León nach Santiago de Compostela 2

Die letzten Höhenmeter sind erst mal erreicht, ich komme in O Cebreiro an und werde von Dudelsackmusik mit einer irischen Violinen-Mischung begrüßt. Süße strohbedeckte Häuschen begrüßen mich, die Pallozas, die wohl auf eine über 2500 Jahre alte keltische Bautradition zurückgehen und fenster-und kaminlos sind. Die Menschen haben hier mit ihren Tieren zusammen gelebt. Das Dorf hat tatsächlich nur 30 Einwohner und es befand sich ehemals einer der wichtigsten Pilgerhospitäler hier oben. Das kann ich mir gut vorstellen, da gab es sicher einige, die das auch benötigten.

Eine nette Steinkirche, die Iglesia de Santa Maria, ist die älteste Kirche auf dem Jakobsweg. Das ist beindruckend, sie befindet sich rechterhand, hier soll der Heilige Kelch von Galicien aufbewahrt sein. Die Geschichte darum soll sich im Jahre 1300 hier zugetragen haben: Ein frommer Bauer kommt trotz Sturm den Berg hinauf zur heiligen Messe, die ein an Gott zweifelnder Mönch zelebriert. Er macht sich insgeheim lustig über den Bauern. Beim Abendmahl verwandeln sich Brot und Wein jedoch tatsächlich in sichtbares Fleisch und Blut, wodurch der Mönch von seinen Glaubenszweifeln geheilt wird. Was für eine schöne Geschichte. Tatsächlich findet jedes Jahr eine Wallfahrt im September nach hier oben statt. Der heilige Gral befindet sich auch auf dem Wappen Galiziens

Außerdem gibt es hier in der Kirche ca. 50 Bibeln in verschiedenen Sprachen in einem Regal an der Wand. Also für jeden was dabei. Erinnert mich ein bissel an die Kirche in Hontanas in der Meseta, da lagen auch viele Bibeln in sämtlichen Sprachen rum. Schön. Ich betrete die Kirche, welche dunkel und heimelig wirkt. Viele Kerzen sind entzündet und es gibt einen separaten kleinen Raum mit Jesus an der Wand, hier kann man eine Kerze anzünden und in sich gehen, was ich dann auch mache.

Neben der Kirche steht das Denkmal an den Pfarrer Don Elías Valiña Sampedro, welcher wohl den gelben Pfeil des Jakobsweges erfunden und ab 1984 verteilt haben soll, damit der Weg auch gut gefunden wird. Und man muss ja auch sagen, der Weg ist wirklich gut ausgeschildert, besser kann man es nicht machen. Sieht ja sehr intellektuell aus mit seiner Brille, der Herr. Viele bunt bemalte Steine sind davor abgelegt, nehme mal an von Pilgern, klar. Auf dem kleinen Dorfplatz spielt die Musik, kleine Lädchen laden zum shoppen ein, die ein oder andere Bar ist zugegen. Es hat sich etwas zugezogen und der Wind weht hier oben kalt um die Ecke und ich laufe mittlerweile wieder mit Regenhose als Windschutz und meinem Sarong als Schal durch die Gegend. Es ist Zeit eine Bar aufzusuchen und zu Mittag zu essen. 

Ich betrete eine kleine Bar und treffe geradewegs auf Alexandra und ihren Lover Edwin. Ich setze mich dazu und bestelle mir eine leckere warme Empanada, eine Hefeteigpastete, meist mit einer Thunfischfüllung, kann aber auch mit Gehacktem gefüllt sein, dazu einen schönen Café con leche. Mir wird langsam wieder wärmer. Oh man, der Wind kann einen echt frierend machen. Zum Glück kommt er immer von nord-östlicher Richtung, heißt meist von hinten-seitlich. Von vorne wäre das nicht zu ertragen. Wir schnacken etwas miteinander, dann brechen die beiden auf, haben wohl noch einen langen Weg bergab nach Triacastela vor sich. Sie erzählen mir, dass es hier gestern einen tollen Pilgergottesdienst gab, da hätte ich was verpasst. Nun, man kann nicht alles haben. Eine Engländerin kommt herein gehumpelt, nichts geht mehr, die Füße schmerzen sehr, sie muss eine Pause einlegen und ist sehr befrustet, was ich verstehen kann. Sie ist mit dem Taxi hochgefahren. Nun, das kann man auch machen und machen auch einige. Ich wünsche ihr alsbald alles Gute für ihren Weg und mache mich wieder auf, schaue mir das wirklich hübsche Dorf nun bei Sonnenschein und wieder einsetzender Wärme an. Ich verlasse den Ort und nehme geradewegs eine kleine Variante über einen Berg und durch einen einsamen Kiefernwald. Die meisten gehen wohl den anderen Weg, wobei ich sagen muss, dass gar nicht so viele Leute zu sehen sind, da ich ja ab vom Hauptort übernachtete und somit alle Pilger entweder schon weg sind oder eben noch nicht da. Schön ist das. Der Wald ist voller Gesang der hiesigen Singvögel, ich kann den Buchfink, den Zilpzalp und den Pirol raus hören, wie schön das alles ist!

Der Blick schweift weit über die Berge, hie und da gibt es kleine Gehöfte, kleine Dörfer, das ist typisch für Galicien, unzählige Minidörfer übers Land verteilt. Nun geht es langsam wieder bergab in den nächsten Ort Liñares. In Galicien gibt es viele Worte mit „ñ”, somit befinden wir uns nicht mehr auf dem Camino, sondern auf dem Camiño und die Straße heißt auch nicht mehr Calle, sondern Rúa, also mitunter ganz andere Sprache. Im Ort angekommen gibt es eine kleine Bar mit angrenzendem Mini-Lebensmittelmarkt, das kommt gerade recht. Draußen stehen ein paar Stühle und Tische. Ich setze mich hin, packe die Beine hoch, kaue genüsslich an meinen Mentos und beobachte den ein oder anderen Pilger den Berg runtergehen. Die Sonne wärmt schön, ich genieße das in vollen Zügen. Weiter geht es neben der kleinen Straße her zur Alto do San Roque hoch auf 1270 Metern Höhe. Eine Skulptur eines gegen den Wind ankämpfenden Pilgers macht ersichtlich wie es hier auf den Bergen mitunter zugeht. So richtig glücklich sieht er nicht aus. 

Der Wind ist auch weiterhin kräftig und fängt an wieder kalt zu werden. Oh man, ich brauche unbedingt noch eine Warmweste oder Fließjacke oder sowas. Leider hatten die Läden ja in Ponferrada zu, vielleicht dann in Sarria. Das Ortsschild der Passhöhe ist über und über mit Aufklebern bedeckt. Ich verstehe nicht warum alles so verschandelt werden muss. Auch sind ja viele der Meinung sich mit Edding und sonstigem verewigen zu müssen, fast so wie ein Hund, der den Baum markiert. Nun, viele Menschen, viel Schmutz, das ist leider oft so. Nicht weiter drüber ärgern, weiter geht’s mit mittlerweile Sturm von hinten und dem ein oder anderem Pilger Richtung Hospital de Condesa mit einer Albergue und angrenzendem Café. Ich setze mich draußen an ein Tischchen mit einem Kaffee, komme ins Gespräch mit einer Engländerin, die auf ein Taxi wartet, bevor ich mich aufmache den letzen Berg zu erklimmen. Es riecht ordentlich nach Landluft, viele Gehöfte mit Viehställen sind zugegen. Auf den Weg aus dem Ort raus lande ich inmitten einer Kuhherde, die auf die Weide gebracht wird. Zwei aufgeregte Hunde halten die Kühe in Schach, die gemächlich vor mich her trotten und mich argwöhnisch beäugen. Ich lasse sie auf dem Pilgerweg gehen und nehme die danebenliegende Straße, somit kann ich sie gut überholen.

Über grüne Berge mit tollem Talblick geht es nun nochmals einen wirklich krass steilen Aufstieg hoch zur auf 1337 Metern gelegenen Alto de Poio. Puh, das ist jetzt nochmal ein Hammer am Ende, nun ist aber auch gut.

Es gibt zwei Herbergen im Ort. Nun, Ort kann man es eigentlich gar nicht nennen, es ist einfach nur der höchste Punkt und eine Passstraße geht hindurch. Ich komme im Hostal Santa María unter. Die Dame des Hauses kann nur spanisch und begleitet mich auf mein Zimmer. Dort stehe ich nun und schaue aus dem Fenster, welches aber nicht nach draußen geht, sondern in den Waschraum. Was ist das denn? Das Zimmer ist düster und kommt mir vor wie ein Bunker, ich bekomme eine Krise, nee, hier will ich nicht bleiben. Ich gehe also wieder runter und frage ob sie nicht ein Zimmer mit Fenster hat. Hat sie zum Glück und scheint auch nicht böse über den Wechsel zu sein. Nun habe ich ein ziemlich erfrischendes Zimmer, die Heizung sei wohl kaputt, na toll, aber mit Fenster und Bergausblick, das ist doch mal schön. Da die Sonne draußen schön wärmt, mache ich die Fenster weit auf um die Wärme hinein zu lassen. Es gibt zum Glück zwei Wolldecken, die werde ich wohl brauchen heute Abend. Die Dusche ist auch nicht der Hit, sie pieselt vor sich hin, schön ist anders. Also in Alto do Poio muss man nicht übernachten, zwar tolle Berge, aber meine Herberge ist nicht so der Hit, na und die gegenüberliegende hat auch nicht die besten Bewertungen, aber dafür ein paar Stühle und Tische draußen auf einer Wiese mit Blick in die Berge.  Naja, gestern toll, heute nicht so, da muss man durch. 

Nach der Dusche sitze ich mit dicken Pullover auf dem vorhandenen Sofa und überlege wie es nun ab Sarria weitergehen könnte und rufe die ein oder andere Herberge an. Ganz so wie ich es mir vorgestellt habe geht es dann doch nicht, da Herbergen einfach schon ausgebucht sind. Oh oh, mit so frühen Ausbuchungen habe ich nicht gerechnet, mir schwant böses. Aber ich bekomme alles zusammen, werde aber dann auch wieder in Hauptorten übernachten müssen. Nun, mal sehen. K.o. vom Tag mache ich mich gegen 19 Uhr auf zum Pilgermenü unten in der Bar. Ich sitze da alleine am Tisch, an der Bar redet María auf einen Fahradpilger ein, von denen kommen hier einige unter, nebenan spielen zwei Kinder im Nachbarraum, alles sehr familiär hier. Am Nebentisch sitzt ein Herr und löffelt seine Suppe, hat eine Flasche Wein und eine Flasche Wasser auf dem Tisch zu stehen und ist in sich versunken. Ich bestelle mir mein Menü und spreche meinen Nachbarn an, ob er Pilger sei. Klar ist er das und spricht sogar deutsch, es ist Hartmut aus der Nähe von Zürich. Ja wenn man so alleine unterwegs ist kommt man schnell zu Kontakten, einfach drauflos reden, das kann ich gut, da bin ich sehr kontaktfreudig. Wir kommen ins Gespräch, er ist von Saint Jean losgelaufen, aber auch schon in der Schweiz und in Frankreich unterwegs gewesen, viel Gesprächsstoff, toll. Wir verbringen einen tollen Abend miteinander. Auch ich bekomme eine Flasche Bierzo-Wein und ein Wasser hingestellt. Wer soll das alles trinken? Ist schon der Hammer! Als wir fertig sind, schaue ich nach draußen. „Los komm schnell, es ist soweit, die Sonne geht unter“. Wir laufen raus an den Hang und können noch schnell ein Foto machen, bevor das Schauspiel vorbei ist. Aufgrund einiger Wolken ist es etwas verhalten, wir freuen uns aber trotzdem total. 

Wir verabschieden uns vor den Zimmern, Hartmut hat so ein Fenster-zum-Waschraum-Zimmer bekommen, und wünschen uns eine gute Nacht. Vielleicht sehen wir uns ja morgen früh, aber auch Hartmut wird mir wieder abhandenkommen, denn er hat ebenfalls Siebenmeilenstiefel an. Ich krieche inklusive Pullover und Leggings unter meine diversen Bettdecken, die Nächte sind hier oben kalt, und kann mich kaum noch bewegen. Nun was soll‘s. Morgen sollten wir tatsächlich nur 1 Grad morgens haben und für die Tage ist Schnee angesagt. Bin ich froh, wenn ich morgen wieder unten bin, ein Abstieg von 700 Höhenmetern wartet auf mich. 

 

11.5.23

Alto do Poio nach A Balsa

20 km

Mein großer Wunsch hier oben morgens auf die im Tal liegenden Wolken zu schauen rückt in weite Ferne. Gestern war das wohl in O Cebreiro möglich gewesen und ein ganz wunderbares Schauspiel. Heute kommt jedoch eine fiese, dicke Wolke ums Eck und verhüllt alles in dichten Nebel. Nun, kann man nichts machen, ist aber echt schade. Dann bin ich schon mal so weit oben und nichts. Ich gehe runter zum Frühstück und treffe auch sogleich auf Hartmut, das ist doch mal erfreulich und so frühstücken wir zusammen und gehen dann tatsächlich auch gemeinsam los. Eisige Kälte umfängt uns, als wir vor die Tür treten. Alle Klamotten, die ich habe, samt Regenhose und 2-Fach-Pullover, Wollmütze und Handschuhe sind angelegt. Ein eisiger Wind fegt über die Höhe und trägt den Nebel herüber. Hartmut und ich betreten den Sandweg neben der Passstraße und gehen strammen Schrittes voran.

Die Täler hängen komplett im Nebel und unnötigerweise kommt ein frischer Pieselregen von oben-seitlich. Irgh, also dann auch noch das Regencape überziehen. Was für ein Mistwetter, ich sehne mich danach unten anzugkommen und aus dieser Kälte hier oben raus zu sein. Kurz vor Fonfría, was für ein passender Name, verabschiede ich mich von Harmut. Sein Schritt ist mir zu schnell und ich habe heute mit meinen 20 km gut Zeit. Er möchte um einiges weiterlaufen, wir werden uns nicht wiedersehen. Ab hier geht es nun bergab in hoffentlich wärmere Gefilde. Der Regen macht Pause und wird auch heute nicht mehr wiederkommen, wie schön. Alleine gehe ich nun durch eine schöne bergige, grüne Landschaft bergab. Hie und da Kühe mit riesigen Hörnern auf der Weide, eine Feldlerche trällert ihr Lied, Gequatsche im Hintergrund. Ich bleibe stehen und warte ab bis sie vorbeigehen und gehe dann mit Abstand weiter.

