Le Grand-Lemps/Grenoble nach Figeac 3

Ich schlage mir mit Baguette, Salami und Käse den Bauch voll und ziehe mich mit meinem Roibusch-Tee ins Zimmer zurück, denn unten werden die Franzosen immer lauter und nerven. Wenig später erreicht mich eine Whats app von Monique. Wir hatten ja in Nasbinals Nummern ausgetauscht. Sie hört sich sehr frustriert an, ist in einer anderen Gite untergekommen, etwas außerhalb von St. Chély, ist ganz unglücklich, sie ist alleine, es ist kalt, die Heizung geht nicht. Kurzerhand sage ich ihr, sie solle doch zu uns kommen, was sie dann auch macht. Die arme ist heute aus Nasbinals über die Aubracebene im Schneegestöber gelaufen, sie kam triefend und ziemlich fertig zur Tür hinein, quartierte sich in unser mittlerweile schön warm gewordenes Zimmer ein. Die Holländerin hatte schon eine Leine quer durchs Zimmer gespannt, damit ihre Sachen trocknen können. Die heiße Dusche hatte Monique wieder belebt und Farbe kehrte in ihr Gesicht zurück. Das muss ein schlimmer Tag heute da oben gewesen sein. Mittlerweile befinden wir uns auf 815 m Höhe, also schon ein ganzes Stück wieder weit unten, morgen geht’s dann die nächsten 500 m runter, toll.
Ich schaue sie an und weiß sofort was los ist, sie hat Punaises-Stiche, unverkennbar an der geraden Linie der roten Stiche. Oh oh. Ich weiche gleich einen Schritt zurück, denn die will ich nicht haben. Die hatte ich in Australien schon mal, nicht gut. Sie erzählt ihre beklagenswerte Geschichte, dass sie sich die in einer Gîte geholt hat, dass sie Angst hatte, dass sie jetzt keiner mehr rein lassen würde, dass sie alles in eine große Waschmaschine gepackt und bei 60 Grad gewaschen hatte, inklusive Rucksack und Regenjacke. Abends wurde es mit der Juckerei so schlimm, dass ich ihr Cortisonsalbe gab, die das ganze etwas linderte. Was für eine Scheiße, sorry für den Ausdruck, aber anders kann man es einfach nicht sagen. Wenn ein Haus erst mal Bettwanzen hat, dann haben sie ein großes Problem, dann muss der Kammerjäger kommen, denn die verstecken sich in die kleinsten Ecken. Man wird sie sehr schwer wieder los, deshalb sind die Gîtebetreiber auch so rigoros mit den Rucksäcken. Wobei ich dann aber auch nicht verstehe, dass man die eigenen Schlafsäcke benutzen soll, das macht für mich keinen Sinn, denn die Gefahr ist groß, dass die sich darin verstecken. Nun, nach Sinn darf man hier nicht fragen. Also einfach hoffen, dass dieser Kelch an mir vorüber geht. 
Man mag es kaum glauben, aber gegen Nachmittag  hörte es mal kurz auf zu regnen und es kam sogar ein Sonnenstrahl raus. Wow! Ich bin sogleich raus, mir ein wenig den Ort anschauen. Auch ein Gang in die wirklich hübsche Kirche bleibt nicht aus. Auf dem Weg nach Hause buche ich einen Tisch für Monique und mich am Abend, denn wir wollen zusammen essen gehen. 

Aber das Leben ist mitunter kurios. Die Besitzerin eben dieses Restaurants ist auch die Betreiberin der Gîte, in der Monique anfangs war und die sie verlassen hatte. Sie war darüber not amused und maulig am Telefon. Nun standen wir ein bissel blöde da, denn Monique wollte der Frau nicht mehr unter die Augen kommen. Also sagte ich meinen Tisch ab (die Frau war echt genervt, kann ich verstehen) und so gingen wir einfach mit den anderen in das andere Restaurant vom Hotel, wo ich heute Mittag unterkommen wollte, aber es dann doch nicht tat. Wir hatten einen Zweiertisch und es war richtig nett, schön englisch quatschend, lecker Essen, guten Wein. Hach, all der Regen des Tages ward vergessen. Nun, als wir rauskamen war er wieder da, der Regen. Mit nackten Füßen in Sandalen (die Wanderschuhe müssen ja noch trocknen) rannten wir wie die Bekloppten durch den strömenden Regen zur Gîte, prustend, schnaufend die Treppen hoch und oh..

Schön warm! Die Wäsche ist tatsächlich trocken geworden und duftet nun gut. Jeremy hat alles auf einen Haufen geworfen und jeder suchte sich seinen Kram raus. Auch die Schuhe sind aufgrund der Zeitungen und später der Heizung trocken geworden. Nicht gut fürs Material, aber trockene Füße sind mir da wichtiger. 

Wir drei Mädels hatten ja nun ein gemeinsames Zimmer, auf der Leine trocknen die Klamotten und unter der Heizung befinden sich unsere Schuhe. Wir laberten noch eine Weile auf englisch, was mir sehr gefiel. Ich fühlte mich sehr wohl mit den Beiden. Wenig später machten wir das Licht aus und hofften sicher alle insgeheim, dass es doch morgen endlich mal besser wird mit dem Wetter. Nun, wir werden sehen. Hmm!

26.9.20

St-Chély-d'Aubrac 

nach St-Côme-d'Olt 

20 km

Wir machen die Augen auf, es hat aufgehört zu regnen, ist aber grau und verhangen. Toll, wenigstens etwas. Die Klamotten inklusive Schuhe sind alle trocken geworden, das erfreut das Pilgerherz. Ich hoffe es bleibt auch lange so, der Wetterbericht verheißt aber leider wieder anderes. Nun denn. Ich frühstücke nicht mit den anderen, sondern gehe zum Bäcker, um mir Baguette und Chocolatines zu holen. Leider vergesse ich meine blöde Maske und durfte somit wieder zurücklaufen, um sie zu holen, da war der Bäckertyp strickt. irgendwie hatte der auch schlechte Laune, egal. Ich kehre wieder zur Gîte zurück, der eine Franzose ist furchtbar präsent und laut, nervt echt. Schnell gehe ich in mein Zimmer, packe meine Sachen, trinke noch einen Kaffee mit Monique zusammen und mache mich dann aber alsbald alleine auf den Weg aus St-Chély raus. 

Es geht runter zum Fluss La Boralde und über die alte steinerne Pont des Pèlerins. Auf der anderen Seite geht es den Berg wieder hoch mit einem schönen Blick auf den Ort und diverse Pilgern, die mir mit bunten Rucksäcken folgen. Oh man, ich lege einen Zahn zu, möchte alleine sein. 1390 km noch bis Santiago zeigt mir ein Schild an. Das finde ich klasse, dass ab und an diese blauen Schilder zu sehen sind, so hat man eine Vorstellung, wie weit man noch entfernt ist von Santiago. Bin gespannt bei wie viel Kilometern ich diese Tour beende. Alleine gehe ich meiner Wege, schön ist das, ich fühle mich gut und fit. Leider fängt es dann doch an zu pieseln, das war vorherzusehen. Also Regencape rüber ziehen, den Rest hatte ich eh schon in der Gîte angezogen. 

Bienvenue en Aveyron“ besagt ein Schild, aha nun habe ich die amtliche Bestätigung, dass ich nun im neuen Département bin. Also geht’s weiter durch Aveyron, schön. Es geht durch einen schönen Buchenwald, hie und da haben Pilger Steine aufgetürmt, toll sieht das aus. Ein paar Esel begrüßen mich auf der Anhöhe und lassen ihren doch eigenartig klingenden Ruf ertönen, im Hintergrund höre ich das Gerede von Pilgern. 

Ich lasse die mal vorbei, aber wir machen noch gemeinsam Fotos, sie von mir und ich von ihnen, dafür ist's ja gut. Wieder auf der Dorfstraße angekommen warnt ein Schild den Autofahrern doch auf die Pilger acht zu geben, das finde ich ja nett. Nun, es scheint hier immer ordentlich was los zu sein. Wahrscheinlich kann ich noch von Glück reden, dass die Coronazeiten doch den ein oder anderen zu Hause ließ und es nicht ganz so voll ist. Nun ich bin immer noch dabei mich daran zu gewöhnen. Wenig später komme ich in L'Estrade an, der Ort in dem ich eigentlich unterkommen wollte, auch ja schon ein Bett gebucht hatte und die mir ja wegen einer Gruppe abgesagt haben, weshalb ich ja meine ganze Tourplanung über den Haufen werfen musste. Nun, aber sie haben eine nette Schutzhütte hier, bieten Kaffee und Tee in Thermoskannen an, die von zwei süßen Katzen bewacht werden. Das ist doch mal nett. Ich muss nicht sagen, dass ich nicht die einzige war, die hier Unterschlupf fand, denn es fing auch wieder an zu regnen und ein Kaffee so zwischendurch ist ja eine nette Sache. Monique kommt wenig später ums Eck, das ist nett. Wir gehen gemeinsam weiter. 

Es hat aufgehört zu regnen und geht einen schönen Weg im Wald entlang und runter wieder zum Boralde-Fluss. Es ist Zeit für eine Pause, ich habe Hunger, Monique auch. Ein kleines Bänkchen am sprudelnden Fluss lädt dazu ein. Es ist zwar frisch, lange können wir hier auch nicht sitzen, aber es ist schön jetzt zu zweit zu sein, das muss ich mal sagen. So ab und an ist das auch nett. Bergig geht es weiter, im Großen und Ganzen aber bergab, mitunter auf spannenden Wegen, die sicher bei Starkregen zu kleinen Bächen werden. Zum Glück wird uns das heute nicht zuteil, jedenfalls beim wandern nicht.

Nochmal geht es eine kleine Steigung hoch nach La Rozière mit schönem Weitblick in die Schlucht des Boralde und tatsächlich einen kurzen Sonnenstrahl. An einer mit Le-Puy-Rosenkränzen behängten Maria geht es durch den Ort weiter an steilen Felsen und vielen Maronenbäumen vorbei. Nun sind sie langsam reif und fallen von den Bäumen, könnte man sammeln, rösten und dann essen. Nun wir lassen das jetzt mal. Die Steine auf denen wir gehen glitzern silbern, toll sieht das aus, und ein Steinherz ist auch mit dabei, das schicke ich meiner Marmel, da freut sie sich. 

Wir kommen tatsächlich im wärmenden Sonnenschein den Berg runter nach St-Côme-d'Olt und laufen direkt auf das Couvent de Malet zu, ein Kloster, in dem Monique heute übernachten wird. Ich werde einen Kilometer weiter runter im Ort in einer Gîte übernachten, auch in einem Einzelzimmer. Ab und an ist das ganz schön. Ich begleite sie aber noch zum Eingang. Eine Nonne begrüßt uns am Eingang und hält uns sogleich ein Thermometer vor die Nase und misst unsere Temperatur. Aha, das hatten wir jetzt auch noch nicht gehabt, Corona lässt grüßen. Bis dato war von Corona nicht viel zu bemerken. Klar Maskenpflicht in den Läden, das gibt es schon, aber das war's auch. Nun, hier sind sie vorsichtiger.

Ich trinke mit Monique in der Sonne im Innenhof noch einen Kaffee, das tut gut. Endlich mal wieder wärmende Sonne, welche zwar nicht lange anhält, aber die Zeit des Kaffeetrinkens schafft sie noch. Ich verabschiede mich von Monique und gehe weiter runter in den Ort an Kakteen vorbei mit tollen Früchten dran. Aha, hier scheint mitunter wirklich ein anderes Klima zu herrschen. Jetzt sieht es im Grau, welches nun wieder vorhanden ist, doch sehr eigenartig aus. Der Kirchturm  kommt in Sicht. Und sieht auch eigenartig aus, denn er ist ein verdrehter. Da hat man sich ja was ausgedacht. Ich hatte aber keine Lust reinzugehen, wollte erst mal meine Unterkunft aufsuchen.

St-Côme-d'Olt ist ein nettes Kleinstädtchen mit vielen alten Häusern am Lot gelegen, einer der großen Flüsse Frankreichs. D'Olt bedeutet auf Okzitanisch: Lot, also gibt es hier zwei Sprachen. Manchmal gibt es Ortsschilder mit dem französischen und dem okzitanischen Namen, spannend. Ich schlängel mich durch den Ort, einige Pilger kommen mir entgegen, es gibt Brasserien, Hotels und Läden, ein paar Jugendliche fahren mit Fahrrädern und lauter Musik an mir vorbei, hier ist Leben, schön. Etwas außerhalb komme ich in einer ruhigen Straße zur Gîte, die eher wie ein Privathaus aussieht. ich suche den Eingang und irre etwas rum, da kommt mir die Gîtebetreiberin entgegen. "Ja ich hatte ein Einzelzimmer gebucht", sage ich. Sie meinte, ob es mir was ausmachen würde, wenn ein Monsieur noch mit im Zimmer nächtigt? Ich sagte: „Ja, macht mir was aus, ich will keinen Monsieur“. Sie meinte, er hieße François. „Aha, aber ich will auch nicht François im Zimmer haben“. Ja dann kann sie mir nicht helfen, denn so ist es nun mal. Na toll, das kann jetzt echt nicht wahr sein, was soll das denn? Ich verabschiede mich von ihr, habe keine Lust ein Zimmer mit François zu teilen, und gehe in den Ort zurück, versuche zwei Gîtes zu erreichen, eins ist belegt, das andere nur mit AB. Oh man, jetzt bin ich genervt. Ich rufe das Couvent an, wo Monique untergekommen ist, gehe einen Kilometer wieder zurück und ziehe dort ein. Nun, Monique wird staunen. Ich habe ein Zweibettzimmer, bleibe aber alleine. Die Dusche ist klasse, das Zimmer auch und Essen gibt es abends auch, alles schön, aber die Chauffage geht nicht und es ist etwas frisch. Ich gehe runter und frage danach: "Nee, die ist noch nicht angestellt, ist ja noch September." Na toll, sowas kann ich ja leiden. Egal wie kalt es ist, es wird erst im Oktober angestellt, das kenne ich mitunter in Deutschland auch. Ich war not amused, die Frau am Counter leicht genervt. Im Nachgang verstand ich auch warum, denn ich war wohl nicht die einzige, die danach fragte und so stellten sie gegen Abend dann doch noch die Chauffage an, geht doch :-)

Ich traf später auf Monique, die sich freute mich wiederzusehen. Wir wollten noch auf ein Bier in den Ort gehen. In voller Regenmontur erreichten wir im strömenden Regen eine Brasserie, konnten uns dann dort in den Wintergarten setzen. So richtig klasse war es nicht, kalt war es. Die Kellnerin war aber so nett den Heizpilz anzustellen, somit wurde es schön warm und wir tauschten uns über unsere Erlebnisse auf der Via Podiensis aus. Wir tranken zwei Bier und machten uns wiederum im strömenden Regen auf zum Couvent, denn um 19 Uhr gibt es essen. Wir waren nicht alleine, an einzelnen Tischen saßen Pilger und Klostergäste, es gab ein leckeres Essen, dazu noch schönen Rotwein, so richtig nett und das netteste war von allem, dass die Nonne dann zu uns allen sagte, dass sie nun doch die Chauffage angestellt hätten. Happy und leicht angetütert waren wir beide die letzten, die den Speiseraum verließen, tranken noch einen Vervain-Tee im Fernsehraum und gingen dann auf unsere Zimmer.

