Genf nach Le Grand-Lemps/Grenoble 1

Genf von St. Pierre aus gesehen

12.10.19

Lüneburg nach Genf

"So Gott will, werde ich meinen Weg fortsetzen, meinen Pilgerweg durch Frankreich, aber auch meinen Pilgerweg durch mein Leben. In diesem Sinne, buen camino!", so lautete mein letzter Satz im Juni diesen Jahres.

Nun sollte es tatsächlich doch schneller soweit sein, als zuvor gedacht. Ja ja, im Leben kommt es eben oft anders als man denkt, in diesem Falle schön anders. Da ich ja nun im Frühling aufgrund meiner Erkrankung nicht so weit gehen konnte, wie ich eigentlich wollte, nämlich nach Frankreich rein, sollte es nun soweit sein. Ich hatte noch etwas Urlaub im Oktober, tauschte noch mit einem Kollegen, damit es nicht allzu spät im Jahr wird, da ja nun auch wieder Berge auf mich warteten und da weiß man ja nie so genau. Nun, es ist Mitte Oktober, also kann ich auch nicht sagen, was da auf mich wartet, ob ich im Schnee lande oder nur Regen oder was auch immer, ich lasse mich überraschen.

Mir geht es wieder ganz gut, meine Augen sind noch nicht ganz in Ordnung, sind oft sehr trocken, auch piekst es ab und an mal auf der linken Kopfseite, aber alles Peanuts zu dem, was im Mai diesen Jahres da war.

Somit habe ich mich also frohgemut auf den Weg gemacht, natürlich wieder sehr früh am Morgen, da ich ja bis nach Genf eine lange Zugfahrt vor mir hatte. Ja ich habe mich entschieden nicht zu fliegen und den Zug zu nehmen. Nun, was soll ich sagen, beim nächsten Mal werde ich es wahrscheinlich anders machen, da es ja doch immer weiter weg ist und zweitens hatte die Bahn mal wieder ein paar Überraschungen parat, die mir echt auf den Geist gehen. Aber nun erst mal zu meiner Hinfahrt, die gut verlief.

Meine Mutter brachte mich früh um 6 Uhr zum Bahnhof, noch einen Espresso, und da saß ich nun und konnte es mal wieder gar nicht so richtig fassen. Im Gepäck meine Französischvokabeln, denn die wollte ich mir nochmal anschauen, kann ja nicht schaden. Ich habe diesmal kein Französisch gelernt und bin auf blauem Dunst einfach losgefahren, wird schon klappen und sowieso wollte ich mir so wenig Stress wie möglich machen. Ich hatte ja den Gedanken diesmal alles auf mich zukommen zu lassen, auch die Buchungen der Unterkünfte, aber mit meiner eigenen körperlichen und geistigen Genesung wurde ich wieder die Alte und hatte dann doch das dringende Bedürfnis die Tour vorzubuchen. Als ich so desolat war im Mai/Juni, habe ich mir da gedacht: "Kannste alles mal sein lassen, geh einfach los und schau mal." Nun, jetzt habe ich einiges vorgebucht. Tatsächlich stellte sich auch heraus, dass ich an dem Ort wo ich eigentlich übernachten wollte, keine Chance hatte, da keiner da war, vielleicht eine Festivität, ich weiß es nicht. Ich sollte kurz vorher nochmal anrufen, habe ich dann auch gemacht, aber nichts. Okay, dann habe ich also nach Beaumont nicht wirklich einen Schimmer wo ich unterkomme, spannend. Ich hatte zwar noch ein Whatsapp-Gespräch mit einer Dame, die einiges weiter wohnte und mich abholen würde, aber irgendwie fand ich das doof. Nun mal sehen was kommt. Jetzt geht es erst mal nach Genf, bzw. nach Hannover zum umsteigen. Klappt alles super und ich machte es mir im Ruheabteil bequem. Leider sollte das nicht lange andauern, da wenig später eine Familie mit drei Kleinkindern rein kam. Was soll das denn? Ruheabteil mit drei Kleinkindern? Nun das kannste ja wohl abhaken. Warum die nicht in einem Familienabteil (welches auch leer war) untergekommen sind, ist mir ein Rätsel. Ich jedoch packte kurzerhand meine Sachen und setzte mich woanders hin. Bis Basel, nee, das halte ich nicht aus. Sie meinte zwar noch, dass ich doch bleiben könnte. Nun Eltern sehen das sicher entspannter, ich möchte aber meine Ruhe haben und das ist so nun mal nicht möglich. 

Somit hatte ich noch eine sehr entspannte Fahrt mit Vokabeln lernen bis nach Basel, flotter Umstieg in die schweizer Bahn und wenig später noch in Biel und oh toll: da ist er wieder, der Genfer See. Ab Morges war er immer wieder zu sehen. Da bin ich überall lang gelaufen, toll! Erinnerungen kommen hoch wie es mir da im Mai ging, als ich in Interlaken los lief und ziemlich fertig war, noch nicht richtig sehen konnte und sehr geschwächt, wie es immer besser wurde und ich topfit den Genfer See mit Helmut runter gelaufen bin. Ich bin heilfroh, dass ich nun gesund in Genf ankomme und im Vollbesitz meiner körperlichen und geistigen Kräfte bin. Genf kenne ich ja nun schon vom letzten Mal und so stieg ich mit schweizer Pünktlichkeit exakt um 16.45 Uhr am Hauptbahnhof Cornavain aus. Viel Gewusel um mich rum, hier stehen viele Straßenbahnen und Busse, viele Menschen. Ich bin happy jetzt hier vor dem Bahnhof zu stehen, und das noch bei Sonnenschein und Wärme. Tatsächlich ist es ziemlich warm. Ich biege nach rechts ab, ich werde im Geneva Hostel unterkommen auf der anderen Seite der Rhône. Nach ein paar Irrungen kam ich im Hostel an, hatte ein 6-Bett-Zimmer, drei Betten waren schon belegt, aber Gott sei Dank keiner da. Da kann ich mich erst mal zurecht wurschteln, ist ja am Anfang doch immer eine ziemliche Wurschtelei.

Ich entscheide mich noch an den See zu gehen. Das Wetter ist schön, die Sonne wärmt noch und er ist gleich ums Eck und oh wie schön, da ist er wieder: der Jet d'Eau. 

Jet d'Eau-Ambiente mit einlaufenden historischen Raddampfern, den kleinen gelben Mouettes und nem tollen Regenbogen

Ich freue mich total, gehe über die vielbefahrene Straße rüber ans Ufer des Sees. Viele Menschen sind unterwegs. An den Bains des Paquîs sitzen viele auf Bänken und unterhalten sich, manch einer ist sogar noch im See schwimmen und einige der historischen Ausflugs-Raddampfer der Genfer Flotte kommen in den Hafen gefahren. Ich stehe da am Leuchtturm und staune nur noch. Der laue Wind weht mir um die Ohren und ich habe Lust noch ein bissel Boot zu fahren. Ich habe ja durch das Hostel ein Bus-und Bahnticket, wo ja auch die kleinen gelb-roten Mouettes (Boote) mit dabei sind, die die Ufer miteinander verbinden. Ich stehe da am Kai und was sehe ich da, es bildet sich im Gischtwasser des Jet ein Regenbogen. Oh wie schön ist das denn? Hammer, ich freue mich zutiefst. 

Im Bains des Paquis, am Leuchtturm (Phare de Paquis) und die Sonne geht bald unter

Ich hüpfe ins letzte Boot nach Mollard, mitten in Town, mit mir ein Haufen Leute die sich sehr laut unterhalten, sind wohl Italiener, nun andere Länder andere Sitten. Wir fahren unter der Pont du Mont Blanc hindurch, auf der wie immer der Verkehr tobt, manche Dinge ändern sich einfach auch nicht, ist halt für Autofahrer die Hauptbrücke. Da ich nur noch 5 Franken übrig hatte vom letzten Mal, wollte ich mir noch 20 Franken holen, mehr brauche ich nicht mehr, aber keine Chance unter 50 ist hier nichts zu bekommen. Dann lasse ich es einfach und esse im Hostel, hatte ich eh vorgehabt und zahle mit Karte, Euro ist ja auch okay. Davon hatte ich übrigens nur 30 dabei. Ich hatte es völlig verpeilt, dass ja Frankreich den Euro hat und ich somit schon von Deutschland auch mir alles hätte besorgen können. Hier in der Schweiz war nichts zu machen mit meiner Karte, da ging nur Franken. Nun es sollte noch sehr spannend werden, dazu aber später. Nach einigen Rumgesuche und Ausprobieren von drei Automaten ließ ich es bleiben und ging zurück zum Hostel. Komische Gegend hier, irgendwie hatte ich das Gefühl im Rotlicht-Viertel zu sein. Nun wenig später habe ich dann auch erfahren, dass dem so ist. Komische kleine Läden, merkwürdige Typen und die ein oder andere Prostituierte. Muss man auch nicht gesehen haben, kann man nichts machen. Im Hostel orderte ich mir dann ein Essen und ein schönes kühles Bier und fing an zu schreiben. Das Bier entspannt, ich fühlte mich doch noch sehr unsicher, auch mit dem ganzen französisch, denn Genf ist nun mal französisch. Ich bin noch nicht so ganz dabei, wollte dann auch nicht in ein Restaurant gehen und fühlte mich leicht überfordert. Hier nun war alles gut, das Bier tat seine entspannende Wirkung und ich whatsappte mit Freunden, auch mit Helmut, mit dem ich ja im Juni hier am Genfer See drei Etappen gelaufen bin. Er ist ja Schweizer und war gerade am Matterhorn unterwegs, auch nicht schlecht. Ich ging auf mein Zimmer, ist ja doch voll geworden, eine Chinesin, klar was sonst, lag schon in ihrem Bett und war todmüde. Sie konnte gut englisch und so schnackten wir noch ein wenig, die anderen waren noch nicht da. Ich baute mir wieder eine Höhle mit meinem Sarong und Regencape und schlief ein, wurde aber von einem gleißenden Licht abrupt aus dem Schlaf gerissen, als die letzten beiden Mädels rein kamen. Völlig verpeilt sagte ich auf Deutsch, dass sie das Licht ausmachen sollten, sie schauten mich unverständig an, dann noch mal auf Englisch, das haben sie dann geschnallt, blöde Kühe! Sowas kann ich ja leiden. Dann war auch bald Ruhe, schön!

Der erste Tag ist oft nicht ganz leicht, sich reinzufinden in die neue Situation, dann die Wurschtelei mit dem Rucksack und den Sachen, was ist wo, was macht wo Sinn usw., da träumt man sich ins eigene Bett zurück. Aber morgen ist hoffentlich ein schöner Tag, die Sonne soll auch scheinen, da freue ich mich. Bisher bin ich immer bei Sonnenschein losgegangen. Es gibt nichts bekloppteres, als wenn der erste Wandertag ein Regentag ist, da denkt man sich doch, was mache ich hier eigentlich? Wäre ich doch schön zu Hause auf dem Sofa sitzengeblieben. Aber nein, so soll es morgen nicht sein. 

13.10.19

Genf nach Beaumont, 12 km

Also wieder alles zurechtpacken. Ist auch etwas schwierig alles, da der Schrank für die Taschen draußen auf dem Flur ist. Ständig braucht man für alles die Türkarte, oh man! Bett abziehen und runter zum Frühstück mit Buffet und lecker getoastetem Toast, das mag ich gerne. Dieser komische Toaster erinnert mich an die Toaster in England vor über 30 Jahren, sind speziell, toasten aber, und das ist ja das wichtigste. Ich konnte mir auch einiges für die Tour mitnehmen, tolle Käsebrote, Kuchen und solche Dinge. Dann war es endlich soweit, es ging los. Bin schon ein bissel aufgeregt, wobei ich mich noch nicht so pilgermäßig fühle. Ich gehe erst mal durch das eigenartige Viertel bis zur Notre Dame, wo ich im Juni Kerzen anzündete und in mich ging mit vielen, vielen Tränen. Nun setzte ich mich wieder mit Kerzen hin und auch jetzt kullerten die Tränen, Erinnerungen kamen zurück, die nicht gut waren, aber auch die Freude, dass tatsächlich alles gut geworden ist und ich hier nun sitze. 

