Figeac nach Saint-Jean-Pied-de-Port 1

Figeac

11.5.21

Lüneburg nach Brive-la-Gaillarde

Oh la la, die Zeiten sind zum reisen keine guten. Corona hält weiterhin die Welt in Atem, die Zahlen sind mal wieder gestiegen, mittlerweile befinden wir uns schon in der dritten Welle. Wer hätte das gedacht? Es kommt so oft anders als man denkt im Leben. So wusste ich also nicht, ob ich überhaupt nach Frankreich runter reisen kann, alles stand in den Sternen, denn es war den Nicht-Franzosen nicht gestattet ohne triftigen Grund ins Land zu reisen. Und ich glaube mein Grund ist für die Franzosen nicht wirklich triftig :-) Aber ich sollte Glück haben. Mein Dank geht an Monsieur Macron, der eine Woche vor meiner Abreise sein Okay gab, zwar mit PCR-Test, aber immerhin konnte ich fahren, momentan ist ja alles immer sehr spontan. Ich entschied mich dann für den Zug, da das mit dem Fliegen noch zu große Probleme mit sich führte, denn es wurden ständig die Flüge annulliert, das reichte mir dann letztendlich. Ich habe genug Zeit und somit kann ich es entspannter angehen lassen. Zum Glück war das Reisen in Frankreich entspannter, ohne ständige Tests und so weiter, so wie in Deutschland. Alles in allem waren es vier sehr Corona-entspannte Wochen. Nun aber zum Anfang. 

Nach aller Aufregung, ob es nun klappen würde oder nicht, ging es dann morgens bei Pieselregen, mit Regenschirm, frisch bepackten Rucksack und meiner Warmweste los, die ich dann nun doch mitnahm, da es echt kalt war. Der Mai hatte bisher nicht viel zu bieten, viel Regen, Kälte, überhaupt nicht frühlings-like.

Es ist früh am Morgen, der ICE ist pünktlich und ich sitze alleine am Fenster ins trübe Wetter rausschauend. Da könnte sich gleich die erste Sorge breit machen :-) Wird es in Frankreich auch so trübe sein? Werde ich im Regen losgehen müssen? Oh man, "Madame Soucis ist mal wieder hie!" Daran hat sich nichts geändert. Nun heute soll es mir egal sein.

Ich komme pünktlich in Frankfurt an, gerade als der Abspann von Bohemian Rhapsody lief, toll das mit den Filmen jetzt in der Bahn. Pünktlich geht es mit 320 km/h-Turbo-Geschwindigkeit mit dem TGV nach Paris. Wow, so schnell kann man gar nicht gucken, toll. Ich breite mich schön auf meinen beiden Sitzen aus. Leider will ein Typ neben mir sitzen, denn sein Ticket besagt, dass er hierher gehört. Genervt ziehe ich meine zuvor ausgezogenen Schuhe wieder an, da reißt der Schnürsenkel, na toll, das brauche ich jetzt echt. Zum Glück habe ich immer Ersatz dabei, nachdem mir das mal mitten auf dem Weg passiert ist, sowas ist blöd! Ich wurschtel hektisch rum und bin genervt. Das wiederum hat den Typen dazu animiert sich doch einen anderen Platz aufzusuchen, toll, geht doch. Super!

In Paris wird es hektisch für mich, denn ich muss zum nächsten Bahnhof, das bleibt hier nicht aus. 45 Minuten Zeit habe ich, muss aber noch ein Ticket holen, denn man mag es nicht glauben, aber die Pariser Metro ist bis heute nicht in der Lage Online-Tickets auszustellen. Da soll mal einer sagen wir wären hier in Deutschland hinterher. Im Turbotempo flitze ich an der Polizei vorbei, nö, jetzt haltet mich hier bitte nicht mit PCR-Test und so weiter auf, ich muss mich beeilen! Aber sie machen keine Anstalten und überhaupt wollte keiner meinen Test sehen, nun, 150 Euro in den Sand gesetzt, was soll's. Ich bin so rasant, dass ich am Gare Austerlitz tatsächlich noch Zeit habe mir ein Baguette zu kaufen, zum Glück, denn alle Bistros in den Zügen sind zu. Nicht mal einen Kaffee, nichts. Nun gut, da muss ich halt durch, Corona eben!

Ich komme spät abends in Brive an, wo ich übernachten wollte und morgen entspannt weiter nach Figeac fahren will. Wir haben hier in Frankreich noch ab 19 Uhr Sperrstunde. Werden die mich hier aufhalten? Mich fragen, was ich um diese Uhrzeit hier will? Nichts da, mit mir steigen mindestens noch 150 andere Leute aus. Mein Hotel ist gegenüber, ich bin im Eimer und habe Durst. Ein großer Schluck aus dem Wasserhahn hinterlässt ein verzogenes Gesicht bei mir, bäh, Chlor, nicht gut! Okay, was soll man machen? Es ist spät, nichts hat mehr auf, dann muss halt Chlorwasser herhalten. Irgh!

 

12.5.21

Brive-la-Gaillarde nach Figeac

Es gibt ein tolles Frühstück mit Kaffee, Nutella, Saft, alles was das Herz begehrt. Leider gibt es keinen Zug nach Figeac, die wurden einfach mal alle annulliert, shit! Man, Corona geht mir echt auf die Nerven. Was soll ich machen? Ich nehme also den Zug nach Cahors und fahre dann Bus, anders geht’s nicht, sonst müsste ich bis zum späten Nachmittag warten, da habe ich keine Lust drauf. Was für eine Anreise! Ich gehe noch in hiesige Kirche zum Gebet. Die Menschen laufen alle mit Maske rum, scheint hier in der Stadt Pflicht zu sein, so mache ich es ihnen nach. Wenig später gehe ich im Pieselregen mit meinem Regenschirm zum Bahnhof. Die Fahrt kostet mich zweieinhalb Stunden mehr Zeit, aber ich nehme es so an, isso, was soll ich auch anderes machen? Ich kann es kaum erwarten in Figeac, meinen Ankunftsort vom letzten Jahr, anzukommen. Ich hatte ja aufgrund des schlechten Wetters, dessen ich dann müde war, abgebrochen und bin nicht nach Cahors gelaufen, wie eigentlich gedacht. Nun stehe ich in der kleinen Stadt Cahors auf dem Bahnhof und warte auf den Bus, der richtig voll ist, nun denn. Wir fahren durch eine unglaublich schöne Landschaft, dem Lot-Tal. Steile Felsen ragen empor, die Berge in einem schönen quietschgrün, toll. Ich freue mich schon wahnsinnig auf‘s loslaufen. Ich hoffe das Frankreich vom Wetter her nicht so weitermacht wie es letztes Jahr geendet ist. Das wäre echt schade.

Als ich damals zum Bahnhof ging, sah ich dieses kleine Hotel am Ufer des Célé, da wollte ich unbedingt unterkommen, das werde ich jetzt auch, mit Flussblick. Zu aller Freude stieg ich bei Sonnenschein aus dem Bus. Ich kann’s gar nicht fassen jetzt hier zu sein in Figeac. Ich finde es immer wieder hammer-besonders an den Ort zu kommen, an dem ich im Vorjahr meine Pilgertour beendet habe. Nun kenne ich mich ja auch aus und bin innerhalb kurzer Zeit vorm Hôtel des Bains am Ufer des Flusses angekommen, toll. Das war mein Traum, als ich hier zu Hause hoffte, dass alles klappen würde. Wenn ich erst mal vor dem Hotel stehe, dann ist alles gut.

Nun stehe ich hier, süß sieht es aus. Die Hotelbesitzerin zeigt mir mein Zimmer, es ist im Dachgeschoss mit Blick auf den Fluss und die Altstadt von Figeac mit dem Kirchturm der St-Sauveur, die auch gleich ihre Glocken erklingen lässt. Hammer, toll, ich bin einfach nur happy. Ich mache mich wenig später auf in den Ort, gehe in die St. Sauveur zum Gebet und Anfangsstempel, durchschreite die engen Gassen hoch zur Notre Dame und genieße den schönen Ausblick über Figeac.

Hier ist keine Maskenpflicht, das ist schön. Scheinbar sind hier die Zahlen nicht so hoch wie in Brive, gut. Zeit was einzukaufen, Essen gibt es im Hotel nicht. Es gestaltet sich auch schwierig, die Gastronomie hat noch komplett geschlossen, somit heißt es für mich Stulle mit Brot, also Baguette, mein erstes Chocolatine, auf das ich mich besonders freue, La vache qui rit-Käse, französische Hartwurst und ein kühles Bier. Toll. Ich will mich auf das Fensterbrett setzen und da mein Abendbrot einnehmen. 

Es ist befremdlich hier in Figeac. Letztes Jahr waren viele Leute unterwegs, die Restaurants und Cafés voll, Bambule. Jetzt ist es still, wenig Leute, nichts los, unheimlich. Mir kommt der Gedanke, dass es vielleicht doch nicht so gut war jetzt schon nach Frankreich zu kommen. Auch die Sperrstunde von 19 Uhr ist speziell, danach ist hier Totentanz. Ich mache mich im einsetzenden Regen auf den Weg zum Hotel. Wenn es morgen früh regnet, ist es tatsächlich das erste Mal, dass ich im Regen losgehen muss, och nee, will nicht!

Egal, jetzt sitze ich hier erst mal auf dem Fensterbrett mit meinem leckeren Abendbrot, schaue auf die Stadt, in der langsam die gelben Laternen angehen, deren Licht sich im Fluss spiegeln. Die Kirche bimmelt laut, der Fluss rauscht unter mir durch, im Hintergrund läuft Klaviermusik von Einaudi, tolle Stimmung, ich bin einfach nur happy und dankbar. 

13.5.21 Himmelfahrt (Ascension)

Figeac nach Béduer

13 km

Das Frühstück wird mir direkt aufs Zimmer gebracht, das ist schön. Alles ist mit dabei und auch reichlich, auch schön. Nebenher läuft mein ERF-Radio vom Handy aus, biblische Texte am Morgen. Das beflügelt und gibt Kraft. Und besonders schön ist, der Regen hat aufgehört und so langsam kommt die Sonne raus. Ich lasse mir Zeit, gehe erst um 10 Uhr los, als die Sonne komplett hinter den Wolken hervorkommt und mir heute auch hold bleiben wird, toll. Ich bin schon ganz aufgeregt, packe meine Sachen, schultere meinen Rucksack, bete auf dem Bett sitzend. Jetzt geht es los auf meinen Pilgerweg hoffentlich nach Saint-Jean-Pied-de-Port, wer weiß das schon? Ich stehe vor dem Hotel in der Sonne und gehe meinen ersten Schritt in dieses neue Abenteuer, von dem ich nicht weiß was mich erwarten wird. Ich bin ganz aufgeregt. Es ist noch empfindlich kühl und ich bin froh, dass ich mich doch entschieden habe meine Warmweste mitzunehmen, denn frieren geht gar nicht. Ich gehe den Fluss entlang und verabschiede mich von der schönen Stadt am Célé. Es geht einen steilen Weg gleich bergauf. Der Rucksack ist schwer, oh man, habe ich doch zu viel eingepackt oder muss ich mich erst dran gewöhnen? Ich denke das viele Essen und auch die große Packung Kekse, die ich zu Haus noch kaufte, tragen zum hohen Gewicht bei. Puh, da muss ich noch was ändern, bzw. einiges aufessen :-)

Die Sonne wärmt mittlerweile schön und ich laufe mit schönen Ausblicken auf dem Berg entlang, als ein Typ aufholt, der sich als Victor aus Paris vorstellt. Er ist jedoch Belgier und wir können uns auf Englisch austauschen, das ist schön. Wir gehen zusammen Richtung Faycelles und quatschen. Eigentlich wollte ich gerne alleine sein, aber so ist es jetzt auch okay für mich. Er pilgert das erste Mal und will auch nur nach Cahors

Schmale Wege an Steinmäuerchen entlang und immer gut ausgeschildert, das ist Frankreich :-)

In Faycelles, einem netten kleinen Dorf, angekommen, gibt er mir einen schönen Café allongé aus, also die etwas größere Variante eines Espressos :-) Den müssen wir draußen zu uns nehmen, da ja die Gastronomie eigentlich auch nicht auf haben darf. Wir reden noch ein wenig und verabschieden uns dann. Er hat noch einen langen Weg vor sich, ich habe es für den Anfang ja kürzer gewählt. Auch werde ich ja nicht den Hauptweg gehen, ich hatte mich für die Variante durch das Célé-Tal entschieden, die mir empfohlen wurde. 

Ich gehe noch in hiesige Kirche, die wunderbarer Weise geöffnet hat und bete, bin einfach nur dankbar. Kurz nachdem es aus dem Ort rausgeht, setze ich mich auf eine Bank mit Aussicht ins schöne Lot-Tal und mache Mittagspause.

Neben mir steht ein Feigenbaum, jetzt mit kleinen grünen Feigen dran. Nun, im Frühling gibt’s nichts von den Bäumen zu pflücken, das war natürlich im Herbst anders, das war lecker. Dafür gibt es aber umso mehr Blumen und alles ist quietschgrün, das sieht schon auch toll aus, das erste Mal für mich in Frankreich im Frühling.

Über schmale Wege mit viel weiß blühenden Kälberkopf geht es den Berg runter mit Rückblick auf Faycelles in der Ferne. Was für ein schönes Land, ich bin mal wieder hin und weg. Es duftet nach Blumen, es summt in allen Tonlagen, während ich einsam und bewusst einen Schritt nach dem anderen meines Weges gehe. Ich bin hier, ich bin ganz bei mir, all der Alltagsfrust, der Stress fällt von mir ab. Ich bleibe einfach stehen, schließe die Augen und lausche den Geräuschen um mich herum, atme die Düfte ein, bin einfach da.

