weiß, dass die Wege in Frankreich mitunter eine Herausforderung sein können, aber das hier kann man nun wirklich nicht „Weg“ nennen, das ist einfach nur eine Geröllhalde, die bergab geht. Oh man. Ich komme nach vielem Gewurschtel und Gerolle unten erschöpft an. Die Hitze macht das ganze jetzt auch nicht besser. Es gibt tatsächlich eine Banc, puh, k.o. 

Weiter geht’s Gott sei Dank im Schatten an einem kleinen Flüsschen entlang in den Ort hinein. Erst mal in die Kirche und warten, bis die Läden aufmachen, denn ich muss einiges einkaufen und sie öffnen erst um 15 Uhr. Generell sind die Öffnungszeiten in Frankreich nicht ganz einfach zu verstehen. Aber von 13 bis 15 Uhr, manchmal auch 16 Uhr, sind die Läden zu. Sonntags, dafür aber auch mal auf, was montags wiederum genau umgekehrt sein kann, aber nicht sein muss. Montags sind einige Läden auch einfach zu. Das soll mal einer verstehen. Wie dem auch sei, ich gehe in die Kirche, die mich nicht so vom Hocker haut und außerdem bin ich jetzt k.o. und brauche einen Kaffee. Gegenüber ist ein Café, das werde ich jetzt mal anpeilen und setzte mich an ein Tischchen. „Un grand café s'il vous plait“. Oh man, das ist auch schwer zu begreifen: Ich bekomme einen doppelten Espresso. Okay, dann eben Espresso. Aber wie heißt denn eigentlich der Kaffee, den ich morgens immer in dieser riesen Schale bekomme? So einen zu einer anderen Uhrzeit zu bekommen ist schwierig. Ich erfuhr später von einer Pilgerin, dass ich Café allongé bestellen soll, dann könnte es ein großer Kaffee sein, muss aber nicht :-) Das soll mal einer begreifen. Der Einkauf wird erledigt, heute Abend und morgen früh ist Selbstversorgung in der Gîte in Mounes. Mühsam schleppe ich  meinen Einkauf die Straße nach oben, breche fast zusammen, der Gedanke, ich habe viel zu viel eingepackt, macht sich breit, ich muss ausrangieren. Oh oh. Ich komme nach einem Kilometer in Mounes in der Gîte oben auf dem Berg an. Toll ist die und ich bin ganz alleine, kostet nur 10 Euro und ich habe sogar einen kleinen Balkon in der Sonne mit Bergsicht und Blick auf Bourg Argental, wie geil ist das denn?

Die Hühner und ich essen gemeinsam Abendbrot

Unten picken und gackern die Hühner, ein Hahn ist auch mit dabei und kräht vor sich hin. Erst mal eine tolle Dusche, ein Bier ist auch schon gebunkert, auch einen Kühlschrank gibt es, tolle Voraussetzungen für einen angenehmen Aufenthalt in Mounes. Ich sitze lange Tagebuch-schreibend auf dem Balkon, das Baguette ist frisch, der Kultklassiker "La vache qui rit" (Die Kuh, die lacht) aufs Brot, französisches Bier, danach zum Abschuss ein paar leckere Carambars. Auch gibt es noch ein paar Kekse, wovon die Hühner unter mir auch noch was abbekommen, die freuen sich. Was will man mehr? Die Sonne ist untergegangen, die Hühner sind im Stall, die orangenen Lichter von Bourg Argental werden nach und nach entzündet. Alles sehr heimelig, finde ich. Als es zu kühl wird gehe ich nach oben auf den Dachboden, kann mir ja ein Bett aussuchen, und hör noch ein wenig Hörbuch. Da geht es um eine Pilgertour von Berlin nach Moskau, auch interessant. 

Ich freue mich, dass meine Füße so gut mitmachen, das Wetter so herausragend ist, ich mich mit meinem Französisch gut verständigen kann und die Landschaft einfach so wunderschön ist. Morgen kann ich dann schön früh aufbrechen, denn mein Frühstück werde ich irgendwo auf ner Wiese zu mir nehmen, ganz ohne süße Marmelade und hartem Baguette, toll. Früh geht es morgen los, denn ich habe 600 Höhenmeter vor mir. Chaka! Schaff ich! Hmm, nun ja….

12.9.20

Mounes nach Montfaucon-en-Velay

20 km

Früh klingelt mein Handywecker. Es ist noch dunkel, aber in der Ferne kann man schon einen hellen Schimmer erkennen, die Sonne macht sich bereit zum aufgehen, le lever du soleil, um es mal auf französisch zu sagen. Ich packe meine Sachen, schultere meinen Rucksack, es kann losgehen. Die Lichter von Bourg Argental leuchten herauf, aber nun ist es ist hell genug zum wandern. Etwas irre ich schon ganz am Anfang umher, da hier zwei Wege zusammen kommen, der GR 42 und meiner, der GR 65. Nach kurzer Zeit habe ich meinen gefunden, es geht einen schmalen Weg leicht bergauf. Es ist noch kühl und die Jacke ist vonnöten, was sich aber alsbald ändern sollte. Sehr gemächlich geht es mit Blick aufs Tal den Weg entlang, durch kleine verschlafene Weiler. Die Sonne ist noch nicht über die Berge gekommen, somit wandere ich im Schatten. 

Links und rechts türmen sich die Felsen auf, als ich wenig später auf der ehemaligen Bahnstrecke, die heute einspurig geteert ist, ankomme. Nur noch Tunnel, Brücken und verlassene kleine Bahnhöfe erinnern an die damalige Strecke. Ich komme am beeindruckenden Viadukt mit dem eigenartigen Namen Viaduc de la Poulette (Hühnchenviadukt) an. Es gibt wundervolle Blicke hinab ins Tal, wo die Sonne sich schon breit gemacht hat. Hier oben ist es noch empfindlich kühl. Nach Überquerung eben dieser Brücke suche ich mir einen sonnigen Rastplatz, denn ich habe noch nicht gefrühstückt, das steht nun an. Und was gibt’s? Natürlich Pain au chocolat, welche später in anderen Gebieten mitunter auch Chocolatine genannt werden. Nun denn, essen!

Über weitere Brücken und durch Tunnel hindurch geht auf den Ort St-Sauveur-en-Rue zu, den man eingebettet unten im Tal erkennen kann. Die Sonne ist nun voll draußen und die Jacke kann verstaut werden, es ist angenehm warm. Ich laufe am kleinen ehemaligen Bahnhof eben dieser Stadt vorbei und stehe kurze Zeit später am Aufstieg. Okay, das wird heute eine Nummer, packen wir's an. 

An einer Kuhweide mit entspannten Kühen vorbei geht es in den Wald hinein, stetig abwechselnd in Serpentinen und teilweise schön steil bergauf, zählen ist wieder angesagt. Ab und an zeigt mir ein Schild, auf welcher Höhe ich mich gerade befinde, 846 m, 1045 m und dann am höchsten Punkt, Tracol heißt er, bin ich bei 1204 m angekommen. Wow, kernig. Zum Glück vorzugsweise im Wald, heißt Schatten, das ist momentan viel wert bei der Wärme. Es schreit nach einer Pause. Die Wegbeschaffenheit lässt auch hier teilweise zu wünschen übrig, aber nach dem Weg gestern runter nach Bourg Argental kann mich auch hier nichts mehr schocken :-) Auch bin ich nun schon wieder in einem neuen Département, ich befinde mich in Haute-Loire und wie der Name schon sagt, wird es bergig, denn „haute“ heißt oben. Nun denn. 