Ich holte mir noch einen Stempel, der in der Schweiz "Timbre" heißt, aber wenig später über die Grenzen in Frankreich "Tampon". Soso, komisches Wort. Wie heißt dann eigentlich der Tampon dann, also der für die Menstruation? :) Nun denn, so heißt er halt. Ich nehme den Bus bis Junction, da ich mir noch die Mündung der Arve in die Rhône anschauen wollte, dass hatte ich nach meinem Besuch in Genf im Internet gesehen und das sah so toll aus. Noch ein kleiner Weg bis zur Landspitze mit Blick auf die tolle hohe Brücke (Viaduct de la Jonction), die schlammige, graue Arve und die kobaltblaue Rhône, schon toll. Sowas finde ich immer klasse. Und es ist still, keine Autos, keine Menschen. Genf ist eine quirlige Stadt, ist auch ganz wunderbar, aber die Stille genieße ich nun sehr und ich freue mich aufs Pilgern über Land. Jetzt kommen erst mal keine Städte mehr, jedenfalls nichts großartiges. Die Via Gebennensis, so heißt der Weg von Genf nach Le Puy en Velay führt an Städten mehr oder weniger vorbei und bleibt schön ländlich, das freut das Pilgerherz, jedenfalls meines, wenngleich ich Genf schon spannend fand. Es lohnt sich hier zu pausieren und sich die Stadt anzuschauen, so schön am Ende des Genfer Sees gelegen mit den Bergen drumrum. 

Die Arve fließt hier in die Rhône,welche an Geschwindigkeit verloren hat und weshalb sich alles wunderbar spiegelt

Am Ufer der Arve entlang machte ich mich dann leicht abenteuerlich, da es wohl nicht so ganz ein Wanderweg war, auf zur nächsten Brücke und nahm da den Bus raus nach Compesières, denn ich hatte keine Lust auf das ganze Stadtgelaufe, was da so auf einen wartete. Man kann sicher auch in Carouge aussteigen, aber ich hatte überhaupt keine Lust auf Stadt. Ich habe lange hin und her überlegt, aber ich wollte nun raus aus Genf. Eine nicht ganz einfache Busverbindung brachte mich mit ein bissel Warterei in brütender Sonne (ja es ist tatsächlich T-Shirtwetter) nach Compesières. An einer auf einem kleinen Berg befindlichen Kirche inklusive Schloss stieg ich aus. In der Kirche fand ein Gottesdienst statt, da wollte ich nicht stören. Noch einen Schluck aus der Wasserflasche, Rucksack nochmal richtig geschultert. Da stand ich nun am schweizer Via Jacobi 4-Schild, habe den Weg also gleich gefunden. Das ist ja nicht selbstverständlich, denn die Wegführung des GPX-Tracks meiner Wanderapp und der eigentliche Wanderweg kann mitunter ziemlich abweichen, wie ich es ja ganz blöd vor Lausanne erlebt habe. 

Aber alles gut! Ich gehe einen schmalen Feldweg entlang, ich bin jetzt wieder Pilger! Ich freue mich total. Die Sonne scheint, es ist schön warm und der Weg ist schön, die Grenze nicht mehr weit. Heute gehe ich nach Frankreich, toll! Links von mir türmt sich der Bergrücken des Mont Salève auf und rechts das Juragebirge. Vor mir liegt nach kurzer Zeit der Ort Charrot mit einem kleinen Frischwasserbrunnen und einem Steinkreuz. "Von allen Seiten umgibst Du mich und hältst Deine Hand über mir, dafür danke ich dir", mein Gebet, welches ich an jedem Wegekreuz spreche. Ich gehe weiter. Vor mir steht ein kleiner Kasten: Information, Tampon. Aha! Hier bekomme ich meinen letzten schweizer Stempel. Komisch, hier heißt er auch Tampon. Nun, nicht wundern!

Ich gehe den von hohen Bäumen umsäumten Weg leicht bergan und komme wenig später an Weinbergen vorbei, die von einer alten Steinmauer umgeben sind. Ich habe ja Weinberge nun schon mit kaum was dran gesehen, mit vielen Blättern und ersten Dolden und nun verfärben sich langsam die Blätter, die Trauben sind schon geerntet, die ein oder andere ist übrig geblieben, toll sieht das aus. 

Kurze Zeit später komme ich an eine weiß-rot-markierte Schranke, nun ist es soweit, die Grenze, ein komisches Gefühl. Durch ganz Deutschland bin ich gelaufen, durch die Schweiz und nun ist Frankreich dran. Da werde ich nun die nächste Zeit unterwegs sein, denn Frankreich ist bekanntlich groß und ich gehe, immer so Gott will, quer durchs Land bis an die Pyrenäen...      …eines Tages.

Aber nun stehe ich hier. Ein Schild verabschiedet den Pilger: Die Schweiz sagt auf Wiedersehen oder auch: La Suisse vous dit Au revoir. Frankreich sagt gar nichts. So so. Aber wenn man in die Schweiz geht, dann soll man Papiere mit dabei haben, besagt ein weiteres Schild. Okay! "Ultreia et Suseia, Deus, adjuva nos!" steht ebenfalls noch mit dabei. Es ist ein alter Pilgergruß und bedeutet: "Vorwärts, immer weiter und aufwärts (im geistigen Sinne) Gott helfe uns auf unserem Weg!"

Ich gehe also hinter die Schranke über die Arande, welches der Grenzfluss-bzw. Bach ist und stehe kurze Zeit später an der Bundesstraße, die ich flott überquere um wenig später vor dem ersten französischen Wegweiser zu stehen. Toll ausgeschildert mit stilisierter Muschel auf blauem Grund, die sogar die richtige Richtung anzeigt, das hatte ich ja schon lange nicht mehr. Desweiteren geht der Weg gemeinsam mit dem GR 65, dem Grande Randonnée 65, Fernwanderweg, der mit einem roten und einem weißen Strich gekennzeichnet ist. Diese beiden sollten mich nun begleiten und ich sollte feststellen, was ich zuvor wirklich nicht gedacht habe, dass die Ausschilderung hier in Frankreich die beste sein wird, die ich jemals hatte, besser noch als in der Schweiz und das soll schon was heißen. Man braucht überhaupt keinen Wanderführer, Karte oder sonst was. Sogar der falsche Weg ist gekennzeichnet mit einer durchgekreuzten Muschel, also für ganz Doofe, oder wahlweise geistig völlig abwesende, kommt ja vor :) Toll ist das. Wenig später kommt die Autobahn, ja ja Dualitäten, also auch diese noch bezwungen und den Feldweg stetig bergauf an abgeernteten Feldern vorbei nach Neydens. Die Kirche ist schon von weitem zu sehen, steht oben auf dem Berg. Die Sonne lacht immer noch vom Himmel als ob wir Sommer hätten, dazu weht ein leichter, angenehmer und kühlender Wind, besseres Wanderwetter gibt es wirklich nicht.

Dualitäten bleiben nicht aus: Autobahn mit dem Mt. Salève im Hintergrund und der Weg nach Neydens mit kleiner Kirchturmspitze

In Neydens angekommen gehe ich in die kühle Kirche. Es scheint hier katholisch zu sein, das kommt mir sehr entgegen. Ich hoffe dass auch in Frankreich im katholischen Sektor die Kirchen alle auf haben. Nun diese hier ist jedenfalls geöffnet. Sie ist schlicht gehalten, hat einen Jesus, der auf sein Herz zeigt und eine Maria. Ich bete und bin so happy es tatsächlich jetzt nach Frankreich geschafft zu haben. Ich bin aufgeregt, weiß nicht was auf mich zukommt, wie ist es mit dem Sprechen und all sowas? Draußen an der Kreuzung steht ein großes Steinkreuz, auch hier bete ich noch einmal und gehe die Straße hinauf. Ein Schild besagt, dass Neydens auf 560 m Höhe liegt. 

Mein erster französischer Ort: Neydens mit Steinkreuz und der Saint-Laurent

Ja es geht weiter stetig bergauf durch kleine Ortschaften mit schönen Straßenschildern. Ich muss schon sagen, die geben sich hier viel Mühe mit allem. Tolle Wanderwegbeschilderung, die Straßenschilder kreativ gestaltet mit dem Wappen der vorhandenen Gemeinde. Nicht einfach so langweilig schwarz auf weiß. Wir befinden uns übrigens jetzt im Département Haute-Savoie (also obiges Savoie, nicht zu verwechseln später mit nur: Savoie). Frankreich besteht aus 13 europäischen Regionen und 5 außereuropäischen. Wir befinden uns in der Region Rhône-Alpes mit seiner Hauptstadt Lyon, desweiteren gibt es sogenannte Départements, davon gibt es 101 (Gebietskörperschaften), die wiederum in die Gemeinden unterteilt sind. Ich werde bei meiner jetzigen Pilgertour durch drei Départements laufen und bleibe die nächste Zeit in der Region Rhône-Alpes. Die ist groß, so wie unsere Bundesländer. Auch auf den Autonummernschildern ist die Nummer des Départements zu sehen inklusive des Wappens. Die Nummer ist auch in der Postleitzahl als die ersten beiden Zahlen von fünf zu erkennen. Also alles schön geordnet, sehr spannend. Das Wappen von Savoyen ist das weiße Kreuz auf rotem Grund, sieht ein bissel wie die schweizer Fahne aus, wenn man mich fragt. 

Nach einigem Aufstieg oben am Plateau vor Verrières angekommen, Zeit für Pause inklusive DEM Baum 

Nun, die geschichtlichen Hintergründe kenne ich nicht, ich gehe weiter bergauf, komme an einem Baum vorbei auf dem steht: "Pèlerin, tu es sur le bon chemin." "Pilger, du bist auf einem guten Weg" Ich lächel in mich rein und gehe weiter. Spannend ist das alles. Ich lese mir sämtliche Schilder durch und versuche alle zu verstehen, klappt auch meist. An buntbelaubten Bäumen gehe ich weiter bergan, komme an Weiden und Wiesen vorbei, Zeit für Pause und Käsebrot. Ich packe mich in die Wiese in die Sonne und genieße mal so richtig. 

Nach dem Örtchen Verrières geht es auf schmalem und steilem Wege über Wiesen durch einen kleinen Wald bergan, durch ein Kuhgatter und oh…

…der Aufstieg hat sich wirklich gelohnt. Der Blick reicht weit bis nach Genf und den See, weit bis zum Juragebirge und die umliegenden Berge, auch der Jet ist ganz klein zu sehen, was für ein Hammerausblick! Wir sind auf einer Höhe von 745 m. Nun ich hatte schon höheres, aber ich bin froh, dass mein Weg heute kürzer ist.

Oben angekommen mit Blick auf den Mt. Salève, dem Genfer Hausberg, und Genf

Gut beschildert geht es nun über den Bergrücken, um wenig später bergab in den nächsten Ort und an einer Apfelplantage vorbeizugehen, welche noch viele schöne Äpfel hat. Ich lasse sie hängen und ziehe weiter. Heute werde ich in Beaumont in der Fromagerie unterkommen, eine ehemalige Käserei, die nun heute von Anne geführt wird und in die wahrscheinlich fast alle Pilger gehen, da sie von Genf eben in einer guten Etappe zu erreichen ist. 

Ich laufe kurze Zeit später am Ortseingangsschild vorbei und stehe schon vor der dezent-grünen Fassade der Fromagerie, gehe aber erst mal hoch in die Kirche, vor der eine steinerne Jakobusstatue steht, schön. Die Église (Kirche) St-Etienne ist eine sehr hübsche mit einer schön bemalten Kuppel in angenehmen Farben gehalten.

In Beaumont angekommen mit seiner kleinen Kirche St-Etienne und dem Jakobus davor

Ich mache mich auf zu meiner Unterkunft. An der Holzveranda rankt der Wein und zwar inklusive Weintrauben in rot. Oh wie geil, gleich mal probieren, mmh süß, lecker! Als ich reinkomme in die Herberge staune ich nicht schlecht, als ich da einen Herren mit Rucksack sitzen sah. Ich spreche ihn auf Französisch an, komme dann aber doch ins englische, nachdem ich weiß, dass er auch das kann. Er kommt aus Genf, heißt André und pilgert zum ersten Mal und möchte nach Le Puy. Na das ist doch mal was. Ich habe schon gedacht, ich wäre wieder die letzte, die unterwegs ist in diesem Jahr, da habe ich mich wohl getäuscht. Auf dem Tisch liegt ein Zettel von Anne, dass sie später kommt und wir uns schon mal einrichten sollen. Nun, ich stehe etwas unschlüssig im Raum, weiß so gar nicht was ich jetzt machen soll. Komische Situation. Es gibt eine Kaffeemaschine, Kaffee ist erst mal eine gute Sache, da kann ich gut nachdenken. André schaut in sein Handy und packt sich irgendwann aufs Sofa. Sieht so aus, als ob Anne doch nicht gleich ums Eck kommt. 

