Über mittlerweile zwei Kanäle geht es bei Pommevic rüber auf die andere Seite eine Straße entlang. Es ist unheimlich warm geworden. Geradeaus geht’s über einen Wiesenweg weiter, in den Gärten der Anwesen sind Artischockenpflanzen auszumachen, toll finde ich das alles. Diesen schönen Grasweg in brütender Sonne entlanggehend dichte ich meinen zweiten Song dieser Pilgertour: Pentecôte, Pfingsten. Ja wenn man so alleine unterwegs ist, dann kommt schon mal so eigenartiges. Hier der Text zum schönen Lied der Beatles, Yellow Submarine:
Aujourd'hui c'est Pentecôte
Pentecôte c'est aujourd'hui
Aujourd'hui c'est Pentecôte
Pentecôte c'est aujourd'hui
We are marching on Pentecôtes Day, Pentecôtes Day, Pentecôtes Day
We are marching on Pentecôtes Day, Pentecôtes Day, Pentecôtes Day
Eine wilde Sprachen-Mischung, aber schön. Im Marschschritt geht’s voran, yeah! Ich komme wenig später in Espalais an, welches mich mit einem großen Ortsnamen-Mäuerchen begrüßt. Kurz davor ist nun meine Gîte. Eigentlich wollte ich bis Auvillar laufen, aber Monique, die Pilgerin, mit der ich letztes Jahr einen Teil des Weges zusammen unterwegs war, hat mir diese Gîte hier in Espalais wärmstens empfohlen, da die Besitzer ganz toll sein sollen und die Gîte wohl auch. So habe ich mich kurzerhand umentschieden. Wenig später bedauerte ich es, da die Gîte voll war, ausserdem recht kühl in den Räumen und ich fühlte mich nicht so ganz wohl. Fredéric, der Gîtebetreiber ist aber ein total netter, spricht auch englisch und wir schnacken ein bissel. Der Rest spricht leider nur französisch. Aber, oh toll, die beiden Mädels, die ich zuvor schon in Lauzerte getroffen hatte, Michelle und Karin, sind auch mit von der Partie und wir haben ein Zimmer zusammen, das freut mich enorm. Die Bettwäsche ist sehr klamm, somit packe ich alles nochmal raus auf die Wäschespinne, geht gar nicht. Ich genehmige mir nach der Dusche einen Kaffee und setze mich abseits auf die Bank Kekse essend und Kaffee trinkend.
Wenig später gehe ich nochmal in den Ort und in die Kirche, die noch offen war und ganz hübsch ist. Die eine Straße, die durch den Ort führt ist umsäumt von hübschen sauberen Häusern in netter Backsteinoptik und farbigen Fensterläden.
In der Gîte angekommen sitzen wir bei einem Aperitif. Fredéric fragt, warum die Leute pilgern, was es mit ihnen macht. Es wird sehr emotional, denn es kommen teilweise krasse Sachen dabei herum, zum Beispiel ist bei dem einen die Ehefrau vor kurzem verstorben, eine Mutter hat ihren Sohn verloren, schreckliche Dinge. Viele meinen, dass sie zu sich kommen wollen und Erleuchtungen suchen wie es weitergehen könnte. Manch einer wandert aber auch nur. Ich selbst suche auch nach Erleuchtung, wie es mit mir beruflich weitergehen könnte. Das habe ich letztes Jahr auch schon im Sinn gehabt, ach leicht ist das alles nicht, aber in der Krankenpflege kann ich unter diesen Bedingungen nicht mehr arbeiten. Ich suche aber auch nach Gott, nach Verbundenheit mit Gott, nach Gottvertrauen. Den Weg gehen und eben das Thema: Annehmen, Aushalten und Gottvertrauen hier auf dem Pilgerweg, aber auch auf dem Pilgerweg durch mein Leben zu erfahren und zu leben.
Es wird viel geredet, ich kann dem bald nicht mehr folgen, es ist anstrengend sich so zu konzentrieren. Endlich gibt es Essen, wie immer sehr lecker und auch reichhaltig. Als dann der klassische Tisane angeboten wird ziehe ich mich aber wieder zurück, die Birne ist voll mit ganz viel Französisch, ich brauche Pause, bin genervt. Als wir zu dritt dann im Zimmer sind, kommt Michele auf mich zu, setzt sich an meinen Bettrand und wir redeten noch über die Situation. Ich merke, dass es mir wieder zusetzt, bin aber sehr froh, dass ich meine Unterkünfte diesmal sehr variabel gestaltet habe, also auch Hotels einfach mal dazwischen sind, wo ich ganz alleine sein kann. Wir machen das Licht aus und schlafen dann auch ein. Morgen ist ein neuer Tag. Wie war das noch? Annehmen, Aushalten und Gottvertrauen, ja, das will ich haben.