In Filloval angekommen habe ich schon einen Großteil des Abstiegs hinter mir. Eine nette Bar befindet sich am Wegesrand, Zeit für Pause. Ich kehre auch sogleich in die schöne Bar ein, ein nettes Kaminfeuer prasselt und gibt angenehme Wärme von sich. Ein schöner Café con leche wärmt nun auch von innen. Das Regencape versucht über eine Stuhllehne gehängt zu trocknen, ob es letztendlich was bringen wird, weiß ich nicht. Mir gegenüber sitzt in ihr Handy versunken Chloe, eine Frau aus Taiwan. Wir kommen ins Gespräch. Sie hat auch viel Zeit, will nur nach Triacastela. Oh man, da ist sogar noch jemand, der kürzer als ich laufe, wie schön. Sie kann sehr gut englisch, ist von Saint Jean aus losgelaufen und will nach Santiago. Danach will sie noch Italien besuchen und dann Ende Juli wieder heimkehren. Schön ist es jetzt mit ihr hier zu sitzen. Ich hole mir einen weiteren Napolitan und verspeise ihn genüsslich, sie kaut an ihrem Bocadillo rum.

Gemeinsam brechen wir auf. Mittlerweile ist die Sonne rausgekommen, die Mütze, Handschuhe und einer der beiden Pullover können weggepackt werden. Das Land erstrahlt in wunderbaren Farben und der Weg geht über einen Bergrücken nach unten. Sie hat auch einen strammen Schritt drauf und wenn ich sie so von hinten anschaue, frage ich mich, wo denn der große Rucksack mit der kleinen Frau hinmöchte? Die Asiaten sind ja nun nicht die größten und stämmigsten Personen. Warum eigentlich nicht? Hmm, da kann man sich mal Gedanken machen. Auch wie sie wohl die politische Lage mit China und Taiwan betrachtet, das würde mich auf der einen Seite interessieren, auf der anderen Seite denke ich, nee lass mal. Sie ist hier auf ihrem Camino und sollte sich mit solch doofen Dingen nicht beschäftigen. Ich habe auch überhaupt keine Ahnung was zu Hause und in der Welt passiert, interessiert mich auch nicht. Es geht ja immer irgendwie weiter und die Hoffnung, dass doch auch bald der Ukrainekrieg ein Ende finden wird, rückt leider in weite Ferne. Man, die Menschen sind einfach nur doof und werden es wohl auch immer bleiben. 

Kurze Zeit später gesellt sich eine Koreanerin dazu, die Chloe auch schon kennt. Zu dritt durchqueren wir den kleinen süßen Ort Ramil, der mit zusammengezimmerten Steinhäuschen aufwartet und den mal wieder charakteristischen Land-Kuhdung-Geruch bereithält. Galicien ist wirklich mit viel Viehwirtschaft bestückt, da der Anbau von Pflanzen aufgrund der vielen Berge und Steine beschwerlich ist. Somit sind vorzugsweise eben Kühe zugegen, na und die duften nicht immer ganz erhellend. Puh! Mittlerweile kommen noch einige andere Pilger den Weg daher, voll was los hier. 

Wir erreichen kurze Zeit später den im Tal auf nun wieder 600 Metern gelegenen Ort Triacastela am Río Oribio gelegen. Der Ortsname bezieht sich wohl auf drei Burgen, von denen aber keine Reste mehr erhalten sind. Eigentlich ganz hübsch, besteht aber fast nur aus Albergues. Das ist schon der Hammer, ein ganzer Ort voll Albergues. Wir suchen die Herberge von Chloe auf und gehen nebenan in der Bar was essen. Eine etwas trockene Empanada wird es sein, nicht so lecker wie die in O Cebreiro, es gibt doch Unterschiede. Wir verabschieden uns wenig später und auch wir werden uns nicht wiedersehen, sind aber im Kontakt. Ich statte der von außen hübschen Iglesia de Santiago einen Besuch ab. Leider ist sie zu, ach, wen wundert’s? Alle bleiben hier in Triacastela, außer Maika nicht. Das ist schon ein bissel speziell. Viele Pilger gehen auf der Suche nach ihrer Albergue an mir vorbei, nur ich gehe Richtung Ortsausgang, welcher mich mit einem Wegekreuz und zwei Kilometersteinen verabschiedet. Hier kann man nun entscheiden ob man den Weg über Samos nach Sarria gehen will, da kann man wohl ein tolles Kloster besuchen und da auch übernachten, oder aber den direkten Weg über San Xil. Beide Wege sollen sehr schön sein, nur ist der über San Xil erheblich kürzer. Ich entscheide mich auch für ebendiesen und biege rechts ab, ganz alleine, kein anderer kommt auf die gleiche Idee. Heute jedenfalls nicht. Ich freue mich, so war doch in dem kleinen Ort hier viel los.

Es geht eine kleine nicht befahrene Straße leicht bergauf. Heute werde ich in A Balsa übernachten, ein Dorf, man kann es kaum Dorf nennen, mit ein paar Häusern, alles sehr alternativ. Meine Herberge ist die einzige dort. Sie heißt „El Beso“, also „der Kuss“ und wird von einem holländischen Pärchen, das sich hier auf dem Camino ehemals verliebt haben und dann ausgewandert sind, geführt. Sie bieten hier abends ein veganes Pilgermenü an, das ist sicher auch nicht für alle das richtige, ich finde es toll. Mal keine Fleischbrocken. Durch ein einsames grünes Tal schlängelt sich der Weg, führt über eine kleine Brücke über einen Bach und verläuft dann durch die kleine Ortschaft. 

Die Türe der Herberge ist geöffnet, ich komme in einen rustikalen Vorraum. Eine Wand über und über mit gemalten Namen und bunten Handabdrücken begrüßt den Ankommenden. An der gegenüberliegenden Wand pinnt ein Zettel, dass man sich schon mal ein Bett suchen soll, um 17 Uhr kommen wir dann zusammen, dann sind die Herbergseltern da. Okay, nächste Tür, ein recht dunkler, äußert rustikaler großer Raum mit vielen Stockbetten erwartet mich. Diverse Holzbalken machen das ganze sehr urig. Ich stehe hier so, die meisten unteren Betten sind schon belegt. So ganz sicher wo ich jetzt schlafen will bin ich nicht. Zwei Stockbetten sind neben der Küche etwas abseits, für das eine werde ich mich später entscheiden, das andere nimmt dann ein Schotte, die obigen Betten bleiben leer. Die Küche ziert ein großer Tisch auf einem Stein-Fußboden, draußen befindet sich eine kleine Grünanlage mit selbstgezimmerten Sofas und einen tollen Blick in die umliegenden Berge.

Am krassesten und rustikalsten ist ja das Bad mit den beiden Duschen. Ebenfalls mit Steinfußboden und Holzbalken ausgekleidet. Aber der Oberhammer kommt noch, in der Küche brutzelt eine Elektroheizung mit Flamme und gibt schön Wärme. 

Am Tisch sitzt die eine Deutsche, die ich in O Cebreiro getroffen hatte. Sie stand da etwas verloren und fragte mich nach dem Weg. Ich freute mich und sagte „hallo“, sie schaut mich nur komisch an. Ich erinnerte sie, wo wir uns gesehen hatten. Ich meine „ich bin Maika und komme aus Lüneburg“, wo sie denn herkomme? „Aus Leipzig“, war ihre knappe Antwort. Das war’s. „Aha, schön“ meinte ich und ließ sie dann da eben sitzen. Die ist schon eigenartig, irgendwie so ein Weirdo (auf Englisch ist das eine schräge, merkwürdige Person). Nun gut, muss ja auch nicht sein. Ich mache mir erst mal einen Kaffee und esse meine Kekse und zwei Magdalenas. Mein Rucksack lässt heute so lange auf sich warten, dass ich per Whatsapp nachfrage und mir schon Sorgen mache. Der Herr braucht noch etwas, erst mal muss er die in Triacastela abladen, meiner ist dann hier der letzte. Nun was soll's. Ich mache mich auf den Ort etwas zu erkunden. Unweit der Albergue sehe ich ein Steinhaus mit einem Kreuz oben auf dem Dach, das interessiert mich. Was das wohl ist, eine Kirche? Ich komme an die Eingangstüre, leise Musik empfängt mich, Art’s Gallery steht am Eingang, das ist ja spannend. Ich trete ein und befinde mich in einem Raum mit Unmengen an selbst gemalten tollen Bildern. In der Nische ein Jesuskreuz mit einer geöffneten großen Bibel davor. Was für ein schöner Ort. 

Kurze Zeit später tritt der Künstler selbst herein, ein Engländer, der ehemals den Jakobsweg gelaufen ist und sich dann hier im Tal niedergelassen hat, so wie auch die Holländer. Vielleicht ist das hier so ein Auswandererort. Wir kommen ins Gespräch. Ich gebe ihm meinen Pilgerpass und er malt mir einen Stempel hinein, das ist wirklich wunderbar und was ganz besonderes. Toll. Er war auch ehemals durch Frankreich und Le Puy en Velay gepilgert. Ich frage ihn, ob der den Ultreia-Song kennt, der in Conques in der Herberge und Kathedrale gesungen wurde? Hmm, er kann sich nicht erinnern. Nun, er malt mir einen Pilgerstempel und ich singe ihm dafür das Lied vor. Nun kann er sich erinnern und ist äußerst gerührt. Wir beide empfinden diesen Moment als etwas ganz besonderes.

Tous les matins nous prenons le chemin,

tous les matins nous allons plus loin.

Jour après jour la route nous appelle,

c'est la voix de Compostelle.

Ultreia, Ultreia, et Suseia,

Deus, adjuva nos!

Ich kaufe noch ein paar Postkarten und verabschiede mich von ihm. Er wünscht mir einen buen camino. Was für eine schöne Begegnung. Zurück in meiner Herberge ist nun auch mein Rucksack angekommen, somit kann ich nun duschen gehen in der rustikalen Steindusche. Schon der Hammer, aber irgendwie auch toll. Frisch geduscht nehme ich mir ein schönes kühles Estrella Galicia, hier kommt es ja her, und gehe nach draußen. Die Sonne scheint nun von einem blauen Himmel und wärmt. Ich packe meine Wolldecke auf ein paar Spanbretter und genieße die Wärme, mache meine Übungen, die bitter notwendig sind und genieße die Ruhe. Zwei Mädels gesellen sich dazu und machen auf der Wiese Yoga.

Um 17 Uhr wird es geschäftig, der Herr des Hauses bittet zu Tisch, es werden Pilgerpässe und Gelder rüber gereicht. Wir kommen zusammen ins Gespräch. Nette Runde, kann ich nicht anders sagen. Ich lerne Brenda und ihren etwas langweiligen Mann aus Amerika kennen, wir kommen gut ins Gespräch und tauschen uns über den Weg aus und wie es noch weitergehen wird. Ich habe ja nun meinen Weg geändert und werde morgen nach Barbadelo gehen, das sind so 5 km von Sarria entfernt. Ich bin schon sehr gespannt auf die letzten 100 km, ob es da wirklich so voll ist, wie alle immer sagen, ob da wirklich die grölenden Horden und/oder Schulklassen unterwegs sind. Am Abend um 19 Uhr gibt es dann das Pilgermenü, diesmal nicht klassisch, sondern vegan. Wir sind ein durchmischter Haufen aus den beiden Amerikanern, den Schotten, die beiden Engländer, die zwei Französinnen, die vorhin Yoga machten und eben die Weirdo-Deutsche. Tolles Essen mit viel Gemüse, Linsen, Bohnen und Reis wird aufgefahren, dazu ein guter Rotwein und eine Karaffe Wasser. Ein veganer Karottenkuchen rundet das ganze ab, lecker. Wir verweilen noch lange miteinander. Die eine Französin schnappt sich noch die Gitarre und spielt das tolle Gitarrensolo von Pink Floyd, wie geil. Der Schotte und ich freuen uns total ab und feiern Pink Floyd. Ich stimme das auf der LP sich nach diesem Solo befindliche „Vera Lynn“ an und wir singen zusammen: "Does anybody here remember Vera Lynn? Remember how she said that we will meet again some sunny day…" Es wird emotional. Ich finde die beiden Platten von The Wall inklusive den Film einfach unglaublich beeindruckend. Auch wie man so eine Musik kreieren kann, toll. Der Schotte stimmt mit mir da voll und ganz überein. 

Die Deutsche ist mit dem Schotten zusammen ziemlich aufgetaut und ist total am ablachen, sie scheint aber der englischen Sprache nicht wirklich mächtig zu sein, aber das tut scheinbar dem ganzen keinen Abbruch. Es ist mittlerweile echt hot hier drinnen, die Heizung gibt alles. Ich mache mir Gedanken, ob die Nacht tatsächlich nicht zu heiß werden könnte. Nach dem Frost von letzter Nacht nun die Sauna. Nun, ich bin da ja immer ganz lösungsorientiert. Als wir alle zu Bett gehen ziehe ich kurzerhand den Stecker der Heizung, dann ist Ruhe im Karton (sie macht doch ziemlich Geräusche) und es wird eine angenehme Nacht, jedenfalls was die Wärme betrifft. Ich baue mir wieder eine schöne Höhle und krieche hinter meinen Sarong. Leider schlafen wir zwei neben der quietschenden Badezimmertüre, die tatsächlich des Nächtens sehr laut quietscht, dass ich das sogar durch die Ohrstöpsel höre. Oh man! Und irgendwie müssen unheimlich viele Leute aufs Klo, warum schlaft ihr nicht einfach? Die Nacht ist zum schlafen und nicht zum Pieschern da! Nun denn, irgendwas ist immer, aber alles in allem war es hier sehr nett gewesen. 

 

12.5.23

A Balsa nach Barbadelo

23 km

Nach der Quietschenden-Klotür-Nacht stehe ich genervt auf und packe meine Sachen. Erst gegen 7.45 Uhr verlasse ich die Herberge heute. Draußen ist es kalt, ich habe wieder alle Klamotten an. Die Wolken hängen tief in den Tälern und ein leichtes Feucht kann ich in meinem Gesicht spüren. Aber ich bin ganz alleine unterwegs, das ist schön. Ich passiere das kleine Haus des englischen Künstlers und verlasse den netten Ort steil bergauf zu einer Anhöhe. 

Der kleine Ort San Xil ist schnell erreicht und hinter mir gelassen. Regen setzt ein, och nee, das muss jetzt nicht sein. Nun, Galicien ist ja nun mal die regenreichste Region und das Quietschgrün der schönen Landschaft kommt nicht von ungefähr und es sieht hier wirklich auch manchmal aus wie in Schottland. Also ist nun auch mein Regencape gefragt. Wenig später geht es durch Eichenwälder, das ist dann etwas geschützter. 