Die Fromagerie ist eine schöne Pilgerunterkunft mit vielen Weinranken mit tollen, leckeren Weintrauben dran :-)

Ich sitze draußen am Tisch in der Sonne und schreibe, trinke Kaffee, entscheide mich später dann mein Bett auszusuchen und meine Sachen auszupacken. André steht schon unter der Dusche, gute Idee, mache ich auch gleich. Erstaunlicherweise geht wiederum die Tür auf und eine Frau kommt rein. Sie kommt aus der Schweiz, aus Wald, welches ich von oben gesehen habe als ich damals nach Rapperswil lief. Ich staune nicht schlecht, ist ja voll was los hier, das hätte ich nun gar nicht gedacht. Hammer! Auch sie begibt sich in Warteposition. Wir können uns auf Deutsch unterhalten, das tut gerade sehr gut, da ich mich auch mit dem Englisch noch nicht ganz sortiert habe. Ist schon doch alles sehr anders jetzt mit dem Pilgern. Bis dato war alles deutsch, okay in der französischen Schweiz wurde es langsam französischer, aber doch noch alles im Rahmen. Nun heißt es alle möglichen Sprachen sprechen und im besonderen dann auch französisch. Auch Bettina richtet sich ein, nachdem Anne nun doch mal ums Eck kam. Mittlerweile habe ich echt Kohldampf, es ist schon spät geworden. Sie will uns eine Gemüselasagne machen, die dann leider auch erst irgendwann nach 20 Uhr auf den Tisch kam. Ich habe sämtliche Käsebrote zuvor gegessen, das ist nun wirklich spät. Allgemein muss man sich aber daran gewöhnen, dass die Franzosen spät essen, somit wird’s vor 19 Uhr sowieso nie was geben. Ist ja nicht so meins, aber nun, andere Länder andere Sitten, was soll man machen? What can we do? 

Ich ging noch mal in den Ort zur Kirche. Orangefarbene typisch französische Straßenlaternen machten das ganze sehr heimelig. Der Jakobus vor der Kirche wird in schönen Orangetönen angeleuchtet, der Wind weht lau ums Eck. 

Der Magen knurrt! Irgendwann kam ein leckeres Essen ums Eck, mit Salat davor, eben Lasagne und Fromage am Ende, klar, das wird uns nun auch begleiten. Es gibt zum Nachtisch immer Fromage und der ist natürlich sehr lecker und aus der Region. Dazu gibt es Baguette, klar. Also an die Französische Küche könnte ich mich gewöhnen, an die späten Zeiten sicher nicht. Dazu gab es einen Vin rouge, auch lecker.

Es ging auch gleich ans Bezahlen, da wir Anne morgen früh nicht sehen werden. Erschrocken stellte ich fest, dass ich, wie gesagt, das mit den Euro in Frankreich völlig verpeilt habe und somit nicht genug Geld dabei hatte. Wie blöd ist das denn? Bettina hat mir ausgeholfen. Für mich wird es heißen morgen erst mal den Berg runter nach Jussy zu stapfen um Geld zu holen. Oh man, manchmal ist man aber auch nicht Herr seiner Sinne. Es ist auch ratsam einiges dabei zu haben, da man mitunter sehr ländlich unterwegs ist und es somit nicht so viele Geldautomaten in den Orten hat. Nun, was soll's, kann man nichts machen.

Gut gesättigt begaben wir uns dann nach oben ins Zimmer und machten das Licht aus. Bettina ist auch das erste Mal unterwegs und möchte bis Le Grand-Lemps wandern. Eine Freundin von ihr ist nach Le Puy gepilgert und hat ihr davon berichtet und ihr sämtliche Utensilien mitgegeben und nun ist sie unterwegs, wenn auch nicht ganz so weit. Ich möchte ja nach La Frette laufen und dann mit dem Bus nach Grenoble, um dann den Zug nach Lyon und nach Hause zu nehmen. Aber es sollte anders kommen, wie es häufig so ist, aber schön anders, das schon mal vorab.

Überhaupt kam vieles sehr anders dieses Mal. Aufgrund der Problematik, dass ich in La Motte, wo ich eigentlich unterkommen wollte, keine Unterkunft bekam habe ich dann in den Pages jaunes geschaut, das ist das Top-Buch für die Via Gebennensis mit allen Unterkünften und Pilgerstempeln (französisches Buch) und habe mich für Marlioz entschieden, das ist 1 km entfernt vom Jakobsweg, aber alles noch im Rahmen. Was anderes gab es auch irgendwie nicht. Hier zeigt sich, dass es ganz gut ist etwas französisch zu können. Zwar ist es eine Herausforderung auf französisch zu telefonieren, aber es klappt dann doch. Viele Pilger fragen einfach jemanden, der das dann für sie macht, auch eine Variante. Ich bin aber froh es selber zu können.

Bettina fragte, ob sie mitkommen könne, da sie auch keine Unterkunft hätte und Ihre Freundin, deren Etappenliste sie vor sich hatte, bis nach Chaumont gelaufen ist. Das ist wirklich sehr weit, das ist mir auch nichts. André wiederum wird morgen nach Chaumont gehen. Nun denn, wir werden sehen. Ich bin froh, dass ich in Marlioz nun eine Unterkunft habe, wenngleich der Weg jetzt für den Anfang mit 20 km auch nicht wenig ist, finde ich. Nun erst mal schlafen. Ich höre mal wieder bei "Ich bin dann mal weg" von Hape Kerkeling rein, habe das Hörbuch mit und höre da immer wieder gerne zu was er erzählt, schlafe kurze Zeit spätet aber dann auch ein.  

 

14.10.19

Beaumont nach Marlioz, 22 km

Wir stehen gemeinsam auf und machen uns fertig. Zum Frühstück steht schon alles bereit, es gibt Brot mit Butter und Marmeladen, aber auch etwas Käse ist mit dabei. An sich isst der Franzose morgens nicht viel, ein Croissant mit Butter und Marmelade und einen Café. Das kann den Pilger nicht wirklich erheitern, das ist was für den hohlen Zahn, somit gibt das Petit déjeuner, so wie es auf französisch heißt, oft etwas mehr her. Aber alles in allem ist es eher süß, nun denn, auch gut. Wir essen gemeinsam, machen uns aber getrennt voneinander auf den Weg. André ging als erstes los, ich folgte kurz dahinter, musste ja dann aber den Umweg nach unten machen um Geld zu holen. Das nervt und ich hoffte inbrünstig, dass das auch hinhauen würde, denn so ohne Geld ist echt blöd. Die Unterkünfte, in denen ich unterkomme, gehen nur mit Bargeld, da ist nichts mit Karten und so. Bettina ging dann als letzte los.

Der Mont Salève, neben dem wir jetzt hergehen, ist ein Berg der Savoyer Voralpen, und gilt in Genf als deren Hausberg. Seine höchste Stelle hat er mit dem Le Grand Piton bei 1379 m. Der Berg lässt Beaumont noch im Schatten liegen. 

André läuft vorneweg. Der Weg geht neben dem Mt. Salève her, wo die Sonne schon die Bergspitzen erreicht hat

Es dauert eine Weile bis die Sonne über den Bergrücken kommt und wunderbar scheint und wärmt. Gegenüber das Juragebirge mit seinen über 1700 m, alles wunderbar bewaldet und natürlich jetzt im Oktober bunt werdend, toll sieht das aus. Dazwischen liegt das Rhône-Tal, der Fluss schlängelt sich hier durch. Die Rhône entspringt im schweizer Kanton Wallis, fließt durch den Genfer See und landet dann nach über 800 km im Mittelmeer, sie ist der wasserreichste Fluss Frankreichs.

Für mich heißt es aber die Straße steil nach unten nach Jussy zu laufen. Da ist er, der Distributeur (Geldautomat), bitte lieber Gott mach', dass er auch funktioniert. Und? Geht! Super, ne Menge Kohle abgeholt und weiter geht’s den ganzen Berg wieder steil nach oben zum dort weiterführenden Jakobsweg, der noch im Schatten liegt. Also das passiert mir aber auch nicht noch mal. Ja man macht so seine Erfahrungen. Immer wieder neu. Ich komme an einem gusseisernen Pilger vorbei, der da so im Wald steht, cool. Es geht einen schmalen Pfad an Weiden entlang. 

Das Tal mit dem dahinter liegendem Juragebirge. Ich stehe noch im Schatten des Mt. Salève

Es geht weiter zum Chartreuse de Pomier, ein ehemaliges Kloster mit tollem Blick in die Weite zum Tal und Jura, wo sich die Sonne schon komplett breit gemacht hat. Weiter geht es steil nach St-Blaise, wo man auf knapp 900 m die Bergkuppe erreicht hat. Zusätzlich hat es hier einen schönen Friedhof mit einer kleinen Bank, Zeit für eine Pause, der Weg hat es doch in sich mit seiner Steigung. Die Sonne ist nun über den Berg rübergekommen und legt alles in ihr ziemlich wärmendes Licht. Toll ist es hier, was für ein schöner Weg, was für eine tolle und beeindruckende Landschaft. Ich bin begeistert. Neben mir steht eine bunte Kastanie, das Licht fällt durch deren Blätter, es ist einfach nur himmlisch und schön ruhig.

Die Sonne ist nun voll da und es ist schön warm!

Ich mache mich auf den Weg, einen schönen hellen Steinweg entlang, nach unten zum Col du Mont Sion. Das ist einfach ein Ort, wo eine Straße hindurchführt, um an der anderen Seite den Berg wieder steil nach oben zu gehen. Ein großes Schild zeigt den kompletten Wanderweg (Sentier 65) nach Le Puy mit den Worten: "Chemin de Pèlerinage vers St-Jacques-de-Compostelle de Genève au Puy-en-Velay" mit deren Wegweisern und diverse Erklärungen, schön. Auf meinem wiederum steilen Weg bergauf kann ich hinten die französischen Alpen im Dunst erkennen. Lange werde ich sie nicht mehr haben, da ich ja nun ziemlich konkret nach Südwesten gehe und die Alpen eben nach Süden, bis sie dann bei Nizza im Meer versinken. Hach ist das schön! Ob ich den Mont Blanc nochmal zu Gesicht bekomme? Ich hatte gelesen, dass das so sein soll. Nun, ich bin gespannt. Wenn, dann wird es wohl sehr diesig sein. 

Wieder oben angekommen gibt es Alpenblick

Ich komme oben an einem großen Holzkreuz mit Jesus an, dem Croix de Vin auf wiederum 850 m Höhe, spreche mein Gebet und setze erst mal meinen Rucksack ab, Pause, die zweite. Eine Bank wäre nicht schlecht, ist aber keine da, ein Stein tut es auch. Stein? Ich erinnere mich daran, dass ich immer einen Stein mitnahm und dann mit Lasten und Sorgen zurückließ. Das letzte Mal schmiss ich den Stein meiner Heilerin in die reißende Rhône in Genf, das war sehr emotional gewesen. Es gibt viele Steine hier und so suche ich mir einen schönen aus und packe ihn ihn die Hosentasche.

Bei den vielen Kreuzen gibt es viel zu beten. Und Pause muss auch mal sein

Mit Blick auf die Alpenkette linker Hand geht es den Berg runter nach Charly, einem kleinen Ort mit süßen Häuschen und dem Ortsschild, an dem man noch oben drüber ein: "Je suis Charly" geklebt hat. Andeutung an den vergangenen Anschlag auf die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo am 7. Januar 2015. Ich komme wenig später auf ein Hochplateau und sehe in der Ferne auf der Wiese einige Menschen sitzen, hier ist ja was los. Einer von ihnen winkt mir fleißig zu, das ist Bettina, die sich inmitten einer Horde französischer Rentner befindet, die sich einen Wandertag gönnten und Picknick mit allem drum und dran machten. Ich gesellte mich dazu. 

Schöne Wege mit tollen Fernsichten

Mir wurde auch gleich, so wie Bettina zuvor, alles Mögliche an Leckereien angeboten, inklusive Vin, den ich aber dann doch dankend ablehnte, Alkohol beim Wandern ist nicht gut, geht voll in die Beine, die dann mächtig schwer werden. Danach ist okay, aber währenddessen, nö lass mal! Wir sitzen auf der Wiese, die Herrschaften quasseln in einem fort, nicht leicht das alles zu verstehen. Einer spricht ein wenig englisch, das geht dann besser. Bettina bekommt noch den Pilger/Wanderstab aus Holz von einem der Leute geschenkt und ist sehr gerührt. Der sollte für sie später sehr hilfreich und rettend werden, da sie keine Wanderstöcke dabei hatte und es mitunter noch rutschig werden sollte. Toller Pilgerstab! In der Ferne lief André vorbei. Wir riefen und pfiffen alle gemeinsam, aber es nützte nichts, er hörte uns nicht, Gegenwind, keine Chance! Nun dann soll es nicht sein, wir sollten ihn nicht wiedertreffen, er ist tatsächlich den weiten Weg bis nach Chaumont gewandert. Was auch immer das für ein großer Berg da hinten ist, die Franzosen meinten es wäre nicht der Mont Blanc, hmm, sieht aber irgendwie so aus. Nun denn… Wir verabschiedeten uns und gingen unserer Wege, gemeinsam über schöne Pfade in den Wald hinein, kamen an La Motte vorbei, wo ich ja keine Unterkunft bekam, was aber ein ganz nettes Dörfchen ist, habe ich mir irgendwie größer vorgestellt, und kamen dann an einer Wiese an, bei der wir Rast machten und…

…mit Blick auf den Mont Blanc und das auch noch ganz ohne Dunst. Wie geil ist das denn? Das ist ja mal eine Location. Ich bin happy den noch mal gesehen zu haben. Das wird jetzt das letzte Mal sein, dann sind die Alpen so langsam vorbei. Wir liegen in der Sonne auf der Wiese und ruhen uns aus. Dass ich das im Oktober so haben werde, hätte ich auch nicht gedacht. Ich habe das komplette Kalt-Programm mit Mütze, Handschuhen und Weste dabei und nun liege ich hier im T-Shirt, Hammer!