Ich suche mir ein Plätzchen im weichen Moos mit einem Sonne/Schattenmix, und lege mich erst mal hin, Füße lüften ist angesagt und einfach mal nichts tun. Ist doch gut anstrengend, kann ich nicht anders sagen. Gut erholt und gesättigt geht es weiter durch den lichter werdenden Wald, als ich plötzlich aus dem Wald auf sanfte Hügel und Felder trete und es gar nicht fassen kann. Die Landschaft hat sich total verändert, nichts mehr mit trockenem Gras, die Sandfarben sind dem Grün gewichen. Saftiges Grün wohin man auch schaut und in der Ferne sind schon die kleinen Hügel des Velay zu sehen, die Vulkane, auf die ich mich besonders freue. Ich bin total geflasht, wie toll ist das denn? 

Ich gehe ein Stück abwärts und komme im Ort Les Setoux an. Hier wollte ich eigentlich unterkommen. Die Gîte ist aber wegen einer Hochzeit ausgebucht. Ich hatte die Frau in der Mail so verstanden, dass ich mal kommen soll, sie finden schon was für mich. Nun, frohgemut besuche ich erst mal die speziell aussehende Kirche mit ihren freien Glocken, was es hier im südlichen Frankreich nun öfters geben wird. Sie ist innen viel mit Holz verkleidet, beinhaltet viele kleine Statuen und im besonderen auf der rechten Seite einen großen eisernen Ofen. Aha, hier wird wohl dann mit Holz geheißt, witzig sieht das aus. Es gibt einen hübschen Jakobsbrunnen mit schönen Blumenrabatten davor, sehr nett. 

Ich wandere rüber zur „Auberge“ Der Kellner teilt mir aber mit, dass es hier nur miam miam und gluck gluck gibt und macht dabei ein lustiges Gesicht. Wenig später erfuhr ich, dass der Miam miam dodo, das ist der Reiseführer für die Via Podiensis später ab Le Puy, deshalb so heißt, da „miam miam“ Essen bedeutet und „dodo“ schlafen. Also der Reiseführer für essen und schlafen. Ich hatte mich schon ob des komischen Namens gewundert, nun man lernt nie aus. Auch dass Auberge nicht gleich Herberge ist, sondern es sich meist nur um eine Gastwirtschaft handelt, muss aber auch nicht sein. Okay! Ich gehe runter zu Gîte. Die Frau, mit der ich zuvor gemailt habe kommt gerade mit einem Putzeimer und Schrubber aus dem Haus. Ich frage sie wo ich jetzt hingehen soll. Ja sie hätte mir doch gesagt, dass „hier eine Hochzeit ist, ja was weiß ich, und ich könnte in St-Sauveur-en-Rue übernachten“. „Aber da komme ich doch gerade her, den ganzen Berg hoch“, antworte ich. Ja sonst wüsste sie auch nicht, die einen sind geschlossen wegen Corona, die anderen kennt sie nicht und überhaupt kann sie mir nicht helfen, da sie jetzt für die Familie kochen muss. Sie ließ mich da stehen. Da stehe ich nun inmitten der Berge und habe keine Unterkunft, na toll. Aber noch recht entspannt ging ich einfach weiter, der Tag war noch lang, ich fühlte mich fit. Okay weiter nach Coirolles. Ich gehe am Pilgerstein kreiert von Paul Burget, der hier so einige Pilgersteine hergestellt hat, vorbei. 

Die Landschaft ist einfach wunderschön. Ich führe einige Telefonate, die nicht erfolgversprechend sind, jetzt werde ich unruhig. Wo soll ich unterkommen, selbst die Gîte in Étiennefy ist wegen Corona geschlossen, der Herr bot mir aber an mich abzuholen und mich nach Montfaucon zu bringen, wenn ich da eine Unterkunft hätte. Somit telefonierte ich dort mit der Touri-Info, deren PC aber gerade Probleme hatte, ich solle später noch mal anrufen. Daraufhin stapfte ich wutentbrannt über die blöde Tante von Les Setoux weiter, die mich so hat sitzenlassen. Der nächste Anruf ließ auf sich warten, da Funkloch. Oh man, muss das auch noch sein? Zu allem Überfluss hatte ich kein Wasser mehr, da ich ja eigentlich meinen Walk in Les Setoux enden wollte, und wurde sehr durstig. Es ging bergauf und bergab in seiner schönsten Form, ich hätte schreien können, nichts mehr mit Entspannung. 

Ich erreichte die Dame der Touriinfo, die mir einen Platz in der Gîte zusicherte, sie sei bis 17 Uhr da, ich kann den Schlüssel holen bei ihr. Ob ich es bis dahin schaffe, weiß ich nicht, ich solle sonst in eine Brasserie gehen, da sei er hinterlegt, wenn diese denn auch geöffnet ist. Oh man, mittlerweile bin ich mit den Nerven und auch körperlich ziemlich am Ende. Zusätzlich kommt noch ziemlich angriffslustig eine Dreiertruppe Hunde auf mich zu, das jetzt auch noch. Also wenn’s Scheiße läuft, dann richtig. Zwei bellen mich hysterisch an, ich bin echt aggro, die Hunde auch. Ich mache mich groß und schreie die Scheißköter an, drehe mich um und gehe weiter, habe sie aber noch im Blick. Der eine folgt mir, ich drohe mit meinen Wanderstöcken, er lässt von mir ab. Oh man, das ist gar nicht gut. Ich habe gehört, dass der ein oder andere Pilger schon mal gebissen wurde. Nun, dass blieb mir nun heute netterweise erspart. Warum lassen die solche Scheißköter hier draußen rumlaufen? Ich würde auch nicht davor zurückschrecken, denen die volle Ladung Pfefferspray ins Gesicht zu sprühen, blöde Viecher! 

Ich bretterte die Kilometer runter, landete in Coirolles, traf dort auf einen alten Herrn, den ich um Wasser bat, denn mittlerweile hatte ich echt Durst. Ich kippte mir gleich die Hälfte runter, weiter geht’s. Nach einigen Irrungen, weil ich diese Gîte nicht finden konnte und auch nicht wusste in welchem Ort ich mich gerade befinde mangels Schilder, ertappte ich eine Frau auf ihrer Veranda, fragte um Rat und konnte somit anrufen, wurde abgeholt und nach Montfaucon gebracht. Das fand ich echt total nett, denn es war eine Weile Autofahrt da runter, da sie (seine Frau mit ihrer Tochter brachten mich runter) ja die Serpentinen langfahren musste und nicht den Wander-Direktweg. Unten angekommen hatte ich dann doch Glück, die Touri-Info-Dame wollte gerade gehen. Sie gab mir den Schlüssel und ich wurde noch bis vor die Tür der schönen Gîte gefahren, wir verabschiedeten uns. Ich war so dankbar und so im Eimer, das kann man sich gar nicht vorstellen. Was für nette, hilfsbereite Menschen, das ist schon wunderbar. Nun, so schön hat der Tag angefangen und dann so eine Aktion. Ja so ist das Pilgern, das Pilgern ist das Leben, nur komprimiert und das kann schon mal zur Herausforderung werden, also beides :-)

Die Gîte, ein altes aus großen Steinen gezimmertes Haus, machte einen guten Eindruck, liegt gleich neben der schönen ebenfalls mit großen Steinen gebauten Kirche, die sogleich mir mitteilte dass es schon 18 Uhr sei. Oh man, was für ein langer Tag.