Die Füße machen gut mit, es gibt keine Probleme mit meinem doofen Zeh, das ist toll. Auf einem Feldweg mache ich nochmal auf meinem Sarong sitzend Pause, dann geht es nach Béduer, hier habe ich ein Chambre d’Hôtes gebucht, nicht ganz günstig, aber egal. Überhaupt habe ich in diesem Jahr auch ein paar Hotels dabei, einige Einzelzimmer. Aufgrund meiner Erfahrung vom letzten Jahr alleine unter vielen sein zu müssen, da vorzugsweise Franzosen hier unterwegs sind und zu Coronazeiten allemal, habe ich mich für diese Tour entschieden auch Einzelzimmer zu buchen, wo ich mich dann zurückziehen kann. Ich sollte tatsächlich auf meiner Tour nur Franzosen treffen und zwei Deutsche. Aber ich wollte nicht so unglücklich werden wie letztes Jahr und somit habe ich diesmal eine andere Variante gewählt. Im Zug hatte ich mir schon wieder alle Vokabeln durchgelesen, gelernt, damit ich wieder ins französisch reinkomme, was auch tatsächlich ganz gut klappt. Ich bin offen, rede einfach drauf los und freue mich, wenn ich mich verständigen kann und mein Gegenüber freut sich auch, schön, so viel Freude :-)

Kurz vor Béduer gibt es den Abzweig zum Célé-Tal, mein Weg heißt ab hier nicht GR65, sondern GR651 bis Cahors. In Cahors treffe ich dann wieder auf den eigentlichen Jakobsweg. 

So komme ich in meiner Unterkunft an, die ich auch tatsächlich komplett alleine bewohne, essen werde ich wieder mein Baguette mit allem drum und dran und ein Bier bekomme ich von der Pensionsbetreiberin. Es ist ein sehr eigenartiges Bier (Bière de haute fermentation, aha!), mal sehen, was das werden wird, irgendwie obergärig oder was, was anderes hatte sie nicht. Hier ist halt Weinland, aber darauf hab ich jetzt keine Lust. So nach dem Wandern finde ich ein Bier eigentlich besser. Ich schaue mir noch den Ort an, sitze lange auf einer Bank mit Aussicht nun ins schöne Célé-Tal

Ich gehe wieder zu meiner Unterkunft zurück und sitze auf einer tollen Sitzecke noch lange draußen, das Abendbrot ist nun wieder das gleiche wie gestern, das Bier ist ordentlich gehaltvoll und ich bin nach einer Weile echt ziemlich beschwipst, komisches Bier. Es fängt an zu pieseln und kühl zu werden, so gehe ich rein, mache die Heizung, die auch toll funktioniert, an, sitze auf dem Sofa und unterhalte mich angeregt via What’s app mit einem Freund, bevor ich müde und ziemlich dröge ins Bett falle :-)

14.5.21

Béduer nach Brengues

18 km

Ich mache die Augen auf, es regnet in Strömen, na toll. So habe ich mir das sicher nicht vorgestellt. Meine Wetter-App besagt jedoch, dass das gegen 10 Uhr aufhören soll, was dann auch tatsächlich der Fall war. Somit hatte ich viel Zeit für mein Frühstück. Zum Glück gibt’s einen Toaster, dann ist das Baguette von gestern genießbarer. Nebenher läuft mein ERF-Radio mit einem interessanten Beitrag zum Thema: Annehmen. Überhaupt sollte nur wenig später ein Motto für diesen Pilgerweg für mich entstehen: "Annehmen, aushalten, Gottvertrauen". Heißt, die Dinge so anzunehmen wie sie sind, wenn man eben nichts daran ändern kann, wie zum Beispiel das Wetter, und sich nicht darüber aufzuregen oder sich zu grämen. Auch das Aushalten ist ein wichtiger Punkt, es gibt vieles im Leben auszuhalten, wer das gut kann, der ist gesegnet. Zum Schluss das Gottvertrauen, bedeutet für mich, das Vertrauen zu haben, dass am Ende alles gut wird. Und wenn ich gerade aushalten muss, die Situation echt scheiße ist, weiß ich, es wird auch wieder gut, das hilft beim Aushalten. Schön!

Die Sonne kommt tatsächlich dann raus und bleibt mir an diesem Tag auch hold, das freut das Pilgerherz, was sich gerade im Annehmen übt :-) Ich schultere also meinen Rucksack, verabschiede mich und mache mich auf den Weg runter ins Célé-Tal und komme somit in den Naturpark Causses de Quercy, ein Gebiet mit Kalksteinplateaus, durchzogen von den tiefen Schluchten der großen Flüsse Dourdogne, LotCélé und noch einiger kleineren. Die Wege selbst sind mitunter sehr steinig, aber auch teilweise lehmig, schmal, steil, abenteuerlich.

Der Weg ist aufgeweicht und glitschig vom Regen gestern, auch ist er steil. Ich bekomme gerade Zweifel, ob das so gut war den Célé-Weg zu gehen, als ich dann aber auch schon rutschend und mit Plateausohlen unten ankomme. Oh man. Es hat hier viel Lehmboden, das heißt, wenn er nass ist, klebt er an den Schuhen und man hat das Gefühl Klumpfüße zu haben. Wenn er trocknet, dann ist der Boden bretthart. Nun, annehmen! Ich komme unten am Fluss, der ja kurz zuvor durch Figeac geflossen ist, an. Es ist ein reißender Fluss, Bäume säumen das Ufer, Blumen wachsen am Wegesrand, das Grün auf den Feldern leuchtet, schön ist es hier. 

Der Célé fließt dann später in den Lot, welcher dann später in die Garonne fließt, die wiederum hinter Bordeaux in den Atlantik mündet. Ich befinde mich übrigens immer noch im Département Lot, werde hier auch noch eine Weile bleiben, gehe aber tatsächlich durch sechs Départements und später auch in eine neue Region. Anfangs durch Auvergne Rhône-Alpes, dann jetzt in Occitanie und später komme ich dann nach Nouvelle-Aquitaine, nach Aquitanien. Nun laufe ich aber einen schönen ebenen Feldweg den Fluss runter durch landwirtschaftliches Gebiet. Der Lehm fällt so langsam wieder von den Schuhen ab, die aber leider ziemlich eingesaut sind, nun: annehmen, gell? :-)

Ich bin mit dem Miam Miam Dodo, den französischen Reiseführer unterwegs, der meines Erachtens für diesen Weg und natürlich für die eigentliche Via Podiensis der beste ist. Ich habe noch nie so eine einfache Planung gehabt wie dieses Mal, obwohl ich mir schon Sorgen machte, dass vielleicht die Unterkünfte wegen Corona geschlossen sein könnten. Bei einigen staatlichen Gîtes ist das auch so, aber die meisten haben auf und es ist ganz unproblematisch. Ich habe einiges vorgebucht, aber auch nicht alles, dafür ist die Tour zu lang, werde aber zeitnah den Rest vorbuchen, denn mitunter werden die Gîtes auch mit weniger Leuten belegt, somit könnte es Platzprobleme geben. 

Ich gehe meinen Weg weiter und komme an eine hohe Felsenwand, aha, nun geht es los mit den Felsen, die ich ja auf meiner Busfahrt schon bewundert konnte. Die kleine Straße schlängelt sich an eben diesen Felsen entlang Richtung Corn, einem kleinen süßen Ort am Célé gelegen. Hier mache ich auf einem kleinen Mäuerchen an einem Wasserfall Pause. Ein französisches Ehepaar kommt ums Eck, ich gehe auf sie zu, wir quatschen ein bissel, englisch können sie leider nicht.  Eisern esse ich meine Kekse, die mir so schwer auf den Schultern lasten, im Bauch sind sie einfacher zu tragen :-)

Es ist kühl geworden, ich gehe weiter, aus dem Ort raus, über die kleine Brücke und wenig später durch einen groovy Mooswald. Das habe ich schon bei meiner ersten Tour durch Frankreich an der Rhône gesehen, das sieht schon klasse und irgendwie unheimlich aus, da könnte man tolle Hobbit-Filme drehen, finde ich. Ich bin begeistert und wandle so herum, bestaune die Natur. 

Wenig später kommt die Sonne raus und ich packe mich neben einer Hütte windgeschützt auf die Wiese und genieße sie in vollen Zügen. Durch bergiges Land und dann später oberhalb vom Célé entlang geht’s weiter Richtung Espagnac, welches eingebettet am Célé und vor einer großen Felswand liegt, ein toller so richtig französisch aussehender Ort mit einem Kloster mittendrin und…

…einem Wasserhahn auf dem Friedhof nebenan. Ich brauche dringend Wasser, es kommt kühl und frisch aus dem Wasserhahn und schmeckt toll, ganz ohne Chlor. Allgemein gibt es auf den Friedhöfen ja immer Trinkwasser, das ist gut, das sollte ich oft nutzen für mich. Das Wasser in Frankreich ist generell sehr gut und ebenfalls extrem gut getestet, aber es gibt eben auch Regionen, wo es dann nach Chlor schmeckt, das ist dann nicht so der Hit. Aber ich habe festgestellt, wenn man das Chlorwasser eine Weile offen stehen lässt, dann verschwindet der Chlorgeschmack weitestgehend. Nun, aber ganz ohne finde ich schon besser. Ich gehe runter zum Fluss, lege mich in den Kies und lasse meine Füße durchlüften. Ich befürchte schlimmstes, ich denke ich muss diesen Felsen da hochgehen. Nun eine rote Linie im Reiseführer besagt, dass das genau so ist und das es heavy wird, nun denn.

Aber frisch ausgeruht mache ich mich nun auf den Weg und gehe einen steilen steinigen Weg schnaufend nach oben. Oh oh, ich fange wieder an zu zählen: und 1 und 2 und 3, Pause bei 80, tief durchatmen und weiter. Aber je höher ich komme, desto toller wird die Aussicht, ich bin beeindruckt. Oben angekommen stehe ich am Abhang mit dem Blick in dieses wundervolle Tal und auf Espagnac hinunter. 

Ein schmaler Weg führt am Abhang entlang, es ist einfach nur Hammer, ich kann gar nicht genug von dieser tollen Landschaft bekommen. Später geht’s an der steilen Felswand entlang, abenteuerlich weiter Richtung Brengues.

Einfach mal die Bilder für sich sprechen lassen:

Nach einer Pause am Abhang mit tollem Blick ins Tal und mit Brot und Käse geht‘s runter in eben dieses Tal und in den Ort hinein. Ich komme in der Gîte an, frage eine kleine Gruppe, wo ich den Besitzer finde und warte. Er kommt ums Eck und zeigt mir das Zimmer, dass ich mit drei anderen teilen soll. Damit habe ich überhaupt nicht gerechnet, ich dachte ich wäre heute alleine. Oh, da muss ich mich erst mal finden, sitze auf dem Bett und übe mich im Annehmen, fange dann aber an meine Sachen zu sortieren und gehe duschen, es ist wie es ist, was soll’s. Das Pärchen aus Corn kommt auch hier unter und noch ein junger Mann, alle reden nur französisch, ich gebe mein bestes. Hier sind doch einige Leute zugegen, nach der Einsamkeit der letzten beiden Tage für mich erst mal gewöhnungsbedürftig. Ich gehe noch runter zum reißenden Fluss an die Brücke und verweile dort ein wenig.

Später sitze ich mit einem Bier und Kekse essend auf dem Steinmäuerchen und lass mich von der Sonne bescheinen und genieße. Die eine Pilgerin kann auch englisch, das ist schön, so reden wir etwas. Wenig später erfahre ich, dass die Dreiertruppe Freunde sind, die sich immer einmal im Jahr zum Wandern auf dem Jakobsweg treffen, sie heißen Valérie, Patrick und Graham, wobei Graham eigentlich Engländer ist, aber seit ca. 7 Jahren in Frankreich wohnt und auch mit einer Französin verheiratet ist. Er spricht englisch und sitzt beim Essen neben mir, das ist toll. Wir sitzen alle gemeinsam drinnen, dicht an dicht am Tisch, ungewöhnlich in Coronazeiten, aber ich sollte im Verlauf feststellen, dass das mit Corona sehr unterschiedlich gehandhabt wird. In den Hotels sind sie strenger mit Maske und so, in den Gîtes entweder so, als ob es kein Corona gibt, so wie hier, oder aber so halb mit Abstand. Jedenfalls sitzen alle laut französisch schwatzend am Tisch, oh man, ich erinnere mich an letztes Jahr und hoffe dass es keine Wiederholung dessen gibt, dass ich mich alleine unter vielen fühle. Ich bin froh über Graham, der wiederum froh ist, dass er mit mir englisch reden kann, denn er meint, dass er den Franzosen auch nicht mehr so richtig folgen kann, wenn die voll loslegen. Aber ich muss mich auch ans Englisch reden erst gewöhnen, fällt mir noch nicht ganz leicht. Das Essen ist lecker und reichlich, natürlich wieder mit mehreren Gängen mit allem drum und dran, dazu gibt es Wasser und Rotwein. Ich platze fast, das sollte mir nun wieder häufiger begegnen. Wie Gott in Frankreich, kann ich nicht anders sagen, verhungern wird man hier wahrlich nicht, im Gegenteil :-)

Ich höre später in meinem Bett liegend noch ein Hörbuch: "Zum Glück gibt es Umwege". Schönes Hörbuch. Es geht um den Jakobsweg von Cluny nach Santiago, also auch über die Via Podiensis. Mit Ohrstöpseln schlafe ich dann ein, es wird doch ordentlich geschnarcht. Mit Männern im Zimmer ist das mitunter echt eine Herausforderung. 