Morgen zum Frühstück sehen wir uns wieder. Beide wollen wir nach Estaing, vielleicht gehen wir ja zusammen, vielleicht auch nicht, mal sehen. Aber wir haben wieder zwei unterschiedliche Gîtes dort gebucht. Nun, es kam auch hier wieder anders als gedacht. Das spannende am Pilgern ist ja auch, dass man nie weiß was kommt und jeder Tag anders ist. Aber am Ende wurde alles immer gut, das ist doch die Hauptsache. Bonne nuit!

27.9.20 

St-Côme-d'Olt nach Estaing

19 km

Es regnet und zwar in Strömen, ich könnte kotzen, sorry, aber es nervt echt nur noch. Okay, was soll's, wir frühstücken zusammen und gehen dann aber zu unterschiedlichen Zeiten los. Da stehe ich nun, vor mir die Regenwand und 19 km Fußmarsch, okay, das wird jetzt nicht so klasse. Ich gehe also wieder den Kilometer runter in den Ort, marschiere genervt an der Kirche vorbei, die ich dann doch nicht mehr besuche und Richtung Lot runter. "Das schöne Lot-Tal, lieblich, grün und wunderbar" wird so in meinem Reiseführer beschrieben. Nun stehe ich auf der Lotbrücke, der Fluss ist grau, die Stadt auch und es schüttet. Eine Französin aus Tours kommt ums Eck, kann englisch und wir gehen ein Stück gemeinsam. Sie plappert daher, ich bin genervt, aber es lenkt mich gut von der Misere ab, durch die ich hier gerade durchwandere. Im flotten Schritt geht es also über die Brücke und an der anderen Seite weiter Richtung Espalion. Es gibt hier zwei Varianten, die Bergvariante mit sicher tollem Blick ins liebliche Lot-Tal oder den Weg direkt am Fluss entlang. Nun, ich muss nicht erwähnen, dass ich ob der nicht vorhandenen Aussicht ins liebliche Lot-Tal dann doch den ebenen Flussweg langmarschiere.

Wenig später landen wir an der wohl tollen Perserkirche aus dem 11. Jahrhundert, die aus rötlichen Sandstein gebaut ist, aber jetzt eher grau aussieht. Ich habe keine Lust reinzugehen und marschiere auf Espalion zu, habe die Französin auch hinter mir gelassen, als wir auf andere Franzosen trafen, die sich auf eine Bank in den Regen gesetzt hatten um zu essen. Also ich staune immer wieder wie entspannt die Leute bei solchen Wetter sind. Vielleicht bin ich auch total unentspannt, aber nass und kalt sind jetzt nicht meine Favoriten. Und die nicht wasserdichten neuen Schuhe machen es nicht besser, da muss definitiv eine andere Lösung her. Sonst sind sie super, mein Zeh macht nur ab und an Probleme, ich habe keine Blase mehr, alles gut, aber eben nass. Nun denn. Ich lasse sie also dort zurück und komme in Espalion an. Ein netter größerer Ort am Lot gelegen. Ich muss zugeben, dass ich auf dem Weg nach Espalion schon mit dem Gedanken spielte die Tour hier abzubrechen, denn hier gibt es einen Bahnhof. Die Wetteraussichten sind weiterhin nicht gut und es nervt nur noch. Weiter unten im Süden Frankreichs gibt es Katastrophen mit Erdrutschen und Überschwemmungen. Da kann ich ja hier noch von Glück reden. Hmm!

Schade finde ich auch, dass ich durch dieses wunderbare Land pilgere und durch den Regen wenig von dem Wunderschönen mitbekomme. Aber das Gespräch mit der Französin hat meine Laune gebessert und mich umgestimmt. 

Im Ort angekommen setze ich mich in ein Café, denke nach und entscheide weiter zu pilgern. Ich schreibe Monique, dass ich hier bin, ob sie nicht auch kommen will, bekomme aber keine Antwort. Später erzählt sie mir, dass sie den ganzen Weg durchgewandert ist bis nach Estaing. Oh oh, das ist schon Hammer. Wir sahen uns dann aber dort wieder. Durch das Waschen der Regenklamotte nach der Bettwanzen-Geschichte ist ihre Jacke leider nicht mehr ganz wasserdicht, auch hatte sie keine Regenhose und ist im großen und ganzen genauso dem Regen abgeneigt wie ich, somit ist sie auch total genervt, das haben wir gemeinsam. Nach zwei Mini-Kaffees und Tagebuchschreiben mache ich mich dann doch wieder auf in den strömenden Regen, der heute auch nicht mehr aufhören wird. Also Regenschauer lasse ich mir noch gefallen, aber Dauerregen geht echt nur mit Drogen, oh man, vielleicht wäre ein Korn jetzt doch die Lösung :-)

Ich komme an der alten Brücke über den Lot an, sieht schon alles toll aus. Meine Kamera habe ich schon sicher im Rucksack verstaut, mein Handy ist zum Glück wasserdicht, somit gibt es doch das ein oder andere Foto. Die Blumenarrangements der Brücke hübschen das Grau mit einem farblichen Klecks schön auf. Man nimmt halt was man kriegen kann und versucht das Beste draus zu machen. Die Pont vieux gehört zum UNESCO Weltkulturerbe und Espalion hat eine tolle Altstadt mit vielen Brasserien, Restaurants, Cafés. Mein Reiseführer sagt, dass die Stadt von der Burgruine Calmont-d'Olt überragt wird, die ich aber ob des vielen Regens nicht sehen kann, denn er verwässert die Sicht. Nun, dann geht’s halt ohne Burgruine weiter. Die Häuser liegen abenteuerlich direkt am Fluss, das sieht schon klasse aus, manch eines hat einen kleinen Balkon mit Flussblick, süß.

Ein Eisvogel fliegt an mir vorbei und setzt sich auf einen nahegelegenen Ast. Toll, so nah habe ich noch nie einen Eisvogel gesehen. Er schimmert in seinem Blau vor dem grauen Hintergrund und ich schaue ihm nach. Happy darüber gehe ich weiter. Ich habe mich entschieden keine Bergwege heute zu gehen und nehme die D920, hoffe dass sie nicht so befahren ist, was Gott sei Dank dann auch der Fall ist. Jetzt bei dem Starkregen noch irgendwelche glitschigen steilen Steinwege zu erklimmen, das brauche ich nicht. Ich nehme den direkten Weg nach Estaing und marschiere im Turbotempo die Straße entlang. Anfangs im kontinuierlichen Jesusgebet versunken fange ich an Lieder zu dichten. Somit ist mein Chauffage-Song entstanden, den ich später Monique präsentierte:

„Je marche, je marche, je marche

et après je veux un chauffage, 

oui, oui!“

„Ich laufe, ich laufe, ich laufe

Und danach möcht‘ ich eine Heizung haben, ja, ja!

Ich muss lachen, das erheitert das Pilgerherz. Gefolgt von einer Eigenkreation von meinem Ex und mir: „Bambule in der Schule…“ Ja ja, was soll man machen? Singen hilft und ist vielleicht doch besser als Korn :-) Nach einem darauf folgenden gesammelten Taizélieder-Repertoire bitte ich das Universum um einen Unterschlupf-Ort, denn ich habe Hunger und brauche Pause, die Beine sind müde.

Ich komme im Ort Trédou an, auf einer Anhöhe kann ich eine kleine Kirche entdecken. "Liebes Universum, bitte mach‘, dass die auf hat." Und ich muss auch noch dringend pieschern, hmm! Ich komme oben an, sie hat auf und ist sogar angenehm warm, toll. 

Ich verteile meine nassen Sachen zum scheinbaren trocknen, was natürlich eine Farce ist. Ich stehle mich heimlich nach draußen und guck: keiner da! Ich hocke mich einfach hin und hoffe, dass bei dem Wetter keiner ums Eck kommen wird. Puh, geschafft! Als Mann hat man es einfach leichter in solchen Situationen. Ich setze mich hin und esse erst mal was, zum Abschluss gibt's wieder Brets, „Fromage du Jura“, lecker! An der einen Wand hängt ein farbenfrohes Jakobusbild, auf der gegenüberliegenden Seite befindet sich der Kreuzweg auf tollen bunten Kacheln kreiert. Süß isse, die kleine Kirche hier auf dem Hügel. Ich befinde mich mit diesem Kirchen-Abstecher nun auch wieder auf dem Jakobsweg und bleibe jetzt auch auf diesem. Es wird kühl nach einer Weile, Zeit zum Aufbruch, also nasse Klamotten wieder anziehen und raus in den Regen, der Gott sei Dank etwas weniger geworden ist. 

Mit mittelalterlichen Häusern und sogar einem kleinen Schloss kommt Verrières in Sicht, ein kleiner Ort am Fluss Magrane gelegen, den ich über eine alte Steinbrücke überquere. Auf den weiteren Weg nach Estaing kommt die Frage auf: „Warum tue ich mir das hier eigentlich an?“ Der Wunsch im schönen Warmen auf meinem Sofa in meiner schönen Wohnung zu sitzen, knallt sich immer wieder in meine Gedanken. Was soll mir das hier alles sagen, soll ich eine Lehre daraus ziehen oder ist es eben einfach nun mal so wie es ist? C'est comme ça!, wie der Franzose sagen würde. Nun, wir werden sehen. Jedes Pilgern hat sein eigenes, seine eigenen Erkenntnisse, seine eigenen Erlebnisse. 

Ich komme die Straße runter, Estaing ist auf der gegenüberliegenden Seite des Lot zu erkennen, sieht klasse aus mit den alten Häusern, der Kirche und einem Schloss oben auf dem Berg. Die große Steinbrücke (UNESCO Weltkulturerbe) über den Lot sieht beeindruckend aus, da mache ich doch mal ein Foto mit meinem wasserdichten Handy, gute Investition. „L'un des plus beaux villages de France“ steht auf einem Schild: „Einer der schönsten Orte Frankreichs.“ Hmm, das kann ich mir gut vorstellen, sieht schon toll aus. Ich gehe über die Brücke, inmitten befindet sich ein Kreuz, ich bete mein Gebet, gehe an der Statue von einem gewissen François d'Estaing vorbei und auf die andere Seite. Der Lot scheppert unter mir hindurch, toll.

Nun heißt es meine Gîte aufsuchen. Von Monique, die natürlich schon da ist, da sie keine Pause gemacht hat, höre ich, dass ihre Gîte keine Heizung hat, sie unglücklich ist und nicht weiß was sie machen soll. Ich meinte, okay, ich sage ihr Bescheid wie meine Gîte ist, wenn ich angekommen bin. Nach einigem Suchen finde ich sie auch. Sie macht erst mal einen guten Eindruck. Ein Pärchen versucht vor der Tür ein komplett nasses Zelt zu entwässern. Oh Gott, das wäre ja nun echt die Härte, bei diesem Wetter zu zelten. Nun, das haben sie sich auch gedacht und übernachten heute hier.

Die Betreiberin ist nett und zeigt mir mein Zimmer, was nicht so klasse ist. Drei Betten, ein kleines Fenster kurz unterhalb der Decke. Ich frage was mit der Chauffage ist, sie meint hier wäre Fußbodenheizung. Aha, davon ist nicht viel zu merken und ich weiß auch nicht wie ich meine Sachen trocken kriegen soll und bin unglücklich, sitze ratlos in diesem komischen Zimmer und schreibe an Monique, die mittlerweile im Hotel untergekommen ist. Sie meint: „Dann komm doch her“ und sie fragt mal wegen eines Zimmers.

Ich stehe so blöd in diesem Zimmer rum, warte und warte, dann rufe ich einfach selber dort an. Die Frau am Telefon sagt mir, dass kein Zimmer mehr frei ist, ich bin kurz davor in Tränen auszubrechen. Es ist kalt, nass, ich bin k.o. und weiß nicht was ich machen soll. Monique teilt mir mit, dass ich kommen kann, ein Zimmer ist frei. Hä? Ja was soll ich sagen? Just in dem Moment als ich anrief, hatte Monique das Zimmer für mich schon reserviert. Das sind mal Dualitäten. Total happy zog ich meine nassen Schuhe wieder an, sage der Betreiberin, dass ich hier nicht bleibe. Sie war total verwundert warum ich wegen der Heizung hier nicht bleiben will. Hmm, verstehe ich nicht, ich finde das ist ein existentielles Thema und wunder mich, dass sie sich wundert. Aber gut, die Menschen sind ja unterschiedlich. Sie gibt mir die 10 Euro zurück und ich stapfe die Straße wieder runter zum Hotel.