Zwei sich lauthals unterhaltende Spanier überholen mich, raunen mir ein buen camino zu und ziehen ihrer Wege. Diverse kleine Dörfer, teilweise mit dem klassischen Kuh-Geruch liegen auf der Strecke und zusammengezimmerte Häuser mit Schieferdächern prägen das Bild. Der Weg ist ein sehr schöner und angenehm zu gehender, teilweise durch Hohlwege, an einem kleinen Fließ vorbei. Wasser plätschert vor sich hin, die Vögel des Waldes sind in ihrem Element, ganz voran der Buchfink. Ich bleibe stehen, schließe die Augen und lausche einfach den Geräuschen, atme den Duft des feuchten Waldes tief ein und genieße. 

Kurz vor Pintín, der Ort in dem Hartmut aus Alto de Poio übernachtet hatte, überquere ich über eine steinerne Brücke ein kleines Fließ. Vor mir verschwindet der Weg im Nebel, es regnet stärker, nun finde ich das Ganze nicht mehr so klasse. Zum Glück befindet sich im Ort selbst eben die Albergue mit angrenzendem Café. Nichts wie rein, Regenklamotte abgelegt und erst mal frühstücken. Ein guter Kaffee, ein leckeres Napolitan, der Fernseher im Hintergrund und drei weitere Pilger im Raume, alles in allem eine schöne Atmosphäre. Nach einem kurzen Talk mit den beiden vom Nachbartisch mache ich mich wieder auf, das Cape wird wieder drüber gezogen, ein leichter Pieselregen ist immer noch zugegen. Kann man nichts machen. Die Schuhe sind angefeuchtet, ich übe mich im Annehmen, nützt ja alles nichts. 

In Pintín hat das Café geöffnet, schnell hinein, an den Mäuerchen wächst der schöne Venusschnabel und die liebe Maika in türkis mit anbei

Wenig später kurz vor San Mamede trifft der Weg aus Samos wieder auf den Hauptweg, zwei Pilger laufen vorneweg. Steinmäuerchen säumen den Weg, aus den Ritzen wächst eine Pflanze, die ich noch nie gesehen habe, es ist der Echte Venusnabel, was für ein Name. Er ist hier viel vertreten und kann tatsächlich eine Wuchshöhe von bis zu 50 cm erreichen. Schön sieht er aus. Auch der Riesenfenchel ist wieder zugegen, den habe ich ja letztes Jahr häufiger, vor allem in der Meseta gesehen. San Mamede ist nur ein kleines Dorf und schnell hinter mir gelassen. Das Regencape kann nun über die Schulter geworfen werden, so langsam wird es mit dem Wetter besser. Ein schmaler Weg führt über ein Treppchen bergab, Farne wachsen an den Hängen der Hohlwege, eine Eidechse verschwindet im gemäßigten Tempo in einer Steinritze, hat wohl die Betriebstemperatur noch nicht erreicht.

Kurz vor Sarria kommt dann die Sonne endlich hinter den Wolken hervor und wärmt schön. Aus dem Dickicht auf die Landstraße kommend erhasche ich den ersten Blick auf die kleine Stadt. Was für ein tolles Gefühl, ich finde das schon besonders, jetzt bin ich also bald angekommen an dem Ort, wo viele losgehen, da die letzten 100 km vor Santiago zählen, wenn man die Compostela haben möchte. Ab hier brauche ich nun zwei Stempel pro Tag als Nachweis, dass ich den Weg gegangen bin, wenn ich eben auch die Compostela haben möchte und das will ich. So ein bissel nervt es, denn ich habe das Gefühl, dass dann so ein Zwang entsteht: "Oh, das darf ich nicht vergessen mit den zwei Stempeln", aber der Gedanke ist unbegründet, denn es gibt wirklich überall Stempelstellen und sollte somit kein Problem sein. 

Ich könnte eine Pause vertragen, die möchte ich nicht im Ort machen, stelle ich mir den doch sehr überfüllt mit Menschen vor, was aber auch letztendlich nicht so sein sollte. Also so viele Gedanken, die ich mir hätte sparen können, aber so ist die liebe Maika nun mal. Weiter geht es an einem Weg neben der Straße, mittlerweile sind auch wieder einige Pilger zugegen. Rechts befindet sich ein Campingplatz mit Holzhütten drauf. So so, hier gibt es jetzt also die vielen verschiedenen Unterkünfte, damit auch die Gruppen und ähnliches einen Platz für die Nacht finden. Ich biege in eben diesem Campingplatz ein und suche mir abseits ein grünes sonniges Plätzchen, breite meinen Sarong aus, ziehe die Schuhe aus und lege mich in die nun richtig hotte Sonne. Oh wie gut das tut, endlich keine Kälte und kein Feucht mehr. Ich liege hier eine Weile, esse meine noch vorhandene Orange und lausche dem Gesang der Vögel. Auf dem Campingplatz hier ist tote Hose, alle sind natürlich schon weg und die neuen noch nicht da. Desgleichen werde ich wenig später in Sarria, welches übrigens 120 km von Santiago entfernt ist, auch erleben. Aber nun ziehe ich meine Schuhe erst mal wieder an und mache mich auf, runter in den Ort. Kurz davor fängt es wieder an zu regnen und das heftig. Ich sprinte in ein auf der rechten Seite befindliches Hotel mit Restaurant rein. Das passt, Hunger habe ich sowieso, die Orange war nur was für den hohlen Zahn, also bleibe ich den Regen über hier und esse ein schönes warmes Bocadillo und beobachte die Pilger in ihren bunten Regencapes an der Straße im strömenden Regen nach Sarria ziehen. Eine Holländerin setzt sich zu mir an den Tisch, es ist Henneke, die alleine und doch nicht alleine pilgert. Eine eigenartige Geschichte erzählt sie mir. Sie ist mit vier Frauen unterwegs, die aber alle vorgebucht in tollen Hotels unterkommen. Sie kann sich das nicht leisten und so geht sie ihren eigenen Weg und kommt in Albergues unter, man trifft sich dann am Ende des Tages. Sie wollte eigentlich mit ihrer besten Freundin gehen, die sich das dann aber anders überlegte und in tollen Hotels unterkommen wollte und nun mit den anderen zusammen ist. Also wenn das meine beste Freundin wäre, dann wäre ich sehr enttäuscht, aber Henneke versichert mir, dass sie damit gut klar kommt. Naja, so ganz kann ich es nicht glauben, das ist wirklich traurig, finde ich. Der Regen hört auf und die Sonne kommt wieder raus.

Ich mache mich auf nach Sarria, werde von einem netten Eingangsschild begrüßt und komme wenig später im Ort an und stehe vor hiesigem Pilgerbüro, das ist ja toll, da hole ich mir nun meinen Stempel. Ich frage die Dame hinterm Counter, ob sie denn wüsste wo ich hier eine warme Jacke kaufen könnte. Sie überlegt und ihr fällt nicht wirklich was ein. Das ist ja eigenartig, so klein ist der Ort nun auch wieder nicht. Nun denn, am Ende wird es nur ein neues Halstuch werden, denn das habe ich in Alto de Poio liegen gelassen, was mich wirklich traurig macht, denn meine Mutter hatte es mir ehemals geschenkt und mit auf den Jakobsweg durch die Rhön gegeben. Ich habe es da oben auf dem Kreuzberg an meinem Geburtstag dann ausgepackt und seither immer mit dabei gehabt. So ein Shittenkram, wie kann man so vergesslich sein? Nun habe ich in einem Pilgerladen einen Schlauch mit bunten Jakobsmuscheln bekommen, auch schön, aber ich ärgere mich sehr über mich. Leider habe ich es auch trotz Nachfragen in der Albergue in Alto de Poio nicht zurückbekommen. 

Der gelbe Pfeil führt mich durch den mittags nun recht verlassenen Ort. Alle sind weg und die neuen noch nicht da. Auf der Suche nach einem Lebensmittelladen kommt mir Ulf, der Schwede aus Las Herrerías entgegen, der, der mir seine ganze Familie auf Fotos gezeigt hatte. Wir schnacken aber nur kurz, habe nicht wirklich Lust auf ihn. Er bleibt zwei Tage hier, ich gehe weiter und geradewegs in den Laden was zu essen kaufen, denn so ganz ohne Essen macht mich das nervös. Mitten durch Sarria fließt der gleichnamige Fluss. Mit Blumenrabatten ist der Ortsname inklusive Kilometerangabe gepflanzt, nur noch 114 km, aha, das ist doch mal toll. Der Ort ist eigentlich ganz nett.

Eine große Treppe, die Escaleira da fonte führt hoch in die Altstadt. Drei junge lärmende, grölende Pilger gehen an mir vorbei, als ich ein Foto machen möchte und posieren für mich. Ich will das gar nicht und ärgere mich, blöde Leute. Kurz darauf mache ich einen falschen Schritt und zack liege ich auf dem Boden. Oh nein, nicht schon wieder! Besorgt kommen die Drei auf mich zu gerannt und sind plötzlich ganz nett und wollen mir helfen. Ich bedanke mich herzlich und wiegel ab, nee, geht schon. Aber das fand ich ja wieder nett, also doch nicht so doof die Drei. Sie ziehen weiter. Was war das jetzt? Ah, wieder so ein Mini-Bordstein, so wie schon beim letzten Mal. Kaum zu erkennen gibt es hier in Spanien immer wieder diese halben Bordsteine, die echt üble Stolperfallen sein können. Ich bin auch tatsächlich nicht die einzige, die hier einen Abgang gemacht hat. Was sollen diese doofen Dinger denn? Entweder richtige Bordsteine oder keine, aber solche halben Teile kann man sich auch sparen. 

Nun, denn, ich habe mir nichts getan und erreiche oben die Kirche, die gerade zur Mittagszeit bimmelt, aber nicht geöffnet ist. Daneben befindet sich ein kleiner mit Miniplatanen bestückter Platz mit toller Aussicht auf die Stadt. Ich setze mich hier auf eine der Bänke und mache nochmals Pause und präsentiere nun mein neues Halstuch, auch schön gell?

Weiter geht es durch die Altstadt, die vorzugsweise nur aus Albergues besteht. So viele Herbergen an einem Ort habe ich auch noch nicht gesehen, das toppt Triacastela um Längen. Hier muss mitunter viel los sein. Jetzt gerade laufe ich alleine hier lang. Also die Sorge, dass ich hier mit Horden am Start bin war ganz unbegründet. Ich komme am Sarria-Schriftzug vorbei. Zum Glück ist hier eine andere Pilgerin zugegen, die macht ein Foto von mir. Sowas finde ich ja wieder toll. 

Scharf rechts geht es aus dem Ort raus. Am Kloster angekommen gehe ich einfach mal hinein und frage die Frau am Counter, ob hier eine geöffnete Kirche ist, ich würde mich gerne reinsetzen. Aber nein, natürlich gibt es hier sowas nicht, also Kirche ja, aber nicht zum reinsetzen und beten. Warum auch, was soll das? Beten in der Kirche, also nee!! Eigenartig ist das hier in Spanien. Egal. Ein angrenzender typisch spanischer Friedhof wird durchquert. Ist schon auch speziell, in Spanien sind Nischengräber weit verbreitet. Hier liegen die Leichen übereinander gestapelt, sage ich jetzt mal, und man kann durch die Gänge durch die Gräber streifen. Mit einem Marmordeckel, worauf der Name und das Todesdatum steht, sind sie verschlossen. Meist steht ein Plastikblumenstrauß davor. Nun andere Länder, andere Sitten. 

Ich sitze noch etwas auf einer Bank an diesem ruhigen Ort und esse ein paar Mentos, bevor ich mich aufmache, steil den Weg runter zu einer steinernen kleinen Brücke, die Puente de Àspera über den Río Pequeño, kleiner Fluss, wie originell. Der Weg führt jetzt im krachenden Sonnenschein unter großen Bäume unweit der Bahngleise entlang, die Strecke, die ich eigentlich heute nach Ourense nehmen wollte. Nun, es kommt oft anders als man denkt. 

Nun überquere ich die Gleise und gehe weiter in Gedanken versunken, ja es ist ja doch oft so, dass ich meinen anfänglichen Plan dann doch ändere. Ich bin jetzt aber sehr happy, dass ich das gemacht habe und der menschenleere Weg ist schon erstaunlich, habe ich doch mit Massen gerechnet. Nun, auch hier zeigt es sich von Vorteil, wenn man außerhalb der üblichen Pilgerzeiten in den Hauptorten unterwegs ist. 

Vor mir sehe ich aber ein japanisches Pärchen, die tatsächlich mit zwei Koffern unterwegs sind und diese mühsam durch den Sandweg ziehen. Das kann doch jetzt echt nicht euer ernst sein oder? Also die Asiaten sind ja doch manchmal sehr anders, aber mit dem Koffer pilgern? Ich muss sie unbedingt fragen, der Mann kann etwas englisch und erklärt mühsam irgendwas, dass sie zu früh in Sarria angekommen sind und nun einen Ort weiter eine Taxe irgendwohin nehmen wollen, ich habe es nicht verstanden, aber der nun folgende recht steile Anstieg lässt mich zweifeln ob zumindest die kleine Frau das mit dem Koffer hinbekommt. Nun, jeder muss wissen was er macht, aber sie sollten es tatsächlich schaffen, ich traf sie dann später in Barbadelo an der Bar und versuchte zu übersetzen was sie von der Kellnerin wollten. Ich gehe weiter durch den schönen Wald bergauf an knorrigen Bäumen vorbei, an deren Seiten mitunter auch der Venusnabel, der echte, wächst. 

Die Sonne kommt durchs Blätterdach und verbreitet ein zauberhaftes Licht, im Hintergrund singt ein Pirol sein Lied. Oben angekommen geht es über saftige Wiesen eben weiter und wenig später erreiche ich Barbadelo und komme in einer Hammer-Herberge an. 

Damit habe ich nun überhaupt nicht gerechnet. Irgendwie habe ich gedacht, wäre es auf den letzten 100 km nicht so klasse. Aber die Albergue Casa Barbadelo hat alles was ein Pilger sich wünscht. Ich checke ein und suche mein Zimmer. Ein nettes helles 8-Bett-Zimmer, was tatsächlich nur zur Hälfte belegt ist. Noch zugegen sind zwei Koreanerinnen und der eine Spanier, José, den ich auch schon öfters mal traf und der mich immer auf Spanisch volltextet und ich kaum was verstehe, was ihm aber nichts auszumachen scheint. Ich schlafe gleich neben dem Fenster mit toller Aussicht in die Berge in einer Nische. Sowas liebe ich ja. Es gibt auch gleich zwei Duschen nebenan, toll. Leider muss ich auch hier noch auf den Rucksack warten, der dann aber auch alsbald eintrifft.