Ich suchte mir ein Zimmer aus und ging erst mal ordentlich duschen. Schnell noch mal in den Laden raus, bevor der zu macht, noch ein wenig was einkaufen und ein schönes kühles Bier, das brauche ich heute echt. Der Pizzaladen konnte mir leider keine Pizza mehr geben, da das nur bei Bestellungen bis 17 Uhr geht. Na toll. Okay, dann eben ohne Pizza, was soll's. 

Ich gehe noch einmal rüber zur Kirche Notre-Dame-de-Montfaucon, die echt beeindruckend und für eine bevorstehende Hochzeit geschmückt ist. Sie ist aus dem 12. Jahrhundert mit einer tollen Sammlung von 12 flämischen Gemälden des Malers Abel Grimmer, über Zeiten und Wirken Jesu Christi. Ich kenne den Maler zwar nicht, aber das werde ich mir morgen nochmal genauer anschauen, da habe ich ja Zeit, da ich wohl zwei Nächte nun hier verbringen werde, da ich ja vorgebucht hatte, was soll's. Ich zünde eine Kerze an, bin einfach glücklich, dass am Ende doch alles gut geworden ist.

Den Marsch nach Montfaucon hätte ich nicht geschafft, das wäre zu weit gewesen. Es gibt schon tolle, hilfsbereite Menschen. Sie wollte nicht mal das Geld nehmen, was ich ihr anbot, habe es ihr aber trotzdem in die Hand gedrückt, denn sowas ist nicht selbstverständlich. Ein Teelicht lacht mich an, könnte ich mir vielleicht das Teelicht nehmen, das Feuerzeug ausleihen und es mir abends gemütlich machen? Kann es ja morgen wieder hierher stellen. Ich mache es einfach mal. 

Ich habe mir eine Blase gelaufen das auch noch. Ich habe mich bei meinem Marsch über die Berge nach Les Setoux nicht um meine Füße weiter gekümmert und nun habe ich den Salat. Okay, Pflaster drauf und hoffen, dass die auch wieder weg geht, denn Blase ist gar nicht gut. Ich sitze in der Sonne am geöffneten Fenster, höre leise Musik, esse mein Abendbrot, welches aus einem auf der Herdplatte knusprig gemachten Baguette mit Käse besteht, und trinke mein wohlverdientes Bier, was für ein Tag. Ich zünde die Kerze an. Schön, dass es am Ende ja doch immer gut wird. Im Zimmer breite ich meinen Schlafsack aus, schließe die Fensterläden, welche dieses und auch viele andere Häuser hier haben. Das finde ich sehr gut, denn die machen es wirklich dunkel im Zimmer. Ich schlafe erschöpft ein. Puh!

13.9.20

Ein Tag in Montfaucon-en-Velay

Nachdem ich der Boulangerie einen Besuch abstattete, suchte ich mir für mein Frühstück das Nachbarzimmer aus, denn hier ist nun Sonnenseite. Ich habe mir kleine Instantkaffee-Tütchen geholt, ist zwar nicht mein Favorit, aber der Mensch gewöhnt sich ja an vieles und mittlerweile finde ich den gar nicht so schlecht. Somit gibt es lecker Kaffee, Chocolatine, Käsebaguette, alles was das Herz begehrt. Nach einem erfolglosen Telefonat mit der Papeterie, eine Gîte auf dem weiteren Weg, habe ich mich nun entschieden hier zu bleiben, ist für meine Blase sicher auch ganz gut so. Vielleicht erholt sie sich ja dann. Ich habe Zeit zum Wäschewaschen, das muss ausgenutzt werden, sie kann schön auf dem Wäscheständer in der Sonne trocknen. Ich fühle mich sehr erschöpft und bin nicht gut drauf. Ich sitze da und bete, lege mich wieder hin, trinke noch einen Kaffee. Nach einer Weile konnte ich mich aber mit der Situation arrangieren

Ich mache mich mit Sandalen und leichtem Gepäck auf, und schaue mir den Ort an. Die Grande Rue hat wieder einiges an Verkehr aufzuweisen, ist nicht immer ganz leicht, da es nicht wirklich breite Bürgersteige gibt. Das ist in Frankreich scheinbar nicht üblich, somit quetscht man sich, wenn man aufeinander zukommt aneinander vorbei, neben einem die Autos. Der Franzose ist in der Regel auch ein sehr schneller Autofahrer, und mit Abstand halten haben sie es auch nicht so drauf. Nun denn, zum Glück gibt’s ja ein bissel Bürgersteig und irgendwann finde ich das einfach auch urig und fühle mich sehr französisch. Toll finde ich aber auch, dass einige Départements freies Wifi anbieten, einfach so. Ich nehme mal an, dass das in größeren Orten und Städten so ist, jedenfalls sollte ich im weiteren Verlauf viel freies WLAN haben. Könnte man in Deutschland auch mal einführen, finde ich eine gute Idee. 

Nachdem ich mich anfangs schlecht damit abfinden konnte hier jetzt bei dem tollen Wetter eine Pause einlegen zu müssen (das ist der Nachteil, wenn man vorbucht), habe ich mich nun aber damit arrangiert und genieße den Tag. Ich statte der anderen Kirche, der romanischen Kapelle in der Rue des Pénitents, Straße der Büßer, einen Besuch ab. Ich komme rein, es ist still, angenehm kühl. Ich setze mich hin, gehe in mich, werde ganz ruhig und bete. Tränen kullern, Erinnerungen kommen hoch, alles stürmt plötzlich auf mich ein. Erinnerungen von letzten Jahr, als ich so krank war, wie alles weiterging, wo ich jetzt bin und dass ich hier sitze. Ich lasse meine erste Woche Revue passieren und fühle ein erleichtertes Herz, als ich fast schwebend und mit Gott verbunden aus der Kirche trete.

Die Sonne lacht mir ins Gesicht und ich laufe durch die engen Gassen Montfaucons. Mir geht es wieder gut, ich habe wieder Energie, schön! Ich laufe einen Teil der Via Fluvia entlang, ein Radweg der von der Loire zur Rhône führt. Montfaucon ist ein kleiner Ort, hat aber einiges zu bieten, schöne Kirchen, schöne Natur drumrum und einen tollen Pizzaladen. Heute weiß ich wie das funktioniert, so bestelle ich mir später eine Pizza, die ich dann auch um 19 Uhr abholen kann, das wird ein Festschmaus. Ich besuche noch meine Nachbarkirche, um mir die flämischen Gemälde näher anzuschauen. Die Notre Dame, welche ja die Maria ist, wird auf dem Altar hell angestrahlt, sieht schon toll aus. 

Ich hoffte alleine in der Gîte zu bleiben. Diese Hoffnung wurde aber jäh zerschlagen, als ich Geräusche hörte. Ich sprang von meinem Bett auf, in das ich mich zur Pause hingelegt hatte und stand vor dem Gîteverwalter und drei Franzosen, die mich begrüßten. Oh, da muss ich schnell meine Sachen zusammenpacken, habe ja das ganze Haus für mich okkupiert. Sie sehen sehr erschöpft aus, ich begrüße sie auf französisch und biete ihnen erst mal einen Kaffee an. Leider kommen wir nicht so richtig zueinander. Sie reden nur französisch und das sehr schnell, das schaffe ich nicht. Auch ist es mit Gruppen sicher nicht so einfach. Irgendwann lasse ich sie da einfach sein. Sie duschen, waschen Wäsche und ich mache mich auf meine Pizza zu bestellen. Wartend verbringe ich in einer Brasserie nebenan, draußen am Tischchen sitzend bei einem Bier und schreibe. Ich finde es klasse, um mich rum die Menschen, die sich unterhalten, vor mir das ein oder andere vorbeifahrende Auto, der Fernseher im Hintergrund und ich schon leicht angeheitert. Ich fühle mich wohl.