Da isser wieder: Der Mont Blanc. Die Freude ist groß

Wir brechen auf und befinden uns kurz danach am Punkt "Sur le Sion", wo wir nach Marlioz vom Jakobsweg abgehen. Ist eigentlich gar nicht so ein Umweg, da wir einfach unten lang und nicht oben lang gehen. Nach ein paar Wirrungen und doch einem kleinen Umweg kommen wir in Marlioz an. Der Ort ist etwas größer, hat eine schöne Kirche, sogar ein Schloss und eben unsere nächste Unterkunft bei Familie Roupioz, in der 2542 Route du chef-lieu. Oh oh, das hört sich übel an, muss ja eine lange Straße sein bei der Hausnummer. Aber Google Maps sagt, dass es gleich ums Eck ist, komisch. Nun wir sollten von Catherine später erfahren, dass das mit den Hausnummern hier so geregelt ist, dass es die Kilometer vom Hauptort betitelt, da es sonst wohl Hausnummern mit a, b, c usw. gegeben hätte, deshalb die hohen Zahlen. Also somit sind Zahlen über Hundert und über Tausend keine Seltenheit. Sachen gibt’s! Es ist ein schönes Haus im Sonnenlicht mit großen Petunien-Arrangements vor den Fenstern, toll sieht es aus. Weniger toll war der riesige Hund, der bellend auf uns zu kam. Aber der tut nichts, ja klar, kennen wir ja schon. Also generell hat man in Frankreich echt ein Problem, wenn man Angst vor Hunden hat, denn mindestens jeder dritte Haushalt hat einen Hund draußen im Garten, der natürlich total am kläffen ist, wenn man da vorbei kommt. Das kann ganz schön nerven und einen auch sehr erschrecken wenn man so gedankenverloren daher geht. Aber so ist das ja auch in den südlichen Ländern, in Spanien wird es später nicht anders sein. Nun solange sie hinterm Zaun sind geht’s ja. 

Bettina läuft vor mir her gen Marlioz und sieht mit ihrem neuen Pilgerstab total pilgermäßig aus. Und unsere Pilgerherberge für heute

Wir werden vom Ehepaar nett begrüßt, komplett auf französisch. Das ist jetzt mal eine Umgewöhnung. Anne aus Beaumont konnte sämtliche Sprachen sprechen, hier ist jetzt also französisch angesagt. Mit Bedauern stellen wir fest, dass sie uns ein Zimmer mit einem französischen Bett (eine Matratze mit 140 cm und eine gemeinsame Bettdecke) geben wollten. Das geht nun mal gar nicht. Ja ich sage ja, andere Länder, andere Sitten. Auf der einen Seite sehr spannend, aber auch mitunter gewöhnungsbedürftig. Nun sie haben nebenan noch ein Zimmer, somit hat jeder seins, geht doch. Abends um 19.30 Uhr sollten wir uns im Foyer einfinden zum Aperitif. Okay, mal sehen was da kommt. 

Wir sitzen gemeinsam unten. Uns werden sämtliche Getränke, die die Hausbar beinhaltet, angeboten. Ich entscheide mich für einen Ouzo, der auch gleich ordentlich eingeschenkt wird, dazu gibt es Oliven und Käsekügelchen, Chips. Da wir beide echt Kohldampf haben und noch nichts im Magen, kann man sich vorstellen, dass der Aperitif seine Wirkung tat. Leicht düselig versuchte ich mich auf französisch zu verständigen. Es wurde nachgeschenkt, oh oh! Der Mann hatte auch noch einen Sprachfehler, das ist echt eine Herausforderung. Meine Müdigkeit und der Alkohol machten das Ganze nicht besser. Zum Glück gingen wir dann irgendwann rüber an einen großen Holztisch, wo schon toll gedeckt war, der Vin wurde eingeschenkt. Wenn das so weiter geht bin ich völlig breit. Eigentlich bevorzuge ich nach dem Wandern ein schönes Bier, aber hier ist eben Weinland, somit gibt es Vin, ist ja auch lecker! Es gab ein tolles Essen, leider ist's bei den Franzosen sehr fleischlastig. Ich lasse mein Vegetarier-Sein beiseite und esse einfach mit, schmeckt auch ganz gut. Wir sind pappensatt und vergaßen, es gibt noch Fromage. Okay, dann also noch Fromage, der nächste Vin

… nachdem es glatt noch ein Dessert gab und wir fast platzten, tranken wir den Vin aus und verabschiedeten uns. Nette Familie, leider hapert es mit unserem französisch sehr. Es ist einfach sehr anstrengend, nach Wörtern suchend, mit Händen und Füßen. Ich wünschte ich hätte mehr französisch gelernt. Aber es ging ja doch irgendwie und ganz so schlimm war es auch nicht. Völlig vollgefressen und düselig in der Birne ging jeder auf sein Zimmer. Auf dem großen Bett lag wie gesagt eine riesige Bettdecke, hatte ich so auch noch nicht erlebt, und ein schönes Kopfkissen. Allgemein haben die Franzosen scheinbar härtere Kopfkissen, was ich sehr zu schätzen weiß. Ich hasse diese Teile, die man 4 mal umschlagen muss, damit man überhaupt irgendwas unter dem Kopf hat.

Draußen fängt es an zu regnen. Für morgen ist nichts Gutes angesagt, deshalb bin ich auch ganz froh schon weiter gekommen zu sein, als ich ursprünglich wollte. Der Frau aus Collonges, mit der ich ja zuvor whatsappte, die mich in La Motte auch abgeholt hätte, hatte ich ja abgesagt, war auch kein Problem. Bettina und ich beschlossen morgen gemeinsam nach Frangy zu laufen. Ich hatte da ein Bett und sie wollte dann mal sehen wo sie landet. Frangy ist nicht mehr weit, nur 10 km. Nun es kam letztendlich alles ganz anders als gedacht. So ist das nun mal, beim Pilgern, als auch im wirklichen Leben, es kommt doch oft anders als man denkt.

15.10.19

Marlioz nach Frangy, bzw. Collonges d'en Haut, 9 km

Oh oh, es regnet in Strömen, aber so richtig. Shittenkram, darauf habe ich so gar keine Lust. Wir gingen runter zum Frühstück und saßen auch diesmal mit den beiden zusammen. Ist ja ganz nett, dass man so in die Familie reinkommt, aber morgens jetzt schon voll da zu sein und französisch zu reden, das ist nicht so mein Ding. Erst mal einen Kaffee! Dazu gab es auch wieder reichlich Brot, Marmelade und Käse aus der Region, das ist doch wunderbar. Bettina sitzt müde neben mir und ist ins Frühstück vertieft und auch ganz froh, dass ich rede. Ich versuche mein bestes, rede teilweise aber komisches Zeugs. Nun sie verstehen mich trotzdem. Es gibt einen schönen Stempel und so stehen wir mit Sack und Pack in voller Regenmontur im Flur und wollen so gar nicht raus. Wir hatten noch abgewartet bis der große dunkelblaue Fleck, der auf unseren Wetterapps sichtbar war vorüber war oder sich zumindest in helleres Blau verwandelt hat, heißt es regnet nur noch, aber ohne Starkregen. Nun es nützt alles nichts, wir ziehen los. Er macht noch ein Foto von uns und sie würden sich über eine Postkarte aus unserer Heimat freuen. Nun, das werde ich dann mal machen, eine schöne Lüneburger Karte. Wir gehen im Regen die Straße runter nach Contamine-Sarzin und kommen wenig später wieder auf den eigentlichen Jakobsweg. Noch ist die Laune gut, wir machen an einer Mariengrotte Regenfotos. Ich bin mal wieder Quasimodo, sieht zum Piepen aus. Wir kommen an gelbbelaubten Weinbergen und Obstplantagen vorbei. Ein Stein besagt, dass es noch 1826 km nach Santiago sind, noch ein gutes Stück. Die Landschaft ist wunderschön in tiefe Wolken getaucht, Nebel hie und da. Leider ist's dann mit der Laune auch irgendwann nicht mehr weit her, der Regen nervt. 

Ich freue mich über eine liegengelassene Birne unter dem abgeernteten Birnenbaum und esse sie genüsslich auf, toll ist sie. Bettina meinte später, dass sie die Birne auch gesehen hätte und für mich übrig ließ. Toll fand ich das, ich war gerührt. War auch jetzt notwendig, da ich schon langsam wieder Hunger bekam, da wir ja so lange noch gewartet haben mit dem Losgehen. Die Mittagszeit ist schon rum.

Es geht einen echt krassen steinigen Weg steil nach oben. Also so richtig Weg kann man es teilweise kaum nennen, nebenher fließt in einem kleinen Bächlein das Wasser von oben runter. Ich hangel mich mit meinen Wanderstöcken dort entlang und bin mal wieder sehr froh, dass ich die dabei habe, denn es ist teilweise rutschig, inklusive Umknickgefahr. Im Wanderführer wird sie Steinpiste genannt. Ja das trifft es ganz gut. Da hat André aber noch echt was übles vor sich gehabt gestern und das dann nach über 25 km zum Schluss, oh Gott, der Arme. Bettina ist schneller im Bergesteigen und so haben wir uns längst verloren. Wir werden uns sicher in Frangy wieder treffen. Wenig später komme ich auf eine alte Steinbrücke über den Fornant, der in einem Wasserfall, der Cascade de Borbannaz hier drunter durch scheppert. Toll sieht das aus, wenn es nur nicht so regnen würde. Meine Fotos mache ich nur noch mit Handy, das ist wasserdicht. Die Kamera habe ich schön trocken im Rucksack verstaut. Ich finde es sehr schade, dass ich diese tolle Landschaft bei diesem Sauwetter habe und es macht sich mal wieder eine Sorge breit, ob das so bleibt und ich womöglich abbrechen müsste. Ach ja, diese Sorgen! Ich würde mich freuen wenn ich das mit dem Sorgen mal sein lassen könnte, denn sie sind doch meistens unbegründet. Auch hatte ich eine große Sorge bezüglich meines ehemals gebrochenen Zehs, da der immer wieder Probleme macht und nach ner Weile anfängt weh zu tun. Nervt, aber der Arzt meinte, da kann man nichts machen. So bin ich auch wieder mit meinen alten Wanderschuhen losgelaufen, die neue Sohle wurde nochmal befestigt, die alten Einlagen rein, never change a running system. Nun, mich soll dieser blöde Zeh nicht am pilgern hindern, sonst kommt der ab. Fand mein Arzt jetzt nicht so gut und meinte, dass er das aber nicht machen würde. Okay, dann nicht! Gut ist, dass ich überhaupt keine Themen mit Blasen habe, was ich ja bei meiner letzten Pilgertour nach Erneuerung der Einlage gleich am ersten Tag schon hatte. Nee, diesmal nichts. Diesmal habe ich auch Hirschtalg dabei, da wird immer ordentlich vorher eingeschmiert, zur Sicherheit.

Die Landschaft ist schön, die Steinpiste krass, Der Fornant-Bach wild und die Weinberge toll gelblich verfärbt

Ich kämpfte mich durch die schmalen Wege mit eigentlich tollen Ausblicken in die Weite und die Berge, die leider aufgrund des schlechten Wetters nur imaginär vorhanden waren und war echt k.o. Ich brauchte eine Pause. Aber was tun? Es gab weit und breit nichts zum hinsetzen und unterstellen. So ging ich irgendwann völlig genervt ob des vielen Regens, die Füße wurden auch langsam nass, sind ja keine Gummistiefel, die ich da anhabe, meinen Weg und kam am Abzweig Chaumont vorbei. Ein Schild zeigt den Weg bergauf zur Herberge und ich muss an André denken, der gestern diesen Mammutmarsch hier nach Chaumont hingelegt hatte und zum Schluss noch schön bergauf gehen musste. Nee, nichts für mich! Ich landete auf einer kleinen Straße die durch Collonges ging. Hier hätte ich ja übernachtet, wenn die Frau mich in La Motte abgeholt hätte. Nun, war aber nicht so oder? Ich kämpfte mich den Weg nach unten, fiel teilweise in eine Art Galopp, wollte einfach nur noch ankommen und ein Dach über den Kopf haben. Die ersten Häuser von Frangy und die Kirche kommen in Sicht. Toll, Kirche, nichts wie rein. Ich treffe auf eine triefende Bettina, die ratlos in der Kirche steht. Ihre Laune ist auch auf dem Tiefpunkt und wir entscheiden uns erst mal einen Kaffee trinken zu gehen. Wir gehen ins nächste Café, was eigentlich von außen ganz einladend aussah, von innen aber weniger, inklusive komischer Gestalten. Wir gehen auch gleich wieder raus und suchen das nächste. Frangy finden wir doof. Es regnet, das Café ist doof, viele Autos fahren die Hauptstraße entlang, blöd.