15.5.21

Brengues nach Sauliac-sur-Célé

21 km

Ein langer und bergiger Weg steht mir bevor, aber es gibt nur wenige Unterkünfte hier, keine Geldautomaten, kaum Geschäfte, aber dafür viel schöne Landschaft, wenn…

…ja wenn es nicht so schütten würde. Shit, es regnet in Strömen und sollte so bald auch nicht wieder aufhören. Ich bin echt frustriert, ist das doch einer der schönsten Abschnitte hier. Aber nun: Annehmen und auch krasses Aushalten ist nun angesagt. Der Tag wird zu einer Herausforderung, aber wir dürfen ja das Gottvertrauen über der ganzen Sache nicht vergessen, und somit wurde auch dieser Tag am Ende gut. Schön!

Wir sitzen alle gemeinsam am Tisch und frühstücken. Es gibt klassisches französisches Frühstück mit extrem süßen Marmeladen, etwas angehärteten Baguette von gestern, eine Schüssel Kaffee, für mich das Beste von allem. Danach heißt es das Ganzkörperkondom anziehen. Meine Mitwanderer sind alle ohne Regenhose am Start, was ich überhaupt nicht verstehen kann, ich bemitleide sie jetzt schon. Dafür haben sie tolle Regencapes. Ich habe ja nun neue Schuhe, die für meinen doofen Zeh zwar sehr verträglich sind, aber leider nicht wasserdicht. Somit habe ich mir für dieses Jahr Überschuhe mitgenommen, die eigentlich fürs Fahrradfahren gedacht sind, die ich aber nun fürs Wandern im Regen anziehe. Mal sehen wie das wird. Die permanent nassen Füße vom letzten Jahr möchte ich nicht wieder haben. Wir machen uns auf den Weg, ich gehe noch beim Bäcker vorbei und stapfe wenig später einen schmalen lehmigen Weg steil bergauf, hinter der Dreiertruppe hinterher. Wir gehen an moosbewachsenen Steinmäuerchen vorbei, teilweise von Bäumen und Sträuchern überdachte schöne Wege, was das ganze etwas erträglicher macht.

Kurz vor St.-Sulpice brauche ich echt eine Pause. Gleich neben der kleinen Straße gibt es eine überdachte Höhle in der steilen Felswand, das ist super. Graham, Valérie und Patrick sitzen mit total durchnässten Hosen auch schon dort und essen was, ich geselle mich dazu und schiebe mir einen Keks nach dem anderen rein, die müssen endlich mal weg, wiegen zu viel, was bei den steilen Wegen nicht gut ist. Auch das Desinfektionsmittel musste schon das zeitliche segnen, zu schwer alles. So nach und nach wird der Rucksack leichter, das ist gut. Auch habe ich ja wieder meinen Duschbrocken mit, den ich für alles zu waschende verwenden kann, Körper, Haare, Wäsche. Leicht und ergiebig.

An abenteuerlich in den Fels gebaute Häuschen geht es im Regen weiter, sieht schon toll aus hier. Meine Füße machen gut mit, sind schön warm und trocken, das macht mich echt happy, so haben sich die Überschuhe schon mal ausgezahlt. Okay, die werden nicht ewig halten, wenn ich hier so über den steinigen Boden gehe, aber jetzt sind sie erst mal toll. Weiter geht’s, mal wieder steil bergauf. Ich gebe zu, ich habe die Steilheit hier echt unterschätzt, für den Anfang ist das schon ganz schön heavy. 

Doof auch, dass man halt keine Pausen irgendwo machen kann, weil alles nass ist und es weiter strömt. Ich bin echt k.o., da taucht eine dieser Cazelles auf. Das sind kleine aus Stein gebaute Hütten, ehemals oder auch immer noch, für die Schäfer als Schutz bei Schrottwetter. Ich betrete die kleine Hütte, hier will ich Pause machen, das ist ja total ideal. Zwar tropft es ein bisschen rein, aber hält sich alles in Grenzen, Diese Cazelles sollten mir noch häufiger als Unterschlupf dienen, tolle Sache. Sogar ein kleines Steinbänkchen ist mit dabei. 

Gut gestärkt mache ich mich wieder auf den Weg über den Steilhang von Marcilhac-sur-Célé. Hier will das Pärchen aus meinem Zimmer unterkommen. Man kann steil in den Ort hinabsteigen und steil auch wieder hinauf. Man kann es auch sein lassen :-) Nee, nix für mich, ich bleibe hier oben und setze meinen Weg fort. Die 21 km sind echt nicht ohne, da brauche ich nicht noch zusätzlich Steilheit. Die Dreiertruppe ist übrigens nur mit Tagesrucksäcken unterwegs. Das machen tatsächlich hier viele. Da gibt es dann einen Gepäcktransport, der kostet pro Rucksack oder Koffer 8 Euro und dann wandern sie mit Leichtgepäck. Das ist natürlich was anderes als mit dem kompletten Equipment unterwegs zu sein. Nun macht jeder wie er will, aber ich gebe zu, ein leichter Rucksack wäre bei den Bergen nicht schlecht. Der Blick runter ins Tal ist einfach atemberaubend, auch bei diesem Wetter, das muss ich mal sagen. Oben an der Felswand geht es weiter, um wenig später steil zu einer kleinen Quelle hinab zu führen. Wir haben später gelacht über die Farben im Miam Miam Dodo, die die Steilheiten anzeigen sollen. Der grüne Weg ist relativ eben und leicht, der gelbe etwas steiler und der rote krass. So manch ein gelber Weg entpuppte sich aber als extrem dunkelgelb und fies. Ich weiß auch nicht wonach die hier gegangen sind. Naja, macht alles kernig, muss man nur sportlich und positiv sehen :-) Der Wanderweg ist als dieser oft nicht zu bezeichnen, der Boden extrem steinig und anstrengend, mit schwerem Rucksack doppelt, ich bin echt erschöpft und kämpfe mich weiter vorwärts und träume derweil von einer heißen Dusche, einen tollen Einzelzimmer mit tollem großem Bett und lecker Essen, das hält mich aufrecht. Gottvertrauen eben :-) 

Der Regen wird langsam weniger, wie schön. Sauliac sur Célé kommt in Sicht, ein Abstieg ist wieder vonnöten, gelb im Miam-Reiseführer angezeigt, naja, geht so! Ein Wegweiser zeigt mir schon den Abzweig zu meinem Chambre d’Hôtes an, die anderen wollen alle in einer Gîte unterkommen. Endlich stehe ich vor der Türe des Hauses, als der Herr des Hauses mir entgegenkommt. Ich sage ihm meinen Namen und dass ich vorgebucht hätte. Er guckt mich fragend an, ob ich denn eine Anzahlung gemacht hätte, ob ich die Antwortmail noch habe, denn er hat keine Buchung von mir und ist auch voll. Ich stand triefend und erschöpft vor ihm und traute meinen Ohren nicht. Ich könnte zehn Kilometer weiter laufen, da gibt es Unterkünfte. Mir kamen die Tränen, nein ich kann nicht mehr, geht nicht mehr, am Ende, das kann doch nicht wahr sein. Wie kann das denn sein? Hektisch suche ich in meinem Handy nach der Mail, die ich natürlich nicht finden konnte, wie auch, habe ja alles über meinen PC gemacht. Ich versuchte hiesige Gîte zu erreichen, aber keiner ging ran, er wusste auch nicht, ob die überhaupt auf hat. Er bot mir an, wenn sie nicht auf hat, dass er mich die 10 km fahren würde in den nächsten Ort. Das fand ich sehr nett. Völlig fertig und ohne Gottvertrauen, sondern wütend auf Gott stapfte ich durch den Ort und sucht diese Gîte. Endlich fand ich sie, Nathalie, die Betreiberin, kam mir entgegen. „Bitte, haben Sie ein Bett für mich?“ Oh ja, hat sie, alles gut. Mir fielen 1000 Steine vom Herzen, ich war mittlerweile echt am Ende. Es ging eine Holztreppe zu einem Vorraum, wo schon viele Rucksäcke und Schuhe rumstanden, nasse Regenklamotten hingen triefend an Haken. Es war zugig und kalt, ich dachte ich bekomme gleich einen Schreianfall. Aber gut, ich muss jetzt irgendwie damit klar kommen. Oben gab es ein offenes Wohnzimmer mit Sofas und schönen offenen Blick in die verregneten Berge. Eigentlich schön, aber bei diesem Wetter speziell, ich sehnte mich nach einer hoffentlich heißen und guten Dusche. 

Aber ich traf auf Valérie, Graham und Patrick, darüber freute ich mich sehr. Ich hatte ein Zimmer mit einem Pärchen aus der französischen Schweiz, aus Neuchâtel. Leider konnten sie nur französisch, schade. Sie nahmen das große Bett, ich nahm ein Etagenbett und richtete mich unten ein. Es gab eine Chauffage (Heizung), ich betete, dass sie gehen möge. Und? Il marche! Sie geht! Toll! Da bin ich dann immer schnell, ich schaue mir die Situation an, überlege, wie ich das Beste daraus machen kann, auch wenn es mitunter nicht gut aussieht und setze das beste um, heißt hier: Ich holte meine Klamotten aus dem zugigen Holzverschlag und trocknete alles im Zimmer. Die Schuhe packte ich vor die Heizung, denn mittlerweile sind die doch etwas feucht geworden, sind ja auch keine Gummistiefel. Ich drehte das Teil voll auf und begab mich sogleich auch in die Dusche, die Hammer war, heiß und viel! So langsam beruhigte sich mein Gemüt, die Bude wurde warm, ich auch und es gab ein Bier, was mir Nathalie in die Hand drückte. Ich packte mich mit einer flauschigen Decke auf das Sofa, trank mein Bier und genoss das ungewöhnliche Wohnzimmer mit der wundervollen Aussicht in die feuchten Berge. Im Hintergrund hörte ich den Kuckuck rufen. Valérie saß mir gegenüber und wir schnackten etwas. Schön, mir geht es wieder gut, alles gut. Am Ende wird doch alles gut. 

Unten gab es eng aneinander gesessen ein gutes und reichhaltiges 3-Gänge-Menü. Es wurde viel und laut geredet, ich war k.o. und konnte dem Ganzen anfangs zwar noch folgen, aber später ging nichts mehr und so schlug ich den Kräutertee, der hier Infusion oder Tisane heißt, aus und ging nach oben in unsere Sauna. Toll, unsere Sachen wurden alle trocken und wir boten der Dreiertruppe, die in einem anderen Zimmer untergekommen waren, noch an ihre Schuhe und alles zu uns reinzustellen, denn sie hatten keine Heizung. Oh oh, das will ich mir gar nicht vorstellen. Somit hatten wir alle am nächsten Morgen trockene Klamotten, das ist doch was. Hätten wir uns aber auch sparen können. Nun denn, annehmen!

 

16.5.21

Sauliac-sur-Célé nach Conduché

19 km

Ein Blick aus dem Fenster verrät uns: Es regnet immer noch. Oh man. Okay, das wird dann wieder ein feuchter und herausfordernder Tag werden. Aber die Klamotten sind alle trocken und fühlen sich auch gut an. In voller Regenmontur geht es leicht aufwärts zur Altstadt von SauliacVieux Sauliac. Die Häuser sind dicht an die steile Felswand gepresst, teilweise in den Felsen eingelassen, ein herausragender, wenn auch grauer Blick ins wunderschöne, dicht bewaldete Célé-Tal. Toll. 

Über viele kleine Quercy-Kalksteine stolpere ich teilweise über Steinmäuerchen-umrandete schmale Wege. Überall klebt das Moos an den Steinen. Flechten wachsen an den Büschen und Rinden der Bäume und die gute Ausschilderung des GR 65 mit dem roten und weißen Streifen sind nicht zu übersehen. Die Beschilderung ist schon der Hammer hier in Frankreich, man muss so gut wie nie in die Wanderapp schauen, das ist schon toll. Es gibt nicht wirklich viele Einkaufsmöglichkeiten auf dem Wege durchs Célé-Tal, somit lege ich einen Zahn zu, um zeitig beim Bäcker in Cabrerets einzutreffen, denn ich brauche unbedingt Brot. Ohne Brot bin ich in Not, ja ja! Reimt sich sogar :-)

Nach einer geraumen Weile auf der Anhöhe wandernd geht’s nun wieder runter an den Fluss, eine halbe Stunde habe ich noch, dann ist es 12 Uhr und der Bäcker macht zu, dachte ich. Naja, hätte ich mir sparen können, denn er macht erst um 13 Uhr zu, aber das weiß man ja hier in Frankreich nie so genau. Die Öffnungszeiten sind doch sehr variabel. Im strömenden Regen flitze ich am Flussufer entlang. Cabrerets ist wunderschön, aber nicht im strömenden Regen. Ich lasse es links liegen und kehre unter das Vordach der Boulangerie ein und treffe auf viele alte Bekannte. Die Dreiertruppe steht da schon und wartet, dass Valérie was besorgt, auch das Pärchen aus meinem Zimmer ist zugegen. Eine Schlange steht vor der Türe, es dauert ewig, das nervt. Nun, ist eben der einzige Laden und es ist Mittagszeit. Hier gibt es auch Pizza und solche Sachen, ist ja schön, dauert aber wie gesagt lange. Endlich ergattere ich mein Baguette und mache mich auf, den Berg hoch Richtung Kirche, ich muss mich hinsetzen. 