Mit meiner tollen Pizza komme ich wieder in die Gîte, werde wohl sehr beneidet. Die andern gehen jetzt erst los um sich was zu essen zu besorgen. Hmm, das mit der Pizza könnte schwierig werden. Nun sie kommen mit belegten Baguettes zurück, da es eben keine Pizza gab. Kann man nichts machen, finde ich jetzt auch nicht so schlimm, sie fanden's doof. Ich sitze also wieder an meinem Fenster mit meiner Kerze, Pizza, Bier, schön. Die drei sitzen am großen Tisch und essen ihre Baguettes, überlegen wie es weitergehen könnte und fragen mich wo ich morgen unterkomme. Morgen geht es nach St. Jeures. Ich freue mich schon wieder weitergehen zu können. Sie wollen auch dort unterkommen. Schade, dass wir nicht so ins Gespräch kommen können, denn ich würde gerne erfahren was sie alles so auf ihrem Weg von Genf bis hierher erlebt haben und natürlich auch von mir berichten. Aber es gestaltet sich doch als schwierig. Teilweise kann ich den Akzent auch schwer verstehen, na und bei mir muss man Geduld haben, das ist glaube ich nicht so ihrs. Außer Norbert, der kann ein bissel englisch, traut sich aber nicht so richtig. Nun, kann man nichts machen. 

Ich liege noch eine Weile auf meinem Bett, höre mein Hörbuch und schaue durchs geöffnete Fenster in den Abendhimmel, wo sich die Mondsichel inklusive Jupiter und Saturn zeigt, klar, die dürfen nicht fehlen. Der Blick auf die Stadt mit den orangenen Laternen ist einfach wunderbar. Mit gutem Gefühl schlafe ich ein und freue mich total auf morgen.

14.9.20

Montfaucon-en-Velay nach 

St. Jeures

22 km

Die Sonne geht über der Stadt auf, endlich kann es losgehen, toll. Wir stehen alle gleichzeitig auf, machen uns fertig. Die drei gehen als erste. Ich genieße die Ruhe in der Gîte und mache mich wenig später auf den Weg. Der Schlüssel muss in den Boîte (Briefkasten) der Touriinfo gelegt werden und meine Kerze mit dem Feuerzeug packe ich vor die Kirchentür. Soll keiner denken, dass ich die geklaut habe. Ich zünde die Kerze auch an, als ein Zeichen für mich und meine Kleine, für einen guten Weg. Die Sonne kommt langsam raus. Ich habe heute einen langen Weg vor mir, bin aber fit und frohen Mutes. Oben am Ortsausgang steht das Steinkreuz, ich bete, überquere danach die Straße und ab geht’s in die hügelige Landschaft.

Im Hintergrund sind immer wieder die kleinen Vulkankegel des Velay zu erkennen, auf die freue ich mich ganz besonders, aber da brauche ich noch einen Tag Geduld. Morgen wird es dann hoffentlich soweit sein und ich kann sie mir aus der Nähe anschauen. Ich freue mich nun wieder alleine zu sein und gehe langsam mit tollem Move und wärmender Sonne leicht bergab um kurze Zeit später wieder leicht bergan zu gehen. Heute ist der Weg eher seicht, nicht so bergig wie gestern. Ich laufe durch schmale Ginster bewachsene Wege. Das muss toll aussehen, wenn die alle blühen. Ab und an gibt es Hinterlassenschaften von Pilgern im Sinne von Steinen, Jakobsmuscheln und ähnliches, aufgetürmt, übereinandergestapelt an und um Steinkreuze gelegt, schön finde ich das. Saftige Wiesen, die Kegel im Hintergrund, die Luft frisch nach Feucht duftend, ganz nach meinem Gusto. 

Es geht in einen Nadelwald mit hohen Fichten, an übergroßen Kiefern, über kleine stille Weiler nach La Brosse, welches ein kleiner Ort mit süßer Kirche ist. Schön finde ich diese französischen Weiler und Dörfer. Mein Schatten hat lange, lange Beine, es ist noch früh am Tage und die Sonne noch nicht ganz oben angekommen. An einem süßen Jesuskreuz aus Stein mache ich halt und bete.

Weiter geht’s an Kuhweiden mit schlafenden Kühen vorbei. Einfach nur Idyll. Ich erreiche die Papeterie, wo ich eigentlich unterkommen wollte gestern, die aber nur einen AB anhatten und sich nicht zurückgemeldet haben. Es ist eine Gîte in einer ehemaligen Papierfabrik. An der Tür prangt ein Zettel, dass die Gîte wegen Corona geschlossen ist. Na toll, warum ist es den Leuten nicht mal möglich, das auf ihrem AB auch zu sagen? Ich finde sowas blöd und das verunsichert enorm. Nun denn, ist eben so. Ich stehe auf der Brücke über den Lignon, ein kleiner Nebenfluss der Loire, der später an Tence vorbeifließt und der mich sehr zum Frühstückspause machen einlädt. Ich steige über das Stromkabel, welches Gott sei Dank keinen Strom drauf hat und setze mich an den rauschenden Bach und esse, na was wohl? Pain au chocolat! Von denen kann ich einfach nicht genug bekommen. Aber auch ein Pizzastück von gestern findet den Weg in meinem Magen, kommt ja nichts weg und ist lecker. Schön ist es hier. 

Nach zwei Kilometern erreiche ich Tence, ein 3000-Seelen-Ort, also schon etwas größer. Generell gibt es auf der gesamten Via Gebennensis keine Städte, was ich sehr schön finde, denn ich bin gerne in der Einsamkeit unterwegs. Die größte Stadt ist der Anfang mit Genf und das Ende mit Le-Puy-en-Velay. Nun in Tence besuche ich das Touribüro und hole mir einen Stempel, gehe kurz darauf in die hiesige Kirche, schön im gotischen Stil gehalten, mit vielen Marias. Raus aus dem Ort und über die kleine Fußgängerbrücke hat man einen tollen Blick auf Tence mit seiner Altstadt und der schönen dreibogigen Bücke über den Lignon.

Übers Sportgelände geht es noch etwas am Fluss entlang, weicht dann aber nach rechts an einigen Liebhab-Kühen vorbei bergauf nach Pouzols. Immer wieder sind die Vulkankegel toll zu erkennen und kommen immer näher. Ich hoffe so sehr, dass das Wetter so bleibt, damit ich die Kegel und später auch Le Puy genießen kann. Nun ich werde sehen. Mit Hut, T-Shirt und Sonnencreme ausgestattet geht es weiter, mittlerweile ist es ordentlich warm geworden. 

St-Jeures liegt auf 1050 m Höhe, somit ist zum Schluss noch ein Anstieg zu meistern. Eine kleine Zwischenpause gibt es noch auf einer Wiese mit Brets (französische Chips, die ich total lecker finde und im weiteren Verlauf meine Begleiter sein werden), Füße lüften, Ruhe und Aussicht genießen. Es ist ein gutes Gefühl genug zu essen und zu trinken zu haben, eine Unterkunft und dann noch ein Einzelzimmer, ich bin zufrieden und glücklich. Es summt in sämtlichen Summtönen um mich herum, ein Milan schreit, schön. 