Das nächste Café ist ein nettes und so setzen wir uns aufs Sofa und sitzen so da. Wie geht es weiter? Bettina fragt die Kellnerin, ob sie für sie anrufen könne, sie wolle noch heute nach Designy, wollte nicht hier bleiben. Leider war keiner zu erreichen. Oft bekommt man jemanden morgens oder erst nach 17 Uhr ans Telefon. Also wieder ratlos! So entscheiden wir, dass sie einfach mit in meine Unterkunft hier kommt. Diese ist leider direkt an dieser blöden Straße und zur Krönung hängt ein Schild in der Tür, dass sie erst ab 18 Uhr aufmachen. Was soll das denn? Davon hat aber keiner geredet! Wir haben gerade mal 15 Uhr. So hatte auch ich nun ein Problem. Und es regnet weiter in Strömen, ich hätte schreien können. Sowas kann ich ja nun überhaupt nicht leiden. Aber ich hatte in Gedanken, dass doch am Ende immer alles gut wird, war doch schon immer so, ich müsste nur Geduld haben. Aber der Gedanke hier bis 18 Uhr ausharren zu müssen, der wollte so gar nicht in meinen Kopf.

Wir gingen zur Touriinfo, die es tatsächlich hier gibt. Eine nette Frau begrüßte uns, sie kann sogar englisch. Sie versuchte alles Mögliche, um etwas für uns zu finden. Nichts! Dann hatte sie Frau Baudet aus Collonges d'en Haut am Telefon, die bereit war uns abzuholen. Ich musste ja echt lachen, das ist die Frau, die mich aus La Motte holen wollte, mit der ich zuvor whatsappte. Nun lernen wir uns also doch persönlich kennen, wer hätte das gedacht?

Ich flitze noch los, brauchte noch ein paar Fressalien für den weiteren Weg. In der Boulangerie holte ich mir ein paar Pains au chocolat, Schokocroissants, die einfach nur Hammerlecker sind, in der Épicerie noch ein paar Schokolädchen, Nervennahrung! Als ich wieder in der Touriinfo ankam, kam auch schon Madame Baudet ums Eck, eine peppige Frau mit grauen Haaren und zusammengebundenen Zopf. Ihr Auto chaotisch und leicht zugemüllt, sie schnatterte in einem fort. Wir fuhren also den Weg wieder hoch nach Collonges d'en Haut, wo wir vorhin schon vorbei gelaufen waren, und kamen an einem netten weinumrankten Häuschen an. Durch den Regen ging's hinters Haus und die Treppen hoch, alles sehr alternativ und leicht chaotisch gehalten, kamen in eine kleine süße Wohnung, die aber leider ziemlich kühl war, mit Tisch, zwei Betten, Küche. Ich hoffte, dass die Heizungen auch das ihre tun würden.

Madame Baudet gab uns noch einen Bund getrockneten Thymian, aus dem Bettina einen tollen Tee zauberte. Die Dusche war klasse und die Heizung, die zuvor auf 21 Grad gestellt war wurde erst mal auf ihr Maximum eingestellt, besser is! Es wurde schön warm, die Klamotten trockneten, die Schuhe mit Zeitungspapier ausgestopft, das hilft bei Nässe immer am besten. Oh wie schön ist es hier, ich sage ja am Ende wird es doch gut. Es war auch schön jetzt nicht alleine zu sein, sondern mit Bettina hier zusammen. Wir saßen am Tisch und unterhielten uns während wir lecker Thymiantee tranken und von Madame Baudet selbstgemachte Kokosmakronen aßen. Uns war wieder warm, wir waren trocken, was will man mehr? Bettinas Rucksack ist leider etwas nass geworden, wahrscheinlich ist der Regen hinterm Rücken rein und hat den von hinten befeuchtet. So ist ein Cape, welches drübergelegt ist schon besser, oder halt die Klamotten in Tüten packen, das mache ich sowieso immer noch dazu. Aber auch hier sollte alles trocken werden.

Der Regen scheppert lautstark an das Dachfenster. Ich bin so froh jetzt hier drinnen zu sein, keine 10 Pferde bekommen mich hier raus.

Nun, der Hunger treibt es später rein und ließ mich nach draußen bewegen. Wir fanden uns unten im Haupthaus an einem großen Holztisch ein. Überall lagen Bücherstapel und Zeitungen rum, selbstgemalte Bilder an den Wänden, getrocknete Kräuter, das passte so richtig zu der leicht chaotischen Hausherrin. Vieles baut sie auch selber an, somit gab es Salat aus dem eigenen Garten, auch die Suppe, die etwas eigenartig schmeckte hatte ihre Zutaten aus dem Garten. Bettina vermutete Brennnessel, leider ist Kümmel mit dabei, den ich echt hasse. Nun es gab dazu Käse aus der Region, den guten Reblochon de Savoie, ein runder, schmaler Weichkäse aus Rohmilch, deftig, auch hervorragend, um den Kümmel der Suppe zu übertünchen. Danach gab es aus einem großen gusseisernen Topf Kartoffeln mit irgendeiner Wurst aus dem Hof ums Eck, auch eine französische Spezialität, habe aber den Namen vergessen, sehr lecker! Dann nochmal schön Fromage, der gute Tomme de Savoie wurde aufgetischt, ein eher milder Käse ebenfalls aus Rohmilch der Alpenregion in Savoie. Lauter regionale Produkte, das finde ich großartig. Der Wein aus der Côte du Rhône- Region ist auch superlecker. Zum Schluss gab es noch einen Kaffee des Hauses, bevor sie selbst zur Chorprobe aufbrechen musste, denn die hatte Madame Baudet heute noch. Ihr Freund, der auch mit dabei war, verabschiedete sich ebenfalls und so saßen wir noch alleine in diesem Wohn/Esszimmer und konnten uns dann schön auf deutsch unterhalten, was echt gut tat, denn da muss man nicht nachdenken. Bettina verfiel ab und zu ins schweizerische, aber das nur selten. Nachdem ich ihr in Beaumont gesagt habe, dass ich sie leider überhaupt nicht verstehen kann, spricht sie nun deutsch und somit gibt’s keine Probleme. Ist auch eine Umgewöhnung für sie. Madame Baudet kann auch englisch, aber als ihr Freund mit dabei war sprach sie nur französisch und das in einem Tempo, da konnte einem schwindelig werden. Mit der eigenen Erschöpfung und dem Wunsch nach Ruhe fiel es schon schwer da mitzuhalten. Wir räumten noch die Sachen in die Küche, die auch sehr abenteuerlich aussah. Die Frau ist der Hammer, aber eine total liebe und fürsorgliche, das ist schön. Oben angekommen war die Bude schön warm, es gab Fußbodenheizung, sehr angenehm. Wir lagen noch in den Betten und quatschten. Es ist schon toll jemanden dabei zu haben abends. Beim Wandern brauche ich das nicht unbedingt. So wie wir es machen, dass man ein Stück gemeinsam geht, dann aber auch jeder für sich, das finde ich gut. Auch habe ich ihr gesagt, dass wir unterschiedliche Geschwindigkeiten haben und man somit schnell das Tempo des anderen annimmt, Ihr geht es genauso und so sehen wir es ganz entspannt.

Morgen möchte sie aber alleine nach Seyssel gehen, ich werde an der Kreuzung (hier gibt es eine Variante) weiter geradeaus zur Pont de Fier gehen, somit trennen sich dann unsere Wege. Aber das ist morgen, jetzt ist erst mal schlafen angesagt. Der Regen hat aufgehört, mal sehen was morgen ist.

Blick ins Tal von Collonges d'en Haut aus

16.10.19

Collonges d'en Haut nach Pont de Fier, 19 km

Still ist es am Morgen. Ich öffne das Dachfensterrollo und schaue in einen wolkenlosen Himmel. Toll, der Regen ist vorbei, endlich! Wir packen unsere Sachen zusammen, alles ist wunderbar trocken geworden, verstauen die Regensachen tief im Rucksack und gehen nach unten zum Frühstück. Madame Baudet ist schon am wuseln. Aufgrund des Abhandenseins ihres Freundes spricht sie jetzt vorzugsweise englisch und das gar nicht so schlecht. Das macht die Sache doch etwas leichter. Sie kredenzt uns ein nettes Frühstück, zeigt uns auf YouTube noch welche Lieder sie gestern gesungen hat und gibt Bettina einen kreativen Vogelstempel in ihr Pilgerbuch. Ich behalte den von der Touriinfo gestern, das reicht mir. Da wir oben sind (d'en haut = oben) können wir auf das Tal hinab schauen, welches wunderbar unter einer Wolke liegt. Das sieht einfach nur toll aus und ich habe Hummeln unterm Hintern, möchte endlich los. Der Blick ins Tal und auf die Wolken versüßt alles blöde, was gestern war. Ich mache mich schon mal auf den Weg und werde Bettina später wieder treffen.

Was für ein Unterschied zu gestern, Hammer!

Hinter den Wolken werden die Weinberge sichtbar, toll sieht das aus und macht einfach nur glücklich. Das sind so die Momente, die mich echt glücklich machen, diese unglaublich schöne und einfallsreiche Natur. Ich komme unten an der Kirche in Frangy an. Ein tolles gemaltes Bild befindet sich auf der anderen Häuserwand, Frangy ist gar nicht mehr so doof wie gestern, aber so richtig toll auch nicht. Es geht die Hauptstraße entlang um später über eine alte Steinbrücke die Usses zu überqueren und dann steil den Berg hoch. 

Das tolle Bild in Frangy und der Weg nach unten in den Ort mit seiner Kirche

Über kleine Treppchen und schmalen Wegen über die Berge geht es gut ausgeschildert nach Champagne (hat nichts mit dem Getränk zu tun, kleines Dörfchen). Der Ausblick ist unglaublich schön. In akkuraten Reihen stehen die Weinstöcke gegenüber, welche sich langsam in schönen Gelbtönen und ab und an auch in Rottönen verfärben. Gefolgt von meinem Pilgerschatten geht es rüber auf die andere Bergseite. 

Immer tolle Ausschilderung und die Wolken hängen noch tief über dem Land

Da kommt von links ein fieses Wolken-Teil ums Eck

Im nächsten Ort versinke ich dann selbst im Nebel, hier ist er noch nicht verschwunden. Plötzlich ist alles grau und es wird kühler. Hmm! Ich komme an einer Bank mit nicht vorhandener Aussicht vorbei, schade finde ich das und hoffe, dass sich der Nebel doch bald lichtet. Die Landschaft ist so unglaublich schön. Alte Häuser, die teilweise nur zur Hälfte fertig sind, stehen am Straßenrand. Das ist sowieso nochmal was typisch mediterranes, würde ich mal sagen, das habe ich in Griechenland und Spanien auch schon so gesehen, Häuser, die nicht ganz fertig gestellt sind. Auf der einen Seite Rohbau, auf der anderen bewohnt, oder es fehlt einfach der Putz und es sind nur die grauen Steine zu sehen. Das Geld hat nicht gereicht und somit ist es unfertig geblieben. Das gibt es hier viel und sieht manchmal ein bissel schäbig aus, finde ich. In Deutschland und der Schweiz gab es das nicht, wahrscheinlich ist das auch gar nicht erlaubt in so einem Rohbau-Haus zu wohnen. Nun denn, also neben den kläffenden Hunden gibt es eben auch das. Desweiteren sind die Franzosen schnelle Autofahrer, da könnten sich die Lüneburger mal eine Scheibe von abschneiden, wobei ich sagen muss, dass mir das hier mitunter zu schnell ist. Da pesen die an einem vorbei, dass einem manchmal angst und bange werden kann. Das müsste jetzt nicht sein. Ist halt schon ein komplett anderes Land, ich finde das spannend. Was ich toll finde ist, dass man sich große Mühe gegeben hat den Wanderweg schön zu gestalten, also schöne Wege zu haben ohne dass man ewig an doofen Straßen langlaufen muss oder durch große Ortschaften. Toll gemacht, kann ich nicht anders sagen, bisher gefällt es mir sehr gut. 

Im Örtchen Vannecy stehe ich im Nebel mit einer tollen Bank mit nicht vorhandener Aussicht in die Berge

Über Wiesen, abgeernteten Maisfeldern und Weinstöcken komme ich nun wieder aus der Wolke raustretend (Wolke riecht auch sehr interessant nach: naja Wolke eben) nach Designy. Ein kleiner Ort mit einer süßen Kirche, welche innen recht dunkel, aber schön warm ist. Überhaupt sind hier viele Kirche ziemlich dunkel. Wenn man die Tür hinter sich zu macht steht man erst mal komplett im Düstern, bis die Augen sich dran gewöhnt haben. Sie ist schlicht gehalten. Ich verweile für ein Gebet und mache mich auf zum Klo am Rathaus (Mairie), da gibt es auch einen Stempel, der sich als Aufkleber erweist und nicht wirklich der Hit ist. 