24.5.21 Pfingstmontag/Pentecôte
Espalais nach Miradoux
20 km
Ich packe meine Sachen zusammen, die Sonne scheint noch, aber wenig später sehe ich schon die dunkle Wand auf mich zukommen. Nun denn. Es ist noch recht ruhig in der Gîte, der Blick schweift vom überdachten Vorraum mit dem langen Tisch weit übers Feld, was auch recht feucht aussieht, muss heute Nacht geregnet haben. Ich mache noch ein Selfie von Fredéric und mir und schicke es Monique mit Grüßen von ihm. Alsbald mache ich mich alleine auf den Weg. Das tut gut, ich bin happy jetzt wieder losgehen zu können. Das hat mich doch etwas mitgenommen hier, da bin ich an meine Grenzen gekommen. Ich laufe die Straße mit den hübschen Häusern runter bis zur Brücke über die Garonne, die ich überquere. Auf der anderen Seite liegt Auvillar, welches auf einer Anhöhe liegt und eine schöne Altstadt aufweist.
Es gibt einen schönen Aussichtspunkt oben auf dem Berg mit Blick zum Fluss und das Land dahinter. Ich verweile.
An der beeindruckenden Halle aux grains vorbei gehe ich rüber zur Église St-Pierre, just als der Regen einsetzte betrete ich die Kirche. Hier bleibe ich nun auch erst mal, es schüttet aus Eimern, schade.
Ich verweile eine dreiviertel Stunde, teilweise im Gebet versunken, und mache mich bei leichtem Pieselregen aus dem Ort raus über den Tour de l’Horloge, den Uhrenturm. Der kleine Ort hat schon einiges zu bieten, kann ich nicht anders sagen.
Frohgemut mit Sonne, zumindest im Herzen, schreite ich voran durch hügeliges Gelände. Es tut gut hier so alleine unterwegs zu sein. Einiges an Asphalt wartet auf mich, als ich im kleinen Örtchen Bardigues ankomme und geradewegs auf die kleine von außen süß aussehende Kirche zusteuere, in der Hoffnung dass sie auf hat und ich mein Pausenbrot zu mir nehmen kann. Leider ist dem nicht so, schade, das wäre ihr Preis gewesen! So lande ich in einem Häusereingang eines geschlossenen Restaurants und setze mich dort auf einen Steinsims und esse. Gibt schönere Orte, aber was soll man machen? Michele und Karin kommen ums Eck und grüßen, gehen aber weiter. Alle auf der Suche nach einem Sitzplatz im trockenen. Es geht durch eine eigenartig aussehende Platanenallee. Oh je, was die aus diesen wundervollen, stattlichen Bäumen zurechtgeschnitten haben ist gruselig, finde ich jedenfalls. Aber sowas sollte ich noch häufiger entdecken, denn das ist hier wohl so üblich. Nun denn, andere Länder, andere Sitten. Da haben mir aber die großen Platanen am Kanal besser gefallen, geben auch viel mehr Schatten. Man könnte ja denken, dass man hier im Süden, wo es im Sommer ja sehr heiß wird, scharf auf Schatten ist. Nun, diese verkrüppelten Bäumchen geben jedenfalls nicht viel davon.
Ich treffe die beiden Französinnen später auf einem Bänkchen vor einem Wohnhaus, so haben sie also auch ihren Pausenort gefunden. Wir schnacken etwas, machen ein Foto von uns, ich ziehe weiter nach St. Antoine-de-Pont-d’Arratz, was für ein Name, und lege mich auf eine Bank direkt am kleinen Platz, bestückt ebenfalls mit krepeligen Platanen. Die Sonne kommt raus und so genieße ich die Sonnenstrahlen. Nun bin ich wieder in einem neuen Département angekommen: Gers, historische Provinz Gascogne, klar.