Hier kann man nur an Tischen stehen, und so langsam wird mir kalt. Mit dem ganzen Feucht ist das auch nicht erheiternd, so erhoffe ich mir einen geschützten Platz in obiger Kirche. Schnaufend komme ich oben an, die Kirche ist offen. Das ist gar nicht so selbstverständlich momentan, einige Kirchen sind wirklich einfach zu, das ist bei so einem Wetter nicht so der Hit. Ich setze mich rein, sie ist extrem dunkel, aber nach einer Weile gewöhnen sich meine Augen an die Dunkelheit. Nasse Klamotten ausziehen, Klamottenwechsel, Warmweste, dann kann’s losgehen mit Essen: frisches Baguette mit Hartsalami, lecker!

Es regnet nur noch leicht, selbst das erfreut schon enorm. Einen steilen Aufstieg, der mich ordentlich zum Schnaufen bringt, geht‘s hoch zur Tropfsteinhöhle Peche Merle. Hier soll es tolle Höhlenmalereien geben, ist aber wegen Corona geschlossen. Nun, ich wäre eh weitergegangen, bin nicht so der Höhlenmensch. Aber es gibt Wasser bei der Toilette, die leider auch zu ist, also ist pieschern im nassen Gras angesagt. Egal, nass ist eh schon alles. Der Weg zur Höhle ist nur mit Gelb im Miam Miam Dodo gekennzeichnet, ich lache mich tot, verstehe nicht wirklich deren Bezeichnungen, der ist mindestens hellrot, wenn nicht sogar dunkelrot :-)

Die Beiden aus Neuchâtel sind nun auch wieder zugegen und wir gehen ein Stück gemeinsam, die Kommunikation ist aber etwas erschwert, da ich des französischen nicht so super mächtig bin und sie sehr schnell und undeutlich reden. Wir stolpern über die vielen verschieden großen Steine, man bin ich froh, dass ich meine Wanderstöcke dabei habe. 

Ich mache mir etwas sorgen, ob das mit der Gîte in Conduché auch alles klappt, ich habe sie telefonisch nicht erreichen können und es hat auch keiner zurückgerufen.  Nathalie, die Gîtebesitzerin gestern, meinte, dass die bestimmt gar nicht aufhaben, ich bin verunsichert. Nach dem gestrigen Erlebnis, will ich nicht wieder sowas erleben. Ich werde als einzige dort bleiben, alle anderen wollen nach St-Cirq-Lapopie, das ist etwas abseits vom Weg und soll halt ein total tolles Dorf sein. Ich wollte gerne hier bleiben, wo der Célé sich dann mit dem Lot vereinigt, sowas finde ich spannend. Nun denn. Wir kommen den steilen Berg (gelb, ha ha!) runter und stehen an der Straße, tauschen noch Telefonnummern aus, falls es doch nichts hier wird und ich auch weitergehen muss. Ein komisches Gefühl macht sich breit, als ich alleine durch den verlassenen Ort gehe. Ich komme am ehemaligen Bahnhof von Conduché an, dessen Bahnhofsgebäude nun meine Gîte ist. Die Tür steht offen und ich werde von einem netten jungen Herrn auf Englisch begrüßt. Er meint er hätte mich nicht erreichen können, hatte es versucht. Nun denn, nun bin ich ja da, das ist doch mal was, ich bin sehr erleichtert. Vor ein paar Jahren haben zwei Brüder das hier aufgebaut, inklusive tollem Restaurant, was natürlich momentan wegen Corona geschlossen hat. Ich habe ein Zweibettzimmer, in dem leider die Heizung nicht geht. Geht gar nicht, denn es ist doch recht kühl. Somit kann ich in ein Vierbettzimmer umziehen, welches ich alleine bewohnen werde und welches eine tolle hotte Chauffage hat, klasse. Noch bin ich alleine, aber es soll noch eine französische Gruppe mit fünf Leuten kommen. Die Dusche ist etwas gewöhnungsbedürftig, aber ich arrangiere mich mit allem und mache mir in der Küche erst mal einen Kaffee und esse was. Etwas später soll es mit dem Regen aufhören, da möchte ich dann noch mal losgehen zur sogenannten Confluence du Célé et du Lot, wo die beiden Flüssen ineinander fließen. Und was soll ich sagen? Es wurde noch richtig klasse, denn die stillgelegte Bahnlinie überquert den Célé durch eine tolle Stahlbrücke und verschwindet im Felsen, uh uh, das ist dunkel und ein bissel unheimlich, aber ich kann es nicht lassen und gehe rüber und in den Tunnel rein. Am Ende des Tunnels ist das Licht zu sehen. Toll, wenn am Ende des Tunnels Licht zu sehen ist :-) War eine Metapher! Viele Bahnstrecken wurden in Frankreich stillgelegt, auf einigen werde ich auch noch wandeln später. 

Also mache ich somit noch eine kleine Abenteuerwanderung. Wenig später geht’s durch feuchtes Gras zur Confluence, was total toll aussieht, denn das schlammige Wasser des Célé fließt in den dunkelgrünen Lot, dahinter die steile Felswand. Und ich kann es gar nicht glauben, in den Felsen wurde ein Treidelpfad rein gehauen und da laufen Leute entlang. Toll sieht das aus, da hätte ich ja auch Bock drauf, aber ich stehe nun mal auf der anderen Seite des Flusses, ist ja auch schön. 

Die haben es gut da drüben, denn es fängt an zu pieseln und sie haben den Fels über sich und werden somit nicht nass. Ich stapfe nun immer noch im Besitz meines kleinen orangenen Regenschirmes den Weg weiter runter und zurück zur Gîte. Tatsächlich sollte abends noch die Sonne rauskommen und ich konnte draußen auf dem ehemaligen Bahnsteig am Tisch sitzen und lecker was essen, Fischrisotto mit Garnelen und im Anschluss ein Erdbeertörtchen, dazu natürlich ein guter Rotwein, klar. Das haben die hier echt toll gemacht, finde ich. Ich genieße es heute ganz alleine zu sein, kein Französisch um mich zu haben und höre mir auf dem Zimmer noch ein paar Takte aus dem Hörbuch an. Morgen möchte ich abwarten bis die Fünfertruppe weg ist, dann werde ich frühstücken und losgehen, ich lasse mir Zeit. Am Ende ist auch heute alles gut geworden, ich habe eine schöne Unterkunft, ich bin echt happy. Und die Klamotten sind auch schon alle trocken, dank CHAUFFAGE!!! 

17.5.21

Conduché nach Vers

19 km

Die Fünfertruppe macht sich auf den Weg, ich verabschiede sie und genieße das stille, einsame, klassische, französische Frühstück. Im Hintergrund läuft Chillout-Musik. Naja "genießen" kann ich jetzt nicht so sagen, ist eben nicht so meins. Zum Glück gibt es einen Toaster, damit kann man das angehärtete Brot von gestern etwas knuspriger machen. Nun, und Aprikosenmarmelade ist auch nicht so meins. Was soll's, Hauptsache es gibt Kaffee. Wenig später schultere ich entschlossen meinen Rucksack, die Wetterapp verheißt auch heute nichts Gutes, aber ich gehe jetzt mal los. 

Nach dem Klassiker heißt es losgehen oder nicht losgehen? Das ist hier die Frage.

Ich komme keine 100 Meter weit, da schüttet es aus Eimern. Oh man, das geht mir echt auf den Keks, ich stapfe schnellen Schrittes fluchend zurück zur Gîte und sitze dort im Treppenhaus, mal wieder stark angefeuchtet, und warte einfach mal ab. Es gießt, als ob man volle Pulle eine Dusche angestellt hat, geht gar nicht. Ich höre derweil mein ERF-Radio, ein schöner Beitrag, der mich etwas milder stimmt. Annehmen, aushalten, Gottvertrauen! Der eine der Brüder will mir noch einen Kaffee anbieten, aber ich lehne dankend ab. Und dann endlich, endlich ist es soweit und der liebe Gott hat sich entschieden die Dusche da draußen auszustellen. So mache ich mich ein zweites Mal auf den Weg. Tatsächlich lässt sich wenig später bei der Überquerung des Lot vor Bouziès die Sonne blicken, toll. In den steilen Fels gehauen befindet sich das Château des Anglais, wahrscheinlich im hundertjährigen Krieg errichtet, man weiß es nicht. Sieht schon besonders aus, da so in den Fels gequetscht. 

Bouziès ist nur ein kleines Dorf mit einem Bäcker, wo auch schon wieder diverse Leute vor stehen. Für mich aber heute nicht, ich biege rechts ab, möchte alleine sein und erfreue mich an der wärmenden Sonne. Wie schön, endlich! Es geht einen ebenen  und auch glatten Weg über Wiesen, das ist mal eine Wohltat nach den ganzen Steinen. Aber meine Füße machen gut mit, keine Blase, nichts, das ist großartig.

Es folgt ein krasser, steiniger, steiler, langer Aufstieg, der sogar im Reiseführer mit Rot gekennzeichnet ist. Schnaufend und total durchgeschwitzt komme ich oben an, entledige mich meiner Klamotten, ziehe trockenes an und setzt mich auf einen Baumstamm, die letzten Sonnenstrahlen genießend. Meine Wetterapp zeigt eine auf mich zukommende dunkle Fläche, nicht gut, bedeutet Starkregen, hmm! Oh oh, der Himmel sieht auch nicht gut aus. Schnell ziehe ich wieder die Regenklamotte an und mache mich auf den Weg, weiß aber so gar nicht wie ich dem jetzt entfliehen soll. Vielleicht einfach annehmen.

Wenig später taucht aber eine Cazelle auf, toll, die ist meine. Ich setze mich entspannt hin und esse Brets, die französischen Chips, die ich so liebe. Kurze Zeit später kommen Valérie, Patrick und Graham ums Eck, sie setzen sich auf einen in der Nähe befindlichen Baumstamm und essen ebenfalls. Der Regen ging erstaunlicherweise woanders runter und somit kam ich aus meinem Häuschen wieder raus gekrochen, gesellte mich zu den anderen, quatsche ein bissel mit ihnen, machte mich aber dann wieder auf den Weg, der sehr facettenreich wurde: teils schlammig, teils wieder groovy und teils sonnenbeschienen entspannt.

Wenig später geht es einen schmalen netten Weg am Lot entlang, der mich nach Pasturat brachte, wo ich mich dann aber nicht für den steinigen Wanderweg, sondern für die kleine Straße entschied. Ich habe keine Lust mehr auf Steine und außerdem hatte ich hier einfach die bessere Aussicht ins Lot-Tal, die wirklich nicht zu verachten ist. Célé war gestern, heute ist der Lot dran. Den habe ich ja auch letztes Jahr schon überqueren dürfen. Irgh, auch im Regen, ich erinnere mich!

Nun so ganz ohne Steine und steil ging’s dann doch nicht weiter, denn der Wanderweg biegt rechts ab, mal wieder steil und steinig bergauf, um wenig später dann wieder im einsetzenden Regen steil und abenteuerlich bergab zu gehen. Mitunter wünschte ich mir hier nicht mit dem schweren Rucksack unterwegs zu sein, ich muss echt aufpassen nicht zu stürzen, schon krass und anstrengend.

Unten angekommen rannte ich fast, da der Regen stärker wurde und das alles gar nicht gut aussah. Ich kam in einer Abstellscheune für Landwirtschaftsgeräte unter, nicht schick, aber trocken. Wenig später goss es wie aus Kübeln, inklusive Sturm, oh man! Ich war froh und dankbar, dass ich hier auf der Achse eines Anhängers sitzen konnte und schaute mir das Desaster Chips essend an. Den Weg runter kam meine Dreiertruppe gelaufen, die leider zu spät hier unten eintrafen und somit klitschnass waren. Irgendwann geht’s auch nicht nasser, dann ist auch alles egal, sie winkten mir zu und stapften weiter Richtung Vers. Heute müssen wir ein bissel vom Weg abkommen, da es keine Unterkünfte gibt. Die Drei wollen über den Fluss in Vers unterkommen, ich werde vor dem Fluss in einem Chambre d’Hôtes übernachten. Der Regen hörte so abrupt auf wie er angefangen hatte und die Sonne kam raus. Ich machte mich wieder auf den Weg, ist ja nur noch ein kleines Stück. Das Haus mit Wein umrankt und blauen Fensterläden sieht einladend aus. Eine Frau ruft aus dem Fenster, ob ich Maika sei. "Ja die bin ich". Sie begrüßt mich und zeigt mir mein Zimmer. Es ist schön, aber ein bissel kühl und die Heizung geht nicht. Okay, dafür gibt es Decken, das wird schon gehen. Ich bekomme sogar noch einen Föhn und Haarwaschmittel von ihr, dusche, wasche das ein oder andere und mache mich dann noch mal auf zum Lot-Ufer. Toll sieht das in der Sonne aus. Die steile Felswand ragt hoch empor, in der Ferne ist die Brücke von Vers zu sehen, das Gras drumherum ist kreischgrün, wunderschön, einfach nur atemberaubend.