Aber nein Dualitäten nahen! Da kommt so ein blöder Quadfahrer ums Eck, parkt sein Gefährt und verschwindet im Wald. Ich höre Schüsse. Oh nee, das ist mir jetzt echt unheimlich, macht der da im Wald jetzt Schießübungen? Ich packe meine Sachen und gehe weiter, sehe kurze Zeit später aber einen älteren Herren der in seinen Hänger Steine einlädt, aha, das waren die Schüsse. Oh Maika, manchmal biste aber auch nicht ganz dabei. Ich lache in mich rein, sage "Bonjour" und gehe erleichterten Herzens weiter. War mir irgendwie nicht geheuer. Schnaufend in brütender Hitze (naja ein netter Wind ist immer doch zugegen) erreiche ich das Ortsschild von St-Jeures und komme, am großen Friedhof vorbeilaufend, auf dem Kirchplatz an. Schön ist es hier. Eine kleine Kirche, ein Jakobsbrunnen mit Frischwasser und eine Marienstatue an der Straßenecke. Ich stehe hier ganz alleine, tote Hose, mir soll's recht sein. „Respirer des parfums du mot aimer“ steht auf dem Brunnenstein: „Atme die Düfte des Wortes Liebe ein“. Schön!

 

Ich gehe in die faszinierend aussehende Kirche hinein, bete für mich und treffe beim rausgehen auf Norbert. Wir reden etwas englisch-französisch und gehen mehr oder weniger gemeinsam runter zu unserer Unterkunft. Auch drei weitere Pilger kommen ums Eck. Na hier ist ja was los. Es sollte in unserer Gîte eine ziemlich große Truppe werden aus zwei Österreichern, einem Schweizer, den drei Franzosen und die zwei aus dem Elsass. Zwischen den Häusern lugt ein großer Vulkankegel hervor. Mensch da muss ich hier nachher noch mal eine Runde drehen. Wir kommen in der Gîte Le Fougal an, ich bekomme mein schönes Zimmer mit Blick in einen alten verrußten Kamin, etwas gewöhnungsbedürftig, aber egal. Die Aussicht geht in einen tollen Garten mit Liegestühlen, ein richtiges kleines Anwesen. Die Dusche ist bitter nötig. Später sitze ich draußen auf dem Liegestuhl, Minibier-trinkend und schreibe Tagebuch in der Sonne. Die drei Franzosen Norbert, Ivette und Jean-Claude sitzen schon beieinander und labern. Ich geselle mich ein wenig dazu, kann dem aber nicht weiter folgen und setze mich etwas abseits auf die Liege. Oh man, das kann ja ein Essen werden mit dem ganzen französisch.

Es kommt ein Herr ums Eck und spricht Jean-Claude an, er spricht gut französisch. Ich bin mir unsicher, ob er wirklich Franzose ist, denn er sucht manchmal nach Worten und da…

…habe ich ihn erwischt, als er eine französische Zahl, 80 oder so, sagte und das auf frankophonisch-schweizer Sprache: „huitante“ und nicht „quatre vingt“, wie es die Franzosen machen. Toll, der ist Schweizer, aber kann der auch deutsch oder so? Nun es stellte sich heraus, dass er erstens deutsch kann, zweitens Stefan heißt und drittens aus Wallis kommt. Er ist mit zwei Österreichern unterwegs, sie heißen Karl und Herma, toll. Aber bevor es zum Essen geht, gehe ich nochmal los Vulkankegel anschauen, die kann man ja von hier aus schon toll sehen und ich bin ganz aufgeregt, liebe ich doch Vulkane, bin Vulkanfan sozusagen :-)

Ich bat die Gastgeberin, die coronamäßig sehr besorgt war und mich mit den drei Franzosen zusammenpacken wollte, da wir uns ja schon kannten, mich doch bitte in dieselbe Ecke mit den drei deutsch sprechenden zu setzen. Und so wurde es ein richtig toller, netter Abend. Wir laberten was das Zeug hielt, es gab drei Gänge, französische Wurst, die ich sehr gerne esse, da die sehr würzig und pfeffrig ist, Gemüse, Fromage, Wein natürlich und Wasser. Selbst Norbert taute mit seinem Englisch etwas auf. Schön! So könnte es immer sein. Da wir draußen saßen und es nach einer Weile empfindlich kühl wurde, ich habe sogar meine Warmweste rausgeholt, beendeten wir unser Zusammensein und gingen jeder in sein Zimmer. Morgen ist ja auch ein langer Wandertag, und zugleich wird es sehr bergig, hoffentlich auch sonnig mit vielen, vielen Vulkanen. Das von tiefen Tälern durchzogene Velay liegt im Südosten des Massif Central zwischen dem Tal des Allier im Westen und den Hügeln an der Westseite der Rhône, wo ich ja herkam. Es handelt sich um eine Mittelgebirgsregion mit dem ca. 1200 bis 1435 m hohen Meygal-Massiv. In diesem Sinne, bonne nuit unter einem unglaublichen Sternenhimmel.

15.9.20

St-Jeures nach St-Julien-Chapteuil

22 km

Morgens, kurz vor 7, kämpfen Ivette und ich uns mit Handytaschenlampe tastend durch die Dunkelheit. Das Frühstück gibt es in zwei Etappen, meinten die Herbergseltern, entweder um 7 Uhr oder um 8 Uhr. Da es heute wieder warm wird haben zumindest die Franzosen und ich uns überlegt die frühere Zeit zu nehmen. Mir macht das nichts aus. Es ist stockduster und wir müssen durch den Garten zum Haupthaus gelangen. Die Sterne prangen groß am Himmel, der Mond und die Venus mit anbei, toll ist das. Es ist noch empfindlich kühl, als wir im Haupthaus ankamen. Es gibt Frühstück mit Kaffee, Marmeladen, Baguette, das übliche eben, aber noch einen Orangensaft dazu und jeder bekommt eine Ecke La vache qui rit-Käse. Da der Franzos' sowas zum Frühstück nicht isst, habe ich alle für mich einsammeln können für später. Hügelig geht es bergauf-und ab an beeindruckenden braunen Kühen mit langen Hörnern vorbei Richtung Araules. Die Sonne macht sich auf an einem strahlend blauen Himmel über den Bergen aufzugehen. Die erloschenen Vulkane des Velay sind nun ganz nah und deren Spitzen werden vom Sonnenlicht bestrahlt. Sie sind komplett bewaldet, schon bunt werdend, da auch hier natürlich der Herbst schon Einzug hält. Toll sieht das aus. 

Etliche Wanderwege gibt es hier, welches ein Schild sehr eindrücklich zeigt. Klar, kann man sich bei der Schönheit der Natur rundherum auch vorstellen. Es geht ein Stück die Straße entlang, es duftet wunderbar nach Minze, denn der Rand ist mit Minze in voller Blüte umsäumt. Oben auf dem Berg ist Araules schon auszumachen. Ich bin alleine unterwegs, die drei Franzosen sind alle sehr unterschiedlich losgegangen. Später in Araules treffe ich auf Ivette, mit der ich zusammen zu der Frau, die gerade die Kirchentüren öffnet, gehe, um einen Stempel abzuholen. Die Dame ist sehr gesprächig und es ist schwierig weiterzukommen, aber ich meine dann einfach ich müsste nun weiter, Ivette war mir sichtlich dankbar dafür, denn sie bekam es auch nicht wirklich hin dem Gerede der Frau ein Ende zu setzen.