Ich trete ein und werde von warmer Heizungsluft empfangen, Labsal für die durchnässte Seele. Das Ganze wird nun wohl ein bissel teurer, ist mir jetzt aber auch egal. Ich komme ins Zimmer und könnte nur feiern. Die Heizung wird angeknallt, ein tolles großes Bett, eine tolle heiße Dusche, geiler geht’s echt nicht. Chips essend schaue ich mich um, Hammer! Am Ende wird doch zum Glück alles gut. 

Man muss dazu sagen, dass die französischen Heizungen mitunter eigenartig sind, wie so vieles in Frankreich. Ich finde man kann schon in französischen Filmen erkennen, dass die Franzosen speziell sind. Ich kann jedenfalls immer sofort sagen, nach ein paar Sätzen, ob es sich um einen französischen Film handelt. Was die Heizungen betrifft, sind es oft Elektroheizungen mit komischen Einstellknöpfen, die ich erst mal erklärt bekommen musste, aber wenn es dann richtig eingestellt ist, dann läuft's auch. Und man soll keine Klamotten rauflegen, warum auch immer, ist mir aber auch egal, bisher ist nichts abgebrannt.

Auch spannend sind die Wäscheständer, das muss ich jetzt noch mal erwähnen, das sind so komische Klappteile, wo man die Klamotte übereinander raufpackt und wehe man fasst das Ding an, dann fällt es in alle Einzelteile. Ich habe es bis heute nicht begriffen, aber die drei Franzosen aus Montfaucon konnten das Ding gut handhaben, ich hatte den Kampf aufgegeben. Nun andere Länder, andere Wäscheständer.

Ich traf mich in der Loggia mit Monique auf ein Bier und wir tauschten unsere heutigen Erlebnisse aus. Das gefällt mir echt gut mit ihr. Wir mussten echt lachen, wie wir uns untereinander jeden Tag unterstützt haben, den einen Tag hatte der eine die bessere Unterkunft, den andern der andere. Wir beschlossen ab jetzt zusammen zu gehen. Was soll das auch alles? Ich meinte ich habe ein Mobil-Home in Golinhac gebucht. Sie rief da an, ob sie auch kommen könne und ob die Chauffage geht, denn das wäre sonst für mich auch ein No-go. Aber alles bestens und so konnten wir beide sogar noch was sparen.

Happy saßen wir wenig später im echt schnieke aussehenden Restaurant und genehmigten uns das Drei-Gänge-Menü des Hauses mit einem leckeren Vin und einer Flasche Wasser. Wie geil, wir fühlen uns so richtig wohl. 

Aber Dualitäten bleiben nicht aus: Es kommt eine Whats app-Nachricht meiner Mutter, Katerli, unser Kater, dem es schon zwei Tage sehr schlecht ging musste eingeschläfert werden. Das traf mich wie ein Schock mitten beim Essen. Damit hab ich nicht gerechnet, denn er machte noch einen so guten Eindruck und er war derjenige den man knuddeln und drücken konnte, gerade in Zeiten von Corona so so wichtig. Ich brach in Tränen aus und konnte mich auch nicht beruhigen. Monique saß mir hilflos gegenüber, was sollte sie auch tun? Wir aßen noch auf und ich verabschiedete mich von ihr, ging in mein Zimmer, brach abermals in Tränen aus. Ich rief meinen Stiefvater an, wir redeten eine Weile, meine Mutter konnte nicht reden. Es war alles ganz furchtbar und ich wünschte ich wäre jetzt nicht hier, sondern zu Hause. Mir fiel die Decke auf den Kopf, ich musste nochmal raus an die frische Luft.

Ich stand da im dunklen, keine Menschenseele zu sehen, es pieselte leicht vom Himmel. Ich stapfte zur Lotbrücke und stand da so in der Dunkelheit, auf den reißenden Fluss blickend, machte kehrt und ging dann hoch zur Kirche, stand da an diesem wunderbaren steinernen Jesuskreuz am Eingang und betete. Der Regen pieselte leicht auf mich herab, es tat mir gut hier draußen alleine zu sein. Ich ging wieder zurück und ich habe es schon geahnt, die Tür war zu, es war nach 21 Uhr. Oh man! Ich zog den Zettel mit dem Code raus, auch hier ahnte ich es schon, es war der Code von der Gîte zuvor, den anderen Zettel hatte ich im Zimmer gelassen. Da stand ich nun im Dunkeln im Regen vor der Tür. Zum Glück erreichte ich Monique, die eigentlich den Ton ihres Handys immer aus hatte, aber es gerade in der Hand hielt, als es vibrierte, sie teilte mir den Code mit und ich kam rein, Glück gehabt. Ich saß noch lange auf meinem Bett und war in Gedanken versunken:

 

Wenn du liebst,

hast du den Schmerz gleich mit dazu gebucht.

Die Liebe ist das größte Gefühl,

der Schmerz darauf aber das schlimmste.

So entscheiden wir uns Tag um Tag doch für die Liebe.

Genieße die Zeit, die du miteinander hast,

du weißt nicht was morgen ist.

Auch wenn der Schmerz groß ist,

nicht zu lieben ist keine Lösung.

Den Schmerz annehmen und weinen.

 

Eines Tages stehe ich wieder auf

und gehe weiter meinen Lebensweg,

der mein Pilgerweg durchs Leben ist.

Denn so wird es sein

und so war es schon immer gewesen.

Und je stärker man liebt umso größer ist der Schmerz.

 

Diese Worte schrieb ich noch auf meinem Bett sitzend. Die Fenster sind geöffnet, ich höre die Kirchenglocken, eine Dohle ruft, ein Auto fährt vorbei, der Regen fällt sanft auf die Straße. Irgendwo tropft es permanent. Die orangenen Lichter der Straßenlaternen leuchten zu mir hoch, eine schöne Stimmung, ich beruhige mich und mache die Fensterläden zu. Ich nehme eine Schlafpille, anders komme ich heute nicht zur Ruh‘ :-(

28.9.20 

Estaing nach Golinhac

15 km

Es pieselt nur noch leicht, als ich morgens die Fensterläden öffne. Die Luft ist frisch und riecht nach, na klar, Regen. Meine Stimmung ist gedrückt und ich mache mich auf zum gemeinsamen Frühstück mit Monique. Lecker ist es, denn es gibt sogar Cornflakes, Jogurt, Käse und das Baguette ist frisch. Wir treffen uns im Foyer und gehen gemeinsam los, rüber zur Kirche, ich möchte gerne eine Kerze für Katerli und meine Eltern anzünden. Über eine große Treppe ist sie zu erreichen, am schönen Jesuskreuz vorbei. Die schönen Kirchenfenster spiegeln sich im Altartisch, welcher aus Glas ist. Ich nehme mir zwei Kerzen und stelle sie einfach darauf, schön sieht es aus. Ich bete und gehe in mich. Monique ist schon los gegangen, will noch was einkaufen, wir sehen uns später. 

Lange stehe ich in Gedanken versunken da, mein Herz ist schwer, Tränen kullern. Erleichtert gehe ich dann aber raus, stehe dort oben am Jesuskreuz, atme die frische Luft ein. Okay, weiter geht’s. Monique kommt aus dem Laden mit einer Tüte Carambars, die ich so liebe. Die möchte sie mir schenken, damit ich nicht mehr so traurig bin, ich bin sehr gerührt und probiere gleich mal. Ja stimmt, macht happy :-) Wir holen unsere Rucksäcke aus dem Hotel und gehen los, über die alte Lot-Brücke und dann rechts eine kleine Straße am Fluss entlang, der sich hinter den Bäumen mit vielen bunten Blättern durch die Berge schlängelt. 

Scharf links biegt ein schmaler Wanderpfad ab, steil bergauf. Okay, packen wir's an. Wir sind gemeinsam unterwegs und werden es auch bleiben. Ab und an verlieren wir uns aus den Augen, kommen dann aber wieder zusammen, für mich ist das okay. Tatsächlich sind wir beide alleine unterwegs, wo sind denn die ganzen Pilger hin? Es ist ein toller Waldweg, viele Blätter sind die letzten Tage schon runtergefallen, einige Maronen liegen auf dem Boden, es ist Herbst geworden. Die Bäume sehen immer noch aus, als ob sie auch hier unten kein leichtes Leben haben, viel Moos wächst überall, kleine Farne sind zu sehen, glitzernde Steine und dann auch die ganz großen...

Ein Schild besagt, dass es sich hier ums "Chaos de boules" handelt, also überall liegen diese großen (Steine) Kugeln rum. Ich kann nicht anders und umarme einfach mal so einen Boule. Später wird das Thema "Chaos de boules" zu einem Lacher zwischen Monique und mir und ich kreiere tatsächlich auch hierzu einen Song:

“Chaos de boules

Chaos de boules

Everywhere we're looking there is Chaos de boules.

Chaos de boules

Chaos de boules

We don't want jetzt any longer Chaos de boules

no, no!“

3-Sprachen-Kauderwelsch, passend zu dem wie Monique und ich kommunizieren, da ist alles mit dabei. Der Regen pieselt leise vor sich hin, unter den Bäumen fast kaum zu merken. Uns ist mächtig warm durch das kontinuierliche bergauf wandern. Ein Pilgerpärchen geht an uns vorbei und verschwindet in der Ferne. Steile Felsen ragen neben uns auf, teilweise ist hier und da noch blühendes Heidekraut zu erkennen. Monique teilt mir zum Thema Heide (Bruyière) eine Eselbrücke mit. Geschrieben wie der Käse Gruyière, nur mit B vorneweg. Toll, habe ich mir behalten. Und dann traue ich meinen Augen kaum, aber eine kleine Alpenveilchen-Ansammlung säumt den Weg, na das ist ja mal eine Überraschung. Es gibt immer wieder Blicke ins Lot-Tal, saftige Wiesen und Weiden, eine wunderschöne Landschaft. Am Abzweig Fonteilles steht ein Schild mit einem Foto eines alten Herren, der hier wohl immer die Pilger begrüßt und den ein oder anderen Plausch gehalten hat. Er ist schon verstorben, aber es wird immer noch seiner gedacht, das finde ich ja süß.

Gemeinsam erreichen wir Massip, ein kleines Dorf mit einer Gîte, die echt einladend aussieht. Wir befinden uns wieder auf 642 m Höhe, es geht also bergig weiter. In Estaing haben wir mit 320 m erst mal den tiefsten Punkt nach der Aubracebene erreicht. Mit dem Verlassen von St-Chély haben wir den Nationalpark auch hinter uns gelassen. Kurze Zeit später erreichen wir die ersten Häuser von Golinhac, heute ein kürzerer Weg. Wir kommen an einem steinernen Kreuz an, moosbewachsen und mit dem ein oder anderen Stein bestückt, den die Pilger hier hingelegt haben. Ich bete mein Gebet. Wenig später erreichen wir den Campingplatz Bellevue, verlassen liegt er da. Na hoffentlich ist jemand da, denn es ist mal wieder Zeit für Klamotten trocknen, da wir auch heute ein wenig eingeregnet wurden. Ich muss ja mal sagen, Regen zu zweit ist doch leichter zu ertragen, als alleine. 

Wir hoffen, dass die Chauffage auch richtig gut geht, mal sehen. Aus einem Haus kommt die Betreiberin heraus und bittet uns ins Büro, gibt uns den Schlüssel zum Mobil-Home, welches in der Nähe des Abhangs mit Blick ins Lot-Tal liegt. Es wurde sogar schon ein bissel vorgeheizt, sowas finde ich ja immer toll. Wir suchen uns jeder ein Zimmer aus, hängen unsere Wäsche über die Heizkörper und den vorhanden Wäscheständer und gehen einer nach dem anderen duschen. Wir haben einen Wasserkocher, somit gibt es Kaffee mit Chocolatines, lecker. Das ist echt klasse hier und so langsam wird es richtig warm hier drinnen, toll. Ich schreibe Tagebuch, Monique ist mit what's app beschäftigt, alles wunderbar entspannt und schön warm, so habe ich das gern. Es kommen Fotos von Katerli und seinem Grab via what's app von meiner Mutter, nochmals kullert mir eine Träne die Wange runter und ein Knoten bildet sich in meinem Magen. Ist nicht leicht diese Dualitäten auszuhalten, aber so ist das Leben, immer wieder neu. 

Und tatsächlich, was sehen wir da? Die Sonne kommt raus. Das motiviert uns, wir ziehen uns an und gehen runter in den Ort und auf den kleinen Platz mit dem herausragenden Blick (diesmal wirklich) ins Lot-Tal, das liebliche,  was wir jetzt mal so richtig in der wärmenden Sonne genießen. Wir sind nicht die einzigen, aus allen Ecken kommen die Leute daher und genießen mit uns die Sonne, war jetzt auch echt genug Grau und Regen. Ein großes Kreuz und ein Holz-Jakobus stehen mit anbei. Zwei Pilger kommen ums Eck, den einen kenne ich schon, den habe ich mit seiner Familie nach La Clauze getroffen, er ist jetzt alleine mit Zelt unterwegs, die Familie ist zurück gefahren. Und noch ein junger Österreicher ist mit dabei, auch mit Zelt unterwegs. Ja ja, die jungen Männer trotzen scheinbar auch dem Regen. Wobei die Geduld auch zu Ende schien, denn sie wollten noch 6 km weiter gehen und in einer Abri (Schutzhütte) unterkommen. Sie seien Studenten und können sich eben andere Unterkünfte nicht leisten. Nun gut, dann sollten sie aber mal zusehen, denn sie haben noch einen weiten Weg vor sich. 