Ich möchte meine Pause gerne in der Sonne machen, gehe aus dem Ort raus, setze mich an der Ortsausgangskurve an einen Tisch mit Bänken und esse mein Käsebrot. Leider wird’s wieder frisch, da sich eine Wolke vorschiebt, lange geht das hier nicht. Bettina kommt ums Eck und gesellt sich zu mir. Gemeinsam machen wir uns nun wieder auf den Weg und quatschen dabei, das ist auch schön. 

Wir laufen oben den Berg entlang mit schöner Aussicht, wenig später können wir die Rhône-Kurve sehen, das Rhône-Tal liegt unter uns. An einem schönen blühenden Sonnenblumenfeld geht’s leicht bergab. Aufgrund fehlender Bänke machen wir auf einer schönen sonnigen Wiese auf dem Boden Pause. Regencape als Untergrund, dann Sarong und Jacke drüber, das klappt schon. Wir liegen gemeinsam auf der Wiese und reden, lassen die Sonne uns durchwärmen, Warmweste kann ich endgültig einpacken, es ist wieder T-Shirt-Zeit, schön. 

Toller Weg mit schönen Sonnenblumen und weit unten ist schon die Rhône auszumachen

Kurz nachdem wir aufbrechen kommen wir auch schon an die Kreuzung mit der Wegvariante runter nach Seyssel an der Rhône. Hier wird Bettina zur Gîte Edelweiss gehen und dort übernachten, ich gehe am Berg weiter zur Pont de Fier. Wir stehen noch so unschlüssig rum. Ist ein doofes Gefühl wieder alleine zu sein, finde ich. Ich überlege noch ob ich mit runter nach Seyssel gehe. Dort hatte ich keine günstige Unterkunft gefunden, da das eine Hotel Urlaub hat und das andere mir zu teuer war. Die Gîte ist mir zu weit weg von Seyssel und so hatte ich mich für den eigentlichen Weg entschieden. Nun war ich unschlüssig, blieb aber dabei. Wir verabschiedeten und umarmten uns und gingen jeder seiner Wege. Werden wir uns wiedersehen? Wer weiß das schon, das wird sicher der morgige Tag zeigen. 

Der weitere Wegeverlauf war ganz wunderbar mit Blick auf die unten liegende Rhône und dem dahinter liegenden Massiv des Columbier mit seiner Höhe von 1500 m, die südlichen Ausläufer des Juragebirges. Links von mir der sogenannte Montagne des Princes mit 900 m, dicht mit bunten Bäumen bewaldet, schön ist das. 

Die Natur hier ist einfach wunderbar. So gehe ich nun wieder alleine meiner Wege, dicht gefolgt von meinem Pilgerschatten

Ich laufe über etliche Maronen, die zuhauf auf dem Boden liegen. Man könnte sich komplett nur von Maronen ernähren, wenn man denn wollte. Sie sind die essbare Form der Kastanie. Die Hülle ist stachelig, aber mit feineren Stacheln und darinnen befinden sich oft zwei oder drei der Früchte, was bei der Kastanie ja nicht der Fall ist. Spannend ist auch, dass die Maronen in Frankreich châtaignes und die Kastanien marones heißen, sehr verwirrend, also genau umgekehrt. Ich finde es auch schwierig mit den Artikeln im französischen, da die oft konträr zu denen im Deutschen sind, wie le soleil und la lune, die Sonne und der Mond. Nun egal, weiterpilgern…

An einem Weinhang geht's durch einen bewaldeten Hohlweg nach Vens d'en Haut, also Vens oben, um kurze Zeit später weiter unten in Vens zu landen. Süße kleine Ortschaften, man kann sie kaum Dörfer nennen. Ich biege hinterm Dorf falsch ab, sagt mir ein Schild mit durchgestrichenem Jakobswegweiser. Klasse ist das, da kann man sich echt nicht verlaufen. 

An den Weinbergen vorbei und durch Vens d'en Haut, aber nicht falsch laufen gell?

Kreuz und quer leiten einen die Wegweiser durch Vens, welches schöne alte Steinhäuser mit Feldsteinwänden hat, was ich persönlich total süß finde. Überall wachsen die Geranien und Hortensien in allen erdenklichen Rot-und rosatönen. 

Es geht durch spannende Hohlwege aufs offene Feld nach Vens (ohne oben)

Bergab geht es dann über einen schönen Wiesenweg mit Baumreihe. Es gibt nochmals eine kleine Pause im Gras, bevor ich runter an den Fier gehe, das ist der Fluss, der morgen überquert wird, der kurz darauf in die Rhône mündet.

"Attention, descente raide! Achtung steiler Weg", steht auf einem Schild geschrieben, bin gespannt. Nun wenn der Franzose steil ran schreibt, dann ist es auch steil. Mühsam mit meinen Wanderstöcken abstützend geht's bergab. Hätte man eine Wanne könnte man auch rutschen :-) Gegenüber kann man die Schlucht in den Bergen erkennen durch die der (oder die) Fier sich durchschlängelt, muss auch toll aussehen.

Ich schlitter mich so durch und komme an der Straße, die zur Brücke führt, an. Sieht schon klasse aus, aber ich muss links zu meiner Unterkunft abbiegen, die  Auberge de la Rôtisserie du Fier, was auch immer das heißen mag. 

Die Brücke über den Fluss Fier verbindet die Départements Haute-Savoie und Savoie

Er meinte am Telefon ich solle das Zimmer "Julien" aufsuchen, der Schlüssel steckt, falls er nicht da sein sollte, da seine Frau frisch operiert im Krankenhaus liegt. Nun ich hoffe mal ich habe alles richtig verstanden. Die Herberge liegt direkt gegenüber der steilen Felswand und dem Fluss. Keine Menschenseele da. Ich suche etwas rum und finde dann mein Zimmer. Die Tür ist offen, gar nicht so schlecht. Davor Tisch und Stühle, wenig weiter eine Wiese mit Liegestühlen und Co. Es ist nichts los hier und sollte auch so bleiben, Saison vorbei. Auch soll es kein Essen geben, also heißt es für mich heute Stulle mit Brot oder eben lecker Pain au chocolat und Tee. 

Nach der Dusche mache ich mir einen Kaffee. Es gibt einen Wasserkocher, Kaffee und Tee und sogar einen Fernseher. Nobel. Da ich im Schatten des vor mir liegenden Berges hocke bekomme ich vom Sonnenuntergang nicht viel mit. Ich sitze auf dem großen französischen Bett mit großer Riesendecke und tollem Kopfkissen und schreibe. Ist schon komisch jetzt so ganz alleine. Aber so war es ja meistens gewesen auf meinen Pilgertouren, wann hatte ich schon mal Begleitung? Aber wenn man dann jemanden abends mal hatte, dann kann man sich schon dran gewöhnen. Ich mache mal den Fernseher an, nur französische Sender, okay, ist jetzt nicht so meins. Herr Macron erzählt was tolles, was ich sogar verstehen kann, denn er redet langsam und deutlich, schön, geht doch, ist aber langweilig. Kurze Zeit später klopft es an der Tür, der Vater mit dem Sohne stehen davor. Zum Glück redet der Sohn englisch, ob ich denn was essen möchte. Hä? Ich dachte sie hätten nichts und habe mir nun den Bauch mit Käsebrot und Croissants vollgeschlagen, nee, will ich nicht. Sie bringen mir aber schon das Frühstück für morgen, geben mir einen langweiligen Stempel und verabschieden sich von mir. So kann ich also alleine entscheiden, wann ich morgen aufbreche, das finde ich auch ganz gut. Ich habe sogar noch ein Glas Wein bekommen, das hebt die Stimmung. Ich sitze also musikhörend und whatsappend auf dem Bett und höre noch ein paar Takte aus "Ich bin dann mal weg". 

17.10.19

Pont de Fier nach Chanaz, 19 km

Kühl ist es morgens, 3 Grad. Nun gut, dass ich die Warmweste mitgenommen habe. Ich schäle mich aus meiner Riesenbettdecke, was ob der Größe nicht ganz so leicht ist, schmeiße den Wasserkocher an und mache mich fertig. Draußen ist es noch ziemlich dunkel, aber ein Blick nach oben verrät mir, das Wetter ist schön. Es braucht sicher wieder eine Weile, bis die Sonne über die Berge kommt, ist ja auch spät im Jahr, da ist das so. Ich verspeise mein Frühstück, schulter meinen Rucksack und mache mich auf den Weg über die Brücke. Die ein oder anderen Nebelschwaden hängen im Flusstal und an den Bergen noch fest. Mit Überschreiten der Brücke befinde ich mich in einem neuen Département, in Savoie und komme auf ein Freizeitgelände mit Hochseilgarten, welches aber einsam und verlassen da steht. Ich entscheide mich zur Landspitze zu laufen, wo Rhône und Fier sich vereinen, auf französisch besagt ein Schild: "La confluence du Rhône et du Fier". Hört sich toll an! So richtig sehen kann man es nicht, da Büsche davor sind, dafür sehe ich aber den weißen Brückenpfeiler von Seyssel, einen vorbeirasenden Zug auf der anderen Flussseite und die über den Berg kommende Sonne. Ein weiteres Schild, welches uns noch öfters begegnen sollte besagt, dass man sich nicht ans Ufer wagen soll, da es durch Öffnung von irgendeinem Damm zu einem rasanten Anstieg des Wasserspiegels kommen kann. Das Ganze in drei Sprachen, schön. Wie man sich das auch immer vorstellen kann, ob da eine Flutwelle auf einen zukommt oder was? Kann ich mir irgendwie nicht vorstellen, nun gut, ich geh mal weiter.

Still ist es morgens an der Rhône und einfach nur schön. Aber Attention, il est dangereux!

Ich komme wieder auf den Jakobsweg und treffe kurz vor dem Wehr in Motz Bettina. Na das ist doch mal eine Überraschung. Sie ist früh losgegangen und ich habe eben noch diesen Umweg gemacht. Ich freue mich.

Ein schmaler Wanderweg führt an der Rhône entlang

Leider erzählt sie keine schöne Geschichte. Sie hat eine schlechte Erfahrung in der Gîte gemacht. Da war ein junger Typ, der wohl sehr eigenartig war und sie fragte ob sie mit ihm schlafen wolle. Oh je, das ist ja ätzend. Und sie war mit dem ganz alleine. Er hatte Gott sei Dank ein Einzelzimmer und sie war im Mehrbettzimmer. Die Nacht war kurz und sehr schlaflos, wie man sich denken kann. Man kann ja auch die Türen nicht abschließen und weiß ja nicht, ob der noch Anstalten macht, was er Gott sei Dank nicht tat. Das ist ja echt übel, so ein Scheiß-Idiot. Sowas ist mir wirklich noch nie passiert. Dass das was mit einem macht, das kann ich mir gut vorstellen. Nun ist sie das erste Mal alleine und dann so ein scheiß. Das tut mir wirklich unendlich leid. Dämlicher Vollidiot! Nun gehen wir beide gemeinsam an der Rhône entlang und werden gemeinsam auch in Chanaz in der Pilgerunterkunft unterkommen. Die Sonne ist nun komplett übern Berg und wärmt schön. Längst habe ich meine Warmweste wieder ausgezogen. 

Oben in Langefan angekommen geht es weiter nach Mathy

Es geht wenig später einen schmalen, steilen Weg nach Langefan hoch und später durch einen schönen Wald Richtung Mathy, einen kleinen Ort an dessen einen Hauswand ein kleiner Kasten hängt. Darinnen ist ein Pilgerstempel und ein Büchlein. Das ist aber klasse. Ein Herr kommt ums Eck und fragt uns, ob wir Wasser bräuchten, wir verneinen beide und könnten uns später dafür ohrfeigen, denn das war gar keine so schlechte Idee. Aber wir waren so überrascht, dass wir außer: "non, merci!" nichts rausbekamen. Hach Mensch, ist alles nicht so einfach.

Schöne Waldwege, gefolgt von netten Feldwegen wechseln sich ab. Und die Pilger sind gut gelaunt dabei

An den Ufern der Rhône wächst riesiger Staudenknöterich, dessen Blätter sich gelb verfärben, das sieht schon toll aus. Überhaupt ist das Ufer des Flusses reich bewachsen mit etlichem Grünzeug. Nach einer Weile ist Pause angesagt, die verbringen wir auf einer kleinen Erhöhung neben dem Grünzeug, nahe des Rhône-Ufers auf der Wiese, klar wo sonst. Bänke sind rar in Frankreich oder zumindest hier in der Gegend. Ja, der Franzose steht eben, sitzen ist für Weicheier oder so. Sogar an Bushaltestellen gibt es keine Bank. Eine Überdachung ist da, also Regen will man dann scheinbar auch nicht auf der Birne haben, aber man muss stehen. Nun denn. Wir packen uns ins Gras, es ist warm genug, und essen unser Pausenbrot oder was noch vom Vortag übrig war.