Es ist schon echt schade, dass ich bisher so schlechtes Wetter hatte, denn die Landschaft ist einfach unglaublich schön, da müsste man glatt bei tollem Wetter nochmal herkommen. Die Schluchten, die tollen in den Fels gehauenen Dörfer, die Flüsse, klasse. Ich setze mich noch auf die Terrasse, schreibe meine Erinnerungen auf und genieße die Wärme der Sonne nach dem ganzen Regen. Wir sitzen nachher zu dritt, die beiden Pensionsbetreiber und ich, am Tisch und essen. Wir können uns auch gut unterhalten, denn sie reden langsam und deutlich, toll, ich habe das Gefühl, dass ich richtig gut mit dem Französischen werde. Nun, hängt aber auch immer davon ob, ob mein gegenüber klares Französisch redet und eben nicht so schnell. Somit wurde es ein nettes Essen und ich verabschiedete mich in mein erfrischendes Zimmer mit diversen Decken und schlafe auch wenig später ein. 

 

18.5.21

Vers nach Cahors

24 km

Ich werde morgens wach, es ist kalt im Zimmer und draußen grau. Okay, was soll’s, packen wir's an, Hauptsache es regnet nicht und das tut es tatsächlich momentan nicht. Heute gibt es sogar Honig zum Frühstück, das mag ich sogar ganz gerne, dazu gibt es eine große Schüssel Kaffee, toll. Ich verabschiede ich mich von den Beiden und mache mich auf den Weg. Ich entscheide mich auch heute einen Teil die Straße lang zu gehen, da mir die Mega-Steinwege auf den Keks gehen, außerdem geht es wieder steil bergauf und dann steil bergab, wahrscheinlich wieder nur mit Bäumen vor Augen. Straße ist da besser, Autos gibt es so gut wie gar nicht und die Aussicht auf das Lot-Tal ist toll. Die Beiden gaben mir noch eine selbstgezeichnete Wegkarte mit, da kann ja nichts schiefgehen. Es geht Blumen fotografierend bergauf. Heute ist es recht mild, somit bleibt die Warmweste im Rucksack. Die kleine Straße windet sich abenteuerlich durch die Felsen, kleine pinkfarbende Blumenteppiche zieren den ein oder anderen Stein, rechts von mir geht es steil zum Fluss bergab. 

Ich muss pieschern und gehe von der Straße weg einen kleinen Hang hinunter und kann's einfach nicht lassen. Der steile Abgrund zieht mich magisch an und somit sitze ich Beine überhängend wenig später an eben diesen und erfreue mich an der tollen Aussicht runter zum Lot, zur Eisenbahnbrücke darüber, wo wahrscheinlich kein Zug mehr fährt und dem kleinen Ort da unten. Als ich mir später die Fotos anschaute dachte ich echt: Oh Maika wie blöd und bescheuert bist du eigentlich? So nah am Abgrund da einfach so zu sitzen, das hätte mitunter auch anders ausgehen können. Manchmal bin ich wirklich lebensmüde, bescheuert eben. Nun, ich beschließe sowas nicht nochmal zu machen, geht gar nicht! War aber spannend, hmm! 

Links und rechts werde ich mit Frankreichs wunderbarer Wildblumen-Welt beeindruckt. Hier mal ein paar Exemplare davon:

Es geht runter nach Arcambal, als es mal wieder, ja was wohl? anfing zu regnen. Ich laufe direkt auf einen Kaktus zu, der an einer Häuserwand wächst. Scheinbar gibt es hier auch mal anderes Wetter, irgendwie ist der da total fehl am Platze. Scharf rechts besagt die Zeichnung der Beiden meiner vorherigen Pension. Es geht einen kleinen Weg runter, glitschig und innerhalb kurzer Zeit auf Plateausohlen aufgrund des nassen Lehms, runter zum Lot-Ufer. Der Weg am Fluss entlang ist eben, im Hintergrund eine stark befahrene Straße. Nach der ganzen Ruhe ist das begrenzt schön. Und irgendwie sieht es leicht industriell aus, nicht so schön. Aber die Pumpstation am Lot kommt wie gerufen für eine Pause unterm Dach, man muss sich halt mit dem begnügen, was da ist, Hauptsache trocken und es ist auf dem Wasserrohr halbwegs bequem. Es gibt nun zwei Möglichkeiten nach Cahors zu kommen, entweder am Fluss entlang oder den Berg hoch mit dann einer herausragenden Sicht auf die Stadt unten in der Lotschleife gelegen. Hmm, was tun? Der nun folgende schmale Weg am Lot ist wunderschön, umsäumt von feuchten, leuchtendgrünen hohen Gräsern, sehr nett. Und was macht Maika? Sie entscheidet sich für die Bergvariante, also Breitseite. Muss man jetzt nicht verstehen. Der Anfang war sehr nett, ein schöner Weg ohne fiese Steine schlängelt sich durch grüne Felder, stetig bergauf. Hätte auch alles schön sein können, wenn nicht dann der strömende Regen eingesetzt hätte, der dann auch nicht mehr aufhörte. Ja mitunter trifft man halt falsche Entscheidungen, hatte doch die Hoffnung, dass es nicht so schlimm werden würde. Nun, falsch gehofft. In einem kleinen Ort, dessen Namen ich vergessen habe, schaue ich noch auf die Anzeige der Bushaltestelle, ob nicht doch zufällig ein Bus daher käme und mich in die Stadt bringt. Nee, kannste abhaken, nichts! Nun ich bin echt k.o. und brauche jetzt ein Dach über den Kopf und eine Pause, da bietet sich die Kirche an, die aber leider geschlossen ist, das nun auch noch. Ein Verschlag, in dem Tische und Stühle gelagert wurden, sollte es dann sein, da kann ich auch mal die Beine hochpacken. Hier setzte ich mich nun hin und aß mein Brot. Der Gedanke, dass ich jetzt noch diesen ganzen weiten Weg bis nach Cahors im strömenden Regen gehen muss wollte nicht in meine Birne rein und ich suchte nach Möglichkeiten. Die gab es aber nicht! Also: Annehmen, aushalten und davon träumen, dass es nachher eine tolle Dusche und eine geile Heizung in einem schönen ruhigen Hotelzimmer gibt. Nun denn, mit eben diesen schönen Gedanken machte ich mich wieder auf und stapfte im strömenden Regen im Stechschritt die Straße runter, um später dann an dem tollen Aussichtspunkt Mont Saint Cyr anzukommen, mit der tollen Aussicht in den strömenden Regen und in ein graues kaum erkennbares Örtchen, schön in eben dieser Lotschleife gelegen. Na toll, aber wer’s braucht!

Ein steiler mit Treppen, hohen Steinstufen und teilweise glitschigem Untergrund bestückter Weg führt runter in die Stadt, dessen Straßenlärm man schon hören kann. Das ist ja nun mal lange her mit Verkehr und so, ungewöhnlich, nicht so schön, aber ich freue mich endlich unten angekommen zu sein, mich durch die Autos zu quetschen und über die Brücke zu gehen. So bin ich doch verspätet nun endlich in Cahors gelandet. Wie absurd, dass ich aufgrund des schlechten Wetters letztes Jahr abgebrochen hatte und eben nicht hierher kam. Und nun haben wir das gleiche Procedere. Soll wohl so sein, nun denn!

Einiges ist los, allgemeiner Feierabendverkehr nehme ich mal an, viele Leute sind unterwegs. Den ein oder anderen Laden mache ich für später schon aus, denn ich muss hier unbedingt einkaufen, gehe aber schnurstracks erst mal ins Hotel, brauche jetzt echt eine Dusche und eine Pause. Endlich stehe ich davor, trete ein, warme Luft umfängt mich, schön. Die Dame am Counter spricht englisch und gibt mir den Schlüssel, endlich da, endlich im Zimmer, endlich Dusche, toll. Die Dusche ist eine einzige Enttäuschung, denn es pieselt nur wenig Wasser aus dem Duschkopf, na toll. Da bucht man ein Hotel, auch nicht ganz günstig und dann das. Nun, isso. Ich fühle mich erfrischt, liege auf dem Bett und bin einfach nur froh, dass der Tag vorbei ist, das war jetzt echt eine Herausforderung. Ich hole mir von unten einen Kaffee und entspanne erst mal, bevor ich mich mit meinem kleinen Regenschirm wieder auf den Weg in die Stadt zum einkaufen mache. Die Counterfrau meinte noch, dass ich ja nicht mehr viel Zeit habe, um 19 Uhr ist Sperrstunde, oh, habe ich ganz vergessen. Nun da muss ich dann mal los. Leckeres Baguette, ein Chocolatine aus der Boulangerie, Salami aus der Boucherie, und ein kaltes Bière und ein paar Leckereien aus dem Casino Supermarché. Den leckeren Rocamadour, den Nummer 1-Ziegenkäse aus der Quercy-Region muss ich leider im Kühlschrank lassen, denn der würde mir beim Transport wegschwimmen, schade. Der Rucksack ist gut gefüllt für ein gutes Essen heute Abend, denn hier gibt es nichts und es ist dann eben auch alles geschlossen nachher. Bin ich froh, wenn die das die nächsten Tage auf 21 Uhr packen und die Außengastronomie auf macht. Ist schon komisch so, finde ich. Aber ich habe noch Zeit in die schöne Altstadt mit seinen schmalen Gassen zu gehen und die Kathedrale von Cahors zu besuchen. 

Hier endet gerade ein Gottesdienst, es wird gesungen und duftet nach Weihrauch. Die Kathedrale ist wirklich auch beeindruckend mit den vielen Seitenaltären und vor allem mit dem Kerzen-Ensemble. Was für eine Riesenauswahl, da fällt das Entscheiden aber schwer. Bepackt mit meinem Baguette unterm Arm komme ich kurz vor 19 Uhr im Hotel an. 

Jetzt wird geschlemmt. Ich sitze auf meinem Bett, die Chauffage ist nun auch in die Gänge gekommen und trocknet die Schuhe, es ist angenehm warm, und esse. Dazu gibt es ein Bier an der Bar aus der Region von Montcuq, welches nicht weit von hier ist, lecker.

Was für ein Tag. Mittlerweile bete ich nur noch, dass sich das Wetter endlich bessert, denn es ist echt anstrengend. Soll es jetzt tatsächlich so weitergehen, wie es letztes Jahr in Figeac aufgehört hat? Vielleicht regnet es hier immer so viel, da ja die Regenwolken immer aus Westen vom Atlantik kommen und Frankreich halt das erste Land ist, auf die die Wolken dann treffen, da kann man sich schon wieder Sorgen machen. Was soll ich sagen? Die Sorgen waren unbegründet, denn das Wetter besserte sich zusehends, schön!

19.5.21

Cahors nach Lascabanes

22 km

Ein Blick aus dem Fenster zeigt: Es regnet nicht!!! Wahnsinn, Hammer! Aber es ist grau, nun gut, das Wetter steigert sich langsam. Ich hole mir einen Kaffee von unten und bereite mein eigenes Frühstück vor, will aber nicht lange ausharren, sondern alsbald los, denn ich habe einen langen Weg vor mir und es gibt ein paar Steigungen. Nicht mehr so krass wie die letzten Tage, aber der ein oder andere Aufstieg hat es auch in sich. Als erster kommt natürlich der Aufstieg aus Cahors raus. Gestern runter und heute wieder hoch, Cahors liegt nun mal im Tal von Bergen umgeben. Ich freue mich auf die schöne Pont Valentré, das Wahrzeichen der Stadt, die zusammen mit der Cathedral Saint-Ètienne zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört. Sie ist aus dem 14. Jahrhundert und auch gleich ums Eck. Ab geht’s unter der Eisenbahnunterführung hindurch und schon stehe ich da an einem kleinen Weinberg neben der Brücke. Der Lot schießt hier mit kleiner Schwallstufe drunter hindurch. Toll sieht die Brücke aus und ist Gott sei Dank nur für Fußgänger benutzbar. Auf der anderen Seite des Flusses geht’s dann steil bergauf, wieder mit hohen Stufen, Steinen und Co. Aber der Ausblick von hier aus ist einfach nur toll und auch die Sonne erhellt die Stadt so langsam und holt sie aus dem Grau des gestrigen Regentages. Es sind auch noch einige andere Pilger unterwegs, scheinbar fangen einige hier auch in Cahors an, man kommt halt gut hier hin. Aber ich kann mich alsbald absetzen, stehe am Aussichtspunkt, der etwas abseits des Weges gelegen ist und lasse das Panorama der in der Lotschleife liegenden Stadt auf mich wirken. Die Stadt ist Hauptsitz des Départements Lot, hat knapp 20000 Einwohner, die sich Cadurciens nennen. Speziell! Schön ist es hier.

Auf dem Weg nach Labastide-Marnhac (wir erinnern uns: hac bedeutet sowas wie Ort/Platz) geht es moderater weiter, der Weg ist angenehm, von gelben Ginster oder gelben Buschlupinen umsäumt, die einen wundervollen süßlichen Duft von sich geben. Der Kuckuck ist aufgewacht und beschallt die Umgebung, die Sonne wärmt wunderbar und macht glücklich. Ein kühler Wind weht noch ums Eck.

Kurz vor Labastide geht’s nochmal ordentlich den Berg hoch. Im Ort angekommen erhoffe ich mir eine Bank und Wasser, was auch tatsächlich hinter der Kirche zu finden ist. Die Bank ist eine Sonnenbank und so mache ich es mir hier gemütlich, ziehe die Schuhe aus, lüfte die Füße und esse genüsslich zu Mittag. Die meisten Pilger gehen die Straße an der Kirche vorbei, somit bleibe ich hier mit mir alleine, das ist schön, ich genieße es gerade sehr und verweile. Eben geht es weiter durch landwirtschaftliches Gebiet. Die Gerste in quietschgrün, der Weizen in dezentem blaugrün und viele, viele weiße Steine: die Kalksteine der Causses de Quercy. Toll sieht das aus, vor allem mit dem dunkelblauen Himmel im Hintergrund. Soll wieder Regen kommen? Nein, dieser Tag ist tatsächlich der erste Tag ohne Regen, toll. 