In der Kirche verweilte ich nur kurz, ich möchte weiter, und so spannend ist sie nun nicht. Zum Glück gibt es eine Boulangerie, die gleich geplündert wird, somit steht dem nun folgenden steilen Aufstieg nichts mehr im Wege. Essen, Trinken, alles dabei, die Füße machen gut mit, die Blase gibt keinen Mucks von sich und sollte tatsächlich bald abgeheilt sein und es sollten auch keine mehr dazu kommen. Einen schmalen ummauerten Weg geht es weiter. Ivette und Norbert habe ich hinter mir gelassen. Die Österreicher haben sich für das spätere Frühstück entschieden. Mal sehen, ob wir uns noch mal wieder sehen. 

Es erinnert mich irgendwie ein bissel an England mit den ganzen Steinmäuerchen, die Gebietsgrenzen, Weidegrenzen usw. darstellen. So hat man das früher gemacht und sie stehen heute noch alle hier, das sieht sehr urig und mittelalterlich aus. Auch die Häuser haben sich ja nun nach und nach verändert, bestehen aus dem Vulkangestein, je nach Gesteinsart in warmen Orange-beigen Tönen, hell-oder dunkelgrau oder auch rötlich. Einige, steinige und wurzelige Hohlwege folgen, der Ginster ist auch wieder zugegen, viele Kiefern, Farne, aber auch Hagebutte, Vogelbeere und Brombeeren sind auszumachen. Allein, voll im Frieden mit mir, von seichtem warmen Wind umweht gehe ich weiter bergan und mache meine Pause auf einer abgeernteten Wiese kurz vor dem höchsten Punkt der Via Gebennensis,  der Punkt Raffy auf 1276 m.

Das Massif du Meygal ist ein zum Zentralmassiv gehörender Gebirgszug und erreicht Höhen von über 1400 m. Ja ja, schon mitten drin im Massiv :-) Oben angekommen ist der Blick ins Land einfach atemberaubend schön. Überall sind die kleinen Vulkanbeulen verteilt, als ob jemand sie einfach wahllos da hingeworfen hätte, alle dicht bewaldet. Unten ist der Ort Monedeyres auszumachen, zu dem ich noch runterlaufen werde. Ich kann mein Glück kaum fassen, dass ich hier nun stehe bei dem tollen Wetter. 

Es geht ein Stück die Straße entlang, macht einen Bogen und wen sehe ich da? Die Österreicher Karl und Herma mit Stefan zusammen. Toll, ich freue mich total, wir quatschen eine Runde und machen Fotos. Im Hintergrund ist ein weiteres Highlight für mich zu erkennen, der Ort, Queyrières, welcher an einen großen Basaltfelsen gebaut wurde. Er liegt zwar nicht direkt am Jakobsweg, aber den Abstecher lasse ich mir nicht entgehen. Die Wiese ist bestückt mit lauter zartrosa Herbstzeitlose, ein bissel wie Krokus aussehend. Die Drei wollen die Straße runtergehen, ich gehe weiter den Jakobsweg entlang und verschwinde auf einem schmalen Pfad im Dickicht.

Ich komme in Queyrières an und treffe sie am Frischwasserbrunnen wieder. Es juckt in den Füßen, Herma, Karl und ich wollen den Basaltfelsen besteigen, oben wartet ein Gipfelkreuz auf uns. Stefan hat keine Lust und passt auf die Rucksäcke auf, super. Wir kraxeln uns an den Basaltorgeln, Relikte eines ehemaligen Vulkanausbruches, entlang und kommen schnaufend oben an, mit Blick auf die tolle Umgebung mit all den Vulkanen, den Ort und das Kirchendach von oben. Toll, einfach nur toll. Ich bin sprachlos! 

Unten angekommen statte ich der hübschen Kirche noch einen Besuch ab und mache mich später alleine wieder auf den Weg, um wieder an den Jakobsweg anzuschließen. Ab jetzt geht es stetig bergab Richtung St-Julien-Chapteuil, teilweise extrem steinig, steil, aber immer mit einer unglaublichen Landschaft.

Ich komme im Ort Monedeyres an, welcher malerisch an einem Vulkankegel liegt, welcher sich wiederum in vollem bunten Herbstlaub präsentiert. Ein hübscher Ort, bestehend aus Vulkanstein-Häusern und mit vielen kleinen Gassen, durch die der Wegweiser mich akkurat durchführt. Das hat was sehr mittelalterliches und mediterranes, finde ich. Die beiden Autos, die da parken, passen hier überhaupt nicht rein, wie zwei Welten, die aufeinanderprallen. Die Dächer sind größtenteils mit Schieferplatten der Region gedeckt, welche eine Kurve weiter gestapelt am Wegesrand liegen. Man sieht es den kleinen Beulen nicht an, aber die Vulkankegel haben Höhen bis zu 1400 m. Ich selber laufe auch permanent auf 1000 m Höhe umher, somit kann man sich das besser vorstellen. 

Es geht abwärts aus dem Ort raus. Ich komme kaum voran aufgrund der Schönheit der Landschaft. Die Wegbeschaffenheit ist wieder abenteuerlich und ich bin froh meine „bâtons“, meine Wanderstöcke, dabei zu haben, die geben guten Halt. Ich überquere die Sumène, ein kleiner Bach, den ich noch häufiger überqueren sollte und hangel mich über den Steinbrocken-Pfad.

Nach einer Weile habe ich dann Asphalt unter den Füßen. Ab La Chapuze geht es die Straße entlang nach St.-Julien hinein. Ich bin nun doch echt k.o. und habe auch Durst, denn ich habe mal wieder kein Wasser. Über einen kleinen Bachlauf komme ich in den Ort, hoch oben thront von weitem schon sichtbar die  imposante Eglise St.-Julien aus dem 12, Jahrhundert, beeindruckend! Da muss ich nachher mal hin. Im Ort, ich komme nachher in der Gîte unter, treffe ich auf die Drei, ich sage mal deutschsprachigen, die vor einer Brasserie an einem Tischchen sitzen und Kaltgetränke zu sich nehmen. Ich setze mich dazu und wir tauschen uns über die herausragende Wanderung heute aus. Kurz darauf mache mich auf den Weg zur „Mairie“, dem Rathaus oder hier ist es das „Hotel de Ville“, kommt aufs Gleiche hinaus. Fabienne, die für die Gîte zuständig ist hatte mir zuvor am Telefon mitgeteilt, dass wir uns vor dem Campingplatz, für den sie auch zuständig ist, um 18 Uhr treffen. Das ist viel zu spät, somit hat sie dann beschlossen, dass die Dame des Hotel de Ville mir den Schlüssel gibt und auch den anderen, die dann noch kamen, denn die Gîte beherbergte einige.

Auch die Franzosen waren wieder zugegen, wobei ihnen Norbert irgendwie abhanden gekommen ist. Ivette und Jean-Claude waren sehr aufgebracht. Sie wollten morgen in Le Puy ihre Pilgertour beenden, aber die Zugleute streiken. Ich meinte noch, dass die Franzosen bezüglich Streik weit vorne stehen, frustriert stimmte er mir zu. Er musste tatsächlich heute noch abreisen, da er wieder arbeiten gehen musste, somit blieb ihm das Non-plus-ultra-Pilgerziel hier in Frankreich, nämlich Le Puy verwehrt, das ist ja mal doof. Ivette hatte wohl mehr Zeit, denn sie ist am nächsten Tag weiter gegangen. Nun denn. Ich selber hatte ein schönes Einzelzimmer welches eher einer Sauna glich. Es war richtig hieß hier drinnen, nun, dann eben nachts Fenster auf machen, kühlt ja schnell ab. Ich ging nach der Dusche noch zur Kirche, mit tollem Blick in die Landschaft und auf St-Julien-Chapteuil.