Monique und ich gehen rüber zur Auberge La Bastide d'Olt zum essen, hier gibt es ein Pilgermenü, was bedeutet, dass es reichlich und günstig ist. Wir starten mit einem Bier, müssen noch etwas warten, denn es geht erst um 19 Uhr los, klar. Ein leckeres Drei-Gänge-Menü mit einer heißen Suppe vorab und einen Birnenkuchen als Nachtisch, toll. Monique möchte aber nicht länger bleiben, da die hier nicht heizen und es etwas frisch ist. Somit brechen wir auf und gehen hoch zu unserer Heimsauna, denn mittlerweile ist es richtig hot in unserer Bude und die meisten Sachen schon trocken, das ist wunderbar.

Wir trinken noch einen Tee zusammen und überlegen wie es weitergehen könnte und wo wir schlafen wollen. Mich überfordert das gerade etwas, ich möchte einfach jetzt meine Ruhe haben und schlafen. Okay für morgen ist Conques gebucht, wir werden im Kloster unterkommen, wird also wieder ein Mehrbettzimmer werden, aber es soll halt toll sein, da dort noch einiges nebenher geboten wird. Davon habe ich durch Florence, die mir ja schon lange abhanden gekommen ist, da sie einfach mehr Kilometer am Tag macht, gehört. Gut machen wir das. Danach ist’s mit Unterkünften etwas schwierig, Decazeville hört sich nicht so doll an, also werden wir in St-Roch unterkommen. Zwar ein langer Weg, aber wir wollen auch das gute Wetter, was zwei Tage halten soll, ausnutzen. Danach soll es wieder doof werden, nicht weiter drüber nachdenken Maika. Es ist ja schon schön, wenn man unabhängig sein kann mit den Unterkünften, aber es erfordert auch viel Arbeit während des Pilgerns zu planen und zu telefonieren. Alles hat nun mal zwei Seiten. Nun denn.

Ich sitze wenig später auf meinem Bett und überlege die Tour in Figeac abzubrechen, wenn es tatsächlich mit dem Wetter wieder so bergab gehen sollte. Ich habe einfach keine Lust mehr im strömenden Regen rumzulaufen. Das ganze frustriert mich schon, so habe ich doch das erste Mal fünf Wochen Urlaub bekommen und dann das. Okay die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt, vielleicht täuscht sich der Wetterbericht ja.

Morgen geht es aber erst mal nach Conques, welches ein Highlight sein soll, da toll im Tal gelegen mit vielen alten Häusern und einer Kathedrale mittendrin. Na und das alles mit Sonnenschein, das wäre ja dann ein Doppel-Highlight. Toll!

29.9.20 

Golinhac nach Conques

21 km

Gespannt wache ich morgens auf, schiebe den Vorhang beiseite und schaue in eine graue Nebelwand. Oh man, das kann jetzt echt nicht wahr sein, ich könnte brechen. Wir machen uns auf zum Frühstück, welches sich in einem großen Raum oberhalb des Schwimmbeckens befindet. Mit uns sitzt an einem anderen Tisch noch eine Pilgerin, in wie ich finde, ziemlich dünnen Klamotten und einem Riesenrucksack, wo die Frage aufkommen könnte: Wo will denn der Rucksack mit der kleinen Frau hin? Nun muss jeder selbst wissen. Erstaunlicherweise ist das Frühstück klasse, mit allem drum und dran. Durchs Fenster kann man erkennen, dass die Sonne versucht durch die Nebelschwaden zu kommen, das macht ja dann doch wieder Hoffnung. Wir packen unsere Sachen und machen uns im lichter werdenden Nebel auf, aus dem Ort raus.

Monique läuft vorneweg und kommt mir irgendwann abhanden. Es ist noch empfindlich kühl, aber ich habe ja nicht nur die Sommerklamotte eingepackt, meine Warmweste für die ich in St-Jeures noch belächelt wurde, leistet mir nun sehr gute Dienste. Man könnte fast noch Handschuhe gebrauchen. Aber die Sonne wärmt schon etwas. An einem schönen Steinkreuz geht es raus in die Weite. Der ein oder andere Pilger wird im Nebel sichtbar und verschwindet dann auch wieder. Ich bin alleine unterwegs und das gefällt mir gerade sehr gut. Plötzlich verwindet die schöne Sicht und ich wandere wieder durch den Nebel, der sich zäh hier auf der Anhöhe hält. Ich stapfe voran und verpasse dann den Abzweig, gehe an zwei Eseln im Nebel vorbei und stehe plötzlich vor einem Zaun, hier geht es nicht mehr weiter. 

Meine Wander-app erzählt mir was anderes, da geht der Weg doch weiter. Nun, scheint veraltet zu sein, das ist mir ja schon oft aufgefallen. Also entweder über den Zaun klettern und über die nasse Wiese wandern oder zurück. Ich hasse zurücklaufen, entscheide mich dann aber doch dafür, komme wieder an den Eseln vorbei und stehe an der Kreuzung, an der ich falsch abgebogen bin. Der Nebel hat mich wohl das Schild nicht sehen lassen, oder ich war mit meinen Gedanken woanders oder halt einfach beides. Nun denn, ich biege also rechts ab und gehe weiter durch den Nebel, der immer dichter wird. Meine Laune sinkt, als ich an einem Hafi-Pferd vorbeikomme, welches mich begrüßt und eine gaaanz weiche Pferdeschnauze hat, schön. Mich erreicht eine what's app, Monique ist in Le Soulié angekommen. Hier könnte man einen Kaffee trinken, was für Pilger angeboten wird, aber leider nur draußen. Dazu ist es noch zu kalt, na und ich bin noch ein Stück entfernt durch meinen Umweg. Ich lege einen Zahn zu, der Nebel nervt, komme auf eine Serpentinenstraße und erreiche kurz darauf den Weiler mit der Gîte. Ein paar Pilger befinden sich dort am Tisch,  trinken Kaffee und unterhalten sich lauthals. Nix für mich, ich gehe im Sturmschritt daran vorbei, komme an einem alten R5 vorbei, die hier noch viel gefahren werden, echt total süß, und vermisse die leider nicht vorhandene Aussicht in die umliegenden Berge und Täler, die ja wohl sehr schön sein soll, wie mein Reiseführer berichtet.

Ich komme von der Straße weg auf einen schmalen Feldweg, der in den Wald hinein führt und über ein kleines Brückchen über einen Bach hinweg geht. Weit vorne kann ich Espeyrac schon ausmachen, sieht ganz nett aus. Die Endungen "ac" heißt übrigens sowas wie "Ort", somit gibt es hier viele Dörfer mit eben dieser Endung. Ich komme in den Ort, gehe über den kleinen Platz direkt in die Kirche, wo ich auf Monique treffe, das ist schön. So habe ich sie doch eingeholt. Wir verweilen ein wenig und entscheiden uns dann für ein Café gleich ums Eck.

Drinnen sitzen ist doch besser, es ist noch recht frisch. Den Rucksack sollen wir auch hier draußen lassen, das finde ich etwas befremdlich, vertraue jetzt aber mal, dass da nichts wegkommen wird. Ein paar Pilger kommen aus dem Café, mit ihnen der eine sehr laute Franzose, der scheinbar wahrgenommen werden will, ich habe seinen Namen vergessen. Er geht uns mächtig auf den Keks und wir hoffen ihn nicht mehr wiederzusehen, aber auf dem Chemin trifft man sich immer wieder, nicht nur die netten, sondern auch eben die doofen. Er sollte uns noch etwas erhalten bleiben. Aber gut, sie gehen, wir kommen und somit haben wir beide einen schönen ruhigen Ort zum Kaffee trinken. Okay außer der Fernseher im Hintergrund quakt schrill vor sich hin. Wir erzählen was wir erlebt haben auf dem Weg bis hierher und gehen gemeinsam wieder raus und oh…

…die Sonne hat sich durchgesetzt und der Nebel ist gewichen, das wird ausgenutzt. Am Ortsrand gibt es einen Picknicktisch, da setzen wir uns in die pralle Sonne und genießen unser Mittagessen, das ist doch mal toll. 

Dann trennen wir uns wieder, denn ich will mir noch den Ort anschauen, Monique will schon mal vorgehen. Kleine alte Steinhäuser, enge Gassen, Blumenkästen, hübsch ist es hier. Mittlerweile wird es tatsächlich warm und ich mache mich auf den Weg nach unten, überquere wieder den Bach. Nun geht es aufwärts Richtung Sénergues, welches auf halber Höhe bei 506 m liegt, immer mit Blick auf das zurückgelassene Espeyrac, anstrengend, aber schön ist es hier. Endlich kann man die Landschaft sehen und genießen und dass noch mit tollen Farben und Sonnenschein. 

Schnaufend komme ich oben in Sénergues an und treffe dort im kleinen Ortskern auf Monique, die gerade um die Kirche gelaufen kommt. Ich hole mir am Wasserhahn noch etwas Wasser, lasse die Kirche jetzt mal beiseite und wir gehen gemeinsam an der großen Maria, welche in einer Häusernische aufgestellt wurde, vorbei und aus dem Ort raus. 

Es geht eine kleine Asphaltstraße entlang mit weitem Blick in die quietschgrüne Landschaft, bestehend aus Wiesen und Weiden. Im Hintergrund machen wir sogar schneebedeckte Berge aus und finden später raus, dass es sich um die Vulkanspitzen des Velay handeln muss, die Höhen bis 1800 m erreichen. Na und da wir ja einen Kälteeinbruch hatten, ist dort wohl der Schnee liegen geblieben, toll. Aber schön, dass es hier nicht so aussieht. 

Wir gehen nun gemeinsam über eine seichte Hochebene, über Wiesenwege, an Kühen vorbei, die dösend im Gras liegen, bis wir im Weiler Saint-Marcel ankommen. Von hier aus kann man schon die Schlucht erkennen, in die wir gleich nach Conques absteigen werden. Es gibt sogar ein paar vereinzelte Weinstöcke, toll. Links geht nun der Weg von der Straße weg nach unten, 300 Höhenmeter sollen es sein, das ist schon was. Nun, was soll ich sagen, der Weg hat es echt in sich. Erstens sehr steil, dazu steinig, Chaos de Boules lässt grüßen, aber toll, ich liebe solche Wege. Aber die ein oder andere Pause, um die Muskeln zu entspannen, bleibt nicht aus. Farne säumen den Weg, hier und da liegen Maronen auf dem Boden, teilweise sind die Steine sehr kantig und man muss aufpassen nicht zu stürzen. Ich freue mich mal wieder sehr über meine Wanderstöcke. Zum Glück ist es nicht nass, das wäre dann sicher eine doppelte Herausforderung. 

Gemeinsam kommen wir plötzlich aus dem Wald raus und blicken auf Conques, die Stadt, wo viele Podiensis-Pilger ihre Tour beenden: Die Tour von Le-Puy nach Conques. Wir stehen mit offenem Mund da und können es kaum glauben, was für ein toller Ort. Alte, schiefe Steinhäuser schmiegen sich in den Hang, schmale steinbelegte Sträßchen winden sich durch den Ort. Und im Mittelpunkt die große Kathedrale Sainte-Foy aus dem 11. Jahrhundert mit dem daneben liegenden Kloster. Eine „plus beau village de France“, wie es im Buche steht. Wir sind hin und weg und können es gar nicht so richtig fassen. Viele Menschen sind hier unterwegs, viele Touristen, Pilger, hier ist richtig was los. Das erschreckt nach der Einsamkeit erst mal ein wenig. Es gibt viele Läden, kleine Cafés, Brasserien, richtig nett. Man wundert sich, dass hier mitten im Nirgendwo so ein Ort existiert. Das Kloster wurde von ehemals Einsamkeit suchenden Mönchen erbaut und drumherum siedelten sich dann Menschen an. Noch ein Stück weiter unten windet sich der Fluss Dourdou durch die Schlucht. 

Wir besuchen erst mal die Kathedrale, die mit ihrer hohen Decke beeindruckend und mächtig wirkt. Über den Eingangstüren befindet sich ein detailgenaues schönes Tympanon über die Geschichte von Conques

Wir sind doch ziemlich im Eimer, war eine lange Wanderung und der krasse Abstieg runter in den Ort zollt nun seinen Tribut. So begeben wir uns in die Pilgerunterkunft hinter der Kathedrale, ebenfalls ein hübsches aus vielen Vulkansteinen gezimmertes Haus, welches sehr einladend wirkt.

Oben angekommen werden wir von einer Empfangsdame begrüßt und einigen anderen Pilgern. Wir müssen uns in einem Büro anmelden, bekommen unseren Stempel und unser Zimmer zugewiesen. Im Innenhof müssen wir die Rucksäcke in große Plastiktüten, die Schuhe in ein Regal packen und die Stöcke an Wandhaken hängen. Sodann werden wir von einer sogar deutsch sprechenden Frau aufs Zimmer geführt, ein 16-Bett-Zimmer, oh man, das ist eine Herausforderung. Wegen Corona wird aber nur die Hälfte belegt. Wir kommen rein und sehen nur Männer. Was soll das denn? Ich frage die Frau, ob wir nicht ein anderes Zimmer haben können, denn was soll das mit uns beiden im Männerzimmer? Nein, das wäre hier so. Macht jetzt Sinn, aha!