Ich genieße die Ebenen mit dem Weitblick über die Felder hinaus und wandere alleine in Stille vor mich hin. Ein Steinhaufen kommt in Sicht, wo Pilger Steine abgelegt haben. Ich habe mir noch gar keinen Stein zum Lasten drauf packen mitgenommen, den ich dann später wieder irgendwo ablegen möchte, damit ich unbelastet nach Hause fahren kann. Es gibt auf dem Weg genug Steine und da fällt mir ein kleiner unscheinbarer ins Auge, den nehme ich, ein weißer Kalkstein, schön. Ich packe ihn in meine Hosentasche und gehe weiter meines Weges, ein französisches Pärchen überholt mich, die ich später dann in der Gîte wiedersehen werde. Wir grüßen, reden ein wenig und gehen weiter. Es ist einfach nur wunderschön hier, tolle Farben, wunderbare Düfte und Sonnenschein. Ich genieße es sehr. Nun wird es auch weniger bergig werden. Die Via Podiensis von Cahors nach Saint-Jean-Pied-de-Port ist vorzugsweise von Feldern durchzogen. Es wird Getreide, Mais, aber auch später viele Sonnenblumen angebaut, sie ist hügelig, ab und an mal ein kleiner Berg, aber nichts krasses mehr. Das Zentralmassiv und auch die Causses de Quercy sind alsbald hinter mir gelassen. Ich bin gespannt was mich erwartet. Meine Strecken werden auch etwas länger sein, als die Etappen zuvor, da ich in vier Wochen auch in SJPDP (Saint-Jean-Pied-de-Port) ankommen möchte. Aber ich weiß ja aus Erfahrung, dass ich meist mehr schaffe, als ich mir oft zutraue und somit gehe ich frohgemut meiner Wege und warte auf die Dinge die da kommen. 

Das Célé-Tal zum Anfang ist sicher eine Herausforderung, da man sich ja noch nicht eingelaufen hat, jetzt wird es für mich leichter und so können die Entfernungen auch etwas mehr werden. Nun denn, weiter geht’s. Ich mache Pause auf einer Wiese mit Ginsterbusch im Rücken, esse was, lasse mich von der Sonne durchheizen und von den Grillen durchzirpen. Das ist toll, da kommen Sommer-am-Mittelmeer-Gefühle auf. Die Grillen, cigals auf Französisch, geben wirklich alles, toll.

Lascabanes kommt in Sicht. Es liegt im Tal an einem kleinen Flüsschen und ist selbst auch klein. Ich komme heute in der Gîte gleich neben der Kirche unter und habe ein Zimmer mit Anne zusammen. Anne ist Französin aus der Nähe von Nantes und pilgert alleine, wir können uns in einem Englisch-Französisch-Kauderwelsch unterhalten. In der Gîte gibt es unten auch einen kleinen Laden und einen guten Kaffee für mich später. Nach der Dusche gehe ich raus, einige Pilger sitzen da schon. Ich stelle mich vor: „Je suis Maika, je suis d'Allemagne et mon français n'est pas très bien!“ Die anderen stellen sich vor, kommen alle aus Frankreich und finden, dass mein Französisch gut ist. Naja, geht so. Der eine kann etwas deutsch, hat mal eine Zeit in Stuttgart verbracht, traut sich aber nicht so richtig und so bleibt es französisch, was im Verlauf meiner Tour im großen und ganzen auch so bleiben wird. Noch bin ich sehr aufgeschlossen und spreche die Leute einfach an, rede drauf los und versuche alles zu verstehen, im Verlauf wird es mir dann aber oft zu viel und ich ziehe mich zurück. Das war letztes Jahr schon so und wird dieses Jahr auch so sein. Nun, so ist es halt, aber ich leide nicht großartig darunter. Naja und es sollte ja alles auch noch ganz anders kommen, denn ich sollte tatsächlich meine letzten acht Tage mit Elisabeth, die ich auf Facebook kennenlernte, zusammen laufen. Sie ist eine Woche später gestartet, aber in Turboschritten unterwegs mit horrenden Kilometern am Tag. Sie wird mich noch einholen. Aber jetzt bin ich erst mal hier, die Sonne kracht vom Himmel, die Außengastronomie hat seit heute auf und unten am Platz gibt es ein kleines Café, ob die Eis haben? Oh, ja!!! Wie geil! Genüsslich schlabber ich in einem Liegestuhl hinter der Kirche sitzend mein Eis. Ist schon doch schöner, wenn der ein oder andere Laden auf hat. Mir ist das jetzt im Célé-Tal nicht so aufgefallen, da es einfach auch nichts gab, aber auf meinem weiteren Weg freue ich mich sehr darüber. Wir dürfen nun bis 21 Uhr draußen bleiben und draußen in Restaurants auch mal was essen und trinken, toll! 

Ansonsten ist Corona auch hier kein so großes Thema, denn wir werden später alle zusammen in einem Raum zu Abend essen, zwischen jedem ist ein freier Stuhl, hier werden also so semi-mäßig die Abstände bewahrt. Nun denn. Aber zuvor sitze ich hier noch im Garten im Liegestuhl und esse mein Eis, schreibe Tagebuch und unterhalte mich ein bissel mit Anne auf Englisch, schön. Es gibt eine Messe um 18 Uhr mit Pilgermesse. Ich verstehe wenig von dem was er da sagt, aber am Ende will er unsere Namen wissen, schreibt diese auch auf und meint, dass er unsere Namen jetzt eine Woche lang im Fürbittengebet jeden Tag erwähnen wird. Das berührt mich, das finde ich toll. Wir sind tatsächlich eine ganze Menge Leute geworden, scheinbar ist jetzt hier mehr los als zuvor. Laut quatschend reden alle durcheinander, die vielen Satzfetzen schweben an mir vorbei und ich genieße das üppige Essen und platze fast. Ich entscheide mich einfach die beiden Brüder, die mit ihrer Cousine zusammen pilgern, anzusprechen, wie denn der Camino del Norte in Spanien so ist, denn den sind sie schon mal gelaufen. Wir kommen ins Gespräch, das ist schön. Sie möchten alle nach Santiago, aber auf dem Camino Francés gehen. Da haben sie ja noch einiges vor sich. Gemeinsam brechen wir nach dem Essen auf und gehen in unsere Zimmer. Anne will schon früh schlafen, ich höre noch mein Hörbuch. 

20.5.21

Lascabanes nach Lauzerte

21 km

Um 8 Uhr sitze ich am Frühstückstisch, esse ein extrem süßes Frühstück, aber mit leckerem Kaffee. Ich verarzte Anne noch mit meinem Compeedpflaster, denn sie hat sich eine dicke Blase gelaufen. Ich erzähle ihr, wie sie damit umgehen sollte. Leider wollte sie dann abends nach der Dusche das Pflaster entfernen und hat leider die Haut mitgenommen, das hat mich dann dazu veranlasst ihr einen Vortrag darüber zu halten, dass das blödeste was einem passieren kann, wenn die Haut beschädigt ist, denn darunter ist das rohe Fleisch. Das ist nicht nur extrem schmerzhaft, sondern auch was Infektionen betrifft nicht ganz ungefährlich. Komisch, sie ist auch schon einiges gewandert, hatte aber scheinbar bisher dieses Problem nicht gehabt. Ich vermache ihr zwei meiner Pflaster, denn ich bin immer noch ohne Blase und sollte es tatsächlich auch bleiben. Die Sonne scheint von einem strahlend blauen Himmel, ich kann’s kaum erwarten loszugehen. Wie schön das alles mit Sonne ist. Die Farben, die Wärme, der Duft der Lupinen. Ich gehe durch den kleinen Ort, habe wieder einen langen Weg heute. Ich werde heute eine kleine Abkürzungs-Variante nehmen und nicht über Montcuq gehen, obwohl ich den Namen oder das was dahinter stehen könnte, wenn man es falsch ausspricht, sehr lustig finde. Man soll es unbedingt als „monkük“ aussprechen, denn wenn man das „k“ weglässt, dann kann es als „mon cul“ durchgehen und das heißt: „mein Arsch“. So so, das wollen wir ja nicht gell? 

Es geht einen schönen mit kleinen Steinmauern umsäumten und von kleinen Flaumeichen bewachsenen Weg an einer Cazelle vorbei, aus dem Tal raus. Lädt zum Pause machen ein, ich lasse sie aber rechts von mir liegen und gehe weiter.

Oben an der kleinen Chapelle Saint-Jean angekommen (Hier ist Johannes, der Täufer gemeint, was man an dem doch leicht makabren Kirchenfenster erkennen kann: Herodia hält den abgetrennten Kopf des Johannes im Arm) setze ich mich zu einem kleinen Gebet hin. An bunten Blumen vorbei (Knabenkraut aller Art, Salbei, Baldrian, Mohn und Traubenhyazinthen) geht es hügelig durch die Landschaft hindurch. Die meiste Zeit bin ich total alleine unterwegs, was ich sehr genieße. 

Wenig später gehe ich vom Weg ab und nehme die Abkürzungsvariante. Meine erste Liedkreation kommt mir in den Sinn, frei nach Sprüche 15,15 der Bibel:

 

Doch ich habe ein fröhliches Herz

und ein ständiges Festmahl 

im Herzen.

Doch ich habe ein fröhliches Herz

und ein ständiges Festmahl.

 

Na damit lässt es sich doch frohgemut wandern :-) Ich schlage mich wenig später für eine Pause in die Büsche und liege entspannt auf meinem Sarong auf einer Lichtung. Jetzt ist Chocolatine-Zeit, yeah, lecker! Kurz darauf komme ich wieder auf den GR65. 

Auf schmalem schattigen Weg komme ich an eine Straße bei Rouillac. Hier wird es unübersichtlich. Der Weg geradeaus soll gesperrt sein, warum auch immer und man soll einen großen Umweg gehen. Finde ich jetzt gar nicht klasse. Außerdem sehe ich unweit ein Auto im Graben liegen, die Fahrerin kommt besorgt auf mich zu und redet schnell auf Französisch. Ich muss sie erst mal stoppen und bitten sich zu beruhigen. Sie erklärt mir, dass die Straße vor ihr gesperrt ist, sie wenden wollte und nun leider mit einem Rad in diesem Graben hängt und nicht mehr rauskommt. Hm, was tun? Wir gehen zusammen zu einem Haus unweit des Unfalls. Einige hysterische Hunde kommen kläffend auf uns zu. Der Besitzer folgt sehr langsam, hat scheinbar ein Gebrechen und sieht ein bissel aus wie ein Clochard (Penner). Hmm, ob der uns helfen kann? Er ist auch ratlos. Als ein Pärchen des Wanderweges kommt spreche ich sie schnell an, ob wir nicht zusammen das Auto da rausbekommen. Gesagt getan, mit aller Kraft und Vollgas klappt es dann auch. Die Frau ist noch leicht verunsichert, aber überglücklich in entgegengesetzter Richtung weitergefahren. Was Gutes getan, schön. 

Nun stehe ich aber immer noch vor dem Wegeproblem, als die beiden Brüder mit ihrer Cousine ums Eck kommen. Die Umleitung ist horrend, geht gar nicht und so zweigen wir gemeinsam einfach quer über die Wiese gehend ab und landen unten auf einem Sandweg, geht doch. Später erfuhr ich, dass man auch hätte geradeaus gehen können. Na man weiß es halt nicht und will da ja auch nicht rumirren. So war es schon gut gewesen. 

Die Truppe macht Pause, ich gehe weiter. Leider gehen wir so an dem Ort Rouillac vorbei und somit auch an dem Wasserhahn an der Kirche, den ich doch gerne besucht hätte. Mit meiner 750ml-Flasche komme ich oft nicht aus und muss auf Wasserhähne warten und mich mit dem Trinken zurückhalten. Ist ein bissel blöd, aber ich will auch einfach nicht so viel schleppen, Wasser ist nun mal Hammer-schwer. Es geht über saftig-grüne Wiesen und erdfarbene Felder den Berg hoch Richtung Montlauzun, welches auf einer noch höheren Anhöhe liegt, mit seiner Kirche...

...und dem Wasserhahn. Hmm, nee, auch das lasse ich hinter mir, mache aber abseits ungesehen von anderen Pilgern am Fuße des Ortes hinter Büschen meine Pause. 

Steil geht es einen gelben (ich würde ihn rot nennen) Weg hoch auf ein Plateau, auf dem kleine Flaumeichen wachsen, die es ja hier in Frankreich viele gibt. Das sind kleine, teilweise krüppelige Eichen, nicht so wie unsere riesigen in Deutschland. Ich bin ordentlich am schwitzen und mittlerweile habe ich auch Durst, der nächste Wasserhahn ist aber nicht mehr weit, hoffentlich funktioniert der auch. 

Ich treffe auf zwei Frauen, Freundinnen, die sich immer zum Pilgern treffen, Karin und Michelle. Sie sprechen englisch, wir schnacken ein wenig, das ist schön, und weiter geht’s Richtung Wasserhahn. Ein fieser steiler Sandweg führt nach unten, ich bin heilfroh, dass es nicht regnet, denn das hätte eine enorme Herausforderung gegeben. Jetzt ist er bretthart, Lehm also. 

Mont Joie heißt der kleine Ort an dem es vorbei geht und an dem neben einem Bänkchen ein toller gusseiserner Wasserhahn steht, Eau potable, Trinkwasser steht darauf. Toll, kaltes, klares, leckeres Wasser sprudelt aus dem Hahn. Ich schütte mich damit zu und mache Pause auf der Bank daneben, das tut gut, bevor es hoch auf den Berg nach Lauzerte geht, welches man von weitem schon erkennen kann. 