Der Ort selbst ist ganz hübsch und hat vor allem eine hübsche und geöffnete Kirche, die von außen wenig hergibt, aber mit schöner farbiger Decke und bemalten Bögen in verschiedenen Farben, toll aussieht. Ein paar Holzstühle sind leicht durcheinander geraten aufgestellt und es gibt tolle uralte Wandmalereien. Es ist ganz still, ich verweile im Gebet, in mich gekehrt.
Auf geht’s Richtung Flamarens, teilweise auf dem Grasweg neben der kleinen Straße, teilweise auf der kleinen Straße selbst, denn der Grasweg ist anstrengend, man muss halt sehr Acht geben, dass man nicht umknickt. Ein starker, ja fast Gegen-Sturm bläst mir entgegen. Ich merke dass ich Probleme mit den Augen bekomme. Meine Augen sind nach meiner Erkrankung 2019 immer noch recht empfindlich und so schreite ich mit dicker Sonnenbrille und Mütze weiter voran, bergauf, den Ort kann ich schon von weitem erkennen. Auf den Feldern wächst Mais, Sonnenblumen und auch Knoblauch, ein leichter Duft ist zu vernehmen, die Pflanzen sind aber allesamt noch klein. Der Text aus meinem Wanderführer dazu erheitert wenig. Diese werden nämlich an die Gänse verfüttert, aus denen dann die Gänsestopfleber produziert wird. Hier im Süden Frankreichs wird viel davon produziert, Foie Gras, wie es heißt, ist hier eine Delikatesse. Die Art und Weise wie mit den Tieren umgegangen wird ist ein absoluter Horror und unerträgliche Tierquälerei. Bei dem Gedanken könnte ich brechen und versuche diese Gedanken von mir zu schieben, denn die Landschaft ist einfach nur wunderschön. Gelingt mir aber nicht immer. Also ich werde hier sowas bestimmt nicht essen, geht gar nicht. In vielen Ländern ist diese Mastform verboten, besser ist es. Aber gut, andere Tierhaltung ist auch schlimm, da ist Deutschland auch nicht der Hit, das muss man einfach jetzt auch mal sagen.
Ich gehe den Berg hoch, eine grüne Linie im Miam, Miam Dodo. Hmm, naja, wenn sie meinen. Ich komme ziemlich k.o. im Ort oben an, es ist recht kühl und ich brauche Pause und was zu essen, da gehe ich doch gleich mal in die geschützte Kirche, die Tür steht offen, toll, und was sehe ich da? Nix Kirche, ist eine Ruine mit schönem Blick auf die umliegenden Berge, halb zerfallen und ziemlich zugig, dumm gelaufen würde ich mal sagen. Es gibt auch nichts zum hinsetzen, so gehe ich wieder raus und setze mich auf eine Bank auf den Platz davor. Die Sonne kommt doch etwas hinter den vielen Wolken hervor, das ist schön warm. Eine kleine Gruppe Menschen geht an mir vorbei Richtung Château. Ja das gibt es hier auch, hier soll auch eine Gîte mit dabei sein, schön ist es hier.
Die Sonne bleibt mir bis Miradoux hold, das erheitert mal wieder das Pilgerherz, schön. Ich gehe nach der Pause aus dem kleinen Ort raus, eine Straße und dann den zugehörigen Grasweg entlang.
Dann passiert genau das, was ich vermeiden wollte, ich knicke um. Oh Schmerz, nicht gut! Ich halte inne und gehe langsam weiter, jetzt aber die Straße nehmen. Das ist echt blöde, das mit den Grasnarben geht gar nicht, doof. Ein leichter Schmerz im Fußgelenk begleitet mich jedoch. Das heißt dann wohl nachher schön in einen Voltaren-Salbenverband packen, fest wickeln. Ich hoffe nicht, dass das zu einen Problem wird, sowas kann ja echt auch zum Abbruch führen. Oh man!
Ich blicke zurück über eine wellige Landschaft mit diesen wunderbaren Farben von quietschgrün zu ockerbraun der Felder und oben auf dem anderen Berg: Flamarens, eine einsame Straße führt hindurch, hübsch sieht das aus und lenkt mich ein wenig von meinem schmerzenden Fuß ab.