Langsam zieht es sich leider zu, wenig später ist die Sonne weg und musste Wolken Platz machen, es wird grau, die Farben leuchten nicht mehr so schön, aber es ist angenehm warm, das ist doch auch was. Es geht einen langen und ebenen Weg an der Rhône entlang, heute gibt es kaum Berge. 

Bettina ist mir wieder abhanden gekommen, wir treffen uns später wieder. Ich geh mal gerade ums Eck pieschern und stehe am Rhône-Ufer. Es ist ein Kiesbett vorhanden, eben jenes an das man nicht gehen sollte, da doch die Flutwelle ums Eck kommen könnte. Das macht das ganze wiederum sehr spannend. Es kommt aber nichts ums Eck und so setzte ich meinen Weg fort, der auf schmalem Pfad an Pappelplantagen vorbeiführt. Ist ja auch spannend, wofür soll das gut sein? Wir belesen uns später, dass sie zur Holzgewinnung verwendet werden, denn sie wachsen schnell und somit gibt es auch schnell Holz, so so. Bettina erzählte mir später, dass sie allergisch reagiert hatte und ihr übel wurde. Gut dass sie da wieder draußen ist. Gegenüber findet das südliche Juragebirge ein abruptes Ende und fällt steil ab, toll sieht das aus. 

Erstmal den Rucksack ablegen am schönen Rhône-Ufer ohne Flutwelle :-)

Verkehrsgeräusche werden hörbar. Oh oh, ich hoffe nicht das das Chanaz ist, das kann ja was werden. So ein Quatsch, es ist die Brücke Pont de La Loi, eine Bundesstraße führt hier rüber. Gleich hinter der Brücke, unter der ich durchgehe und auch wieder auf Bettina treffe, gibt es eine Wasserstandsanzeige. Das Gebiet ist hochwassergefährdet. Wenn der Pegel über 2,50 m ist, dann darf man hier nicht langgehen, dann muss man einen anderen Weg einschlagen, das besagt ein gelbes Hinweisschild. Der Jakobswegweiser führt auch vom Ufer weg. Wenn ich den Wasserstand richtig ablese, dann haben wir kein Hochwasser, sieht auch alles gut aus und überhaupt will ich weiter an der Rhône entlang gehen. Viel geregnet hat es ja, das ist unschwer an den riesigen auf dem Weg befindlichen Pfützen zu erkennen. Naja, und mitbekommen haben wir das ja auch am eigenen Leibe. 

Herbstliches Rhône-Weg-Ambiente

Das Juragebirge findet ein abruptes Ende, Ambiente mit Boot, die Brücke von La Loi und der entspannte Pegel der Rhône

Wir ignorieren also den Wegweiser und gehen weiter geradeaus. Der Verkehrslärm wird langsam leiser als wir an Angelteichen vorbeikommen. Ich bin k.o. und brauche Pause, setze mich an den ersten See mit Blick auf den Berg, wohl der 397 m hohe Mollard de Vions, nicht etwa auf eine Bank, die hervorragend hierher gepasst hätte, sondern auf mein Regencape. Bettina geht weiter und sucht ihrerseits einen Sitzplatz. Der Berg spiegelt sich im glatten See, schön ist es hier. Leider fängt es dezent an zu pieseln. Ich schaue in die Wetterapp ob ich jetzt das komplette Regen-Equipment anziehen muss, aber nein wir haben Glück, die fiese Regenfront mit dunkelblauer Farbe (= Starkregen) zieht haarscharf an uns vorbei, da haben wir ja nochmal Glück gehabt würde ich sagen. Nun meine Pause ist vorbei, Regenjacke anziehen und weiter.

Wenig später geht’s am Étang bleu (blauer Teich, der nun leider jetzt nur grau aussieht) über die Bahngleise, dann über ein Viehrost auf den Deich. Zwei endlose Kilometer geht’s auf einem Schotterweg zwischen einem Fließ und der Rhône entlang, welcher mit verwelkten Gräsern überwachsen ist. Kurz vor Chanaz geht’s wieder über ein Viehrost in die Bambule rein. Reisebusse stehen am Rand links, rechts der Campingplatz, viele Leute. Was ist denn hier los? Damit habe ich irgendwie so gar nicht gerechnet. Chanaz ist eine kleine Gemeinde mit gerade mal 500 Einwohnern und liegt schön am Canal de Savières, der den östlich liegenden Lac du Bourget mit der Rhône verbindet, somit für Ausflugsboote gerne genommen wird. Aufgrund fehlender Bänke setze ich mich jetzt einfach in den Außenbereich eines Restaurants und trinke mein restliches Wasser aus.

Chanaz ist ein nettes Dorf mit vielen gut erhalten Häusern aus dem 15. und 16. Jahrhundert, einer kleinen Kirche auf einem Hügel, schönen Wanderwegen in die umliegenden Berge, beliebt bei vielen französischen Touristen, die in Scharen auf mich zukommen und bepackt mit kleinen Rucksäcken Richtung Busse wandern. Ich habe schon gedacht es seien alles Pilger und die übernachten alle hier, bekam schon einen Riesenschrecken, das kann ja was werden! Aber beim Rübergehen über die hübsche Passerelle (Fußgängerbrücke) über den Kanal bekam ich beim Zuhören der Gespräche mit, dass sie alle jetzt aufbrechen zu den Bussen. Süß sieht das Örtchen aus mit den Häuschen, sehr französisch. Am Ufer stehen kleine Palmen, Cafés, Tische, Stühle. Leider wird der Regen etwas mehr und so mache ich mich schnell auf meine Unterkunft für heute zu finden. Es geht ein schmales Treppchen hoch, an einem netten Seifenlädchen vorbei, ein wundervoller Duft kommt mir entgegen, um wenig später an einer steilen Straße zu enden, an der linkerhand ein nettes Muschelschild besagt, dass hier die Herberge El Camino ist. Schön sieht es aus, nettes Gärtchen, kleine Treppe und endlich angekommen. Bettina sitzt schon geschniegelt und gebügelt am großen Küchentisch und begrüßt mich mit: "Es ist eine schöne Unterkunft und wir wohnen oben im Mehrbettzimmer, Heizung geht" Super. Die Hausdame, deren Namen ich jetzt leider nicht mehr drauf habe, bietet mir ein Getränk an, was ich gerne annehme, habe viel zu wenig getrunken heute, hätte in Mathy das Angebot des Herren echt annehmen sollen, schön doof. So schütte ich also eine Menge Wasser mit etwas Sirup in mich rein und begebe mich dann nach oben, um zu duschen. Die Dusche ist der Hammer, sieht alles ganz edel aus und es gibt einen Föhn, der ist meiner, toll. 

Chanaz am Canal de Savières gelegen mit seinen schmalen Gässchen, der Herberge El Camino und dem lecker Bier später

Es waren ja doch ein paar Kilometer heute und so langsam bekomme ich etwas Hunger. Nun es muss erst mal ein bissel Schokolade reichen, denn Essen gibt es später, klar. Wir gehen bei leichtem Pieselregen noch mal runter in den Ort, wollen einen Kaffee trinken gehen. Daraus wird dann aber ein Bier, ein frisch gezapftes aus der Chanaz-Region, das ist doch mal toll. Der Ort ist wie ausgestorben, alle Touristen sind verschwunden, nur ein paar Einheimische und wir sind zugegen. Wir sitzen draußen, aber geschützt unter einer Überdachung, als es etwas doller anfängt zu regen. Aber wie vorhin gesagt, die ganz fiese Regenfront zieht an uns vorbei. So erfreuen wir uns am leckeren Bier. Leicht angeheitert, da wir ja noch nicht gegessen hatten, machen wir uns wieder auf, den Berg hoch. Wir kommen rein in die Herberge, es duftet Hammer nach lecker Käse. Ich könnte auf der Stelle den Auflauf aus dem Ofen reißen und mir den Bauch vollschlagen. Oh man, das mit der späten Essenszeit ist echt eine Herausforderung. Aber dann ist es endlich soweit. Wir sitzen zu dritt am Tisch, es gibt eine lecker heiße Kürbissuppe, eine Karaffe Wasser und natürlich dann den Rotwein, den obligatorischen. Alleine die Kürbissuppe ist der Hammer, wir holen Nachschlag. Der Auflauf mit viel Käse (wahrscheinlich wieder der tolle Reblochon) war lecker und sehr sättigend, gut so. Danach gab es natürlich Fromage mit Brot, noch etwas Wein und zum Schluss saßen wir noch entspannt mit einen Vervain-Tee (Eisenkraut) aus frischem Kraut, beisammen. Die Herbergsfrau sprach nur französisch, was es etwas erschwerte, aber ich merkte, dass mit der Zeit mein Französisch immer besser wurde und so führten wir ein gutes Gespräch mit ein bissel Händen und Füßen, ab und zu mal im Google Translater schauen. Das macht mich auch ein bissel stolz, muss ich sagen. Außerhalb von: "Ich heiße Maika, wohne in Lüneburg und bin Krankenschwester", kann ich mittlerweile doch einiges erzählen. Nachdem ich anfangs dachte, dass ich einfach in der Gegenwart erzähle, da es einfacher ist, habe ich mich doch entschieden die Vergangenheit dazu zu nehmen, denn das meiste erzählt man auch in der Vergangenheit. Also die Vergangenheit mit "avoir" und "être" kam nun noch dazu und es lief soweit ganz gut. Grammatikalisch bestimmt eine Katastrophe aber wir verstanden uns. Und wenn ich es nicht geschnallt habe, dann hat Bettina verstanden worum es ging und umgekehrt, so konnten wir uns ganz gut ergänzen und etwaiges falsch verstandenes korrigieren. Die Frau verabschiedete sich dann, sie wohnte irgendwo die Straße weiter hoch, und so blieben wir hier alleine und konnten uns weiter auf deutsch unterhalten, was dann doch leichter ist. Da wir ja viel auch getrennt voneinander gelaufen sind, hatten wir somit auch einiges zu erzählen. Bettina schaute in ihrem Wanderführer und der Liste der Freundin wie es weiter geht, fragte mich wie ich weitergehe und ob es mir was ausmachen würde wenn sie sich meinen Unterkünften mit anschließen würde, ich verneinte und so war sie für Yenne im Clos de Capucins mit dazu gebucht. Für mich ist es eine ganz neue Erfahrung mit jemanden zusammen zu pilgern und zu übernachten, das hatte ich ja doch recht selten auf meinen Touren. In Deutschland traf ich ab und an mal einen Pilger, die ersten tatsächlich erst in Eisenach, das war der Vater mit den drei Jungs, die ich in Vacha wieder verabschiedete. Im Käppele in Würzburg hatte ich am Abend Hede dabei, das war auch sehr schön. Dann tatsächlich erst wieder die 8 Frauen in der Schweiz, die nach Einsiedeln gepilgert sind, das schweizer Pärchen und später dann Wolfgang kurz vor Flüeli, mit dem ich abends zusammen Essen kochte. Bei der zweiten Schweizer Hälfte lernte ich dann die zwei Bayern, Vanessa und René kennen und später die drei Tage nach Genf war ich mit Helmut unterwegs. Es ist immer ein bissel mehr geworden. Ich nehme mal an dass ich bis Grenoble keine weiteren Pilger treffen werde. Mal sehen. Wir verbrachten also noch einen entspannten Abend und gingen dann schlafen.

18.10.19

Chanaz nach Yenne, 19 km

Der Tag beginnt und leider beginnt er grau mit Regen. Nicht so heftig wie es in Frangy war, aber er ist da, schade und doof. Aber was soll's, lässt sich ja nicht ändern. Wir gehen nach unten, der Tisch ist schon gedeckt und es riecht lecker nach Kaffee. Ich freue mich dass es mal ein ganz normaler Filterkaffee ist und nicht irgendwelche Kapseln oder sowas. Toll schmeckt er. Das Petit déjeuner ist gut und auch reichlich, das ist doch schon mal gut, da können wir ja gestärkt losgehen. Es ist Zeit für das Ganzkörperkondom, wenngleich aber nicht mit dicken Klamotten drunter, da es doch recht mild ist. Nachdem wir uns verabschiedeten geht es auch sogleich aufwärts und das recht steil, dann ist einem sowieso warm, lohnt sich nicht irgendwie mehr als ein T-Shirt anzuziehen. Bettina geht vor und ist auch bald außer Sicht, ich brauche für die Berge doch etwas länger, bin sie nicht so gewöhnt wie sie. Naja und sie ist ja auch jünger und überhaupt ist es ja auch egal. 