Lauzerte ist wieder eine „Plus beau village de France“, davon gibt es ja einige. Die kleine Stadt ist aber auch schön. Toll sieht das von weitem aus, aber der Berg am Ende wird es noch in sich haben. Ich sehe Graham, den Engländer der Dreiertruppe, im Gebüsch verschwinden. Eigentlich wollte er nur pieschern gehen, aber plötzlich kommen noch die beiden Mädels ums Eck, die Brüder mit der Cousine und ich stehe auch noch da. Das wurde ihm dann doch zu viel, er verschob es auf später. Ich freute mich die Dreiertruppe wiederzusehen und verfiel ins Englische mit Graham, schön. Mir wurde es dann aber doch zu viel mit den vielen Leuten. Ich ließ sie vorgehen, wartete noch ein bissel und zog weiter alleine meiner Wege gen Lauzerte.

Ganz hinten ist der Kirchturm von Lauzerte zu sehen und ich lasse die Pilger alle vorlaufen, bis sie im Grünen verschwinden

Wenig später geht es schnaufend und steil hoch zur Gîte. Oben angekommen begrüßt mich die Gîtebetreiberin auf Deutsch, das ist ja nett. Sie möchte, dass wir in den Räumlichkeiten mit Maske rumlaufen, aha, hier wird’s wieder strenger gesehen. Nun gut, ich habe ein Einzelzimmer, darüber freue ich mich sehr. Es gibt eine schöne Dusche und danach einen Kaffee draußen auf der Holzbank. 

Valérie kommt ums Eck und fragt mich, ob ich mit hoch in den Ort auf ein Bier mitkommen wollte. Hmm, okay, ich stimme zu und so gehen wir zu viert nach oben. Oh toll, so ganz ohne Rucksack ist das wie rumhüpfen, voll leicht, easy going. Ich lande mit Graham zusammen an dem schönen Aussichtspunkt. Unser Blick schweift über das schöne Land, welches mit den verschiedenen Feldern wie eine Patchwork-Decke aussieht. 

Lauzerte selbst ist ein schöner mittelalterlicher Ort mit einem netten Dorfplatz. Auf dem Marktplatz stehen Tische und Stühle draußen in der Sonne. Endlich, endlich ist es soweit, man kann wieder draußen was trinken. Man merkt den Menschen an, dass sie sehnlichst darauf gewartet haben, zu lange lief hier gar nichts, verdammter Lockdown! Die Stimmung ist ausgelassen und entspannt. Wir sitzen zusammen am Tisch und trinken ein kühles Bier, hmm!

Valerie und ich gehen danach noch auf einen Blick in die hübsche Kirche und treten dann den Heimweg zur Gîte an.

In der Gîte angekommen schlagen wir uns die Bäuche mit tollem Essen voll. Ich sitze neben Graham und wir können uns toll auf Englisch unterhalten, das macht Spaß und mein Englisch ist nun auch wieder voll da. Wir sind die letzten, die sich vom Tisch erheben und in die Zimmer gehen. Ich bin echt im Eimer, die letzte Nacht habe ich nicht so gut geschlafen. Die Heizung läuft, es ist doch noch etwas kühl im Zimmer, und ich schlafe auch alsbald ein. 

 

21.5.21

Lauzerte nach Espis

21 km

Ich schaue mir das Drama um Annes Fuß mit der nun geöffneten Blase an, halte ihr meinen Vortrag und versorge die Blase mit Pflaster. Valérie, Patrick, Graham und ich gehen gemeinsam los, das ist schön. Es geht wieder bergauf in die Altstadt hoch, jetzt mit meinem Wanderrucksack nicht mehr hüpfend :-) Aber was soll ich sagen? Das ein oder andere ist nicht mehr dabei (habe ja nun endlich alle Kekse aufgegessen) und ich trage meine Jacke um die Hüfte rum. Das ist nicht nur vom Tragen her leichter, sondern sehr effektiv, da ich den Gurt des Rucksackes darauf platziere und somit der Rucksack wesentlich leichter ist und nicht an den Schultern zieht, sondern voll und  ganz auf der Hüfte sitzt. Das behalte ich auf meiner gesamten  Tour auch so bei.

Die Boulangerie hat zum Glück auf und somit gibt es wieder ein paar Chocolatines und ein halbes Brot, welches ich in der Seitentasche meines Rucksackes verstaue. Es geht bergab, nun wieder alleine. Ich schaue noch einmal zurück auf den auf dem Berg thronenden Ort und mache mich an den nun folgenden Aufstieg. Ich überhole eine Frau mit Hund und einen megaschweren Rucksack. Oh man, manche Leute tun sich schon krasses an. Nun gut, oben angekommen begrüßt mich nicht nur eine schöne Aussicht, sondern auch ein Schild mit dem Hinweis, dass ich mich nun in einem neuen Département befinde, nämlich Tarn-et-Garonne, beides große Flüsse, die eben diesem Département ihren Namen gaben. Überhaupt werden die Départements häufig nach Flüssen benannt, so ja auch bei Lot, Rhône und Loire. Ich setze mich auf eine tatsächlich vorhandene Bank und verschnaufe, als mich meine Dreiertruppe einholt. Wir schnacken ein bissel, sie gehen weiter, ich bleibe noch etwas.

In Le Chartron komme ich an eines der Taubenhäuser vorbei, die es hier wohl häufig geben soll, Cazelle war gestern, jetzt gibt’s Taubenhäuser. Zum Unterkommen für nasse Pilger aber nicht geeignet, denn sie stehen auf hohen Stelzen. Früher hat man hier Tauben gezüchtet, die dann gegessen wurden, so so. Nun sind sie aber leer, man hat wohl keine Lust mehr auf Taubenbraten :-) Durch den Ort weitergehend komme ich an einer auf einer einsamen Lichtung gelegenen Kirche an. Wasser auffüllen ist angesagt. Ich gewöhne mir an, dass ich dann immer ordentlich Wasser in mich rein kippe und die Flasche dann für den Weg wieder auffülle. Somit sollte es klappen. Die Chapelle Saint-Sernin ist offen. Ich muss grinsen, sie ist in schlichten grauen Gestein gehalten, links ein Jesus und im Kirchenraum steht ein einziger Stuhl in der Mitte. Scheint nicht viel los zu sein hier :-) Ich setze mich auf eben diesen Stuhl und gehe in mich, bete  und verweile. Schöner Ort. 

Es geht weiter durch hügeliges, landwirtschaftliches Gelände, welches in wundervollen Grün-und Brauntönen ein schönes Bild abgibt. Ein türkiser See zu meiner Rechten, Einsamkeit, Grillenzirpen und Vogelgesang, herrlich. Wenig später folgen Obstplantagen, Äpfel, Kirschen, Nektarinen und Pfirsiche, die natürlich jetzt zu dieser Jahreszeit nicht viel hergeben, gefolgt von Weinbergen. Ein endloser Grasweg geht an einer kleinen Landstraße entlang. Es ist nicht ganz leicht hier zu laufen, da die Grasnarben sehr uneben sind und man aufgrund des nun schon wieder wachsenden Grases nicht ganz erkennen kann wo man sicher laufen kann, was mich leider im späteren Verlauf auch dann umknicken lässt und mich doch dann ab und an dazu veranlasst die Straße zu bevorzugen. Viel ist hier auch nicht los. Ich zweige links ab den Berg hoch und mache oben auf einer Wiese Pause. 

Es ist ordentlich warm geworden und ich laufe in Shorts durch die Gegend, der ein oder andere Berg lässt mich schnaufen und schwitzen, aber ich komme oben am Hôtel L’Aube Nouvelle an und treffe dort auf Anne, die mich gleich hinein lotst, damit ich mir Wasser holen kann. Urig sieht es hier aus, alles ein bissel in die Jahre gekommen. Wir gehen gemeinsam erfrischt weiter Richtung Durfort-Lacapelette, was irgendwie nicht so der Hit ist. Aber es gibt einen Laden, ein paar Leckereien und ums Eck eine Bank, wo wir beide uns hinsetzen und essen. 

Ich finde den Weg heute ziemlich anstrengend und entscheide mich kurzerhand nicht den Weg wieder den Berg hoch und durch die Lehm-Landschaft mit Plateausohlen zu laufen, sondern über den alten Jakobsweg, der hier mal neben der Landstraße entlang ging, abzukürzen. Anne ist unsicher, folgt mir dann aber und ist auch sehr happy, dass wir nun kürzer laufen. Ihre Blase macht ihr Beschwerden. Sie will tatsächlich heute nach Moissac, entscheidet sich aber nach einer Pause im Gras mit Füßen lüften doch per Anhalter in die Stadt zu fahren, ihre Füße wollen nicht mehr. Wir sind sehr erschöpft. Wir gehen noch bis zu meinem Abzweigweg zusammen (in meiner Wanderapp Komoot zu erkennen), dann verabschieden und umarmen wir uns. Sie hält den Finger raus und gleich das erste Auto hält schon, da hat sie ja Glück gehabt. Ich winke ihr nach und mache mich dann auf, links hoch, einen Grasweg entlang zu einer kleinen Brücke über einen Bach und stehe dann ratlos suchend vor einer Wiese. Hier ist nichts mehr mit Weg, na toll. Also laufe ich meinem GPS-Punkt auf der Wanderapp folgend quer über die hochbewachsene Wiese. Ich kann einen Elektromast da oben erkennen, da ist bestimmt eine Straße. So kämpfe ich mich weiter durchs Dickicht, betend, dass ich doch bald ankommen möge, um dann später schnaufend auf eben diesem Sträßchen zu landen. Mein Handy gibt just in diesem Moment den Geist auf, Akku leer, na toll. Ich überlege und denke, dass der richtige Weg nach rechts weitergeht. Handy wird an die Powerbank geschlossen und muss sich erst mal wieder finden. Ich habe die Powerbank bisher wenig genutzt, aber wenn ich sie dann brauche, dann ist es eine gute Sache, die möchte ich nicht missen. Endlich komme ich an der Gîte Colibri d'Espis, die mitten in der Pampa alleine so dasteht, an. Palmen wachsen im Garten, Bananenbäume stehen nebenan. Ich gehe durch das kleine Tor und werde sogleich von Agnes, der Betreiberin, begrüßt. 

Ich habe oben ein großes Zimmer mit Kamin und Balkon für mich alleine, packe mich rechts in eines der Betten und dusche erst mal ausgiebig. Puh, das ist ja am Ende nochmal richtig spannend geworden. Agnes ist beeindruckt, denn es hatten auch schon mal andere diesen Weg probiert und sind gescheitert, warum auch immer. Man muss dann halt einfach querfeldein gehen. Meine Dreiertruppe kommt auch heute hier unter und sind tatsächlich schon da, inklusive eingesaute Plateauschuhe, da der Weg über den Berg sehr lehmig und feucht war. Agnes bietet uns an die Wäsche zu waschen und zu trocknen, das ist ja großartig, das nehmen wir gerne an und sollte mir noch öfters so angeboten werden. Das ist natürlich toll, denn mit Waschmaschine gewaschene Wäsche ist schon schöner und einfach sauberer. Wir kramen uns dann später durch den Wäschekorb und jeder sucht sich seine Klamotten raus. 

Es kommt noch ein Herr ins Haus, Philipp, der irgendwie von einer Frau mit dem Auto gebracht wurde, da er sich mit der Entfernung wohl verschätzt hatte. Er ist nicht ganz leise beim reden und nervt mich, kommt aber auch in meinem großen Kaminzimmer unter, na toll. Er packt sich aber links an die andere Seite des Zimmers, schön weit weg mit seinem Apnoegerät, was er mit sich rumschleppt. Super, ich fühle mich wie auf Arbeit, aber zum Glück habe ich ja Ohrstöpsel und sollte davon auch nichts mitbekommen. Er entpuppt sich dann aber doch als ganz nett, spricht nur französisch und kämpft wenig später am Telefon um einen Platz irgendwo in einer Gîte jenseits von Moissac. Nun denn.

Wir sitzen dicht gedrängt zu sechst am Tisch, das Essen ist lecker und reichhaltig, die Unterhaltung lautstark auf Französisch. Das nervt mich zusehends. Graham sitzt mir schräg gegenüber, wir versuchen auf Englisch gegen den Lärm anzukommen. Entschlossen kümmere ich mich um das Problem und setze mich einfach um und bitte Patrick sich rechts von mir zu setzen, ist doch besser so man! So haben wir noch einen schönen Abend. Graham und ich sind mal wieder die letzten, die den Platz verlassen. Toll finde ich das mit ihm und er findet‘s auch gut, denn er kann dem ganzen Französisch-Durcheinander auch nicht mehr folgen. Morgen wird er mir jedoch abhanden kommen, denn ich habe nur einen kurzen Weg nach Moissac, die anderen gehen weiter, schade!

22.5.21

Espis nach Moissac

14 km

Wir sitzen gemeinsam am Frühstückstisch. Ich kann mir heute viel Zeit lassen, denn ich habe nur einen kurzen Weg vor mir. Alle anderen machen sich nun auf, schultern ihre kleinen Tagesrucksäcke und gehen los. Ich bin traurig so alleine hier zurück zu  bleiben, aber so ist das nun mal beim Pilgern, wenn man andere Etappen hat. Ich mache mich dann als letzte auf den Weg, es fühlt sich gut an so alleine die kleine Straße runterzulaufen. An der viel besagten Chapelle d’Espis möchte ich eine Runde in mich gehen, aber leider ist sie zu, na toll, kannste abhaken. Weiter geht’s. Ich singe den Ultreya-Song vor mich hin, laufe achtsamen und langsamen Schrittes voran durch weitere Obstplantagen. Kleine Aprikosen, Pfirsiche und Kirschen verfärben sich langsam, die Bäume sind voll davon. Es ist still, sehr still, ein leichter Wind weht mir um die Ohren, kein Vogel, keine Grille ist zu hören. 