Ich steh an unserem Etagenbett etwas ratlos rum und habe ein Déja vu, davon habe ich geträumt, dass ich in einem großen Zimmer mit vielen Leuten ratlos so dastehe und so gar nicht weiß was ich jetzt machen soll, ich bin irgendwie überfordert. Ich biete Monique an oben zu schlafen. Wir kramen in unseren Rucksacktüten rum, alles wuselt durcheinander. Ja und dann haben wir noch unseren speziellen Freund, den aufmerksamkeits-heischenden Franzosen mit im Zimmer, der aber ruhig auf seinem Bett liegt. Wir erfahren später, dass er beim Abstieg gestürzt ist, das hat ihn wohl sehr mitgenommen, okay, kann ich verstehen. Nach vielem Gewurschtel begeben wir uns in den Duschraum. Ein großer Raum mit vielen durch Türen abgetrennten Duschen und langen Waschbecken an den Wänden, so ein bissel Kasernencharakter. Ich gehe in die Dusche, die erstens sehr eng ist, nur lauwarmes Wasser bietet und ständig aus geht. Solche Duschen gibt es hier oft, somit ist man ständig dabei auf den Duschknopf zu kloppen. Aber dass das Wasser nicht mal richtig heiß ist, dass ist nicht gut fürs Gemüt. Ich bin völlig genervt und habe den dringenden Bedarf ein Bier zu trinken. Monique geht es ähnlich und somit begeben wir uns nach der Dusche wieder nach draußen.

Wir schauen uns zuvor noch diesen wundervollen Ort an. Auf der gegenüberliegenden Seite türmt sich der Berg mächtig in die Höhe. Okay nicht drüber nachdenken, den müssen wir morgen natürlich hochlaufen, sei's drum. Es wachsen im Tal sogar Bananen und Palmen, unglaublich. Wir finden eine Brasserie mit einer Terrasse mit Blick zum Tal hin, wunderschön, und bestellen uns un pint de pression, Leffe-Bier aus Belgien. Lecker. Nach ein paar Schlucken ist das mit der Gîte nur noch halb so schlimm und wir erfreuen uns daran hier zu sein und dass noch bei tollem Wetter und wärmender Sonne. 

Ziemlich angeheitert machen wir uns dann auf den Weg zurück, da es bald Essen geben soll. Viele Menschen sind im Speiseraum versammelt, hier ist Corona scheinbar kein Thema mehr. Wir sitzen an einem großen Tisch mit acht Personen, ich brauche nicht zu sagen, dass ich die einzige Nicht-Französin bin. Es wird ein wenig was über das Kloster erzählt, dann singen wir gemeinsam das Ultreia-Lied, das Lied der Pilger:

 

Tous les matins 

nous prenons le chemin,

tous les matins 

nous allons plus loin.

Jour après jour 

la route nous appelle,

c'est la voix de Compostelle.

Ultreïa, Ultreïa et Suseia, 

Deus, adjuva nos!

 

Jeden Morgen nehmen wir den Weg,

Jeden Morgen gehen wir weiter.

Tag für Tag ruft uns die Straße,

es ist die Stimme von Compostela.

Vorwärts, immer weiter und aufwärts (im geistigen Sinne)

 Gott helfe uns auf unserem Weg

 

Mit Suppe geht es dann los, die ist echt lecker, dazu gibt es „La cuvée des pèlerins“, Pilgerwein. Ist ja nett. Es gibt Huhn mit Gemüse, danach sogar Fromage, noch ein Dessert, wir sind pappsatt. An der Wand hängt ein tolles Jesusbild, welches ich noch fotografieren möchte, daneben tolle Buntglasfenster. Ein ordentliches Stimmengemurmel ist zu hören und unser lauter Franzose ist nach seinem Sturz wieder aufgewacht und voll mit dabei. 

Auf dem Weg nach draußen werden wir von einem Klosterbruder aufgehalten, der uns fragt woher wir kommen, ja ich komme aus Allemagne, das findet er scheinbar klasse und redet auf uns ein, ich verstehe davon nur die Hälfte, sage "ja ja!" Monique meinte noch: „Weißt du wozu du gerade zugestimmt hast?“ Ich: „Nö, wieso?“ "Wir sollen nachher in der Abendmesse an die Kanzel gehen und etwas aus der Bibel vorlesen, sie auf französisch und ich auf deutsch". Ich muss lachen, oh, da habe ich wohl was nicht richtig verstanden :-) Okay, was soll's, dann machen wir das halt.

Wenig später werden wir zur Komplet gerufen, heißt, die Kirchenglocken läuten. Draußen ist es dunkel, das Tympanon über den Türen ist hell beleuchtet, die Kirche innen schummrig mit etwas Licht und einigen Kerzen. Ich freue mich die Messe nun mitzumachen. Wir sind immer noch etwas angetütert und aufgeregt bezüglich des Vorlesens gleich. „Mich versteht ja jeder“, meint sie, „dein Deutsch kann eh keiner“ Nun, da hat sie nicht ganz unrecht :-) Nach ein wenig Gregorianik und Gebet schubst sie mich an, wir sind jetzt an der Reihe und gehen an die Kanzel. Die Kirche ist recht gefüllt, habe ich so gar nicht mit gerechnet. Nun, das Bier und der Rotwein haben uns doch etwas entspannter sein lassen. Monique fängt an und erzählt was aus der Bibel auf französisch, dann bin ich dran und rede deutsch, ich finde das alles toll. Wir gehen danach alle gemeinsam aus der Kathedrale. Man kann sich noch was übers Tympanon anhören, aber wir beide gehen gleich aufs Zimmer, nicht ohne unsere Schuhe heimlich noch mit hoch zu nehmen, denn wenn die hier draußen bleiben, sind sie sicher morgen klamm, da habe ich keine Lust drauf. Zack, unters Bett versteckt!

Im Zimmer liegen schon einige in den Kojen. Es ist noch eine Frau mit dazu gekommen, so sind wir unter den Männern jetzt drei Frauen, das kann ja ein Schnarchkonzert werden, nun zum Glück habe ich ja Ohrstöpsel. Ich liege oben auf meinem Bett und lese noch ein wenig in meinem Reiseführer, schreibe noch was und mache dann auch das Licht aus. Wir gehen alle gemeinsam schlafen und werden morgen früh auch alle gemeinsam aufwachen, das ist doch schon mal gut. Puh, das war ein aufregender Tag. Toll dass ich meine Tour geändert und hier in diesem tollen Ort übernachtet habe. Das ist schon was Besonderes finde ich. Nun finde ich das Mehrbettzimmer auch gar nicht mehr so schlimm. Ich war vorhin einfach im Eimer und da geht dann so einiges nicht mehr, aber Monique ging es da auch ähnlich. Nun denn, schauen wir mal was morgen an Abenteuern auf uns wartet. Nun zumindest ein harter Aufstieg, davon ist auszugehen, denn es geht die 300 Höhenmeter auch wieder hoch, klar :-)

30.9.20 

Conques nach Saint-Roch

22 km

Viel Gewusel herrscht in unserem Schlafsaal am frühen Morgen. Heute haben wir einen langen und bergigen Weg vor uns. Ein Blick nach draußen zeigt: nichts. Es ist Nebel, aber sowas von. Okay wir befinden uns tief im Tal, so ist das im Herbst. Ich hoffe wenn wir aufsteigen, dass sich der Nebel lichtet. Wir haben ein leckeres Frühstücksbüffet mit allem was das Herz begehrt und machen uns dann auf, schultern die Rucksäcke und gehen runter zum Kirchplatz. Noch ein Blick zurück und weiter geht’s zum Fluss Dourdou und zur UNESCO-Brücke Pont des Roumieux aus dem 15. Jahrhundert. Der Fluss scheppert reißend unter uns hindurch. Auf der anderen Seite beginnt der steile steinige Aufstieg hoch zur Chapelle Sainte-Foy.

Prustend und schnaufend kommen wir dort oben an. Es heißt, dass man dann an der Leine ziehen und die Glocken bimmeln lassen soll, damit jeder weiß, dass man sicher oben angekommen ist. Nun, das mache ich dann mal und es bimmelt fröhlich vor sich hin. Die Kapelle ist klein und süß, ich bete kurz und gehe dann mit Monique zusammen weiter steil nach oben. Nach 300 Höhenmetern kommen wir durchgeschwitzt oben an. Es gibt zwei Varianten, wir entscheiden uns für den Hauptweg nach Noailhac.

Der Nebel lichtet sich langsam und macht einem schönen blauen Himmel Platz. Überall blüht noch die Heide, es sieht alles sehr mystisch aus, toll. Spinnweben sind überall im Gegenlicht zu erkennen, die vertrockneten Farne haben eine sehr rötliche Farbe angenommen, es ist wunderschön und mein Herz hüpft. So wollen wir diesen schönen Tag genießen. 

Nachdem wir uns vom Aufstieg etwas erholt haben geht es weiter Richtung Noailhac über Wiesen und Weiden. Die Wolken hängen im Tal, es sieht einfach nur toll aus, so über den Wolken. Zum Glück sind wir gestern noch bei schönem Wetter durch Conques gelaufen, denn ich kann mir vorstellen, dass sich der Nebel dort mindestens bis mittags so halten wird. Seicht geht es hügelig über die saftigen Wiesen. Die Sonne wärmt schon schön und wir laufen im T-Shirt durch die Gegend. 

Ein sanfter Abstieg Richtung Wolken lässt mich wieder unschönes erahnen, liegt Noailhac noch im Nebel? Aber dort angekommen bemerken wir, nee Glück gehabt, der Nebel liegt weiter unten im Tal. Einige Pilger kommen mit uns am Kirchplatz an. Es ist Zeit für eine Rast. Die Kirche ist schlicht gehalten mit einem schönen Holzaltar und einer tollen Aussicht, die nun etwas nebelverhangen ist. 

Ums Eck befindet sich ein Café, das ist super. Wir setzen uns draußen an einen Tisch in die Sonne, bestellen uns Riesenbaguettes, genießen die Aussicht in die Berge, entspannen etwas und quatschen. Die Kellnerin klärt uns noch auf, wie man diesen Ort: Noailhac ausspricht, komischer Name :-)

Es geht leicht aufwärts zur Kapelle Saint-Roch. Da ist er wieder, der Herr, der seinen Rock lupft und die Pestnarbe zeigt, neben ihm der Hund, der ihn damals versorgte, mit einem Stück Brot im Maul. Auch er ist wie der Jakobus mit einem Pilgerstab dargestellt, somit herrscht Verwechslungsgefahr mit eben diesem. Die Kapelle beeindruckt mit schönen bunten Kirchenfenstern.

Weiter geht es über quietschgrüne Wiesen und ockerfarbene Erdfelder mit tollem Weitblick, auch die schneebedeckten Vulkanberge sind in der Ferne wieder zu erkennen. Toll. Das Gebiet wird vorzugsweise landwirtschaftlich genutzt und ist durchsetzt mit kleinen Weilern. Wir gehen auf einem kleinen Pfad neben der wenig befahrenen Straße, das haben sie hier ganz wunderbar für den Pilger gemacht. Weiter geht es auf einem Sträßchen Richtung Himmel, man ist das alles schön.

Der Asphalt ermüdet die Beine etwas und es wäre mal wieder Zeit für eine Pause. "Universum, tu was!" Ein Schild kommt in Sicht: Aire de repos, Ruhezone oder Rastplatz. Das hört sich toll an. Nur noch einen Kilometer. Dort angekommen sind wir sehr gerührt, das ist schon toll, was hier für den Pilger auf der Podiensis alles so getan wird. Man merkt schon, dass es viel mehr Infrastruktur gibt als auf den Wegen zuvor, mehr Gîtes, dann halt solche netten Rastplätze, Toiletten mitten in der Landschaft. Super. Wir packen uns an den Picknicktisch in die Sonne und holen unser Essen raus. Es gibt einen Wasserhahn, das ist gut, denn mittlerweile wird mein Wasser knapp. Auch gibt es heißen Kaffee, eine Schutzhütte, viele Unterkunftsinformationen und ein kleines Buch zum sich verewigen. Wir machen eine ausgiebige Pause mit Füße lüften, Strumpfwechsel und entspannen, haben ja noch einen guten Weg vor uns. 

Weiter geht es nun mittlerweile singend bergab über schöne Wiesenwege Richtung Decazeville. Ich kann mich mal wieder gar nicht satt sehen an der schönen Landschaft um uns herum. Wir genießen diesen wundervollen Tag mit diesem wundervollen Wetter in vollen Zügen.

Wir müssen einiges einkaufen und somit werden wir in Decazeville in den Ort hinein gehen. Der Weg geht eigentlich fast dran vorbei. Es geht 300 Höhenmeter mitunter ziemlich steil bergab, das geht in die Beine. Wir werden am Ortsanfang von einem netten Haus mit Pilgerweg-Zeichnung begrüßt, das ist ja nett. In der Ferne ist oben auf dem Berg ein riesiger Friedhof zu sehen, das ist ja mal eine Location, toll sieht das aus. Decazeville selbst ist aber unten in einem Flusstal gelegen und dort angekommen werden wir von viel Verkehrslärm begrüßt, das nervt, aber es nützt alles nichts, wir müssen in die Stadt. Monique muss noch in die Apotheke, ich brauche noch was zu essen. Ziemlich genervt kommen wir am Kirchplatz an. Die Kirche lassen wir mal links liegen, jeder geht für sich shoppen. Zum Glück gibt es einen größeren Lebensmittelladen, der wird erst mal geplündert. Ich muss lange auf Monique warten, die Beine sind müde, es gibt keine Bank, die Sonne ist mittlerweile sehr warm, viele Autos und Motorräder fahren an mir vorbei. Ich will nur noch weg. Als sie dann ums Eck kommt verabschiede ich mich und gehe schon mal vor. Ich brauche erstens eine Pause und zweitens Stille.

Es geht mächtig wieder den Berg hoch, schnaufend komme ich an einem kleinen Grünstück mit ein paar Kiefern an. Hier breite ich meinen Sarong aus, esse was und warte auf Monique, die wenig später dann auch schnaufend den Berg hoch stapft. Also Decazeville braucht man nicht unbedingt. Der tolle Friedhof hoch oben auf dem Berg, der hätte mich interessiert, aber die Stadt selbst ist nicht so der Hit, einige Läden waren geschlossen, die Häuser teilweise verfallen, nee, nicht toll. 