Wegweiser in Chanaz, der erstarrte Kollege, Quasimodo unterwegs und die tolle Glasarbeit in Le Poisat

Es geht einen schmalen Weg nach oben. Fast wäre ich den mitten auf dem Weg hockenden Salamander auf die Füße gelatscht. Eigentlich ist er mit seiner tollen Schwarz-gelb-Färbung nicht zu übersehen. Toll, habe ich noch nie so gesehen. Groß ist er, bestimmt 20 cm lang und bewegt sich nicht, braucht wohl noch ein bissel Sonne zum warm werden. Tja das wird wohl heute nichts, befürchte ich. Somit ist weiterhin Starre angesagt, dumm gelaufen. Weiter geht’s nach oben in das Örtchen Le Poisat. An selbstgemalten Jakobswegweisern, über eine tolle Glasarbeit in Holz mit einem Pilger und der Muschel drauf, geht es weiter über den Berg nach Vétrier mit angeblich toller Sicht über das Rhône-Tal. Nun heute jedoch nicht.

An einer kleinen Marienkapelle geht es dann weiter bergauf, bis der höchste Punkt für heute bei 440 m erreicht ist. Nicht allzu viel, das geht ja noch. Zwischen Weinbergen und Wolkenfetzen gehe ich erst mal pieschern, das muss sein, der viele Kaffee zollt seinen Tribut. Der Regen hat tatsächlich aufgehört und sollte es dabei auch belassen, da haben wir ja Glück gehabt. Aber so ganz ohne Sonne ist alles ein bissel fad, aber trotz allem schön. Es wartet wieder eine tolle Landschaft auf uns, das kann man nicht anders sagen.

Die kleine Marienkapelle und es geht runter in die Wolken

Ich gehe oben auf dem Plateau den Feldweg entlang und hinter mir die Wolke, die rasch näher kommt. Wenn ich nicht aufpasse hat sie mich. Nö, nicht mit mir. Ich lege einen Zahn zu, sehe aber, dass ich vor mir auch in eine Wolke reinlaufe, okay, dann eben Wolke. Sie hat wieder ihren speziellen Wolkengeruch, spannend! 

In Vétrier hat die Wolke mich eingeholt

Wenig später komme ich aus dem Nebel wieder in die Weinberge. Hier wird wohl ein ganz spezieller Wein angebaut, der Roussette de Savoie. Den Namen erhielt die Herkunftsbezeichnung von der Rebsorte Altesse, die im Savoie Roussette genannt wird. Ein sehr fruchtiger Weißwein. So so. Die ein oder andere Traube hing noch, hmm, mal reinbeißen…

…irgh! Sauer! Nicht gut! Naja die guten Trauben sind alle geerntet, die werden schon wissen warum sie diese hier haben hängen lassen. Ich laufe den Berg hinunter, links und rechts Wein, der sich gelb verfärbt. Ab und an gibt es auch vereinzelte rote Blätter mit markanten Mustern, toll sieht das aus. Vor mir befinden sich die Berge des Montagne du Chat, mit dem markanten nach einem Katzenzahn aussehenden Gipfel, natürlich sehr in Wolken gehüllt, aber oh…

…die Sonne kommt etwas raus. 

Ich komme nach steilem Bergab unten im Ort Crémon an, überquere einen kleinen Bach und es geht in einem groovy, total mit Moos behangenem Wald weiter. Hier könnte man echt Gruselfilme drehen oder sowas mit Hobbits oder so. Jeder einzelne Ast ist mit einem faserigen Moos bewachsen, speziell und schön. Quietschgrüne Minifarne wachsen aus dem Boden und der Efeu umrankt alles ganz wunderbar.

Aber ich komme wieder auf den freien Berg und wenig später in Vraisin an. Pause ist nötig. Bank? Oh ja, tatsächlich beim  Ausblick ins Tal gibt es eine Steinbank. Ein paar Sachen drunter gepackt, damit man sich nicht verkühlt, Brot rausgeholt und erst mal schön was essen. Unten sehe ich wieder die Rhône, ich selber stehe mitten auf einer großen Weinplantage. Ich muss dringend mal, wird ja wohl gerade keiner kommen, wäre echt peinlich. Gibt hier aber außer dem Weg und den Abhang nichts. Nun die Not treibt's rein, ging auch alles gut, schön. Ich mache mich an den Abstieg den Berg hinunter. Ein Schild teilt mit, dass hier der Altesse angebaut wird. Aha genau. Ich wander durch das bunte Weinlaub hindurch, da hängen wieder Trauben, diesmal rot, mal probieren…

…irgh, auch sauer.

Das ist nichts für mich, dass lass ich mal. Die zuvor wieder verschwundene Sonne kommt nun wieder hervor und taucht alles in ein helles, freundliches Bunt. Ich kann mich gar nicht satt sehen an der schönen Landschaft und komme kaum vorwärts. Bettina ist wahrscheinlich schon Meilen vor mir unterwegs. Wir sollten uns tatsächlich auch den ganzen Tag nicht sehen.

Der Weinberg des Altesse-Weines mit dem in Wolken verhüllten Ort Vraisin

Frohgemut laufe ich durch die Weinberge und komme am schmucken Dorf Aimavigne am Château de la Mar, einem Weingut und Schloss heraus. Ab hier gibt es überall Dégustations (Weinverköstigungen), Wein soweit das Auge reicht. 

Hinter den Wolken wird der  Dent du chat, der "Katzenzahn" sichtbar, es geht nach Aimavigne an diverse Dégustation-Möglichkeiten vorbei

Oben in Jongieux angekommen besuche ich die Kirche, die aber zu hat, und gehe weiter steil den nächsten Weinberg hoch. Und da ist tatsächlich eine schöne Steinbank mit toller Sicht auf die nun sonnenbeschienenden Berge. Ich bin total geflasht von der schönen Umgebung. Mittlerweile bin ich wieder im T-Shirt unterwegs, so warm ist es geworden. Kann aber auch an den heftigen Steigungen liegen :-) 

Blick auf Jongieux und seine Kirche

Einen schönen Schotterpfad folgend geht es weiter an einem großen Steinkreuz vorbei, vor dem ich stehen bleibe und bete. 

Weiter schleppe ich mich schnaufend bergauf zur romanischen Kapelle Chapelle de St. Romain, wo mich eine Gruppe von hingestellten Blechpilgern begrüßte, das ist ja mal nett. Keiner da, nur ich, die kleine Kapelle und eine Bank mit Tisch, Pausenort. Ich bin k.o.! In der Ferne ist die Rhône wieder zu sehen und da unten liegt Yenne, mein heutiger Übernachtungsort. Ich packe mich nach dem Essen einfach auf die Wiese und döse in der Sonne vor mich hin, mache so richtig ausgiebig Pause mit diesem tollem Blick. Zum Glück wusste ich noch nicht was mich gleich erwartet, somit entspannte ich zutiefst. 

Aber alsbald war Zeit für den Aufbruch. Füße gesalbt, Rucksack geschultert, es konnte weitergehen, schöner Ort hier oben. Nach Yenne sind es noch anderthalb Stunden, okay kein Problem. Ich stand vor einem Warnschild mit dem Hinweis: "Dieser Weg führt an der Steilküste (ich nehme mal an sie meinen den Abhang) entlang, sie brauchen gute Wanderschuhe und passen sie auf ihre Kinder auf." Okay mach ich! Naja übertreiben muss man es ja nicht. Die Sicht ist toll. Wirklich komplett hier am Abgrund stehend, unten die verschieden farbigen Felder, der Fluss, der sich durch das Tal schlängelt, super finde ich das. Wenig später war ich nicht mehr so amused. Der Weg ist schmal, steil, glatt und am Abgrund ohne Sicherheitszaun, grenzwertig! Leider hatte es zuvor geregnet und das feuchte Laub machte die Sache nicht besser. Ab und zu gab es glitschige Steine, meine Wanderstöcke waren in vollem Einsatz. Eigentlich ein sehr schöner Weg. 

Tolle Aussicht auf das Rhône-Tal und es geht rutschig steil bergab in eben dieses Tal

Nun es kommt wie es kommen musste, ich rutsche aus, zum Glück nicht den Abhang runter und auch nicht auf einen Stein, also nur dreckige Hose und Schuhe, mehr nicht. Aber ich bin sehr vorsichtig danach und als ich nach diverse Schlittergeschichten endlich unten festen Boden unter den Füßen hatte und noch mit einem tollen Compostelle-Schild belohnt wurde, war ich doch froh. Ich ging ums Eck und machte an einem Weinbergmäuerchen Pause. Puh, das war hart gewesen. Teilweise habe ich echt gezweifelt ob das überhaupt hinzukriegen war. Ich hoffe, dass Bettina hier gut runtergekommen ist.

Erschöpft, aber erleichtert, komme ich unten am Örtchen Lagnieu wieder auf festen Boden

Nach Durchlaufen des Ortes und Überquerung der Straße ging es auf ebenen, schmalen Weg (Gott sei Dank, genug Berge heute) an der Rhône entlang. Ein spannender Zickzack-Weg mit dünnen Bäumchen, die es zu umgehen galt. Nun ist nicht so langweilig, sehr nett gemacht. Die Rhône hatte hier eine besondere, leicht türkise Wasserfarbe, was mit dem Gelb der Knöterichblätter sehr schön und harmonisch aussah. 

Ich machte noch eine kurze Pause im Kiesbett des Flusses, verbotener Weise, es könnte ja eine plötzliche Flut kommen, was wenig später ein Schild bildlich toll darstellte (ein in den Fluten ertrinkender Mann) und machte mich auf den Abschlusswalk nach Yenne

Die Bundesstraße ist von weitem schon zu hören. Es war doch eine sehr ländliche und ruhige Wanderung, da fällt das besonders auf. Eine Brücke überspannt den Fluss, die Bundesstraße brettert darüber. Eine schöne Bank gleich daneben,  das ist ja mal ein komischer Entspannungsplatz. Nun, muss ich nicht verstehen. Ich schlängel mich durch Yenne, an der Kirche vorbei, habe keine Lust jetzt reinzugehen, will ankommen. Es geht die schöne Hauptstraße runter mit ihren alten Häusern links und rechts und dem kleinen Fließ und Springbrunnen in der Mitte. Zum Kloster, welches keines mehr ist, sondern nur für Tagungen und Gruppen genutzt wird, ist es noch etwas raus aus dem Zentrum, aber auch ich komme endlich an. Es gibt eine richtige Rezeption. Der Herr spricht französisch, nun mittlerweile kann ich das besser, und nennt mir die Zimmernummer.

Bettina ist natürlich schon da. Ich komme völlig verdreckt wegen des Sturzes oben an. Sie liegt entspannt und sauber auf dem Bett, ist scheinbar alles gut gegangen bei ihr. Sie meinte noch, dass der Pilgerstab ganze Arbeit geleistet hat. Das ist gut. Ich habe das dringende Bedürfnis erst mal die Klamotten zu waschen. Die Heizung ist bullig heiß, das ist klasse. Die Hose, die Schuhe, alles muss jetzt mal geschrubbt werden. Ich selber muss auch noch geschrubbt werden und nach einer Weile ist alles erledigt und ich sinke Kaubonbon-essend auf mein Bett.

Was für ein toller, aufregender Tag, was für eine schöne Landschaft, ich bin voll in der Birne mit Eindrücken. Wir haben uns viel zu erzählen. Nachdem ich mich erholt hatte schauten wir uns das ehemalige Kloster an. Mit uns war hier eine Meditationsgruppe untergebracht, deren Mitglieder still und bedächtig durch die Gegend liefen. Wir bekamen nebenan in der Bar ein schönes Bier und setzten uns ins Foyer und laberten, neben uns der ein oder andere stille Geselle.

Endlich war es soweit: Essen!!! Es geht doch nach so einem ereignisreichen Wandertag nichts übers Essen. Wir hatten einen Tisch für uns, konnten uns ganz dem Deutschen frönen und aßen wieder unsere drei Gänge: Salat als Vorspeise, Fisch mit Gemüse als Hauptgericht, Fromage danach, dazu gab es eine Karaffe Wasser und Rotwein. Schön ist das mit dem Essen in Frankreich :-) Im Foyer gab es noch Vervain-Tee. Wir saßen noch lange und redeten. Die Meditations-Mitglieder hatten noch eine Abendmeditation und waren somit nicht anwesend. Unser Zimmer war später schön aufgeheizt, die Klamotten schon trocken, so liebe ich das. Na dann mal gute Nacht. Morgen haben wir einen langen Tag vor uns. Ich habe schon ziemlich Respekt davor, denn es warten über 600 Höhenmeter auf uns. Ich hoffe es regnet nicht, sonst kann man das echt vergessen. So einen Weg wie heute brauche ich nicht nochmal, der war schon heavy. Ich bin ja schon vieles gewandert, aber das war jetzt echt die Krönung. Nun mal sehen. Sorgen machen bringt nichts. Wir warten ab was morgen kommt gell?