Es gibt eine große Wiese und sogar ein Schwimmbecken mit angrenzender Terrasse, ein Restaurant mit lecker Essen und einen kleinen Pilgershop mit Souvenirs und Postkarten. Für mich gibt’s jetzt erst mal ein schönes Bocadillo und ein Bier auf der Terrasse am Pool. Die Sonne trocknet meine doch ziemlich angefeuchteten Schuhe und die gewaschenen Haare und ich sitze tiefenentspannt am Tisch und lasse alles auf mich wirken. Die Füße kühle ich später im Wasser, zum Baden ist es zu kalt, für mich jedenfalls, bin da doch eine Mimose. Was für eine schöne Herberge, ich freue mich total.

Der Rundgang durchs Dorf ist schnell gemacht, denn es ist klein und überschaubar. Weiter oben gibt es noch eine Herberge, ein kleiner Shop, Tienda, ist mit anbei, das war’s. Ach nee, hier sehe ich nun zum ersten Mal ein Hórreo. Das ist ein traditioneller Speicherbau für Feldfrüchte oder Korn. Es gibt sie vorzugsweise in Nordportugal und eben in den spanischen Regionen Asturien, Galicien, Kantabrien und Navarra. Sie stehen meist auf einem Steinunterbau und dann auf Pfählen, damit keine Feuchtigkeit reinkommt und die Überhänge an den Pfeilern sind dafür da, dass auch keine Mäuse und Ratten an die Früchte kommen. Süß sieht das Teil aus. In vielen Gärten und Höfen sind diese zu finden. Es gibt sie auch wesentlich größer, dann sind sie meist für die gesamte Dorfgemeinschaft gedacht und befinden sich zentral im Ort. Davon werde ich nun noch einige sehen. 

Zurück in der Herberge überlege ich wie es mit dem Abendessen aussehen könnte. Pilgermenü in Gruppen gibt es nicht, man isst also im Restaurant. Auf alleine essen habe ich so gar keine Lust. Ich mache einem Herrn ausfindig, der aussieht, als ob er einer meiner Sprachen mächtig wäre. Es ist Arne aus der Schweiz. Ich frage ihn, ob wir zusammen essen wollen und er bejaht, wie schön. Er ist alleine unterwegs und auch schon eine ganze Weile, denn er ging von zu Hause ehemals los. Ihm ging es nicht sehr gut und sein Arzt empfahl ihm den Jakobsweg zu gehen. Da ist er einfach losgelaufen und nun ist er hier und hat sich schon bestens erholt, schön. Da er nun auch durch Frankreich ging gibt es viel zu erzählen. Ich bestelle mir ein Pilgermenü mit allem drum und dran. Als wir fertig sind verabschiedet er sich zu einer Zigarette nach draußen und ward nicht mehr gesehen, telefoniert 1000 Stunden mit jemandem von zu Hause. Nun sitze ich hier so und weiß so gar nichts mit mir anzufangen, fühle mich irgendwie einsam, doof. Es ist noch früh am Abend, so hole ich mir jetzt einfach einen Haufen Postkarten, die sind auch ganz nett, und schreibe den Lieben zu Hause. Das ist doch gut. Später im Bett sitzend schaue ich wie es morgen weitergeht und überlege, wie es überhaupt weitergehen könnte. Ich habe ja den Wunsch auch bis ans Ende der Welt zu kommen und aufgrund meiner nun sich sehr gut verhaltenen Hüfte und der ausreichenden Zeit, die ich habe, könnte ich das ja auch wandern. 90 km sind es von Santiago. Warum nicht? Ursprünglich dachte ich, ich fahre mit dem Bus, aber warum? Nee, mir geht es gut, ich bin fit und nach dem Trubel von Santiago das Ganze dann ausklingen zu lassen ist doch eine tolle Sache. Ich schaue schon mal nach den Etappen. In vier Etappen ist das gut zu machen, also werde ich das tun, jo! Meine Pausenzeit, die ich ja eigentlich in Ourense machen wollte, mache ich dann in Santiago und auch zwei Nächte in Fisterra plane ich ein, das sollte schon drin sein. Einen Rückflug habe ich ja noch nicht und somit bin ich frei mit meiner Zeiteneinteilung. Das ist ja auch mal so richtig klasse, finde ich. Wir verbringen zu viert eine ruhige Nacht in unserem tollen 8-Bett-Zimmer. 

Wo wir uns jetzt schon so oft gesehen haben, José und ich, Verständigung kaum möglich, aber egal :-) Es wird Abend...

13.5.23

Barbadelo nach Portomarín

21 km

Aufgrund des Problems kein Bett außerhalb des Hauptortes gefunden zu haben muss ich wohl oder übel in Portomarín übernachten. Also nichts gegen den Ort selbst, der ist wirklich schön, aber so geht natürlich meine Rechnung mit den Horden nicht auf, dachte ich. Nun gut, das viele Denken sollte man auch mal sein lassen. Die beiden Koreaner in meinem Zimmer haben gestern auch rumtelefoniert und nichts bekommen. Sie gehen nun auf gut Glück los und hoffen in der Municipal, in der städtischen Herberge, unterzukommen. Hier kann man nicht vorbuchen und muss halt schnell sein. Der erste malt zuerst. Nee, also das ist mir zu unsicher, darauf habe ich keine Lust. Also wird es Portomarín sein, was sich dann aber auch als Glück herausstellen sollte, denn ich sollte Rick, den Texaner, den ich kurz vor Ponferrada traf, wieder treffen. Es ist früh am Morgen, die Sonne noch nicht aufgegangen, aber der Himmel verfärbt sich schon rötlich. 

Es wird wohl ein schöner Tag werden, kein Regen, das ist doch mal gut. Aber es ist noch unheimlich kalt, somit habe ich alles dabei und ziehe schon mal die Regenhose als Windschutz an, denn der Wind bleibt recht kühl erhalten, zum Glück von hinten. Ich gehe alleine aus Barbadelo raus, die kleine nicht befahrene Landstraße leicht bergan. Die Singdrossel gibt ihr gesamtes Repertoire von sich, im Hintergrund rauscht ein Bach, und ein paar Kühe dösen auf einer Wiese. Ich bin komplett alleine hier unterwegs und sollte es auch noch eine Weile bleiben, wie schön. Am kleinen Ort Rente angekommen muss ich schmunzeln, Rente? Nee, soweit ist es noch nicht. Das Schild ist auch über und über mit Aufklebern verschandelt, traurig ist das. Auf Mauern ist seit geraumer Zeit immer wieder Michael Jackson anzutreffen, da muss aber ein großer Fan unterwegs gewesen sein, ich muss schmunzeln und gehe über Michael Jackson nachdenkend weiter.

Ich überquere kleine Bachläufe über große Steine und kleine Brücken, komme an dem ein oder anderen netten Hórreo vorbei und mache in einer Bar in Peruscallo nun meine Frühstückspause.

Es gibt eine kleine Terrasse draußen, das ist nett. Mittlerweile haben sich auch einige andere Pilger eingefunden, unter anderem ein paar Deutsche, die gerade ankommen, als ich gehen möchte. Sie bitten mich zu sich an den Tisch und ich setze mich nochmals hin. Es sind Monika aus Singen in der Nähe des Bodensees, Thomas und Sandra aus Unterlüß bei mir gleich ums Eck, Walter ebenfalls aus der Nähe vom Bodensee und Bernd aus der Nähe von Freiburg. Eine nette Runde. Wir brechen auch gemeinsam auf, es verläuft sich dann aber. Walter und ich gehen zusammen und quatschen schön, das ist jetzt auch nett, finde ich. Er ist ehemals aus Oettingen in der Nähe seiner Heimatstadt Augsburg los gelaufen, vier Jahre ist das nun her. Auch pilgerte er durch die Schweiz und Frankreich, da gibt es viel zu erzählen aus unseren Erfahrungen. Dieses Mal kam er über die Pyrenäen, die ja mit krassem Wetter aufwarteten, wie ich ja schon zuvor erfahren habe. Er möchte nach Fisterra laufen. 

Kurze Zeit später kommen wir an den 100 km-Stein. Von hier aus sind es jetzt nur noch 100 Kilometer nach Santiago, wie geil ist das denn? Hammer, da muss natürlich ein Foto her, ist doch klar. Somit werden viele Fotos geschossen, es ist ordentlich was los hier und weiter geht es, der nächste Stein zeigt nur noch eine 2-stellige Zahl an, 99,637, das ist schon besonders, so bin ich doch mit 4-stelliger Zahl in Deutschland gestartet und jetzt nur noch 2-stellig, toll! 

100,575 km, dann ist der 100km-Stein erreicht und kurze Zeit später ist es nur noch zweistellig, wow!

Wir gehen gemeinsam weiter, er ist schneller und so meine ich zu ihm, dass er vorgehen soll, es macht keinen Sinn wenn man versucht ein Tempo, was nicht das eigene ist zu halten. Aber er sieht das anders, nö, dann geht er eben langsamer, das ist ja nett. Somit gehen wir einen wunderschönen Steinmäuerchen-umsäumten Weg entlang weiter, die Sonne scheint durch die Baumkronen und erzeugt ein schönes Licht-Schattenspiel. 

Etliche Minidörfer folgen, typisch eben für Galicien. Mittenmang ein Pilgershop mit vielen bunten Jakobsmuscheln und einen Stempel. Einige dieser Shops sollten folgen und so kann man sich genügend Stempel abholen. Ab jetzt müssen es ja zwei pro Tag sein, einer in der Herberge und einer mittendrin, das sollte zu schaffen sein. Bernd sagt: "Immer wenn du dir einen Kaffee bestellst, dann mache es nie ohne deinen Credencial vorzuzeigen und dir einen Stempel abzuholen". Okay, so mach ich das. 

Nach Ferreiros geht es bergab, denn Portomarín liegt im Tal am aufgestauten Río Miño gelegen, der einen großen See erahnen lässt. Von weitem ist die kleine Stadt schon da unten zu sehen, hübsch sieht das aus. Mittlerweile wird es doch warm und die Regenhose muss weg, auch ein Pullover weniger ist von Vorteil. Ja ja, es ist ein permanentes An-und Ausziehen, denn wenn die Sonne weg ist, wird’s im Wind echt frisch, isse da wird’s hot. Wir machen uns an den Abstieg und erreichen alsbald die Ponte Nova, die über den Stausee rüber in den Ort führt. 

Die Geschichte von Portomarín ist ganz interessant, denn ehemals lag der Ort woanders, nämlich da, wo jetzt der Stausee ist. 1956 begann der Bau der vierzig Kilometer entfernten Staumauer des Belesar-Stausees, dessen Wasser dann den Ort überflutete und nur bei sehr tiefen Pegelständen kann man das alte Portomarín wieder sehen. Die Kirche San Nicolás wurde komplett abgetragen und auf dem Berg, auf dem sich die Stadt heute befindet, wieder aufgebaut. Mitunter kann man an den Kirchensteinen noch die Nummerierungen erkennen, die man den Steinen zur besseren Orientierung beim Wiederaufbau gab. Spannend. Wir überqueren die große Brücke über den See. Über eine große steile Treppe und durch die Capela das Neves kommen wir oben in den Ort hinein und werden von einem schönen Portomarín-Schriftzug begrüßt.

Wir gehen die Hauptstraße entlang zum Praza conde Fenosa, der Platz an, der sich auch die wieder neu aufgebaute Igrexa San Nicolao befindet, wie sie auf galizisch heißt. Oder das ganze Mal auf Spanisch gesagt: der Plaza de Fenosa und die Iglesia San Nicolás. Ja die beiden Sprachen sind doch mitunter sehr unterschiedlich.

Unsere Wege trennen sich hier erst mal, aber wir tauschen Handynummern aus und verabreden uns für später. Jeder sucht jetzt erst mal die eigene Herberge auf. Bei mir ist es am Ende des Ortes eine Pension mit einem Einzelzimmer, welches ich aber noch nicht beziehen darf, ich bin zu früh und muss noch geschlagene anderthalb Stunden warten. Ja wir waren doch schnell unterwegs und haben dann auch keine Pause mehr gemacht, das ist ja eigentlich nicht meine Art, aber so ist das mitunter wenn man zusammen geht, da kommt man vom eigenen mitunter ab. So stehe ich hier nun. Okay, dann muss ich mir was überlegen. Ich gehe zum Miradoiro de Miño am Abhang des Berges auf dem der Ort sich befindet. Nun, alt ist er ja nicht, da er ja erst Mitte des letzten Jahrhunderts aufgebaut wurde, aber doch nett. Er wurde eben nett aufgebaut. Man hat einen schönen Blick über den See und die Brücke.

Ich will mir gerade einen Platz suchen, an dem ich mein Mittags-Picknick zu mir nehmen will, da bekomme ich eine Whatsapp von Rick, er ist in Protomarín angekommen und ob wir uns sehen wollen, er sitzt mit Freunden draußen vor einer Bar. Na das ist ja großartig, klar will ich. Ich suche sie auf und finde sie draußen an der Rúa de Compostela, in Rest-Spanien wäre es jetzt die Calle Mayor. Zwei Australier, Linda und Steve, sitzen mit anbei, später kommt noch eine Engländerin mit dazu, deren Namen ich aber vergessen habe. Rick hatte die beiden Australier ja kennengelernt und entschieden mit ihnen nach Santiago weiter nach Porto zu gehen. Nun sitzen wir hier bei einem Bier zusammen und es ist richtig nett. Wir tauschen uns über Erlebtes aus und beschließen uns gegebenenfalls abends zum Essen zu verabreden, haben auch wenig später einen netten Italiener ausgemacht. Es ist Zeit, ich suche meine Pension auf, mein Rucksack steht nun auch schon im Raume. Ich erfreue mich an der Air-Kondition-Heizungs-Installation oben an der Wand, denn es ist kühl hier drinnen und ich fange an zu frieren. Anfangs gibt es noch Probleme, dann funktioniert sie aber bombig und ich gebe einfach mal 23 Grad ein und gehe nebenan duschen. Als ich zurückkomme habe ich eine Sauna im Zimmer, wie geil, das ist doch mal der Hammer. Ich sitze tiefenentspannt im T-Shirt und nicht frierend auf dem Bett und mache meine weitere Tour nach Fisterra aus. Ein paar Telefonate und Buchungen später ist alles unter Dach und Fach, toll. Nochmal will ich nicht das Problem der fehlenden Betten haben, obwohl natürlich auf dem Weg viel weniger los ist. Aber man weiß ja nie und es gibt ja auch viel weniger Unterkünfte. Die Sonne kommt raus und ich schaue mir den Ort an, der aus vielen weißen Häusern besteht.