Miradoux liegt auch oben auf dem Berg. Ich irre etwas im Ort umher, bis ich meine Gîte finde. Heute habe ich wieder ein Zimmer alleine, damit habe ich gar nicht gerechnet. Eine ältere gebrechliche Dame, leicht verpeilt, zeigt uns die Zimmer und geht uns langsam die Treppe voran. Hinter mir ein Herr, der in einem anderen Zimmer unterkommt. Michele und Karin kommen auch noch. Die beiden sind sehr langsam unterwegs, da Michele echt böse Blasenprobleme hat, Karin leidet unter Gelenkschmerzen. Oh da kann ich ja noch happy sein mit meinem Gebrechen. Ist schon spannend, was die Leute alle so haben, der Camino oder Chemin zollt seinen Tribut. Ich habe ein Zimmer ohne Fenster, das ist speziell. Es ist kalt und so frage ich nach einer Heizung. Sie wird mir später noch eine bringen, schön. Vorerst klaue ich mir den Heizlüfter aus dem Bad, da sind wir mal ganz egoistisch. Wenn’s um Heizung geht kann ich sehr egoistisch werden. Nun denn, später gebe ich den ja wieder zurück.
Sie hält auch Wort und so bin ich im meinem Zimmer wenig später fast gebraten, die Elektroheizung funktioniert gut :-) Ich schaue mir noch den Ort an und sitze dann noch lange neben der Haustüre auf einem Steinmäuerchen in der Sonne und esse Kekse. Karin konnte gestern noch mit unserer Dame klären, dass wir heute was zu essen bekommen, denn alles ist geschlossen und hier gibt’s nichts, doof mit den Feiertagen. Das Restaurant im Ort hat vorgekocht und uns was abgepackt, so können wir alle (die beiden aus Neuchâtel sind auch hier untergekommen) uns die Sachen in die Mikrowelle packen und haben schön was Warmes zu essen. Es gibt Kürbissuppe, irgendein Fleisch mit Erbsen und Kartoffeln und ein Stück Apfelkuchen, den ich mir für morgen aufhebe. Dazu gibt es eine Menge Wein, klar. Wir sitzen zusammen, es ist um einiges ruhiger als gestern und ich genieße es sehr. Mein Zimmer ist ganz gemütlich und urig und es ist warm. Oh ja und wie :-)
25.5.21
Miradoux nach Lectoure
18 km
Endlich wieder einkaufen!!! Jeder von uns wartet die Öffnungszeit der kleinen Épicerie von Miradoux ab. Ich shoppe ein paar Lebensmittel, nebenan in der Boulangerie noch Brot und Chocolatines, dann geht’s bei schönem Sonnenwetter los. Es ist immer noch windig, also Mütze auflassen. Es geht einen gut gemähten, schönen Wiesenweg über die welligen Berge entlang, ich bin vorsichtig, mein Fuß ist noch nicht in Ordnung, der zwickt noch etwas. Ich bin froh, dass ich in Lectoure eine Pause einlegen werde. Das mache ich ja meistens bei meinen Touren. Diesmal wird es in Lectoure sein. Gut für meinen Fuß und so hoffe ich, dass auch alles gut laufen wird, wäre ja sonst echt blöd.
Ich komme nach einer Weile in Castet-Arrouy an. Das Café gegenüber der kleinen Kirche ist geöffnet, es sitzen auch schon zwei Pilger am Tisch. Nee, nicht für mich, ist noch zu früh, bin ja erst fünf Kilometer gelaufen.
Ich begebe mich in die kleine geöffnete Kirche, die wirklich auch sehr beeindruckend ist. Ebenfalls schön bunt gehalten mit tollen Deckenmalereien, eine leise Musik ist zu hören, das finde ich immer schön. Einige Statuen von Heiligen stehen an den Seitenwänden, auch ist hier in der Ecke immer wieder Jeanne d’Arc mit zugegen, die scheinbar hier sehr verehrt wird, ebenfalls wohl als Heilige, und Jesus prangt oben an der Decke und hält seine Hände über alles, schön! Ich setze mich hin und bete.