Wenig später bin ich auch schon am Ortsschild von Moissac und einem Hinweis, dass in der ganzen Stadt Maskenpflicht herrscht. Hmm, scheinbar sind die Coronazahlen hier höher. Tatsächlich sollte außer Brive, Moissac und später Condom kein Ort mehr mit kompletter Maskenpflicht mehr kommen. Wenn man so wandernd unterwegs ist und dann auch warm ist, dann ist das mit Maske echt anstrengend. Nun heute ist es grau und mäßig warm, somit geht's. Ich entscheide mich für den Bergweg über die Collines mit Blick ins Tal des Tarn und auf Moissac, habe ja Zeit. Leider ist die Aussicht eher mäßig, aber trotz alledem ist der Weg schön. Ich mache beim steilen Abstieg Pause auf einer kleinen Bank, bevor ich unten in Moissac direkt an der beeindruckenden Abteikirche Saint-Pierre ankomme. Es ist ordentlich was los, Mittagszeit und Markttag. Aus Lautsprechern spielt Radiomusik, die Leute sitzen draußen in Cafés und Restaurants. Ich begebe mich direkt in das neben der Kirche liegende Maison des Pèlerins, kann dort meinen Rucksack abgeben, bekomme einen schönen Stempel und darf meinen Wohnort mit einem Pin auf der Europakarte bestücken. Graham war auch hier gewesen, denn ich kann seinen Pin auf der Englandkarte ausmachen. Sie gehen aber weiter, ist klar und ich werde sie auch nicht mehr wiedersehen.

L'Abbaye St-Pierre

Ich mache mich auf die Stadt zu erkunden und gehe in die Abteikirche. Das Portal wird von einem beeindruckenden Tympanon überdacht, drinnen ist sie eher schlicht gehalten, eine leise Musik klingt im Hintergrund, zum Glück nicht aus dem Radio :-)

Ich mache mich auf den Weg runter zum Fluss. Hier gibt es so einige Gewässer. Der Tarn, der große Fluss, der durch die Stadt fliesst, mündet später in die Garonne. Sein Nebenkanal, der Canal Latéral à la Garonne, welcher im 70 km entfernten Toulouse anfängt, fließt in den Atlantik. Er ist mit dem Canal du Midi verbunden. Dieser wiederum fließt ins Mittelmeer. Somit verbinden diese beiden Kanäle das Mittelmeer mit dem Atlantik. Schön! Kleine Boote ankern an dessen Seite, kleine Brückchen führen hinüber. Der Tarn selbst entspringt in den Cevennen und ist hier mittlerweile zu einer stattlichen Größe herangewachsen. Weiter hinten kann ich schon die schöne Pont Napoleon entdecken an dessen rechten Seite sich mein Hôtel Napoleon befindet, wo ich nachher unterkommen möchte. Bin gespannt was mich heute erwartet, freue mich aber, heute ein Einzelzimmer zu haben. Ich sitze auf einem von der Sonne nun durchwärmten Treppchen am Fluss und esse mein Mittagessen. Ich habe noch viel Zeit, bevor ich in mein Hotel reinkomme und sitze hier so, fühle mich etwas ziellos.

Nach dem Mittagessen gehe ich rüber zur Markthalle, so nach und nach werden die Buden schon abgebaut, ich kaufe noch schnell notwendiges ein, denn heute mache mir wieder mein eigenes Abendbrot. Es gibt ein schönes großes belegtes Sandwich, was hier aus einem großen Baguette mit allem drum und dran besteht, toll. Ich treffe unweit der Markthalle auf Philipp, der draußen in einer Brasserie ein Bier trinkt. Ich geselle mich zu ihm und trinke auch eins, fühle mich gerade so ein bissel einsam. Wir reden etwas verhalten miteinander ob der Sprachproblematik, aber ich versuche mein bestes. Später will ich mir aber den tollen Klostergang anschauen, um 14 Uhr beenden die ihre Mittagspause und ich kann reingehen, kostet auch etwas, ist aber für Pilger günstiger. Passend zum einsetzenden Pieselregen habe ich ein Dach über dem Kopf, das ist doch mal toll. Der Cloître, der Klostergang, ist schon beeindruckend, ist mitsamt der Abteikirche im UNESCO-Weltkulturerbe verzeichnet und ist der älteste in ganz Frankreich. Er besteht aus sage und schreibe 76 gut erhaltenen Kapitellen und ist wirklich einen Besuch wert. 

Leise pieselt es draußen vor sich hin, frisch ist es geworden. Ich hole meinen Rucksack ab, wir schnacken noch ein bissel, und mache mich auf den Weg zurück zum Fluss und rüber ins Hotel. Ich kann etwas früher kommen, da freue ich mich, denn ich bin nun k.o. und es ist wie gesagt kühl und grau. Auf der Brücke tobt der Bär, das Hotel gleich neben dieser vielbefahrenen Straße lässt nichts Gutes erahnen. „Bitte lieber Gott, mach, dass ich nach hinten raus schlafe“. Oh oh!

Ich werde nett von der Hotelbesitzerin begrüßt, die wunderbar englisch sprechen kann und mit der ich mich noch ein wenig unterhalte. Das Zimmer geht Gott sei Dank nach hinten raus. Ein roter, weicher Teppich ist in den Gängen ausgelegt und die Wände mit Tropenpflanzen-und-Papageien-Muster tapeziert, speziell, aber heimelig. Mein Zimmer ist ein schönes und vor allem warmes, mit einem großen Bett, einer riesigen typisch französischen Decke, einem tollem Bad mit…

…einer Badewanne. Wie geil ist das dann? Na jetzt ist Wellness-Oase angesagt. Ich lasse mir Wasser ein, mache ein bissel Mediationsmusik an und bade erst mal ausgiebig, toll. Ich liege danach bei geöffneten Fenster einfach nur auf dem großen Bett und höre dem Gesang der Vögel im Hinterhof zu. Die Goldammer gibt gerade alles und die Schwalben fiepen wild vor sich hin. Wenig später kommt tatsächlich nun doch die Sonne raus und so mache ich mich nochmal auf und gehe über die immer noch vielbefahrende Pont Napoleon auf die andere Seite des Tarn, genieße die letzten Sonnenstrahlen. 

Neben mir an einer Häuserwand befinden sich unzählige blühende weiße Callas. Das ist ja mal der Hammer. Die Blumen, die man bei uns in den Blumenläden bekommt und die man einzeln in eine Vase stellt, wachsen hier zuhauf am Straßenrand, einfach so, toll. Im Hotel angekommen gibt’s das leckere große Sandwich mit einem leckeren frisch gezapften Bier von der Hotelbar und noch ein paar leckeren Haribo Erdbeeren zum Dessert. Meine beliebte Liedermacherin Iria hat wieder einen Live-Stream auf YouTube, den schaue ich mir an, singe mit, Tränen fließen, es wird noch sehr emotional. Erinnerungen an damalige Zeiten kommen hoch. In meinem großen Bett mit meiner Riesenbettdecke schlafe ich dann ein.

23.5.21 Pfingstsonntag/Pentecôte

Moissac nach Espalais

22 km

Nach einer guten Nacht genehmigte ich mir eine schöne Bol du café, eine Schale Kaffee, wie sie es morgens in Frankreich immer gibt. Aber auch nur morgens. Wenn man das mittags haben möchte wird man unverständig angeschaut, da gibt es nur Minitassen, das soll mal einer verstehen. Ich bekomme ihn sogar umsonst, Frühstück hatte ich abgelehnt, ist teuer und eh nicht so mein Ding. 

Ich mache mich auf den Weg eine Boulangerie ausfindig zu machen, hole mir frisches Baguette und zwei Chocolatines und begebe mich an den Kanalweg. Es ist ein schöner von großen Platanen umsäumter ebener Weg. Es gibt wenig später auch wieder eine Variante, nämlich eben diesen ebenen Weg weiterzugehen oder den eigentlichen Jakobsweg über die Collines, der aber über drei krasse Berge, dafür aber mit Aussicht in die Gascogne und auf die Garonne führt. Hmm, was mache ich nun? Ich bin früh am Start, das Wetter ist gut und den ganzen Tag am Kanal entlang gehen ist bestimmt auf die Dauer langweilig, so entscheide ich mich für die Berge. 

Der erste folgt auch sogleich, steile 100 Höhenmeter, prustend komme ich oben an und setze mich erst mal auf ein kleines Bänkle und verkürze meine Hose, denn es wird schon ganz schön warm. Verschnaufen, Wasser trinken, weiter geht’s. In der Ferne sehe ich eine große Dampfwolke, was das wohl ist? Da qualmt mal wieder ein französisches Kernkraftwerk, Golfech, schön, hmm! Nun Dualitäten gibt es überall. 

Die Landschaft ist wunderschön grün, die Berge steil und die Aussicht Richtung Gascogne wird immer schöner. Es geht runter ins Tal, Berg 2 wartet auf mich und oben das Dorf Boudou

Etwas abseits gibt es einen schönen Aussichtspunkt mit einer Karte, auf der auch tatsächlich schon die Pyrenäen im Hintergrund abgebildet sind. Ich stehe vor der schönen Landschaft, unten fließt die Garonne in einem sanften Bogen dahin, es gibt viele Obstplantagen und auch wieder nettes Patchwork-Design. Aber Pyrenäen? Nee Leute, da ist nichts zu sehen, kann ich mir auch nicht vorstellen. Nun denn. Ich mache hier Pause, setze mich mal wieder an den Abgrund, der aber gesichert ist und packe meine Fressalien aus. Mit so einer tollen Aussicht zu Mittag essen, das ist schon was. Gut, dass ich die Mühsal auf mich genommen habe und doch diesen schönen Weg über die drei Berge gegangen bin. Einer wartet noch auf mich. 

Boudou ist klein und menschenleer. An der kleinen Kirche treffe ich auf Marlène und Joseph, die Beiden aus Neuchâtel. Wir schnacken kurz und ziehen dann jeder seiner Wege um uns später an der Schleuse wieder zutreffen. Man trifft ja doch immer wieder auf dieselben Leute, schade, dass ich meine Dreiertruppe nicht mehr sehen werde, die sind zu weit vorne jetzt. Die Kirche hat leider zu, aber es gibt gegenüber eine Toilette, das ist doch mal was, nehme ich dann mal an, besser als in die Büsche zu gehen und Gott sei Dank kein Stehklo. Das Wasser was ich mir aus dem Wasserhahn am Aussichtspunkt gezogen habe macht mir Sorgen. Es hat irgendwie komisch gerochen, kann auch am Ausguss gelegen haben, aber ich höre auf mein Gefühl und lasse es sein mit dem Trinken. 

Über saftige Wiesen und schmalen Wegen geht es weiter. Der Pirol singt seinen charakteristischen Gesang, der Buchfink ist sowieso immer und überall zugegen, aber da ist noch was Unbekanntes. Ein „gu, gu, gu“ ist zu hören. Was ist das wohl? Ich habe da so einen Verdacht, ist es ein Wiedehopf? Jo, ist es, toll! Leider bekomme ich keinen zu Gesicht, habe mal einen in Afrika gesehen, toll sehen die aus. Na und die Grillen zirpen auch um die Wette. Es ist so richtig schön. 

Nächster Berg, schnaufend hoch und schnaufend runter komme ich in Malause an und finde neben der Kirche Gott sei Dank einen Wasserhahn und schütte das andere Wasser weg. Man soll doch auf die leise sanfte Stimme hören gell? Das Wasser ist lecker und ich mache ums Eck auf einer Bank vor dem Rathaus Pause, ziehe die Schuhe aus und lege mich eine Weile auf die Bank und ruhe aus, schön! Malause ist so ein bissel Durchgangsort, aber ganz hübsch, in den Gärten stehen mittlerweile große Palmen, manchmal Bananenstauden, Bougainvillea und immer wieder auch tolle, große Callas. Man merkt schon, dass man doch immer mehr in den Süden kommt und nun sind das Wetter und die Temperatur dem auch etwas entsprechender als zu Anfang.

Die Kirche von Malause ist eine sehr hübsche und bunte mit einem leicht orientalischen Touch und tollen Kirchenfestern, ich verweile. 

Weiter geht’s nun rüber wieder zum Kanal, über die Brücke auf die andere Seite und unter den großen Platanen, die wunderbaren Schatten spenden, entlang. Nach den Bergen ist dieser ebene Weg wunderbar. Das Wasser hat eine tolle grüne Farbe und am Rand stehen vereinzelte Boote, in der Ferne die nächste Brücke. Und dann wird es spannend. 

Ein Boot fährt an mir vorbei, da ist die Schleuse, ich lege einen Zahn zu, das möchte ich mir anschauen. Es sitzen diverse Leute auf der Wiese davor und machen Pause, gegenüber ist ein kleines Café, auch hier sitzen Menschen. Galant lenkt der Bootsführer das Boot in die Schleuse, das Wasser wird sprudelnd abgelassen und auf der anderen Seite geht’s dann wieder raus und weiter, wo auch immer er hinfahren will, wer weiß das schon?