Ivette hatte sich scheinbar doch jetzt an mich gewöhnt und so gingen wir zusammen durch die Kirche, stiegen noch ein Treppchen hoch und betrachteten alles von oben, auch den unten frustriert sitzenden Jean-Claude, der Arme, das ist schon echt blöd. Sie erklärte mir noch feierlich, dass der an der Wand als Statue stehende St. François Régis ein Heiliger Frankreichs wäre und diese Kirche hier eine Wirkstätte von ihm war. Naja soweit ich das verstehen konnte. Er war ein französischer Jesuit, Missionar und Prediger, der in der Katholischen Kirche als Heiliger verehrt wird. Hat sich sehr für die Armen, Frauen und Kranken eingesetzt. Sein Predigtstil soll einfach und direkt gewesen sein und fand bei der ungebildeten Landbevölkerung großen Anklang, das finde ich gut. Er sollte mir noch öfters begegnen. 

Ich suchte den ganzen Ort, und so groß ist er ja nicht, nach den Österreichern ab, konnte sie aber nicht finden. Nun, dann esse ich eben wieder allein für mich. Ich kaufte noch ein wenig was ein, ging zurück zu meiner Gîte und machte es mir in meiner Fensternische, die zum Glück breit genug zum raufsetzen war, bequem und genoss mein Abendbrot mit Blick auf die tolle Kirche, die auch sogleich zu bimmeln anfing. Die Kirchen hier in Frankreich bimmeln eigenartig. Um 18 geht’s voll ab, aber nur kurz eigentlich. Na und um die volle Stunde bimmeln sie erst mal ein paar Mal, machen Pause und dann noch eine paar Mal. Bislang habe ich nicht verstanden wie das gemeint sein soll. Nun denn andere Länder, andere Sitten. Es ist schön hier am Fenster, lauer Abend, die Laternen gehen an, das Baguette ist knusprig, der Käse gut, das Bier auch, zum Abschluss noch ein paar Brets (wir erinnern uns, die französischen Chips) und ortseigenes WLAN, toll. Ich schlafe anfangs bei geöffnetem Fenster, später wird es dann aber doch frisch. Ist halt doch schon Herbst. Bonne nuit! Morgen geht es in die wundervolle Stadt Le Puy, auf die ich mich total freue, denn sie hat schon einiges besonderes und ist DER französische Pilgerort, da hier einige Pilgerwege zusammen kommen, um dann gemeinsam in die Via Podiensis nach St-Jean-Pied-de-Port zu münden. 

16.9.20

St-Julien-Chapteuil nach 

Le Puy-en-Velay

23 km

Ich stehe auf, gehe nach nebenan in die große Küche und mache mir einen Kaffee. Frühstücken will ich dann doch erst später wieder. Es ist Zeit die Sachen zu packen, auf geht’s, ganz alleine, keiner weit und breit, nun denn mir soll es recht sein. Ich hänge etwas durch, bin etwas demotiviert, es ist noch kalt, die Sonne braucht eine Weile bis sie über die Felsen gekrochen ist. In der Ferne kann ich Ivette erkennen, die nun alleine ihrer Wege zieht. Ich hatte noch gedacht die beiden wären ein Paar, nun war dann wohl doch nicht so. Anfangs geht es an der Straße entlang, das nervt etwas, aber dann endlich zweigt der Weg rechts ab, ein Segen. Heute ist viel Asphalt angesagt, es geht leicht bergauf und bergab, durch kleine Weiler, die teilweise noch mit Nebel verhangen sind. Der ein oder andere große Felsen türmt sich vor mir auf, die Sonne kommt wunderbar ums Eck, braucht zum Wärmen aber noch ein bissel Power. Nach einigem Gelaufe entscheide ich mich dann für eine Pause auf einer Wiese vor St-Germain-Laprade, den eigenartigen Kirchturm des Ortes kann ich von hier oben schon erkennen.

Die Gegend hat sich verändert, ein paar Vulkane sind noch zu sehen, aber vorzugsweise handelt es sich um Landwirtschaft. Es geht an der vielbefahrenen D150 nach Le-Puy entlang, biegt dann aber doch kurzerhand nach St-Germain ab. Ich komme in den Ort und besuche erst mal die Kirche. Toll sieht sie von innen aus, aus Lavastein gebaut mit Bögen und tollen Fenstern, das erheitert das Pilgerherz. 

Auch gibt es gleich gegenüber an der Mairie einen „Robinet“ mit „Eau potable“, also einen Wasserhahn mit Trinkwasser, das ist großartig, also auffüllen ist angesagt. Zwei französische Pilger kommen ums Eck und grüßen, wir irren ein wenig im Ort herum und wissen nicht so recht wie es weitergehen soll, aber eine kleine Gruppe Einheimischer zeigt uns dann den Weg. Die beiden gehen vor, ich habe auch kein Interesse auf gemeinsames Pilgern und auf Französisch so gar nicht. Im Gegensatz zu gestern ist der Weg heute etwas fade, aber was soll’s, ein super Highlight wartet ja am Ende auf mich. Es geht von der Straße ab den Berg hoch zum Mont Joie, der Berg der Freude. So genannt, weil man von hier aus das Ziel das erste Mal sehen kann: Le-Puy-en-Velay. Weit unten im Tal, unverkennbar die Felsnadel mit der Kirche obendrauf und die Notre Dame du Puy. Toll! Der Ort Monte de Gozo in Spanien ist das Pendant dazu (oder umgekehrt), von da aus kann man das Ziel Santiago de Compostela das erste Mal sehen. Nun soweit bin ich aber noch nicht

Ich freue mich total und meine Stimmung steigt, obwohl ich eigentlich wenig Bock auf Stadt, Autos und Menschenmassen habe, aber das wird schon noch kommen.

Kurze Zeit und einen steinigen steilen Abstieg später komme ich an die Pont de Galard, die Brücke über die Loire. Nun das ist schon ein Erlebnis, finde ich, dieser große Fluss. Ich verbinde aber wenig mit der Loire, nicht so wie mit der Rhône. Die Loire ist der größte komplett in Frankreich verlaufende Fluss mit über 1000 km. Beeindruckend! Beeindruckend ist auch der Verkehr auf eben dieser Brücke, aber den lasse ich beiseite, ich bin einfach begeistert. Mit netten Blumenarrangements bestückt fließt sie seicht dahin.

Auf der anderen Seite geht es dann unten am Fluss entlang, das finde ich ja mal großartig. Eine Bank lädt zu einer Pause ein, Chips essend sitze ich da und beobachte die Leute am Fluss entlanglaufen. Ich bin heute doch irgendwie k.o. und möchte jetzt doch ankommen. Wenig später fällt der Blick auf die tolle Fußgängerbrücke, ganz ohne Autos. Schade, dass der Weg da nicht lang geht.

Nun denn ich halte mich weiter am Fluss entlang und habe somit leider meinen Weg verpasst und laufe nun einen ordentlichen Umweg, was mich echt nervt, aber was soll man machen? An sich ist er ja nicht schlecht, geht am Ufer des Flusses Borne entlang, schön im Grünen unter dem markanten Eisenbahn-Viadukt hindurch, am Sportplatz vorbei und da treffe ich doch glatt auf Ivette, die den gleichen Weg genommen hat, hmm! Nun wir gehen ein Stück gemeinsam, dann gehe ich aber wieder alleine voran.