Meine kleine Heim-Sauna, die vielen Pilger-Denkmäler überall, die wiederaufgebaute St. Nicolás und das Rathaus von Portomarín

Im Hintergrund ist laute Musik zu hören, es gibt im Versammlungsraum ein Konzert und viel Rambazamba, wohl für ältere Leute, auch schön. Auch ein Besuch der hiesigen Kirche ist tatsächlich möglich, da sie aufgrund eines zuvor stattgefundenen Gottesdienstes geöffnet ist, aber nicht viel hergibt. Scheinbar hat man den Inhalt damals nicht mitgenommen. Ich treffe wenig später Walter und wir gehen ein schönes Bier trinken und schnacken weiter. Das finde ich so richtig nett. Und nach der Einsamkeit von gestern habe ich plötzlich unheimlich viele Leute um mich rum, denn der Rest der Truppe kommt alsbald auch ums Eck. Sie suchen auch was zu essen und nun bin ich in der Bredouille, ob ich mit Rick und den Australiern esse, wir hatten ja so halb was ausgemacht, oder eben mit der deutschen Truppe. Als wir den Italiener betreten hat sich das Ganze dann von alleine erübrigt, denn Rick kommt mir entgegen und hat schon einen Tisch, sie sitzen schon drinnen im total überfüllten Restaurant und haben den Platz für mich freigehalten. Aha, okay, dann verabschiede ich mich von den anderen, die sich nun was anderes suchen müssen, aber Hunger geht vor und mein Magen knurrt nun schon mächtig. Ein bissel schlechtes Gewissen habe ich schon, aber nützt ja alles nichts. Ich sitze mit den Dreien nun am Tisch und wir haben einen tollen Abend mit hervorragenden Pizzen und gutem Wein. 

Wir machen auf dem Plaza noch ein schönes Abschlussfoto von uns vieren, dann geht jeder in seine Herberge und ich im Besonderen in meine Sauna, toll. Ich beneide ja Linda und Steve, sie haben dicke Winterjacken dabei. Ja ja, man kann  gut erkennen, wer den Weg über die Pyrenäen im April gemacht hat und wer weiter westlich angefangen hat. Die Pyrenäenleute sind alle gut mit dicken Jacken oder Westen ausgestattet. Ich habe tatsächlich immer noch keine Fließjacke oder Warmweste kaufen können, was wirklich mitunter nicht schlecht wäre, aber Sarria und auch hier Portomarín gibt nichts her. Ich werde es wohl tatsächlich auf Santiago verschieben müssen. Nun denn, schauen wir mal. 

14.5.23 

Portomarín nach Palas de Rei

27 km

Ein langer Weg steht mir heute bevor, der eigentlich 3 km kürzer wäre, aber es kommt dann doch anders als gedacht, denn die liebe Maika hat einfach mal eine eigene Variante genommen. Palas de Rei ist auch wieder ein Hauptort. Diesmal waren mir die Entfernungen zum Vorort oder dahinter einfach zu blöd. Nun was soll's, dann ist das so.

Ich bin zwar früh aufgestanden und auch im Dunkeln um 6.30 Uhr los, da ich eben genau das vermeiden wollte, was dann kam, nämlich Horden, aber es hat nichts genützt. Wäre ich 20 Minuten früher gewesen, hätte das ganz anders ausgesehen. Es ist schon merkwürdig, wie sich das manchmal so verhält, dann hat man voll die Leute am Start und 10 Minuten später geht man in absoluter Einsamkeit und trifft keinen mehr. Nun denn. Ich stehe im Dunkeln auf dem Hauptplatz vor der Kirche und dem Rathaus, mache noch ein Foto und gehe die Hauptstraße wieder zurück aus dem Ort raus mitten in eine Gruppe irgendeiner Nationalität, ich weiß es nicht. Was tun? Warten oder überholen? Ich entscheide mich für überholen, habe aber trotz allem viele Leute um mich rum. Es geht nun wieder den Berg nach oben. Der Weg geht langweilig an der Straße entlang, um mich rum sind viele Pilger zugegen, vorne, hinten, es wird viel geredet. Ich finde das gerade alles unheimlich doof und habe schlechte Laune. Oh man, wäre ich doch früher losgegangen. Ich schaue auf meine Komoot App nach andern Weg-Möglichkeiten und entscheide mich nach der doofen Hühnerfarm, die armen Tiere, scharf links abzubiegen. Einige Pilger schauen mich komisch an und sind irritiert, nee geht ihr da mal weiter. Ich bin nun die einzige, die hier abgebogen ist und komme wenig später an einen Hof vorbei und hindurch, gehe die nicht befahrene bergige Landstraße entlang, abseits vom ganzen Trubel. Schön ist das hier.

Ich höre die Vögel singen, das ein oder andere „Muh“ aus einem Stall ist zu vernehmen und sonst nichts. So ein bissel eigenartig ist es schon. Man weiß ja nie so genau, ob alle Wege in Komoot auch zu bewandern sind, ob alles gut geht. So hatte ich ja kurz vor Sahagún dann mal einen Bach, wo ich dachte, da geht eine Brücke rüber, war aber nicht. Nun denn, ich habe mich dafür entscheiden, wird schon werden. Ein Hund kläfft wild drauf los, als ich das nächste Gehöft erreiche. Ich hoffe der ist irgendwo im Garten hinter einem Zaun, ist dann scheinbar auch so, zum Glück. Keine Menschenseele, kein Auto, nichts. Der Wind weht mir kalt um die Ohren, was dann aber nicht mehr allzu relevant ist, dann es geht ziemlich bergab runter zu einem Bach und dann genauso wieder nach oben. Okay, die Berge konnte ich in Komoot nicht sehen, klar. Es macht sich eine Sorge breit, dass es jetzt so weitergeht mit den Bergen, schließlich befinde ich mich mitten in ihnen und wenn ein Fluss im Weg ist, dann geht’s immer mächtig runter mit der Straße. Auch habe ich ja eh einen langen Weg heute, ob ich mich da nicht überschätzt habe? Ich lege einen Zahn zu und marschiere im Soldatenschritt die Straße entlang. Eigentlich ist das alles ganz peaceful, aber ich bekomme sämtliche Sorgen nicht aus meiner Birne und das stresst mich. Oh man Maika, das nervt jetzt echt. Vielleicht hilft ein Mars. Hmm, lecker! Hilft ein bissel. Plötzlich höre ich Schüsse im Hintergrund. Oh nee, jetzt noch in eine Jagd reinkommen, das muss echt nicht sein, ist dann aber letztendlich auch nicht so, denn ich biege nach rechts ab. Nun gehe ich einen Feldweg entlang, rechts von mir geht es steil in ein tiefes Tal ab, oh oh, ich hoffe ich muss da nicht runter! So langsam bequemt sich die Sonne nach draußen und macht das ganze etwas angenehmer.

Ich gehe an Feldern vorbei, die Landschaft ist wirklich schön mit den satt grünen Hügeln und den Feldern dazwischen. Nun geht es wieder runter und ja es sieht gut aus, es sind alle Wege begehbar und ich nähere mich wieder dem Jakobsweg, welcher weiter unten im Tal liegt. Ja und plötzlich stehe ich mittendrauf, jedenfalls besagt mir das ein Kilometerstein. Aber keine Menschenseele ist anzutreffen. Hmm, ist das ein alter Weg? Ich bin unsicher und schaue nochmal. Nee, ich bin jetzt wieder auf dem Jakobsweg. Das ist das was ich meine, erst die Horden und nun völlig alleine. Toll finde ich das und biege nun links in ebendiesen ab. 

Das war ja mal eine spannende Variante. Tja, wenn ich mir nicht so viele Gedanken gemacht hätte, dann wäre das besser gewesen, denn es war ein schöner Weg. Aber was soll ich machen? Es ist wie es ist, nicht weiter drüber nachdenken. So befinde ich mich kurzerhand wieder auf einem Weg an der Straße entlang. Ich weiß gar nicht so richtig wo ich hier jetzt wieder auf den Jakobsweg rauf gekommen bin, aber wenig später bin ich in Hospital da Cruz, somit habe ich Gonzar und Castromaior hinter mir gelassen, wie schön. Der nächste Kilometerstein besagt, dass es weniger als 80 km nach Santiago sind, toll. 

Auf dem höchsten Punkt der Tour, in Ventas de Narón, befindet sich ein weiterer netter, kleiner Ort mit einer kleinen steinernen Kirche und einem Steinkreuz. Die Kirche ist sogar offen, als diese aber wohl nicht mehr in Funktion, denn innen drinnen befindet sich ein Tisch mit zwei Stühlen und ein blinder Herr, der eifrig Stempel in hingehaltene Pilgerpässe verteilt und gerne einen kleinen Obolus dafür bekommt. Nun, warum nicht? Er packt mir einen tollen Stempel ins Credencial und weiter geht’s an der Straße entlang. Ein paar wenige Pilger sind zugegen, meist bin ich alleine und in Stille laufend, das ist schön. Die Sonne lacht vom blauen Himmel, die Wolken verabschieden sich nach und nach und es ist angenehm warm. Eigentlich total tolle Wandertemperatur. Letztes Jahr wurde es ja immer so heiß, dieses Jahr sollte mir das erspart bleiben. Im weiteren Verlauf bleibt es zwar windig, aber es ist sonnig und es sollte auch kein Regen mehr fallen. Die Temperaturen belaufen sich so um 22 Grad, was will man mehr? Im kleinen Ort Ligonde angekommen gibt es eine nette Dünn-Weg-Variante an Feldern vorbei, die nehme ich natürlich. 

Wenig später kommt rechterhand eine Bar in Sicht. Hier werde ich mal meine wohlverdiente Pause machen, die nun nach den ganzen Bergen auch bitter nötig ist. Tische und Stühle befinden sich verstreut auf einer Wiese, einige Pilger aus allen Nationen sind zugegen und sprechen in sämtlichen verschiedenen Sprachen miteinander. Ich hole mir einen Kaffee und eine Runde Wasser und setze mich mit ausgezogenen Schuhen und Beine hoch an einen der Tische in die Sonne und beobachte die vorbeilaufenden Pilger, richtig spannend ist das. Amerika, Asien, Europa, Australien, Afrika, die ganze Welt ist zugegen, das ist schon toll und beeindruckend, finde ich. Ich esse ein leckeres Salchicha-Bocadillo und genieße das Geraune der Stimmen um mich rum.

Nach der ausgiebigen Pause werden die Schuhe wieder angezogen, alles frisch und weiter geht’s an der kleinen Straße entlang. Rechterhand kommen die ersten Eukalyptusbäume in Sicht, die es hier viel geben soll in Galicien. Sie geben gut und schnell Holz. Was die Pappelplantagen in Frankreich und die Fichten in Deutschland, sind es hier die Eukalyptusbäume. Leider gibt es da auch Probleme mit, Monokulturen sind nie gut und somit gibt es trotz aller Nässe in Galicien, oft Waldbrände, die schwer unter Kontrolle zu bekommen sind. Na und Eukalyptusbäume mit ihren ätherischen Ölen sind da kaum in den Griff zu kriegen. Ein leichter Eukalyptusduft kommt ums Eck geweht, das ist ja mal schön. Die Bäume sehen abenteuerlich aus. Die Rinde hängt in Streifen von den Stämmen, so kenne ich das auch aus Australien, wo sie ja ursprünglich herkommen. Momentan sind sie in Blüte, die zartgelb von den Ästen in Dolden herabhängen. Sie können bis zu 60 Meter hoch werden! So einige der Riesen-Teile befinden sich am Wegesrand, schon beeindruckend. 

Nach langem Fußweg-an-der-Straße komme ich auf einer Anhöhe bei Airexe an die Igrexa de Santiago mit angrenzendem Friedhof an. Eine Wiese befindet sich daneben, ein paar Autos stehen anbei, Musik ist aus der Kirche zu hören. Da findet wohl gerade ein Gottesdienst statt, wohl aber geschlossene Gesellschaft, denn die Türe ist zu. Nun, kann man nichts machen, ich gehe einfach weiter und komme nach langem Marsch und Pausenbedürfnis in A Brea an. 

Hier kommt die kleine Straße wieder mit der Nationalstraße in Berührung, was auch nicht zu überhören ist. Die Sonne lacht und ein Eisschild lädt mich zum Eiskaufen ein. So setze ich mich mit meinem Magnum auf einen Stuhl direkt an den Pilgerweg und beobachte wieder die Leute und wünsche jedem ein fröhliches „Buen Camino“, da habe ich jetzt einfach Bock drauf. Der ein oder andere guckt etwas komisch, das sind wohl die Leute, die in Sarria gestartet sind und die Gepflogenheiten des Weges noch nicht so kennen, aber sie freuen sich alle und lächeln, das ist es wert. Ein Herr sitzt nebenan und trägt tatsächlich zwei Rucksäcke, seinen und den seiner Frau. Sie schafft es wohl nicht und man ist scheinbar auch nicht der Meinung, dass man den auch transportieren lassen könnte, schon eigenartig finde ich. Er sieht ziemlich k.o. aus und legt den Kopf in seine Hände und wartet, bis seine Frau ums Eck kommt, was sie dann auch alsbald tut. Gemeinsam gehen sie weiter Richtung Palas de Rei. Das mache ich nun auch, es ist nicht mehr weit, ein netter baumumrandeter Schattenweg führt uns in den Ort.

Wir werden von der hiesigen Kirche San Tirso begrüßt, die am Wegesrand steht. Ich schaue auf Google maps wo ich jetzt hin muss und werde durch den Ort geleitet, der sich echt beeindruckend anhört mit Palas de Rei, Königspalast, aber überhaupt nichts hergibt. Da kann man schauen wohin man will, er ist einfach langweilig, nicht so wie Portomarín, den fand ich wirklich ganz nett. Egal. Meine Albergue Casina die Marcello ist am Stadtrand gelegen, direkt am Jakobsweg. Ein Steinweg führt steil nach unten durch ein paar Gärten an einem kläffenden kleinen Hund vorbei, den ich noch häufiger treffen sollte, direkt vor die in einem netten Steinhaus gelegene Herberge. Sie hat eine etwas olle Terrasse davor, da könnte man auch mal was besseres drauß machen, aber immer noch besser als keine Terrasse.