Aus dem Ort raus geht es über saftig grüne Felder, die ersten sind sogar schon geerntet und die Heurollen liegen wild verstreut herum und es duftet nach Heu. Überhaupt sind die ganzen Düfte wunderbar. Die Vögel singen, die Feldlerche ist sehr präsent, aber auch Schwalben fliegen wild über dem Feld dahin, na und die Grillen sind sowieso mit dabei und zirpen was das Zeug hält. Wenn die Sonne scheint und es warm ist, dann noch viel mehr. Toll. Es ist Zeit für eine Pause, aber wo? Ich versuche es an einem Teich etwas abseits der Straße, an der es wieder einen Grasweg entlang geht, aber nichts möglich. Okay dann weitergehen. Neben den Mülltonen auf einen Weg? Nee, finde ich doof und außerdem möchte ich auch für mich sein. Endlich geht es von der Straße ab auf einen Weg, der leider etwas zu wünschen übrig lässt, denn durch den Lehmboden ist es matschig. Das Wasser sickert nur langsam ab. Ich habe mal wieder Plateausohlen, na super. Wo kann ich mich hinsetzen und sehe nicht danach aus wie ein Lehm-Modul? Ich finde endlich etwas abseits vom Weg an einem kleinen Bächlein ein Stück Wiese. Hier breite ich meinen Sarong aus und packe mich erst mal hin, Kopf auf den Rucksack, mein Kissen, und genieße die wärmenden Sonnenstrahlen. Im Hintergrund plätschert der kleine Wasserfall vor sich hin, Pause!
Auf geht’s nach Lectoure und das auf einem Sandweg, schön. So langsam lösen sich die Plateaus von meinen Sohlen, dann werden auch die Schuhe leichter. Leider sieht das mal wieder nach Schuhe putzen aus, nun denn, isso! Ich komme den Hügel runter in Obst-und Gemüsefelder hinein. Erdbeeren, Artischocken, Zucchini, alles dabei, toll.
Über die Landstraße geht es den Wiesenweg weiter. Die Sonne ist nun wieder voll zugegen und ich kann die Jacke ausziehen und laufe nun im T-Shirt den Weg über die Hügel. Ich kann Lectoure schon oben auf einem Berg thronend sehen, auch der eigenartig aussehende Kirchturm der Kathedrale ist nicht zu übersehen.
Eine letzte Pause direkt auf dem Wiesenweg neben den Feldern mache ich noch, dann geht es den Berg hoch, schnauf! Ich komme in den Ort und direkt an den Friedhof, das ist großartig, denn einerseits habe ich Durst und trinke den halben Wasserhahn aus, zum anderen sieht das klasse aus mit dem Friedhof am Abhang und dem weitschweifenden Blick in die Berglandschaft drumrum. Und das alles in schönen quietsch-oder kreischgrün :-) Ich denke man kann sich vorstellen was ich meine :-) Ich ruhe mich etwas aus und mache mich dann auf mein Hotel zu suchen.
Ich werde die zwei Nächte im Hotel übernachten, dann kann ich ganz für mich sein, das ist schön. Anne-Sophie begrüßt mich an der Haustür, wir gehen einen langen dunklen Gang hinunter zu einem kleinen Innenhof. Hier sitzen wir, reden etwas auf französisch-englisch, ich trinke ein erfrischendes Wasser mit Grenadine, das gibt es hier sehr häufig bei der Ankunft. Schmeckt mitunter sehr lecker. Ich beziehe mein Zimmer. Wow, was ist das denn für ein Hammer? Groß und noch mit vorhandener Coin cuisine, also Kochecke, einen großen Tisch, einen tollen Kamin mit zwei Sesseln, na wenn das nicht ein toller Ort ist um zu bleiben. Gekommen um zu bleiben, sage ich da nur. Essen gibt es nicht, aber das ist kein Problem, denn ich habe ja eine Küche, somit kann ich mir alles selber machen, bzw. gegenüber gibt es ein Pizza Take away, jo! Pizza, da habe ich richtig Bock heute drauf. Ich drück ihr meine Wäsche in die Hand. Sie erledigt alles und bringt mir später die Wäsche trocken und zusammengelegt aufs Zimmer, was für ein Service, toll. Die verdreckten Schuhe muss ich aber selber schrubben, die trocknen nun auf der Bad-Heizung.
An der Wand hängt ein beeindruckendes Schwarz-weiß-Foto von Lectoure mit den schneebedeckten Pyrenäen im Hintergrund, ob ich die hier schon sehen werde? Toll sieht das aus. Ich dusche, mache mir einen Kaffee mit ein paar Keksen und gehe dann raus mir den Ort anschauen. Das Wetter ist großartig und der Ort auch, ein super Ort zum Pause machen, da habe ich mir echt den richtigen ausgesucht. Mein erster Gang geht natürlich auf die andere Seite des Ortes mit Blick auf die leider nicht vorhandenen Pyrenäen, da muss ich mich wohl noch ein bissel gedulden, sind ja auch noch etwas entfernt von hier. Das Bild war ein besonderer klimatischer Moment, der ganz selten ist, sagte mir Anne-Sophie. Aha, jetzt ist dieser Moment jedenfalls nicht.