Weiter geht’s unserer Gîte entgegen, ich fange wieder an zu zählen, Schritt für Schritt steil bergauf. Oben angekommen werden wir aber von der netten kleinen Kirche St. Roch begrüßt, über die ich mich schon total freue, denn in meinem Reiseführer ist ein Bild von ihr enthalten, mit der tollen Deckenbemalung, der heilige St.-Roch durch Engel getragen. Wir statten ihr einen Besuch ab. Toll sieht sie aus, noch viel toller als auf dem Reiseführer-Bild, mal was ganz anderes, finde ich. Schlicht eingerichtet mit einem kleinen hellen Altar vorne, komplett aus Vulkangestein erbaut und mit dieser tollen St-Roch-im-Himmel-Decke und schönem Gewölbe. Ein Highlight finde ich.

Gleich gegenüber ist unsere Gîte, super. Wir werden von dem Betreiberpärchen begrüßt, es gibt Wasser mit Sirup und viel französisch, schwierig für mich. Wir kommen oben in einem Zweibettzimmer unter, nebenan ist noch ein Herr untergekommen, er ist aber mit dem Fahrrad unterwegs. Es muss einiges gewaschen werden,  die Heizung wird fürs Trocknen angeschmissen und innerhalb kurzer Zeit ist es mächtig warm hier oben. Der Blick reicht vom Fenster über einen kleinen Friedhof weit ins Tal hinab, die Sonne macht sich bereit unter zu gehen, es wird empfindlich kühl. Nun, Heizung geht, das ist die Hauptsache. 

Unten gibt's um 19 Uhr essen. Es wird alles mögliche aufgetischt und wir können uns von allem nehmen. Ich sitze so dabei, es wird viel französisch geredet, ich kann es wieder schlecht verstehen und werde dann aber auch müde irgendwann. Monique steht auf, geht zu ihrem Rucksack, der natürlich auch hier unten bleiben muss und stolpert über die doofe Schwelle, die wirklich auch nicht leicht zu sehen ist. Sie verletzt sich am Knöchel, ich nehme mal an die Bänder, es tut mächtig weh und sie fängt an zu weinen. Sie ist verzweifelt, weil sie denkt, dass sie nun ihre Tour abbrechen muss. Sie hat so auf ihre Füße aufgepasst, weil sie weiß, dass sie da empfindlich ist und nun das. Sie bekommt ein Coolpack und sitzt traurig am Tisch. Ich versuche ihr Mut zuzusprechen und mache ihr abends einen Voltaren-Salbenverband. Ich habe ja eine Binde mitgenommen, welche ich für mein Knie bei den Bergen immer zum Stabilisieren drum mache. Heute bekommt sie den Verband und ich hoffe, dass es morgen besser ist, das wäre ja sonst echt Shittenkram.

Später, als die Herbergseltern zu sich nach Hause gefahren sind, sitzen wir zu zweit noch am Tisch, trinken eine Infusion und schreiben Tagebuch. Was ist eine Infusion? Hört sich schon eigenartig an, aber es handelt sich hier nicht um eine intravenös verabreichte Flüssigkeit, sondern um Kräutertee. Schmeckt etwas eigenartig, soll aber gesund sein. Also alles auf Kräutertee-Basis ist in Frankreich eine Infusion (mitunter heißt der Kräutertee auch einfach Tisane) Die Infusion im Krankenhaus heißt auf Französisch übrigens Perfusion. Aha, wieder was dazu gelernt.

Der Franzose trinkt sonst vorzugsweise schwarzen Tee, somit gibt es fast immer nur diesen. Das ist nicht so mein Fall, da ich immer nicht weiß wie lang man den ziehen lassen muss, damit man nicht hallo-wach-mäßig dasitzt, schmeckt aber tatsächlich gar nicht so schlecht. Nun denn. Was für ein schöner Tag, leider mit einem nicht so schönen Ende für Monique. Anstrengend war es gewesen, denn die Höhenmeter und Steilheiten hatten es schon in sich, aber toll. Morgen soll es mit dem Wetter leider wieder bergab gehen. Na vielleicht stimmt der Wetterbericht doch nicht? Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Mal sehen! Und mal sehen wie es ihr morgen mit dem Fuß geht. Bonne nuit. 

 

1.10.20

Saint-Roch nach Felzins

18 km

Wir sitzen zu Dritt am Frühstückstisch, der Radfahrer, Monique und ich. Die Herbergseltern sind nicht mit dabei, müssen arbeiten. Das Frühstück ist reichlich und ganz nach meinem Geschmack, wir können uns an allem bedienen was da ist, das ist toll. Auch das Wetter ist besser als erwartet, es ist zwar grau, aber es regnet nicht. Leider sollte sich das kurze Zeit später ändern. Moniques Fuß geht es etwas besser, ich überlasse ihr meinen Verband, der nochmals schön festgezurrt wurde, es wird schon werden. Kurz bevor es dann losgeht, alles ist gepackt, Rucksack geschultert, Regenhose schon übergezogen, geht’s mit Gepiesel los. Der Radfahrer zieht sich nochmals um und wartet noch einen Moment, wir gehen los. Es geht relativ steil runter zur Lotbrücke bei Linvinhac-le-Haut. 

Kurz vorher geht’s dann richtig los mit dem Regen, toll. Wir jetten über die Lotbrücke, machen noch ein Regenfoto von uns und biegen ums Eck zu einem Unterschlupf neben dem Bäcker. Hier stehen wir etwas ratlos rum, es ist kühl, bleiben können wir nicht, müssen aber hier im Ort noch einkaufen, denn die Unterkunft bietet heute Abend nichts für uns. Ein bissel Baguette, zwei Chocolatines, dann geht es weiter in den Ort hinein. Der Regen hat nun zugenommen und wir finden einen weiteren Unterschlupf in einer Gîte, die zwei drei Tische darinnen hat, wo wir uns netterweise reinsetzen können. Der Gîtebetreiber macht uns einen Kaffee und wir verweilen, warten das große Dunkelblaue auf unseren Wetterapps ab. Die Rucksäcke und Regencapes müssen draußen unterm Dach bleiben, nun gut. Wir bleiben lange hier, keiner hat Bock da rauszugehen. Aber es bleibt ja nun nicht aus: wir müssen wieder los, da der einzige Laden, die Boucherie/Chacuterie gegenüber der Kirche bald Mittagspause hat. So schultern wir unsere Rucksäcke und gehen in den Laden. Es gibt tolle Lasagne, die zwar teurer ist und mächtig schwer, aber das wird dann nachher ein gutes Essen abgeben. Generell sind die Lebensmittel hier in Frankreich teurer, als in Deutschland, auch das Benzin, habe ich gesehen, ist doch ziemlich teuer, da können wir uns in Deutschland gar nicht beschweren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Franzosen mehr Geld verdienen, als wir.

Noch ein kurzer Blick in die Kirche, dann geht’s weiter, aus dem Ort raus. Es geht wieder aufwärts Richtung Montredon. Die Landschaft ist üppig grün und lieblich, ab und zu durchqueren wir einen Weiler. Es geht auf ebenen Straßen entlang, ein Pilger überholt uns und verschwindet in der Ferne. Kurz vor Montredon kommen wir an ein Kreuz mit Hinweisschildern: Das Croix des trois Evêques, das Drei-Bischofs-Kreuz. 

Es steht hier seit dem 17. Jahrhundert und bezeichnet den Ort, an dem die drei historischen Provinzen Quercy, Auvergne und Rouergue aufeinandertrafen, heute handelt es sich um Lot, Aveyron und Cantal. Das ist doch mal was. Aveyron ist nun vorbei und wir kommen in den Département Lot, welches uns auf einem weiteren Schild willkommen heißt. Wenig später erreichen wir im strömenden Regen Montredon und wir wollen es gar nicht glauben, hier gibt es eine Abri (Schutzhütte), nicht nur um es trocken zu haben, sondern mit Kaffee, Tee, heißer Suppe, Süßkram, Infos, alles was das Pilgerherz begehrt. Darinnen befindet sich eine Französin, die in Shorts vor mir sitzt, ich glaube es kaum, denn es ist mittlerweile nicht nur feucht sondern auch kalt. Nun, die Jugend eben. Wir setzen uns mit heißen Suppen dazu und essen vorhandene Kekse, was für ein toller Ort, da haben die hier aber ein Herz für durchnässte Pilger. 

Nach anfänglichen englisch/französisch wurde es dann sehr französisch, zu viel für mich. Das ist etwas was mir während der Tour hier doch mitunter sehr zu schaffen machte.  Nun, es war jetzt hier nur ein kurzes Zusammentreffen, aber in den Gîtes ist es ja anders. Allein unter vielen, das ist nicht schön. Mittlerweile ziehe ich mich dann auch zurück und es nervt mich nur noch. Irgendwie muss da bei der nächsten Tour eine andere Lösung her, aber das ist eine andere Geschichte, die wird ein anderes Mal erzählt.

Gestärkt und schön aufgewärmt geht’s für uns beide in die nette Kirche nebenan, die andere Pilgerin geht in die entgegengesetzte Richtung. Wir verweilen ein wenig hier vor Ort.

Alsbald machen wir uns auf, den Berg runter durch die Weiden-und Wiesenlandschaft und singen gemeinsam, das macht Spaß und lässt den Regen besser ertragen, der sich auch ein wenig wieder beruhigt hat und nur noch pieselt. Schön ist der Berg von Montredon mit seiner Kirche von weitem zu erkennen, als wir zurückblicken.

Durch weitere Weiler gelangen wir über einen steilen, steinigen Weg runter an den Fluss Guirande und an eine sehr alte, süße romanische Kapelle, die Sainte-Madeleine mit ihren tollen alten Wandmalereien aus dem 14. Jahrhundert. Kurz darauf kommen wir durch den Weiler Guirande und biegen auf einen Feldweg mit einer tollen Baumallee ab, es soll sich von hier bis nach Figeac um einen UNESCO-Weltkulturerbe-Weg handeln. 

Uns ist nicht ganz erschlossen, warum das so ist, aber wir können viel darüber lachen und scherzen fröhlich vor uns hin. Zwei Esel begrüßen uns, Monique grüßt zurück, weiter geht’s. Leider geht’s wieder mit dem Regen los und so verstummen die Witze, das Singen und jeder stapft im Turbotempo triefend vor sich hin. 

Wir gelangen nach einer Weile an den Étang de Guirande, ein Stausee, den wir überqueren um kurz danach einen schmalen, teilweise matschigen Wanderweg nach Felzins abzubiegen. Wir müssen hier vom GR 65 abweichen an Ermangelung von Unterkünften, aber es ist letztendlich kein ganz so großer Umweg, halt dann ein bissel was Straßengelaufe, was nicht so erheiternd ist. Ich bin im Eimer, ich kann nicht mehr und brauche eine Pause. Wir setzen und unter ein kleines Dach auf eine Bank, was trinken, essen. Bevor es kühl wird geht es auf den letzten Kilometer, ich laufe vorneweg am Rand der Straße entlang, die leider auch gut befahren ist. Die Franzosen haben es nicht so mit Abstand halten und so bekommt der ein oder andere einen laut ausgebrüllten Fluch von mir hinterher geschickt, Monique hinter mir geht es nicht anders. Endlich kommen wir von der Hauptstraße weg und in den Ort rein, wenig später auch an der Unterkunft an, welche aus einer Gîte und auf der anderen Seite aus einem Chambre d'hôtes besteht. Die Herbergseltern wohnen nebenan, davor gibt es ein nettes Gärtchen mit Palmen im Regen, schön. 

Wir hatten uns für die Gîte angemeldet, blieben da auch alleine. Sie ist sehr schön und sehr kalt, das wiederum ist nicht schön. Die Herbergsmutter erklärt uns alles und dass wir auf keinen Fall was auf die Heizungen packen sollen. Naja, kannste vergessen, dachte ich mir noch, denn schließlich sind wir klitschnass. Das muss alles ja irgendwie trocknen, auch auf diesen komischen französischen Elektro-Chauffages, geht eben nicht anders. Wir knallen diese auch sogleich alle an und es wird schön warm. Es gibt irgendeinen Kräutertee aus selbst geernteten Kräutern, die getrocknet wurden, sehr lecker, aber für mich heißt es erst mal eine heiße Dusche nehmen, das ist mir das wichtigste. Ich schlafe oben unterm Dach, durch eine steile kleine Treppe zu erreichen, Monique bleibt unten, ihr Fuß ist noch nicht ganz okay und da will sie die Treppe nicht gehen. kein Problem, wir bleiben ja hier heute allein. Ein Pärchen, beide Ärzte, kommen noch mit rein, übernachten aber nebenan. 

Es wird viel französisch geredet und irgendwie scheinen die dem englischen nicht so mächtig zu sein, ich weiß es nicht, als Ärzte sollte man doch meinen, dass sie es können. Aber gut, ich verziehe mich und sortiere mich unterm Dach, gehe aber, als tatsächlich ein kleiner Sonnenstrahl abends noch rauskam, nochmals raus und hoch zur Kirche, die leider geschlossen ist. Aber von hier hat man einen schönen Blick über die hügelige grüne Landschaft. Ich genieße das bisschen Sonne auf der Haut und gehe wieder runter in die warme Hütte. Die Herbergseltern sind heute eingeladen, deshalb bleibt die Küche kalt. 