Drinnen angekommen, sitzt eine Gruppe Mexikaner, zwei Männer und eine Frau am Tisch, gegenüber dem Hausherrn Marcello, welcher sich viel Zeit lassend tolle Stempel in die Credencials stempelt, inklusive Siegelwachs. Das sieht schon großartig aus und alle werden mich um diesen Stempel beneiden. Grins! Ich setz mich dazu und warte einfach ab, schaue auf meinen Kilometerzähler: 27 Km. Okay, dann war die Variante doch länger als gedacht, geschlagene 3 km. Aber ich habe es geschafft und meine Hüfte auch, das gibt Zuversicht, toll. Als ich dann dran bin, erklärt er mir alles auf Englisch, was wo zu finden ist, ja und auch die Waschmaschine ist nicht zu verachten, es wird Zeit. Er wird nachher meine Wäsche waschen und ich kann sie draußen aufhängen. Heute ist das beste Wetter zum Trocknen, das muss man ja auch immer im Sinn haben, denn feuchte Wäsche geht gar nicht! Es ist sonnig, mittlerweile auch ordentlich warm geworden und der klassische Nord-Ost-Wind weht. Somit sollte das schnell gehen. Ich komme oben im Zimmer an und bin erst mal etwas überfordert, da es recht klein ist und vollgestellt mit Doppelstockbetten. Ich muss auch noch oben schlafen, unten ist nichts mehr frei und es wird auch noch voll werden. Gleich neben meinem Bett sehe ich ein bekanntes Gesicht, den Holländer, der mit der deutschen Gruppe vorgestern im Café saß. Wir schnacken etwas, er kann deutsch. Nun ist aber sortieren angesagt. Ich krepel auf dem Bett rum um das Einmal-Plastiklaken zu befestigen. Schlafsack raus gekramt, alles drapiert. Jetzt erst mal die Dusche aufsuchen, die ganz wunderbar ist. Die Enge des Raumes und das Nicht-wissen wohin mit meinen Klamotten macht mich etwas wuschig. Aber ich muss mich jetzt hier arrangieren und vor allem darf ich hier nichts vergessen, die Gefahr ist in so unübersichtlichen Räumen groß. Mit einer großen Tüte Wäsche gehe ich nach unten. Marcello wäscht alles und ich warte draußen in der Sonne bis alles fertig zum Aufhängen ist. Eine Whatsapp kommt rein, die deutsche Gruppe kommt ja auch hier unter, das ist das tolle an Hauptorten, da trifft man sich ja doch wieder. Auch Rick mit Steve und Linda sind hier. Wir verabreden uns sporadisch zum Abendessen. Rick ist wirklich rasend, ich weiß nicht warum er so schnell laufen muss, denn er hat mittlerweile ordentlich Knieprobleme, rast aber immer wie ein Irrer und war schon vorm Mittag hier gewesen. Nun, wer’s braucht. Er langweilt sich. Aber ich brauche jetzt hier meine Zeit und muss die Wäsche im Blick haben. Auch eine Whatsapp von Walter kommt ums Eck, wie es denn aussieht mit Treffen. Also das ist schon der Hammer, erst hocke ich alleine in Barbadelo und weiß nichts mit mir anzufangen, keiner da und nun sind da ganz viele. Ich mache mich auf und schaue mir den nichtssagenden Ort an, komme aber nach kurzer Zeit mit einem schönen Bier auf dem überdachten Hauptplatz unter und teile es den anderen mit. 

Wenig später sitzen Walter, Monika und Bernd mit am Tisch und es wird richtig lustig. Ich entscheide, heute möchte ich mit ihnen verbringen. Auch mache ich mir Gedanken über das Reinkommen in Santiago. Ich möchte nicht alleine nach Santiago reinkommen, das finde ich doof. Ich kann mir gut vorstellen mit der deutschen Gruppe hier zusammen zu gehen, mal sehen. Mit der Essenszeit machen wir uns auf die Suche nach einen Restaurant, was zeitnah was anbietet, ist ja in Spanien nicht immer ganz leicht. Ich sage Rick und den beiden Australiern ab und wir gehen gemeinsam etwas abseits in eine nette Lokalität. Thomas aus Unterlüß und Andreas, ein netter Deutscher, den wir zwischendurch auch noch aufgabelten, sind nun auch noch mit dazugekommen und so sitzen wir an einem großen Tisch und bestellen. Das Essen ist auch herausragend, der Wein eine Katastrophe. Also ich bin da ja nicht mäkelig, solange der Wein nicht süß ist, aber der Vino de la Casa geht gar nicht. So bestellen wir kurzerhand einen guten Rioja, geht doch. Was für ein schöner und lustiger Abend, ich fühle mich so richtig wohl jetzt hier in der Gruppe und überlege, wie ich meine Unterkünfte anpassen könnte an die anderen. Mein nächster Ort, den ich gebucht habe ist Boente, die anderen gehen weiter nach Arzúa, dem Hauptort. Somit heißt es für mich dann am übernächsten Tag einen sehr langen Weg von 28 km nach Pedrouzo zu gehen, damit ich wieder aufholen kann. Aber das sollte kein Problem sein, denn der heutige Tag hat mir doch gezeigt, dass 28 km für mich möglich sind. Morgen ist es dafür etwas kürzer, das ist gut. Wir verabschieden uns nach dem Essen und gehen jeder in seine Albergue oder Pension. Ich habe noch ein bissel was zu tun, denn die Wäsche ist nun trocken und muss abgehängt werden. Im Zimmer angekommen sortiere ich alles so gut wie möglich und stopfe es schon mal in den großen Rucksack. Ich möchte früh losgehen, die Horden wie jetzt in Portomarín heute, das will ich morgen nicht erleben. Oben auf meinem Bett angekommen bewege ich mich auch nicht mehr von da weg und beobachte die anderen beim Wurschteln. Ich schreibe so vor mich hin, höre noch einen Bericht aus Hape Kerkelings Buch „Ich bin dann mal weg“ und schlafe mit meinen Ohrstöpseln alsbald ein. Ein kleiner Vorhang gibt ein bissel Privatsphäre, das finde ich toll. 

15.5.23

Palas de Rei nach Boente

19 km

Kurz vor dem Klingeln meines Handyweckers werde ich wach. Ich kämpfe mich runter vom Bett, packe im Dunkeln alle meine Plünnen zusammen, was nicht ganz einfach ist und gehe rüber ins Bad. Mit Licht ist das ganze doch besser. Ich ziehe mich an, packe den großen und kleinen Rucksack und gehe nach unten. So langsam regt sich der ein oder andere im Zimmer. Heute gehe ich früher los, es ist 6.15 Uhr, als ich die Herberge verlasse und sogleich auch auf dem Jakobsweg nach Melide bin. Kühl ist es mal wieder am Morgen, als ich das Städtchen verlasse. Es ist wirklich erstaunlich, aber hier im Süden geht die Sonne echt spät auf. Um kurz vor 7 Uhr ist es immer noch ziemlich dunkel, da sieht das oben bei uns in Norddeutschland schon ganz anders aus, da ist schon taghell, spannend. Vorbei geht es an den tanzenden Pilgern, los peregrinos danzantes. So langsam wird es heller, der ein oder andere Peregrino ist nun wieder zugegen. Es geht an der N547 entlang und wenig später einen netten Alleen-Weg. Der nächste Stein besagt, dass es nicht mal mehr 60 km nach Santiago sind. Ich bin etwas befrustet, dass ich nicht mit den anderen in Arzúa übernachte und davor in Boente unterkomme. Alle gehen nach Arzúa, nur ich nicht. Nun, aber ich habe mich so entschieden und jetzt sei es so. Morgen werde ich dann nach Pedrouzo aufholen und sie wiedersehen. Es ist auch sicher besser, wenn ich heute einen entspannteren Tag nach meinem Marsch gestern einlege, der Körper wird es mir danken. Der weitere Verlauf des Weges ist hügelig, aber es erwarten einen keine großartigen Steigungen. Hie und da kommen Pilger ums Eck, diverse Buchfinken geben ihr bestes und die Sonne macht sich langsam bereit hinter den Wolken hervorzuluken. Ich durchquere viele kleine Dörfer, manche bestehen nur aus ein paar Gehöften, eine dunggeschwängerte Landluft kommt mir entgegen. Manchmal ist das echt eine Herausforderung für die Geruchsnerven, das kann ich nicht anders sagen. Im nächsten Ort steht ein steinerner Pilger an der Straße, ein Highlight auf dem sonst eher verhaltenen Weg. Es geht viel an der Straße entlang, okay mit kaum Verkehr, die Nationalstraße ist weiter weg, das ist schon mal gut. 

Die tanzenden Pilger, die schöne Allee, nur noch 58 km nach Santiago und die liebe Maika mit dem Steinpilger

Mit dem Ort Leboreiro erreichen wir ein schönes Dorf mit vielen süßen Steinhäuschen und in der Mitte des kleinen Platzes ein steinernes Jesuskreuz. Ich stelle mich dazu und bete mein Gebet, ziehe weiter und erreiche wenig später auf einem alten römischen Steinweg die kleine Steinbrücke Puente Magdalena, ebenfalls alt und römisch, über den ebenfalls winzigen Río Seco. Nett sieht das aus. Weiter geht’s.

Immer noch ist es ziemlich frisch und mein Sarong leistet mir als Schal-Ersatz einen guten Dienst. Kurz vor Melide erreiche ich die nächste hübsche Steinbrücke, die Puente de San Juan de Furelos. Furelos ist das Dorf gleich dahinter. Vor der Brücke gibt es jedoch ein Café, welches ich nun aufsuche. Frühstück muss her, ich habe mir nur ein kleines Schokolädchen auf dem Weg gegönnt und der Magen knurrt. Der Klassiker mit einem großen Napolitan und einem Café con leche in herkömmlicher Größe, große Tassen gibt es leider nicht in Spanien, muss her und ich setze mich mit allem direkt an den Pilgerweg vor das Café und beobachte die vorbeiziehenden Leute, das ist schon spannend, wie fernsehen.

Henneke, die Frau, die ich in Sarria kennengelernt habe und die ja aufgrund des knappen Geldes in Herbergen unterkommt, während ihre Freundinnen in teuren Hotels übernachten, kommt ums Eck und setzt sich dazu, das ist schön. Ich erzähle ihr, dass ich über ihre Geschichte noch lange nachgedacht habe und es völlig daneben finde, dass ihre Freundin ja eigentlich mit ihr pilgern wollte, sie nun im Stich lässt. Sie wird ganz ruhig und es kommt kein überzeugendes „Ich kann damit gut klarkommen“ mehr von ihr. Ja das dachte ich mir schon, geht auch gar nicht, finde ich. Ich warte jetzt hier einfach, bis die Sonne wieder rauskommt und mache dann ein schönes Brückenfoto, denn die sieht echt toll aus. Sie überspannt den Río Furelos, der ziemlich lahm unter ihr hindurchfließt. Andreas, der Deutsche, der gestern mit uns gegessen hat, kommt dazu. Wir schnacken kurz, er zieht weiter. Henneke will in Melide übernachten, da alle ihre Hotel-Freundinnen das auch tun. Das ist ja nun gleich ums Eck, da hat sie ja noch viel Zeit. Zwei Reiter kommen ums Eck, voll was los hier, und versuchen ihre Pferde über die Brücke zu bekommen, was sie aber nicht so klasse finden. Das eine scheut sehr und so werden sie eben an der Trense rüber geführt, das geht dann besser. Richtig was los hier!

Die Sonne will partout nicht ums Eck kommen und nun gehe ich auch los, jetzt habe ich keine Lust mehr, dann bleib doch wo du bist, doofe Sonne! Ich überquere die alte Brücke und lande in Furelos, das Dorf dahinter, welches ganz nett ist und welches ich erst für Melide hielt. Nein, Melide begrüßt mich mit Starkverkehr, fetten LKWs und unerträglichen Lärm. Was ist das denn? "Come in and find out!" kann ich da nur sagen :-) Oh je, ein Glück schlafe ich hier nicht, das wäre ja mein absoluter Alptraum. Ich komme an diverse Pulpo-Bars vorbei, hier soll es den besten Pulpo geben sagt mein Wanderführer. Ich habe bisher immer noch keinen gegessen, werde es wohl auch nicht machen, vielleicht mal probieren oder so. Nee, lass mal. In Melide kommt nun der Camino Primitivo dazu, welcher quer über die Berge von Oviedo nach eben Melide führt, wohl auch schön, aber sehr anstrengend, wie ich hörte.

Es geht Zick-zack durch die Straßen, endlich wird es ruhiger, als ich die Altstadt erreiche und am Praza oder Plaza do Convento auf eine hübsche Kirche, die San Pedro de Melide, treffe, die sogar geöffnet hat. Na das ist jetzt mal ein Highlight.

Sie ist von innen ganz hübsch, mit einem vergoldeten Altar und marmorierten bunten Säulen. Ich verweile. Es geht eine ruhige kleine Straße den Ort hinaus, den Berg hoch. Oben angekommen gibt’s einen dieser Pilgerläden, ach ich gehe mal rein und schaue mich um. Es gibt alles was das Pilgerherz begehrt, Muscheln, Kacheln mit der Jakobsmuschel oder dem gelben Pfeil drauf, Pilgerstöcke und auch Schmuck. Aber für mich gibt es was ganz tolles, nämlich einen tollen Stempel mit dem Kilometerstein "50 km" drauf, den nehme ich mit. 

Melide? Come in and find out! :-)

Unweit des Ladens befindet sich eine weitere Kirche, wir sind schon fast aus Melide raus. Auch diese ist geöffnet, ein lautstarker Herr steht davor und scheint aller Sprachen mächtig zu sein. Er fragt woher ich komme, ja aus Deutschland, dann spricht er auf Deutsch, hält mir sogleich auch ein Papier mit der Beschreibung der Kirche hin und will mir alles erzählen darüber. Darauf hab ich so gar keine Lust, was er wohl dann auch mitbekommt und sich einen anderen, einen Franzosen schnappt, der muss dann herhalten, jetzt wird französisch geredet. Die Kirche ist aber ganz süß. Es ist die Igrexa Santa María de Melide, deren Malereien aus dem 16. Jahrhundert stammen.

Kurz dahinter gibt es dann eine Variante, aha, das ist was für Maika. Es ist nur eine kleine, aber da mittlerweile schon einige Pilger mit am Start sind, entscheide ich mich für diese und gehe komplett alleine eben diesen Weg, der über die beiden Dörfer oder besser gesagt Gehöfte Penas und Parabispo geht. Es geht an einem Eukalyptuswald mit riesigen Bäumen vorbei, durch den Ort mit einem großen Hórreo, der wahrscheinlich für alle gedacht ist und einem kleinen daneben. Man könnte hier sogar in einer schönen Albergue übernachten, ist sicher anzuraten nach dem Trubel in Melide.

Alsbald ist es mit der Ruhe wieder vorbei, denn ich komme wieder auf den eigentlichen Weg und auch sogleich in eine Bar. Hier kehre ich ein, denn Boente ist nicht mehr weit und ich habe Zeit. Die Sonne ist nun endlich da und wärmt schön, da kann man mal den Schal beiseite packen. Es gibt einen schönen Außenbereich mit Tischen und Stühlen, einige Gäste sind am Essen und quatschen. 