Die Altstadt von Lectoure ist geprägt mit malerischen Gassen, gesäumt von Fachwerkhäusern und Villen aus dem 18. Jahrhundert, hübsche helle Häuser, kleine Cafés, das ein oder andere Restaurant. Auf der einen Seite befindet sich die Kathedrale, auf der anderen das ehemalige Château des Comtes d´Armagnac, wo sich heute diverse Antiquitätenläden darinnen befinden. Auch Teile der hohen Stadtmauer sind noch zugegen.
Ich erledige alles was es zu erledigen gibt, Geld muss her, Abendbrot muss her, Frühstück für morgen muss her. Wenig später, geduldig auf meine Pizza wartend kommen mir Michelle und Karin entgegen und fallen mir in die Arme. Na das ist ja mal eine nette Begrüßung. Sie werden hier ihre Tour beenden und morgen nach Hause fahren, wollen noch ein Abschlussessen im unweit entfernten Restaurant zu sich nehmen. Morgen werden Karin und ich uns dann treffen und noch ein bissel Zeit verbringen, denn sie fährt erst später mit dem Bus nach Agen und dann mit dem Zug nach Paris. Karin ist hellauf begeistert, dass wir morgen Zeit zusammen verbringen, ich bin etwas verhalten, sage ihr aber zu.
Mit meiner tollen Pizza mache ich mich auf ins gegenüber liegende Hotel, was Gott sei Dank total zentral liegt und genieße mein Abendessen in meiner tollen Bude. Die Fenster sind geöffnet, die Stadtgeräusche dringen an meine Ohren, schön finde ich das alles und fühle mich wohl. Es gibt wunderbares WLAN, das ist ja auch nicht zu verachten. Meine Facebook-Bekanntschaft Elisabeth, die ja nun auch schon unterwegs ist und in Turboschritten hinter mir herkommt entscheidet sich ihre Tour zu ändern und auf meine abzustimmen. Ich sende ihr meine Unterkünfte und regle auch noch das ein oder andere telefonisch und buche sie teilweise in mein Zimmer mit dazu. In Aire-sur-l’Adour werden wir dann aufeinandertreffen. Ich finde das großartig, auch dass sie tatsächlich ihre Tour ändert, sogar ihren Zug nach Hause hat sie umgebucht. Ein bissel muss ich ja grinsen, weiß ich doch, dass sie dieselbe Not hat wie ich. Nach einer Weile nur französisch möchte man doch auch andere Kontakte haben, es ist eben nicht leicht alleine unter vielen zu sein, ich kenne das ja gut und kann das gut nachvollzeihen. Ich freue mich sie live kennenzulernen, wir tauschen unsere Nummern aus.
Was mir aber noch Sorge macht ist mein Fußgelenk, denn es tut immer noch weh, heißt, morgen werde ich es geruhsamer angehen lassen, sonst kann es doch noch zum Abbruch kommen und das wäre echt schade. Also wieder einen schönen Verband rumgepackt und dann ab in die Heier in meinem Riesen-Hotelzimmer mit Riesen-Bett und Riesen-Bettdecke, toll.
25.5.21 Ein Tag in Lectoure
Ein schöner Tag bricht an.
Ich öffne die Fenster und mache die Fensterläden auf, schaue in die Rue Nationale unter mir. Der Kaffee kocht, das Baguette toastet auf dem Toaster und im Kühlschrank befindet sich alles für das Frühstück. Marmeladen, Butter, Orangensaft, Jogurt, die Klassiker, die es immer gibt. Aber die Marmelade ist lecker, der Jogurt wird mit eben dieser zu einem leckeren Fruchtjogurt und es gibt reichlich Kaffee, das ist sowieso das wichtigste.