Nun, wir haben unsere tolle Lasagne und ein paar Biere haben sie uns auch hingestellt, der Abend ist gerettet, dachten wir. Leider geht der Gasherd nicht an. Da ich mich eigentlich gut mit Gasherden auskenne übernahm ich das Problem, bekam es aber nicht gelöst. Aha, unterm Waschbecken ist der Gaskanister, wir drehten sämtliche Knöpfe, nichts. Ich dachte echt ich bekomme gleich eine Krise, das kann doch wohl nicht wahr sein, und stellte mir schon kalte Lasagne vor. Monique versuchte die Herbergseltern, die schon weggefahren waren, zu erreichen. Die Frau rief Gott sei Dank zurück: „Ja man muss an dem Kanister zwei Knöpfe gleichzeitig drücken, dann geht es“. Toll, hätte sie ja mal vorher sagen können oder besser sogar einfach was ranschreiben? Nun, wahrscheinlich ist diese abstruse Vorgehensweise für einen Franzosen total logisch, für uns war es das jedoch nicht, andere Länder, andere Geräte, sage ich da nur. Wie dem auch sei, endlich sprang die Flamme an und so konnte die Lasagne in den Ofen und wurde zum Schmaus. Zum Aperitif gab es ein paar Brets, dann lecker Lasagne, tolles Bier in Miniflaschen und zum Abschluss noch ein paar Carambars. Tolles Essen. Neben uns saßen die Ärzte, sie hatten sich Nudeln gemacht. Es wurde viel geredet, ich schaltete irgendwann ab, war aber froh, als sie dann gingen, so waren wir allein. Es ist still, wir sitzen am Tisch und schreiben, es ist schön warm, die Klamotten sind alle trocken geworden, die Schuhe werden es noch über Nacht werden.

Ich überlege hin und her und beschließe tatsächlich meine Tour abzubrechen, denn die Wettervorhersagen werden nicht besser und es reicht mir jetzt, ich habe keine Lust mehr weiterhin im Regen rumzulaufen. Ich schaue nach Möglichkeiten von Figeac weg zu kommen, denn da werden wir morgen hin wandern, Monique hat auch schon eine Gîte ausgemacht und ein Zweibettzimmer gebucht. Auch ein Flug muss gebucht werden, ich bin sehr genervt, es erweist sich alles als nicht ganz so einfach. Aber am Ende habe ich den Zug, der sich später als Bus erwies, von Figeac nach Capdenac gebucht, auch den weiteren Zug nach Toulouse, habe dort in Flughafennähe ein kleines Hotel ausgemacht und der Flug ist nun auch gebucht. Es geht über Basel nach Hamburg. Na ich bin gespannt wie das alles hinhaut. Einiges Geld zum Fenster rausgeworfen, denn meinen anderen Flug konnte ich ja dann in die Tonne hauen. Nicht darüber nachdenken, isso!

Gut geschlafen habe ich unter dem Dach, das ist doch mal was. Moniques Fuß wurde nochmal eingewickelt, sie ist nun doch wieder ganz guter Dinge, denn es wird langsam besser, schön.

Morgen geht es also für uns nach Figeac, welches ein kleines Städtchen ist, vielleicht hat sie Glück und kann sich dort eine Regenhose und ein Cape kaufen, denn mit so einer halbdichten Regenjacke ist's nicht schön. Nun denn. Dann bis morgen, immer noch in der Hoffnung, dass es nicht ganz so schlimm mit dem Regen wird wie angekündigt. Die Hoffnung stirbt ja bekannt doch zuletzt, gell?

2.10.20 

Felzins nach Figeac

11 km

Oh oh, dieser Tag wird mal so richtig ätzend. Es regnet in Strömen und wird so bald auch nicht wieder aufhören. Die große dunkelblaue Fläche auf meiner Wetterapp dreht sich langsam im Kreis und bleibt am gleichen Ort. Was tun?

Wir rennen rüber zum Haupthaus zum Frühstück. Ich bin total genervt, will eigentlich nur noch nach Hause. Diese Regnerei macht mich fertig und ich sehne mich nach meiner warmen und trockenen Wohnung. Es wird viel französisch geredet, das nervt mich auch. Ich sitze gedankenversunken über meinem Kaffee, vielleicht sollten wir einfach ein Taxi nehmen. Das schlage ich Monique später vor, die auch versucht jemanden zu erreichen, der aber gerade in Toulouse weilt, somit nix mit Taxi, ich könnte gelinde gesagt mal so richtig kotzen. Auch die Situation mit dem Abbruch macht mir zu schaffen, das Organisieren der Bahnen und Flüge. Ich bin so richtig schlecht drauf und Monique ist von mir genervt, toller Morgen.

Was soll's, wir packen unsere Sachen, komplette Regenmontur an, die schön trocken ist und gleich klitschnass sein wird, Irgh! Ich nehme heute nur die Straße und zwar den direkten Weg nach Figeac, keine Sperenzien und Modderwege. Wir gehen los. Ich habe Musik im Ohr, das ist das einzige, was noch helfen könnte: Afrikanische Powermusik. Das hilft tatsächlich und ich fange an mitzusingen, muss auch in mich rein grinsen, denn die "Afrikanische Sonnenmusik" passt so gar nicht in diese Horror-Regen-Variante, aber tut gut. So stapfen wir im Sturmschritt die Straße runter, Autos fahren dicht an uns vorbei, alles nicht schön.

Wir erreichen wieder den Jakobsweg bei St.-Felix und gehen weiter am Rande der Straße entlang. Ein schönes Bild von Saint-Jean-Mirabel ist in meinem Reiseführer zu sehen, vor uns nur eine graue Masse, ein Kirchturm ist auszumachen. Wir steuern direkt auf die Kirche zu, in der Hoffnung eine kurze trockene Pause haben zu können, aber sie ist zu. In solchen Momenten ist es genau das was man braucht. Brechmittel! Maulig geht es weiter, da entdecken wir hinterm Gemeindehaus eine kleine Abri, sogar mit einem Raum zum schlafen, eine Dusche, ein Klo. Nix wie rein und verschnaufen. Ein Franzose steht da durchnässt. Wir reden etwas miteinander, dann geht es weiter. Ein Klo gibt es auch, das ist eine gute Sache, im trockenen pieschern. Rucksack wieder geschultert und weiter geht’s im Starkregen an der Straße entlang.

Ein kleiner Trampelpfad weicht davon ab, nee, ich will die Straße weitergehen, was sich dann aber nicht als so klasse erweist, denn sie ist mittlerweile sehr befahren. Schnaubend kehre ich wieder um und gehe den Trampelpfad entlang. Monique ist nun schon einiges vor mir, ich hole sie dann aber mit jetzt spanischer Powermusik alsbald ein. Das mit der Musik ist wirklich klasse. Ich singe teilweise mit und habe einen zum Takt passenden flotten Schritt drauf, so kann man sich gut ablenken und kommt schnell voran. Eigentlich wäre es einfacher für mich nun nach Capdenac abzubiegen, denn hier fahren Züge direkt nach Toulouse, mit Figeac ist es etwas komplizierter, aber ich möchte noch einen letzten Abend mit Monique verbringen und somit stapfe ich weiter vorwärts. Dann geht es steil bergab ins Célé-Tal. Der Célé ist der Fluss, der durch Figeac fließt. Der Weg ist wirklich steil! Ich galoppiere fast den Weg runter, renne an dem Ärztepaar vorbei, die wir einholen und lande unten unterhalb der Bahnbrücke. Puh, das war heavy. Mein Reiseführer lässt verlauten: "Sie steigen nun hinunter in das Tal des Flusses Célé und haben einen wunderbaren Blick in das Flusstal und auf Figeac". Schön. Nun denn, vergessen wir das.

Ich freue mich, dass wir bald da sind, merke dann aber doch, dass es noch ein ganzes Stück bis zur großen Flussbrücke ist. Wir marschieren komplett durch bis Figeac und sind bei Ankunft entsprechend k.o., der Magen knurrt, die Beine sind müde und wir sind klitschnass. Wir stehen vor der Gîte, geschlossen! Okay, toll! Monique fängt an zu telefonieren, die Gîtebetreiberin ist erst in einer dreiviertel Stunde da. Okay, was tun? Wir gehen in die Altstadt, wollen uns irgendwo reinsetzen, was aber nicht möglich ist, da wir Mittagszeit haben und in den Restaurants der Bär im Kettenhemd tobt, denn der Franzos‘ isst ja bekanntlich mittags reichlich und gut. Ich schlage die große Kirche St-Saveur vor, deren Kirchturm nicht zu übersehen ist. Wir steuern geradewegs drauf zu und sie ist offen, trocken, leicht angewärmt, schön.

Ich packe Rucksack und Regencape beiseite, setze mich auf die Kirchenbank und esse jetzt erst mal was. Ich habe doch echt Kohldampf jetzt und schiebe mir gleich zwei Schokoriegel hintereinander rein. Das macht satt und glücklich. Monique macht es mir nach. Sie ist komplett durchnässt, die Regenjacke hat so gar nichts mehr abgehalten, sie tut mir echt leid. Als ich fertig bin schaue ich mich etwas um. Eine große Kirche im gotischen Stil mit hohen Säulen, mit kleinen individuellen Seitenaltären und einer Südkapelle mit Bildern aus der Passionsgeschichte, die mir sehr gut gefällt. Das könnte der Ort meines Abschlussgebetes sein, beschließe ich, aber das ist dann morgen dran. Sogar einen Stempel gibt es hier, das ist klasse. 

Nach einer Weile packen wir wieder unsere Sachen und gehen in den Regen raus und zur Gîte. Dort angekommen stehen wir etwas ratlos rum, es ist wirklich kalt hier unten. Wir sollen natürlich den Rucksack und die Schuhe unten lassen. Okay, da kümmer ich mich später drum. Oben angekommen ist es im Gemeinschaftsraum immer noch kalt und wir haben ein kaltes Doppelzimmer. Ich bin kurz davor eine Krise zu bekommen, Monique hat sie schon. Das geht so gar nicht alles hier und wir suchen schon im Miam Miam Dodo nach einem Hotelzimmer. Problem ist, dass wir heute waschen wollten und das ist in Hotels meistens nicht möglich. Die Betreiberin der Gîte ist genervt und rennt durch die Gegend, wir sind genervt, alle sind genervt. Alleine der eine Pilger, der mit uns da ist, sitzt bei einem Tee entspannt am Tisch, während seine Klamotten triefend über einer Wäschespinne hängen. Ich sage der Herbergsmutter dass die Chauffage heißer sein muss, dass das hier so gar nicht geht, dass wir Wäsche waschen müssen und überhaupt alles grenzwertig ist. Nun, wie sollte ich auf meiner Tour zur Genüge doch lernen, am Ende wird alles gut.

So war es auch hier. Wenig später bullert die Heizung vor sich hin, es ist mittlerweile schön warm in den Räumen, die Wäsche wäscht in der Maschine, die Schuhe sind mit Journeaux ausgestopft und stehen unter der Heizung. Auch die Rucksäcke haben wir mit hochgenommen, der von Monique ist klitschnass, meiner klamm. Das Verbot was auf die Chauffage zu packen ignorieren wir. Alles wird so langsam trocken, die Wäsche duftet, der Magen knurrt nicht mehr und wir sitzen bei heißen Getränken am Tisch und schreiben.

Morgen Mittag geht’s für mich dann los, Richtung Toulouse und übermorgen dann nach Hause. Schade, kann man nichts machen, aber ich werde hier nicht weiter im strömenden Regen meinen Urlaub verbringen, keine Lust zu. Dann sitze ich lieber zu Hause entspannt und trocken vor dem Fernseher oder so. Am Ende sollte sich erweisen, dass es die richtigste Entscheidung überhaupt war, aber dazu später. 

Puh, das war eine harte Geburt heute, auf so einen Tag kann ich echt verzichten. Monique reserviert einen Tisch in einer Pizzeria, die ihr empfohlen wurde, da wollen wir unser Abschlussessen heute haben. Man mag es kaum glauben, aber es hörte doch tatsächlich gegen Abend auf zu regnen. Mit trockenen Klamotten und sogar trockenen Schuhen (ich habe sie verbotenerweise direkt auf die heiße Heizung gepackt) ging es dann nach draußen. Wir wollen uns doch ein wenig den Ort anschauen, der einiges zu bieten hat, schmale Gassen mit schönen Mittelalterbauten, tolle Kirchen und eine belebte Altstadt mit vielen Restaurants, Cafés und Geschäften. 

Wir gehen die Straße hoch zur nächsten Kirche, der Notre-Dame du Puy, die oben auf einem Berg thront und wo es einen schönen Blick auf Figeac hat, das ist doch mal toll und das alles ohne Regen, wer hätte es gedacht? Die Kirche besuchen wir morgen, denn wir haben einen Tisch im Restaurant um 19 Uhr. 

Wir machen uns durch tolle schmale Gassen auf nach unten zum Place Champollion. Hier gibt es das Musée Champollion welches das Leben und Wirken des berühmten Sohnes der Stadt Jean-François Champollion darstellt, der die ägyptischen Hieroglyphen entziffert hat. Monique wird morgen hier noch einen Tag verbringen und das Museum besuchen. Weiter geht’s zum überdachten Place Carnot, wo gerade noch der Rest des heute stattgefundenen Marktes abgebaut wird. 

Wir erreichen die kleine, heimelige Pizzeria, bekommen einen schönen Fensterplatz und bestellen große Pizzen und lecker Leffe-Bier, lassen unsere Pilgertour Revue passieren. Zum Abschluss noch einen Tiramisu, das ist klasse, was für ein toller Abschluss, muss ich mal sagen. Gesättigt und happy kehren wir in unsere Sauna-Gîte zurück. Leider haben die Heizkörper keine Thermostate, somit bullern sie die ganze Nacht vor sich hin, verstehen muss ich das jetzt nicht. Wir schlafen tatsächlich mit geöffneten Fenster, da es dann doch zu heiß wurde, aber besser so, als kalt. Alle Klamotten sind nun trocken und duften wunderbar frisch, das ist doch gut, dann stinke ich übermorgen im Flugzeug nicht vor mich hin, ist ja auch was. Wir sitzen noch auf dem Sofa, trinken Tee. Es ist noch eine französische Familie gekommen, die sich wundern, warum so viele Klamotten zum trocknen hier hängen. Sie sind wohl heute erst angekommen und wollen morgen wandern. Na das mit den Klamotten wird sich morgen für euch schon klären, denn es soll weiter regnen.