Ich treffe tatsächlich auf die draußen sitzende Carmen mit ihrem Mann Steffen, die ich ja das letzte Mal in El Acebo traf. Das ist ja schön, ich freue mich, ist mir doch meine deutsche Gruppe komplett abhanden gekommen, die sind schon weiter. Ich hole mir einen Kaffee und setze mich dazu. Es gibt einiges zu erzählen. Sie wollen heute noch nach Arzúa, das sind noch so 9 km. Ich mache mir etwas Sorgen, dass meine Albergue direkt an der blöden Nationalstraße liegen könnte, denn bei genauen hinschauen in meinem Wanderführer sieht das glatt so aus. Oh nee, darauf habe ich gar keine Lust. Albergue Aleman, also Deutsche Herberge. Ob die deutsch sind? Nun, warum sollte man sich sonst so nennen? Die Deutschen werden doch keine Herberge an der befahrenen Nationalstraße haben? Ich hoffe! Es gibt wohl ein Boente oben und eines unten, arriba und abajo. Es nützt ja alles nichts, ich habe dort heute ein Bett und so muss ich da durch, komme was wolle. Die beiden verabschieden sich, ich bleibe noch etwas sitzen. Nun ist es aber soweit, ich gehe los und bin auch alsbald da. Und was soll ich sagen?

Mir fallen 100 Steine vom Herzen, natürlich ist meine Albergue nicht unten an der N547, sondern hier oben. Und dann auch noch so schön gelegen mit einer netten Bar, einen kleinen Schwimmbecken und vielen grünen Hügeln drumrum. Ich checke ein. Sie sind zwar nicht deutsch, können aber etwas deutsch sprechen. Nun, ist auch nicht so wichtig. Die Dame des Hauses führt mich ins Nachbarhaus in ein 8-Bettzimmer. Es ist hell und geräumig, ich komme ums Eck in der Nische unter und kann unten schlafen mit Fensterblick. Es sollte tatsächlich nur zur Hälfte belegt sein, das ist doch toll. Ich begrüße die Frau gegenüber im Bett, wir stellen fest, wir sind beide deutsch, sie heißt Anna und wir schnacken etwas. Sie liegt eingemummelt im Bett mit Wolldecke drüber. Ja etwas kühl ist es hier schon. Vielleicht einfach mal die Fenster aufmachen? Denn draußen ist es in der Sonne schön warm geworden. Ich will mich zur Dusche aufmachen und stelle fest, ich habe im Gewusel der vorherigen Albergue mein Handtuch vergessen, na ganz toll. Schon wieder was weg, ich ärger mich sehr und so muss nun mein Sarong, den ich kurz zuvor noch als Schal verwendet habe, jetzt als Handtuch herhalten. Schon multifunktional das Teil, toll, aber so war es eigentlich nicht gedacht. Die Dusche ist groß und klasse. Bin ich froh hier untergekommen zu sein, tolle Herberge. Unten hole ich mir ein paar Pommes und ein gutes Bier. Ich frage den Hospitalero ob sie mir ein Handtuch verkaufen könnten, denn so ganz ohne ist’s echt Shittenkram. Auch hat Jacotrans meine Wasserflasche verbummelt, da muss auch eine neue her. Nun das ist ja kein Problem, aber ein Handtuch, hmm! Ich sitze so bei meinem Pommes, da kommt er hergelaufen und drückt mir ein anderes Schnell-trocken-Handtuch in die Hand. Das hat ein anderer Pilger vergessen, ich muss es nur noch waschen und kann es dann haben. Wie geil ist das? Ich freue mich total. Ja ja, ich bin also nicht die einzige mit dem Vergessen von Sachen. Und so stehe ich wenig später draußen am Waschbecken und wache mit der bereitliegenden Kernseife mein neues Handtuch und packe es auf die Leine. 

Die Sonne ist voll hot da und ich mache auf meinen nun wieder trockenen Sarong, der jetzt als Unterlage dient, meine Übungen zum Dehnen und bleibe dann einfach in der Sonne liegen. Uh, das tut gut! Füße baden mit kaltem Wasser des Beckens, das muss auch noch sein, wie schön das hier ist. 

47,281 km sind es noch nach Santiago, zwei Tage noch, toll. Das besagt ein unweit stehender Kilometerstein. Im Zimmer angekommen frage ich Anna, ob sie mit mir was essen will, nee sie hat schon und liegt immer noch mit Wolldecken im Bett. Sie hat sich überlastet und der Fuß schmerzt, heute ist da wohl nichts mehr drin, hoffentlich geht es ihr morgen besser. Dafür ist aber Anke mit ins Zimmer gekommen. Sie kommt auch auch Deutschland und ist heute vom Camino Primitivo gekommen und war doch sehr geschockt über die vielen Menschen auf dem Camino Francés, das kann ich mir vorstellen. Wenn man da so in der Einsamkeit unterwegs ist und dann auf die vielen Pilger trifft, das ist schon ein Hammer. Nun, aber auf dem Camino Primitivo ist es auch nicht nur einsam, erzählte sie mir später im Restaurant beim Pilgermenü, denn wir haben dann zusammen gegessen, was mich sehr freute. Wir hatten einen netten Abend zusammen gehabt und konnten uns schön über unsere Erlebnisse austauschen. Auf dem Weg ins Zimmer noch eben das Handtuch von der Leine nehmen, bloß nicht wieder was vergessen! Ich verbringe ein ruhige Nacht, keiner über mir und kein Schnarcher, toll. Morgen werde ich wohl die erste sein, die losgeht, somit ist alles schon im Rucksack verstaut, damit ich keinen wecke. Ich habe einen langen Weg nach Pedrouzo vor mir, da ich ja die anderen einholen möchte und mit ihnen nach Santiago reingehen will. 

 

16.5.23

Boente nach Pedrouzo

28 km

Morgens um halb 6 klingelt der Wecker. Es ist still und stockduster im Zimmer. Ich sammle alles zusammen, schaue nochmal mit der Handy-Taschenlampe und suche im und unterm Bett alles ab, damit ich nicht wieder was liegen lasse und schleiche mich aus dem Zimmer. Das Bad ist schön groß und ich bin auch die erste, die aufgestanden ist, somit habe ich es für mich alleine und kann alles schön packen und mich fertig machen. Der Rucksack wird unten abgestellt, ich trete aus der Tür in die Dunkelheit. So ein bissel unheimlich finde ich das schon, aber ich gehe forschen Schrittes den Berg hinab nach Boente abacho (also das unten liegende Boente) und komme alsbald an der verlassenen N547 an. 

Ein sachter kühler Wind weht aus Nordost die Straße hinunter. Die heimeligen gelben Straßenlaternen geben ein angenehmes Licht ab und ein spitzer Sichelmond leuchtet am Himmel, der dezent heller wird. Bis so gegen 7 Uhr werde ich noch warten müssen. Weiter geht es durch einen Wald. Oh oh, jetzt ist es einfach nur noch schwarz, tiefste Nacht. Nun denn, ich taste mich voran, aber die Augen gewöhnen sich so langsam auch an diese Dunkelheit, die Taschenlampe kann aus bleiben. Durch hügeliges Land geht es nun eine kleine verlassene Straße weiter. Ich genieße die Einsamkeit und die Farben der nun aufgehenden Sonne, sie macht das Land rötlich und wunderschön. 

Nach anderthalb einsamen Stunden erreiche ich den hübschen Ort Ribadiso am Río Iso gelegen. Ich überquere die kleine Brücke und sehe die ersten Pilger, die nun von hier aus starten. Es geht den Berg hoch und just in diesem Moment kommt die Sonne dahinter hervor, wie schön das alles ist. Heute scheint ein schöner sonniger Tag zu werden, denn es befinden sich kaum Wolken am Himmel, meine provisorische Mütze und mein Sarong-Schal können schon abgelegt werden. Ich marschiere weiter Richtung Arzúa, welches ich dann auch alsbald erreiche. Ein schöner Schriftzug und eines von diesen blauen Wandbildern, welche zum Jakobusjahr an einige Hauswände gemalt wurden, erwarten mich. 

Mit ihnen aber auch wieder die Hauptstraße, in der schon ordentlich Verkehr herrscht. Nach der ganzen Stille gewöhnungsbedürftig. Auch hier bin ich froh auf dem Lande untergekommen zu sein. In Arzúa kommt nun noch der Camino del Norte dazu. Jetzt sind wir alle beisammen und gehen gemeinsam Richtung Santiago. Die Pilger von der Via de la Plata kommen von Südwesten her separat in die Stadt und die des Camino Portugués aus Süden separat. Es sind auch wirklich viele Pilger unterwegs. Es ist 8 Uhr und viele starten jetzt erst. Ich marschiere im Stechschritt durch den Ort, habe auch keine Lust mein Frühstück hier einzunehmen, obwohl es langsam Zeit wird, der Magen knurrt. Ich erreiche den Ortsausgang und wenig später den Berg hoch ein Café, welches nun zum Pause machen einlädt. Man kann schön draußen sitzen, Leute beobachten oder einfach nur in die grüne hügelige Landschaft schauen. Diesmal hole ich mir ein tolles Käse-Bocadillo und dazu einen Café Americano und setze mich etwas abseits an einen kleinen Tisch und genieße mein Frühstück mit gut durchgelüfteten Füßen. Der erste Marsch ist vollbracht, jetzt geht es etwas langsamer weiter, denn die erste Energie ist aufgebraucht. 

Es laufen echt die Horden an mir vorbei, oh oh, mir wird ganz bange, schön ist anders, muss ich jetzt mal sagen. Da hatte ich es in meiner Albergue Aleman gestern echt beschaulich und ruhig gehabt, die Rechnung ist wieder aufgegangen. Nun, ich denke die meisten werden heute nach Pedrouzo gehen, denn 39 km nach Santiago sind dann doch nur was für unerschrockene. Pedrouzo ist der letzte Ort vor der Stadt und weißt viele Unterkünfte auf. Ich warte, bis sich eine Pilger-Lücke findet, aber das ist gar nicht so einfach, diverse Leute wandern den Berg hoch und es nimmt einfach kein Ende. Ich stehe auf, irgendwann muss ich ja weitergehen, habe ja nun auch noch einiges an Kilometern vor mir. Der Weg ist an sich ein schöner, geht durch den dichten Wald, Farne wachsen überall und die Bäume geben ein dichtes Blätterdach. Das Gequatsche der Pilger nervt mich zusehend und ich überlege tatsächlich das erste Mal seit meiner Pilgertour, ob ich mir nicht Musik auf die Ohren packe, Gesagt getan, mit afrikanischer Happymusik gehe ich mit einem Lächeln und forschen Schrittes den Weg entlang weiter. Das ist doch mal toll, super Idee! So höre ich nichts um mich rum und habe dazu noch tolle Musik am Start, die meinen Schritt beschwingt macht. Es geht durch den hübschen Ort Calle und kurz danach gibt’s einen neuen Pilgerstein, es sind noch 30 Kilometer. Ich laufe so durch die vielen Pilger und bin ganz in Gedanken versunken.

Nun ist es bald soweit und ich werde nach acht Jahren tatsächlich in Santiago ankommen. Als ich damals in Lüneburg losging hatte ich den Gedanken so weit zu laufen gar nicht gehabt, ich wollte gerne durch Deutschland gehen, mehr nicht. Ein kurzer Turn nach Hannover, dann habe ich es im Folgejahr meinen Freunden gleich gemacht und war drei Wochen unterwegs nach Fulda. Später in Rothenburg ob der Tauber kommt die Entscheidung geradeaus oder nach rechts abzubiegen. Da hatte ich schon den Gedanken, ach ja, die Schweiz könnte ich ja auch noch mitnehmen, ist bestimmt toll mit den Bergen, und bin geradeaus gelaufen. Als ich dann in der Schweiz ankam, kam so langsam der Gedanke doch mal nach Santiago zu pilgern. Vor allem lag Frankreich vor mir, das war schon eine Herausforderung und ich holte meine alten Französisch-Unterlagen und Vokabeln hervor. Das sachte Sich-eingrooven auf die französische Sprache lässt sich in der Schweiz natürlich gut machen, da es ab Fribourg französisch wird, viele aber noch deutsch sprechen. Ab der Grenze zu Frankreich ist dann nur noch französisch angesagt. Zwei Jahre lang ging es durch Frankreich, auch eine tolle und auch emotionale Zeit. In Le Puy en Velay hatte ich das erste Mal das Gefühl wirklich ein Jakobspilger zu sein, hier starten die meisten Franzosen und der Ort ist einfach total Jakobspilger-mäßig. Das war schon großartig. Ja und dann stand ich da letztes Jahr vor den Pyrenäen, meine Spanisch-Vokabeln im Gepäck. Hatte noch überlegt den Camino del Norte zu gehen, mich dann ja aber doch für den Hauptweg entschieden, und stieg den Berg hoch. Und nun? Ich bin tatsächlich nach über 3000 Kilometern kurz vor dem Ziel. Ich lasse alles Revue passieren: Situationen, Gespräche, Orte kommen mir in den Sinn: Nutellafrühstück in Bad Gandersheim, Lebe, liebe sei glücklich und frei vor Göttingen, Ruhebank in der Rhön und „Hätt ich doch den Bus genomm‘ nach Würzburg“, der Hauptkommissar der Mordkommission auf dem Burgberg und das Gespräch mit ihm, selbstgemachte Margaritha in Brochenzell, die Grenze zur Schweiz und die dicken Scheine aus dem Geldautomat, die Alpen und das Gewitter auf dem Haggenegg, Pieschern am Abgrund am Vierwaldstätter See, der Paraglider vor der Eiger Nordwand, „Voulez-vous un tampon?“ „Wollen sie einen Stempel?“ in Fribourg, die reißende Aubonne, die Schranke zur Grenze von Frankreich, Bettina, Monique und Elisabeth, Äpfel, Trauben und Feigen im Herbst in Frankreich, Rocamadour-Käse, die doofen Hunde von Les Setoux, die Sperrstunde in Figeac, die Bol du café in Moissac umsonst, durch die Porte St. Jacques nach Saint Jean Pied de Port gehen, Martina, Sabine, Verena und Andreas, Sturm auf der Alto del Perdón, Jesus in Villamayor, Mohnblumen und Ginster, Prinzessinnen-Zimmer in Villafranca de Oca, Cornflakes zum Frühstück, Beten am Cruz de Ferro, Galicienstein vor O Cebreiro…

Ich bin total in Gedanken versunken und bekomme von meiner Außenwelt kaum was mit, auch nicht von der doofen Nationalstraße, an der der Weg mitunter langgeht. Ich kehre in einem kleinen Café linkerhand ein und mache nochmal eine Pause mit Füße lüften.