Ich treffe mich unten an der Pizzeria mit Karin. Nun geht es auch wieder auf Englisch, das ist wunderbar. Wir gehen durch den Ort, sie möchte noch Mitbringsel einkaufen und so landen wir im ein oder anderen Lädle. Es gibt viele schöne kleine Shops mit Leckereien, Wein, schicke Klamotten. Das Delikatessengeschäft lassen wir nicht aus. Unter vielem Käse, französischer Salami, Wein, Armagnac gibt es auch Gewürze, Pasteten aller Art und leider eine ganze Menge Foie gras, bäh.
Wir besuchen die ehemalige Kathedrale Saint-Gervais-et-Saint-Protais mit seiner hohen Decke, den vielen hübschen Seitenaltären und den beeindruckenden Fenstern. Natürlich darf auch Jesus nicht fehlen, der auf sein Herz zeigt. Klar worum es hier geht gell? Man sieht nur mit dem Herzen gut, fällt mir da ein, das hat ein Franzose gesagt: Antoine de Saint-Exupéry, der das Buch über den kleinen Prinzen geschrieben hat. Wie wahr!
Lectoure war schon im Mittelalter ein bedeutender Pilgerort und ist eine der ältesten Städte im Département Gers, so so. Wir setzen uns noch draußen in ein nettes Café mit Aussicht ins Tal, quatschen ein bissel, dann bringe ich sie zum Bus. Wir umarmen uns und ich winke ihr noch hinterher, bis der Bus ums Eck verschwindet. Nun bin ich wieder alleine und gehe zurück zum Hotel, bin müde und lege mich ein bissel aufs Ohr.
Bei einem Kaffee plane ich meine weiteren Buchungen, denn die habe ich noch nicht alle durch. Ich telefoniere alle ab, gibt keine Probleme, läuft alles super. Danach ist Karten schreiben angesagt, habe ja Zeit und es gibt tatsächlich einige schöne hier im Ort, da freuen sich die Lieben zu Hause. Es kommt eine Gruppe von 12 Franzosen ins Hotel, Halligalli ist angesagt, die Ruhe ist vorbei. Oh oh, na das kann ja was werden, die werde ich wahrscheinlich nun häufiger sehen, sie fangen hier an und werden morgen dann auch unterwegs sein. Puh!
Ich überlege, essen gehen oder hier essen? Ich entscheide mich für hier und hole mir im gegenüberliegenden Magasin du Vin einen leckeren Château Montus aus dem 80 km entfernten Castelnau-Rivière-Basse, ein nicht ganz günstiger schwerer Rotwein, den mir der Herr im Laden empfohlen hat. Hmm! Somit gibt es für mich heute frisches Baguette mit Fromage und Saucisson, dazu eben der leckere Vin, noch ein paar Leckereien zum Nachtisch, was will man mehr?
Ich gehe abends noch mal runter in den Ort, spaziere durch die engen Gassen und komme am anderen Ende am Château an und schaue bei langsam untergehender Sonne in die schöne Landschaft hinunter. Das nenn' ich mal Ambiente:-)
Es ist Zeit, um 21 Uhr ist Couvre-feu, Sperrstunde. Noch sitzen die Leute draußen in den Brasserien und Restaurants, sieht alles sehr entspannt aus, aber kurze Zeit später ist Aufbruchstimmung. Hmm, so ist das halt, kann man nichts machen. Die 21-Uhr-Sperrstunde wird uns noch eine Weile erhalten bleiben, denn es gibt einen stufenweisen Ausstieg aus dem Lockdown. Nun isso! Mir soll es egal sein, ich bin müde, mache die Fensterläden zu, bandagiere mein Fußgelenk und lege mich ins Bett zum Hörbuch-Hören. Gute Nacht! Bonne nuit!
27.5.21
Lectoure nach La Romieu
21 km
Endlich wieder losgehen, ich freue mich total. Auch meinem Fuß geht es wesentlich besser, das ist prima. Nach einem wundervollen Frühstück schultere ich meinen Rucksack und laufe geradewegs in die Horde mit den 12 Pilgern meines Hotels, shit! Das hatte ich jetzt nicht auf der Rechnung, ich hätte früher losgehen sollen. Nun, so gehen eben einige viele Leute die Rue National runter zum Château, am Springbrunnen vorbei und hinter das Schloss auf die Aussichtsplattform.
Ich bitte einen von ihnen ein Foto von mir zu machen, dafür ist’s ja gut, Der Blick reicht weit in die Ebene und das bei strahlendem Sonnenschein, wie schön. Es geht steil vom Stadtberg runter.