Das war's nun also, meine Pilgertour findet nun hier ihr Ende. Was habe ich alles Tolles erlebt, eine Tour voll von Dualitäten, das kann ich nicht anders sagen. Nun, jetzt heißt es erst mal ab in die Sauna und schlafen. 

3.10.20 

Figeac nach Toulouse

Überraschenderweise regnet es draußen :-) Meine Entscheidung die Tour abzubrechen war definitiv richtig. Die Familie ist schon dabei sich fertig zur Wanderung zu machen, das ist gut, denn dann können wir entspannt alleine am Tisch sitzen und ein wirklich tolles Frühstück zu uns nehmen. Alles ist mit dabei und ich kann mir sogar noch was für die Fahrt nachher mitnehmen. Nach dem Frühstück bleiben wir einfach sitzen und spielen ein paar Spiele, denn keine zehn Pferde bekommen uns da raus in diese Brühe. Aber tatsächlich hört es dann doch auf zu regnen und sogar ein paar Sonnenstrahlen kommen heraus. Ich schultere meinen fertig gepackten Rucksack und gehe mit Monique raus in den Ort, ein wenig Zeit habe ich noch, bevor mein Zug fährt. Wir wollen uns die Notre-Dame anschauen, die auch wirklich sehenswert ist. Diese ist ja oben auf dem Berg und in barock gehalten, was ja eher seltener hier in Frankreich ist, jedenfalls was ich so gesehen habe. Ein schöner farbiger St. Jakobus ist mit dabei, die Altarfront ist mit viel dunklem Holz gestaltet und zwei beleuchteten Seitenaltären. Schöne Kirche. 

Wir gehen noch durch die Altstadt runter zur Église St-Saveur, ich möchte zwei Kerzen anzünden und beten, eine Kerze für mich eine für meine Kleine, so wie immer. Monique fühlt sich nicht gut, ihr ist flau im Magen, sie holt sich eine Cola und kommt nach. Ich gehe in mich und verweile vor dem Jesusbild. Wir treffen uns dann vor der Tür. Ihr geht es wirklich nicht gut, ihr ist schlecht, komisch, was ist da los? Mir geht es gut. Wir überlegen, ob was mit dem Essen gestern sein könnte, hmm, komisch!

Aber nützt alles nichts, es ist Zeit für uns uns zu verabschieden. Wir umarmen uns lange und ich wünsche ihr noch einen buen camino. Sie fängt an zu zweifeln, ob sie überhaupt weitergeht. Ich rede ihr gut zu, meine, dass es sicher besser werden wird, dass das jetzt ganz normal ist, da wir eine Weile gemeinsam gegangen sind und sie sich jetzt alleine fühlt, dass das sich aber regulieren wird. Na und die Übelkeit wird auch wieder weg gehen, ganz bestimmt.

Sie ist letztendlich am nächsten Tag auch weitergegangen und ist tatsächlich bis St-Jean-Pied-de-Port gekommen. Da war dann Schluss gewesen, da Corona uns eingeholt hat und sie die Grenzen zu Spanien dicht gemacht haben, was für ein Mist! Wir haben davon nichts mitbekommen, dass wir jetzt hier schon im totalen Risikogebiet rumwandern. Meine Mutter hatte sich in Deutschland schon voll die Sorgen gemacht, aber nichts darüber gesagt, wir sind im täglichen Whats app-Kontakt.

Nun denn, ich drehe mich um und gehe Richtung Bahnhof, ein komisches Gefühl macht sich breit, die Tour ist beendet. Ich gehe über den Célé, der flott unter der Brücke durchschießt, es fängt an zu pieseln. Am Flussufer entdecke ich ein kleines süßes Hotel. Vielleicht könnte das meine erste Unterkunft sein, wenn ich hier nächstes Jahr so Gott will wieder anfange? Wer weiß schon was kommt, das ist ja bekanntlich eine andere Geschichte, die ein anderes Mal erzählt wird gell?

Schnell stelle ich mich am Bahnhof unter. Es ist schwierig zu erschließen auf welchem Gleis nun mein Zug fährt. Auf der Anzeige steht: Car. Oh man, ich wusste doch mal was das war, ist das doch ein Bus? Der Google-Übersetzer kann dazu nichts sagen, so frage ich Leute, die da auf einer Bank sitzen, ja das ist ein Bus und der fährt da gleich ums Eck. 

Ich gehe zur Haltestelle und da kommt er auch gleich angefahren. Oh man, noch mal Glück gehabt, dass ich da nicht auf einen Zug warte und der Bus ohne mich abfährt. Ich sitze alleine darinnen, merke mir ist auch mulmig im Magen, bekomme ich das gleiche wie Monique? Als wir durch die bergigen Serpentinen Richtung Capdenac fahren, muss ich tief durchatmen, denn mir ist jetzt echt übel. Endlich am Bahnhof angekommen, soll es gleich mit dem Zug weitergehen, aber der lässt auf sich warten. Dann können wir einsteigen, dürfen aber dann 20 Minuten später wieder aussteigen, da der wohl defekt ist. Der nächste kommt dann erst in einer Stunde, ich bin völlig fertig. Da lobte ich noch die französische Bahn in den Himmel, nun, kannste auch abhaken. Wir stehen draußen, mir wird kalt. Ich ziehe alles an, was der Rucksack hergibt und bin den Tränen nahe, will nur noch ankommen. Mir ist übel. 

Endlich kommt der Zug und es geht nach Toulouse, pünktlich. Dort steige ich aus, sehe, dass jeder eine Maske draußen trägt, aha, hier scheint coronatechnisch doch was im Gange zu sein, Toulouse ist ein Hotspot erfahre ich später. Okay, ab in den Flughafenbus, der mich vor die Türe des Flughafens Toulouse-Blagnac bringt. Noch ein wenig ums Eck laufen, da ist mein Hotel, einchecken und erst mal aufs Bett packen, bin echt im Eimer. Ich habe den ganzen Tag nichts gegessen und getrunken, mir ist echt nicht gut. Die Heizung ist wieder speziell, also noch mal runtergehen, fragen wie die nun geht, es nervt.

Die Dusche ist aber schön heiß, der Raum wird auch warm und ich mache mich auf den Weg zu McDoof, welches gleich gegenüber ist, auch eine Cola trinken, so wie Monique zuvor. Das hilft mitunter bei Magenproblemen, und ein wenig was essen ist auch nicht schlecht. Ich fühle mich dann auch besser und habe eine gute Nacht. Der Flug geht um halb neun los, somit werde ich das Frühstück hier ausfallen lassen und gleich morgens rübergehen, das passt. 

 

4.10.20 

Toulouse nach Lüneburg

Früh stehe ich auf, mir ist immer noch ein bissel koddrig im Magen. Ich packe meine Sachen, schultere meinen Rucksack, los geht’s rüber zum Flughafen. Es ist nicht allzu viel los hier, das kommt mir sehr entgegen und so geht das Einchecken schnell und unkompliziert, aber ich darf wieder mein Wasser da lassen und soll mir für einen Euro ein neues kaufen gleich hinter dem Security Check. Okay, kann man nichts machen. Ich shoppe noch was für die Lieben zu Hause, Bordeaux ist nicht weit, somit gibt es Bordeaux-Weine und französische Salami, schön. Der Blick aus dem Fenster ist toll, denn erstens scheint die Sonne und zweitens sind die Pyrenäen von hier aus zu sehen, ganz klar und mit Schnee oben drauf. 

Toll sieht das aus. Ich steige ein, sitze neben einem Herrn, aber wir haben dazwischen einen Platz frei, das ist doch mal gut. Maske bleibt auf, das war klar, kein Problem. Es geht eine Stunde nach Basel, leider auch mit ein paar Turbulenzen, die meinem Magen nun so gar nicht gut tun. Nun, ich habe immer noch nichts gegessen, durchhalten und tief durchatmen ist angesagt. Der Umstieg geht gut, obwohl ich meinen Rucksack abholen und wieder einchecken lassen muss, warum auch immer. Der Security Check-Typ daraufhin nervt total ab, denn er durchkramt meine ganze Duty Free-Shopping Tüte, holt jede Flasche einzeln raus und packt die in so einen Automaten, auch soll ich mein Wasser wieder da lassen. Jetzt reicht's, nun bin ich grantig. Ich habe gerade für einen Euro das Wasser in Toulouse geholt und kaufe jetzt nicht wieder ein neues, was soll denn das? Nun, er lässt nicht mit sich verhandeln. Wutentbrannt packe ich meine Sachen lasse ihm die Flasche da und stapfte das Gate runter. Es ist Zeit für ein Schokolädchen, vielleicht hilft das.

Im Ruhesessel esse ich was, Wasser gibt es nicht, kaufe ich auch nicht. Wir befinden uns nun hier im schweizer Segment und das heißt: teuer! Sehe ich nicht ein, dann eben nicht. Ich sitze lange dort im Sessel und verpasse fast meinen Flug. Oh man, ich bin nicht gut beieinander. Ich jette los und bin tatsächlich die letzte, die ins Flugzeug steigt, was komplett voll ist. Aha, auf dem Flughafen sollen wir 1000 Meter Abstand voneinander halten und im Flugzeug werden wir zusammengepfercht, macht ja Sinn. Auch der Kaffeeausschank bei dem jeder seine Maske abnimmt, macht auch total Sinn. Nun Augen zu und durch. Die Turbulenzen und das kotzende Kind nebenan machen es nicht besser, aber wir kommen überpünktlich in Hamburg an, scheinbar gab es Rückenwind.

Ich schnappe mir meinen Rucksack, falle gleich darauf in die S-Bahn, so schnell konnte ich mir nicht mal ein Ticket holen, zum Glück geht’s auch schnell online mit dem Handy. Am Bahnhof steht schon der Metronom nach Lüneburg. Also das war mal eine schnelle Variante heute, toll. In Lüneburg nehme ich mir ein Taxi weil nun leider der Bus gerade weg ist und ich nicht eine Stunde warten will. Ich komme zu Hause in meiner Wohnung an, oh man, ich bin echt happy hier zu sein. Mir ist gar nicht gut, mein Magen spielt verrückt, ich bin vollkommen fertig, packe mich in die heiße Wanne und falle danach erst mal ins Koma. Irgendwie war ich im Durchhalte-Modus und nun klappt alles zusammen. Abends aufgewacht merke ich, dass ich echt krank bin. Was für ein blöder Abschluss der Tour, der ganze Regen, frühzeitiges abbrechen und nun krank. Das hatte ich auch noch nicht. Nun, wie sage ich immer so schön: Es ist jedes Mal anders. Ich sollte tatsächlich noch zwei Wochen damit zu tun haben, bis ich wieder gesund war, oh man. Aber so kann ich doch sagen: Es sollte alles so sein, dass ich die Tour abbreche. Ich will mir gar nicht vorstellen wenn das in Frankreich passiert wäre und ich da krank gehangen hätte. Monique ging es übrigens am nächsten Tag schon wieder besser, zum Glück.

Aber auch diese Tour hat mich wieder einiges gelehrt: Am Ende wird es doch immer gut. Was gab es für krasse Dualitäten, was gab es für krasse Zeiten, aber: am Ende wurde es gut. Und was für ein wunderschönes Land Frankreich ist, ich bin immer wieder von neuem hin und weg. Viel habe ich nachgedacht nach meiner Tour. Das Französisch-Problem, sich ausgeschlossen zu fühlen, das Regenproblem, die nicht wasserdichten Schuhe. Nun, ich bin zu der Erkenntnis gekommen, dass ich mich besser mit dem Französisch vorbereiten möchte und nun auch Überschuhe für meine Leder-Wanderschuhe habe. Somit ist nach dem Pilgern immer vor dem Pilgern. Wenn Leute sagen, dass es überhaupt kein Problem ist, wenn man kein Französisch spricht, dann kann ich dem nicht zustimmen. Man kommt sicher durch, aber schön ist anders. 

Geht es nächstes Jahr weiter? Werde ich es bis St-Jean-Pied-de-Port schaffen? Es sind noch 1260 km nach Santiago, geht doch :-) Geht es überhaupt weiter? Wie wird die Corona-Lage sein und was wird überhaupt möglich sein? Wie geht es überhaupt im Leben weiter? Und was ist mit Gott? Fragen über Fragen!

 

Man muss den Dingen

die eigene, stille

ungestörte Entwicklung lassen,

die tief von innen kommt

und durch nichts gedrängt

oder beschleunigt werden kann,

alles ist austragen – und

dann gebären…

 

Reifen wie der Baum,

der seine Säfte nicht drängt

und getrost in den Stürmen des Frühlings steht,

ohne Angst,

dass dahinter kein Sommer

kommen könnte.

 

Er kommt doch!

 

Aber er kommt nur zu den Geduldigen,

die da sind, als ob die Ewigkeit

vor ihnen läge,

so sorglos, still und weit…

 

Man muss Geduld haben

      mit dem Ungelösten im Herzen,

und versuchen, 

die Fragen selber lieb zu haben,

wie verschlossene Stuben,

und wie Bücher, 

die in einer sehr fremden Sprache

geschrieben sind.

 

Es handelt sich darum, 

alles zu leben.

Wenn man die Fragen lebt, 

lebt man vielleicht allmählich,

ohne es zu merken,

eines fremden Tages

in die Antworten hinein.

Rainer Maria Rilke

 

In diesem Sinne Buen camino!