Meine Füße sind wirklich prima, keine Blasen, keine Probleme, das ist schon toll. Mitunter sieht es bei den anderen anders aus und ich wundere mich manchmal, wie sie überhaupt noch gehen können bei mitunter abenteuerlichen Blasen. Oh oh! Ich genieße die Sonnenstrahlen und beobachte Pilger, das ist eine meiner Lieblingsbeschäftigungen geworden. Heute werde ich es tatsächlich nicht schaffen auszuweichen, die Horden bleiben mir an der Backe und der Strom reißt auch nicht ab, ist schon der Hammer. Ich gehe weiter und denke mir dann, warum so negativ, sieh es doch mal mit anderen Augen. Wir kommen aus allen möglichen Ländern, haben unterschiedliche Nationen und Mentalitäten, aber wir haben alle ein gemeinsames Ziel: Santiago de Compostela. Ist das nicht großartig? Alle gehen wir friedvoll gemeinsam miteinander dem großen Ziel entgegen. Kein Streit, keine Kämpfe, nichts. Wenn die Welt das auch mal so hinbekommen könnte wie wir hier, das wäre großartig und ein Wunder. Mit einem Lächeln über diesen wundervollen Gedanken geht es nun mit Cat Stevens etwas gemächlicher weiter und mit langsameren Schritt.

Kurz vor Salceda steht ein Herr, leicht Öko-angehaucht im Wald mit einem Buch in der Hand und unterhält sich mit einem Pilger: El libro del camino. Das Buch des Camino. Vielleicht hat er es mal geschrieben und möchte es verkaufen. Auf der gegenüber liegenden Seite sind viele gute Sprüche in die Äste gepinnt: “Why do you move so much, if what you came looking for can be found in a still moment?” „Warum rennst du so viel rum, wenn das, was du suchst im stillen Moment zu finden ist?“ 

Wie wahr, die Stille braucht es um zu sich selbst zu finden und Gott ist in der Stille zu finden und in uns selbst. Der ganze Stress, die ganze Ablenkung, das ganze Gewusel, Machen und Tun den ganzen Tag, da ist nichts zu finden. Ich muss auch ehrlich sagen, dass das Zu-mir-kommen und In-mich-gehen auf dem Weg in Deutschland am besten funktioniert hat. Hier geht man in Stille, keine Ablenkung durch andere Pilger und auch keine krassen Wege und steilen Berge. In der Schweiz und auch in Frankreich war oft die Konzentration auf den Weg ausschlaggebend, dass man abgelenkt war, ist ja auch klar, ein falscher Schritt und Abgang ist abgesagt, nicht gut. Später als es in Frankreich etwas moderater wurde, war da auch mehr möglich. Aber alles in allem kann ich sagen, dass ich am meisten in Deutschland spirituell rege war. Nun, alles hat seins, dort die Einsamkeit, in der Schweiz und Frankreich die tollen Berge und in Spanien die tollen Begegnungen mit Mitpilgern. Wie schön das alles ist und wie wunderbar, dass ich mir meine Träume verwirkliche und auch den Mut aufbringe sie zu verwirklichen. Mensch Maika, du hast schon was drauf :-) Das muss ich mir mal jetzt sagen :-)

Meilenweit führt nun ein breiter Weg an der Nationalstraße entlang, ich laufe den vor mir gehenden Pilgern hinterher und freue mich auf das erste Straßenschild, was Santiago anzeigt. Hammer, es sind nur noch 24 Kilometer. Ich whatsappe mit Walter, der schon in seiner Albergue etwas außerhalb von Pedrouzo oben auf dem Berg angekommen ist. Ich frage ihn wie die denn so ist? Sollte ich vielleicht auch eher da unterkommen? Ich überlege hin und her. Mein Rucksack geht aber runter in den Ort und es stellt sich tatsächlich auch heraus, dass es noch ein ganzes Stück von seiner Herberge in den Ort hinein ist. Wir verabreden uns auf ein Getränk und ich treffe alsbald auch ein. Er zeigt mir seine Herberge, die angeblich die schönste überhaupt sein soll. Ich weiß nicht wer das behauptet hat, aber ich finde sie so naja. Somit gehen wir gemeinsam auf ein Getränk ins benachbarte Hotel-Café und trinken ein Bier. Ich bin total happy jetzt hier mit ihm zu sitzen, das ist richtig nett. Aber ich muss noch den Berg runter nach Pedrouzo und so verabschiede ich mich alsbald, wir sehen uns dann morgen und gehen gemeinsam nach Santiago, wie schön. Ich bin auf diesem letzten Abschnitt runter in den Ort komplett alleine unterwegs, alle Pilger sind schon angekommen, so genieße ich den Wald, den Gesang der Vögel und die wärmenden Sonnenstrahlen. 

Ich komme unten im Ort an und werde von schönen Malereien begrüßt und stehe wenig später vor dem 19-Km-Stein, die werden nun morgen noch gemeistert, klar, locker mit links. Die 28 Kilometer heute habe ich gut hinbekommen, keine Probleme, alles schön. Ich biege ums Eck zu meiner Pension und wer sitzt da draußen beim Getränk? Monika, Bernd, Thomas und Sandra. Na welch eine Überraschung! Thomas und Sandra übernachten auch hier. Die beiden wohnen ja in Unterlüß und sind Nachbarn. Thomas ist den Weg nun schon zum fünften Male gelaufen und fragte sie, ob sie mal mitkommen wolle? Und sie wollte und nun gehen sie zusammen nach Santiago. Ist ja auch beeindruckend, nun meins wäre das nicht so oft den gleichen Weg zu laufen. Warum er nicht mal einen anderen Weg geht, erschließt sich mir nicht. Ich setze mich einfach auch mit einem Bier dazu, da mein Rucksack noch nicht da ist. Ein bissel Sorgen mache ich mir schon, denn es ist schon fast 16 Uhr. Der Herbergsvater beruhigt mich und ruft bei Jacotrans an. Der Fahrer kommt gleich, hat einfach viel zu tun, okay, kann ich verstehen. Das mit Jacotrans ist auch immer abenteuerlicher geworden, da jetzt hier im letzten Abschnitt ständig die Fahrer und so eben auch die Telefonnummern wechseln. Aber alles in allem klappte es gut und war für mich und meine Hüfte eine Erleichterung. Mein Rucksack kommt auch alsbald ums Eck. Ein netter gutaussehender Spanier springt aus dem Auto und reicht ihn mir. Mein Zimmer ist wirklich süß, die ganze Pension ist echt süß. Im Flur gibt es angrenzend ein Wohnzimmer mit einem Kamin, in dem tatsächlich ein Feuer brennt. Das kleine Zimmer hat ein großes Bett, eine tolle Dusche und eine Heizung, die funktioniert und es ist alles ganz liebevoll eingerichtet. Hinterm Haus befindet sich ein Garten mit Tischen, Stühlen und Liegemöglichkeiten, so richtig klasse.

Wir verabreden uns für später, wollen was essen gehen. Wir suchen hier und da, es ist ja noch früh und somit nicht ganz einfach, aber wenig später landen wir bei einem Mexikaner, worauf ich eigentlich keine Lust habe, gehe aber mit und esse Tacos, will aber später noch was richtiges essen. Die anderen sind da unschlüssig. Nun denn. Monika, Thomas und ich suchen noch hiesige Kirche auf, da die von innen echt toll sein soll mit der großen Jakobmuschel hinterm Altar, besagt mein Wanderführer. Sie liegt etwas abseits der Hauptstraße und ich leite uns mit Google maps den Berg hoch, mal sehen ob sie geöffnet hat. Und wir haben Glück, sie ist geöffnet, bald soll ein Gottesdienst stattfinden. Und wie geil ist das denn? Tolle Kirche mit tollem Altar mit großer Jakobsmuschel und einem Kommt-alle-her-zu-mir-Jesus. Wunderschön! Alsbald machen wir uns wieder auf den Rückweg. Ich laufe hinter den beiden her, so ganz zugehörig fühle ich mich irgendwie noch nicht. Nun, mal sehen wie es morgen sein wird.

In der Pension angekommen entscheide ich mich nach meinen Übungen auf einer Matratze im Garten für hiesigen Burger, da die anderen dann doch nichts mehr essen. Mir ist das zu wenig mit den Tacos. Ich setze mich mit Burger und Bier in den schönen Garten in die Sonne. Sandra sitzt ebenfalls da und wir kommen ins Gespräch. Sie erzählt so ein bisschen von ihrem Leben und wie es dazu kam, dass sie mit Thomas dann den Jakobsweg gehen wollte. Sie sind in Saint Jean Pied de Port gestartet, also schon eine Weile unterwegs. Morgen nun wird es für sie beendet sein. Alle bleiben zwei Nächte in Santiago, dann werden sie heim fliegen, außer Walter und ich, wir gehen weiter. Nun bin ich aber ganz schön k.o., der lange Weg zollt nun seinen Tribut und es ist Zeit fürs Bett. Das war ein schöner, warmer, gedankenversunkener Tag heute, mit toller Musik, schön! Ich höre nun das letzte Kapitel aus dem Buch von Hape Kerkeling. Er sagt, dass nach Santiago runter viele Leute das Ultreia-Lied gesungen haben, ich bin schon sehr gespannt und auch sehr aufgeregt was mich morgen erwarten wird. Ich werde früh losgehen.  Buenas noches. 

 

17.5.23

Pedrouzo

nach Santiago de Compostela

22 km

6.15 Uhr, ich starte, es ist stockduster. Eine gute Nacht habe ich in meinem kleinen Zimmer verbracht. Heute ist es also soweit, ich bin ganz aufgeregt, heute werde ich am Ziel ankommen, heute geht es nach Santiago de Compostela. Es sind kaum Leute unterwegs, das genieße ich. Wir haben uns für später am Monte de Gozo, dem Berg der Freude verabredet. Dieser heißt so, weil man von dort aus das erste Mal Santiago und die Kathedrale sehen kann. In Frankreich war es ehemals der Mont Joie, der den ersten Blick auf Le Puy en Velay freigab, das war auch schön. Im Dunkeln gehe ich durch den Wald, ein dunkler Hohlweg und hohe Eukalyptusbäume mit einem leichten Eukalyptusduft begleiten mich. Gegen 7.15 Uhr geht dann die Sonne hinter den Bergen in schönen Orangetönen auf, was für ein wunderbarer Morgen.

Die Singdrossel trällert ihre vielen Varianten und der ein oder andere Pirol ist auch schon wach. Der Kuckuck lässt seinen Ruf ertönen und ja, da höre ich noch eine Grille leise zirpen. Bei Kilometerstein 13,387 treffe ich auf Monika. Wir machen gegenseitig Fotos am Santiagostein, an dessen Fuße Pilger viele Steine, Muscheln und Bilder abgelegt haben. Ein bissel quatschen wir, dann geht jede wieder ihrer Wege. 

Es wird geschäftiger, ein lautes Geräusch ist zu hören, der Flughafen von Santiago wird umrundet und das erste Flugzeug hebt schon ab, dem Sonnenaufgang entgegen. Wo es wohl hinfliegt? Wer weiß das schon?

Der Weg führt vom Flughafengelände weg, weiter durch die Landschaft nach San Paio und geradewegs in eine Bar. Es ist 8 Uhr, Zeit fürs Frühstück. Mittlerweile sind auch Walter, Thomas und Sandra eingetroffen. Wir holen uns alle was zu essen, einen guten Kaffee und weiter geht es dann zusammen Richtung Ziel. Bernd ist etwas langsamer unterwegs, denn er hat Fußprobleme, so auch Monika, die dafür aber recht schnell unterwegs ist. Nun, jeder hat so seine Geschichten am laufen. Bei mir geht es weiterhin ganz gut mit meiner Hüfte, ich kann nicht klagen, schön. Die kleine daneben stehende Kirche hat geöffnet und es gibt unseren ersten Stempel, das ist schon mal gut, dann brauchen wir ja nur noch einen für die Compostela, die wir natürlich auch alle haben wollen. Man konnte sich schon online registrieren lassen mit Namen, Startort und Grund der Pilgerreise. Es geht das Gerücht um, dass man unbedingt auch was religiöses reinschreiben soll, da man die Compostela sonst nicht bekommt, aber das glaube ich nicht. Die wenigsten sind doch hier aus religiösen Gründen unterwegs. Ich habe mich schon registriert, dann fällt das nachher im Pilgerbüro weg. Ich bin ja mal gespannt wie lange wir warten müssen, habe da ja so Horrorgeschichten gehöht von zwei Stunden und Schlange stehen und so, da habe ich überhaupt keine Lust drauf. Nun, wir werden sehen. 

Es geht weiter nach Lavacolla, ein kleines Dorf, wo die Pilger sich ehemals nochmal gewaschen haben, bevor sie die Stadt erreichten. Der Waschplatz ist heute noch vorhanden und wenn man wollte, was ich aber nicht will, es ist noch recht frisch und außerdem bin ich gewaschen, dann könnte man seine Füße da reinhalten und sich schrubben. Es geht über viele kleine Bergdörfer den Berg hoch. Wir laufen alle mit Abstand voneinander in Gedanken versunken. Ich denke auch viel nach, darüber, dass ich jetzt tatsächlich ankomme, dass ich unheimlich dankbar dafür bin, da es ja in diesem Jahr mit meiner Hüfte überhaupt nicht so aussah, dass ich überhaupt pilgern gehen könnte. Ich bin einfach nur happy und dankbar. Nach einem weiteren blauen Jacobusjahr-Gesichtsbild komme ich nun an den 1-stelligen Kilometerstein, von 4-stelligen Zahlen nun zu einstelligen, das ist schon besonders, es sind noch 9,950 km.

Bei Kilometer 5,630 kommen wir auf dem Monte de Gozo an. Die Sonne lacht von einem blauen wolkenlosen Himmel, es ist mittlerweile recht angenehm warm geworden und wir können Santiago de Compostela mit den Türmen der Kathedrale von hier oben aus schon sehen, Hammer! Ein kräftiger Wind weht von der Seite, einige Leute sind zugegen, machen sich aber dann auch auf den Weg. 

Da Bernd und Sandra etwas langsamer unterwegs sind, gehen wir noch in ein kleines Café und trinken ebendiesen und warten. Leider verpassen wir uns und sehen uns dann erst schon auf dem Abstieg zur Stadt wieder. Nun sind wir aber alle wieder beieinander und gehen gemeinsam in die Stadt. Es wird geschäftig, geht über die ein oder andere Nationalstraße hinüber, bis wir an den Santiago-Schriftzug vorbeikommen. Wir lassen ein Foto von uns allen machen, das ist doch wunderbar und muss schon sein. Nun geht es durch die Straßen, kreuz und quer in die Stadt hinein.