Ich komme aus dem Grünen auf einen großen Parkplatz und habe plötzlich direkt vor der Nase die Felsnadel mit der Eglise St-Michel-D'Aiguilhe, toll. Da will ich morgen unbedingt hoch. Ist schon sehr imposant. Wie kann man nur auf die Idee kommen, da oben eine Kirche hinzubauen? 

Ich wurschtel mich durch die Altstadt, heute sollte ich in der Gîte des Capucins unterkommen, am Rande der Altstadt, aber komplett auf dem Jakobsweg. Eigentlich wäre ich gerne bei den Franziskanerinnen untergekommen, aber weder Mails noch Telefonanrufe wurden beantwortet, so dass ich der Annahme war, dass die wegen Corona geschlossen haben. Diese befinden sich nämlich gleich neben der Kathedrale, also mittendrin. Nun, ich sollte von Ivette erfahren, dass sie genau dort untergekommen ist. Was das nun soll, weiß ich auch nicht. Also es ist nicht immer leicht mit den Franzosen, das muss ich jetzt mal sagen. Sie zu erreichen ist mitunter nicht leicht. Wenn man auf den AB spricht ruft keiner zurück, auf Mails wird mitunter auch nur schwerlich geantwortet. Was soll ich mich ärgern, es ist wie es ist oder um es mal auf Französisch zu sagen: C'est comme ca! Ich komme erschöpft an der Gîte an, zu! Och nee! Ich gehe ums Haus, da ist noch ein Hotel mit angeschlossen, auch zu! "Wir sind ab 16.30 Uhr für sie da", steht auf einem Schild. Das ist nicht euer ernst! Da müsste ich jetzt noch zwei Stunden warten. Ich packe mich auf ein Sofa auf der Veranda und rufe da erst mal an, Anrufbeantworter! Toll! Was tun? Aber plötzlich geht die Hoteltür auf, ich solle doch reinkommen, super. Sie wundert sich, dass ich ein Bett über Booking.com in der Gîte für zwei Nächte gebucht hätte, denn die wäre wegen Corona geschlossen. Ich zeigte ihr meine Bestätigung. Tja, das ist für einen Monat später gebucht liebe Maika. Oh oh, das kann jetzt nicht wahr sein. Ja sie wollen im Oktober wieder auf machen und schauen wie es da mit Corona geht und so. Nun gut, da steh' ich nun und weiß nicht weiter. „Haben sie noch ein Hotelzimmer?“ „Ja eines wäre noch da, aber natürlich nicht zu dem Preis.“ Klar, ist mir jetzt auch egal, ich nehme es und bin im Endeffekt doch froh ein Einzelzimmer für zwei Tage zu haben, scheiß aufs Geld. Die Location, sage ich jetzt mal, ist speziell. Ich befinde mich an einer vielbefahrenen Straße, der Rue des Capucins, gleich neben mir die Bahngleise. Ich kann den Zug sozusagen unter den Rock gucken, toll wollte ich schon immer mal machen :-) Nun was soll's. Ich bin kaum da, es fahren kaum Züge und außerdem habe ich Ohrstöpsel. So what! Aber es gibt einen Wasserkocher, das ist ja großartig, dann kann ich mir ja Kaffee machen wann immer ich will. Toll, das erheitert das erschöpfte Pilgerherz enorm. Ich dusche schön und packe mich erst mal aufs Bett, bin echt im Eimer.

Ein kleines Nickerchen bringt mich wieder auf Trab und ich möchte noch mal zur Altstadt runter gehen, bin neugierig. Es ist einiges los. Le-Puy ist ganz auf den Pilger ausgerichtet, es gibt Pilgerläden mit Klamotten, Muscheln, Pilgerstäben, sogar die Apotheke hat sich mit einem beeindruckenden Blasenpflaster-Sortiment, welches sehr präsent direkt am Eingang hängt, voll auf den Pilger eingestellt. Viele Menschen laufen durch die Gegend. Am Place du Plot, den Hauptplatz, sitzen viele Menschen draußen in Restaurants und Cafés. Viele kleine Lädchen mit allerlei Tünnes sind anzutreffen, es duftet nach Gebratenen. Eine tolle Atmosphäre, kann ich nicht anders sagen. Als ich an der Jeune Pèlerine (die junge Pilgerin) stehe, eine Statue auf eben diesem Platz, habe ich das erste Mal das Gefühl so richtig ein Jakobspilger zu sein, ein Pilger, der nach Santiago möchte. Tolles Gefühl!

Hier endet nun nach langen 352 km die Via Gebennensis von Genf nach Le-Puy, hier fängt die 750 km lange Via Podiensis nach St-Jean-Pied-de-Port an. Hier kommen drei französische Wege zusammen, der aus Genève, aus Cluny und aus Lyon. Somit ist hier ordentlich was los. Der Wallfahrtsort Le-Puy ist nun tatsächlich mit seinen mehr als 20000 Einwohnern die erste größere Stadt nach Genf. Es liegt mitten in eben diesem Vulkangebiet von dem die zwei markanten schroffen Basaltspitzen aus erstarrter Lava herausragen und auf der einen eben die Kirche ist und auf der anderen die große Marienstatue. Le-Puy heißt so viel wie Berg oder Gipfel, davon gibt es einige in Frankreich, deshalb hat man das Gebiet einfach mit hintendran an den Namen gepackt: en-Velay, im Velay. Im Mittelalter war die Stadt neben Chartres einer der ältesten Marienwallfahrsorte Frankreichs. Ziel der Pilger ist die schwarze Madonna in der Kathedrale. Zum UNESCO Weltkulturerbe gehört die dreischiffige Kathedrale Notre-Dame-de-France, welche im 11. und 12. Jahrhundert erbaut wurde, auch arabische Einflüsse sind dort unverkennbar. Alles unheimlich spannend, finde ich.

In den engen Gassen von Le Puy gibt es viel zu entdecken

Ich gehe in die Rue Pèlerins und begebe mich auf die vielen, vielen Treppen hoch zur auf einem Berg thronenden Kathedrale. Die Treppe selbst endet mitten im Kirchenschiff. Das habe ich auch noch nie gesehen, wie geil ist das denn? Von oben kann man die Treppe runter schauen in die Stadt, einfach unbeschreiblich schön. Darinnen ist gerade ein kleiner Gottesdienst zugegen, sie sitzen vor der schwarzen, reich verzierten Madonna und singen gregorianische Gesänge. Rechts daneben befindet sich eine große Jakobusstatue mit vielen angezündeten Kerzen in allen Größen und Preisklassen davor. Nee, ich möchte einen ruhigeren Ort haben für das Gebet. Ich gehe nach nebenan in das Pilgerbüro und besorge mir noch einen Pilgerausweis, da ich nicht weiß, ob meiner ausreichen wird. Hier gibt es alles was das Pilgerherz begehrt, von Rosenkränzen, Jakobsmuscheln, Schmuck, Holzfiguren. Ich interessiere mich eher für Postkarten, denn hier werde ich dann die Zeit haben an meine Lieben zu Hause zu schreiben, da sollte es doch was geben.

Meine Stimmung ist prima, ich bin total happy hier zu sein, mache mich aber langsam auf den Weg zurück zum Hotel. Dort angekommen setze ich mich mit allem drum und dran auf die Sofas im Innenhof und esse mein Baguette-Abendbrot mit einem kühlen Bier, schreibe Tagebuch und erfreue mich an der Wärme des Abends. Leider kommt eine Mail, das mein Rückflug umgebucht wurde, einfach gestrichen. Tja, so läuft das heutzutage in Coronazeiten, aber das ist noch in so weiter Ferne, das schert mich jetzt nicht. Ich genieße einfach mal den Abend.