Wir überqueren das Flüsschen Gers, welches dem Département seinen Namen gab, dann geht’s ins Dickicht, einen schmalen Weg entlang mit laut schwatzenden Menschen um mich rum. Oh man, ich muss mir irgendetwas überlegen. Ich bleibe stehen und warte, aber der ein oder andere bleibt auch stehen und steht da so. Ich komme hier nicht aus der Meute raus.
Als es dann raus auf die Felder ging packe ich mich auf einen Strohballen unweit des Weges und warte dort sitzend einfach ab, lies alle vorüberziehen. Als es dann ruhiger wurde und ich keinen mehr sichtete gehe ich los. Ich hatte nur noch eine einzelne, einsame Pilgerin vor mir, das war's. Es geht über welliges landwirtschaftliches Land. Die Feldlerche zwitschert in der Luft stehend vor sich hin und es duftet nach Heu, frischem Gras und Erde.
Nach ca. 10 Kilometern kommt Marsolan in Sicht, da werde ich Pause machen. Ich komme in den netten Ort, der von einer kleinen, leider geschlossenen süßen Kirche überragt wird und direkt am kleinen Café in die nächste Bambule rein, setze mich aber abseits auf ein Steinbänkchen bei der Kirche und esse was, lüfte Füße. Der ein oder andere kommt auch hier vorbei, wir schnacken etwas.
So langsam wird es im Café leerer und ich hole mir Wasser und gehe zur Aussichtsplattform. Eine Frau sitzt auf einer Bank und liest ein Buch, ich stehe da und schaue von hier oben ins Land, ist das alles hübsch! Ganz anders als letztes Jahr, klar, das Zentralmassiv liegt hinter mir, aber auch sehr, sehr schön mit den vielen Feldern im Patchwork-Stil. Ein Hinweisschild besagt, dass es sich hier um die Landschaft der Lomagne handelt. Aha!
Durch enge, hübsche Gassen, hier und da mit Rosenbüschen umsäumt geht es bergab ins Tal, um kurz danach wieder den Berg hoch zu gehen. Lautes Krötenquaken ist zu hören, als ich an einem blau-grünlich schimmernden Teich vorbei gehe, ich bleibe stehen, das Quaken hört auf. Ich fühle mich beobachtet von diverse Krötenaugen. Nun, will nicht weiter stören, ich setze meinen Wiesenweg durch die Getreide-und Erdfelder fort, bin achtsam mit meinem Fuß, das mir nichts mehr passiert, das wäre jetzt übel.
Aber man mag es gar nicht glauben, kurze Zeit später bin ich tatsächlich noch mit dem anderen Fuß umgeknickt. Fluchend wütete ich über die doofen Grasnarben. Aber hier entpuppte sich das nicht als ein großes Problem, der Schmerz ging schnell vorbei. Man, da muss man echt vorsichtig sein. Ja ja, jeder hat so seins, dafür habe ich keine Blasen. Auf schneeweißen Kalkstein-Wegen geht es in mittlerweile brütender Sonne über die Berge.
Puh, ich mache abseits vom Weg auf der Wiese eine lange, ausgiebige Pause, um mich dann Richtung La Romieu aufzumachen, wo ich ein Chambre d’Hôtes gebucht hatte, bin gespannt. Es geht an Pflaumenplantagen vorbei, ganz viele kleine, grüne prunes (Pflaumen) hängen an den Ästen, aus denen werden Pruneaux (Trockenpflaumen), lecker. Es animiert mich doch glatt zu einem neuen Song als ich da so durch die Plantagen schlendere und über Trockenpflaumen nachdenke, die ja bekanntlich die Verdauung fördern:
Je dit pruneaux, pruneaux,
das macht uns wirklich froh.
Hier ein prune und da ein prune, pruneaux, pruneaux.
Je dit pruneaux, pruneaux,
das macht uns alle froh.
Hier ein prune und da ein prune, dann klappt es sowieso!
Was für eine schöne Liedkreation, ich bin begeistert und lobe mich selbst, als ich in der Ferne schon den eigenartig aussehenden Kirchturm der Stiftskirche St. Pierre ausmache. Sie sieht wirklich sehr, sehr alt aus. Ich gehe direkt auf sie zu und in den kleinen Ort rein. Eigentlich ist La Romieu ein Umweg, man könnte auch einen direkten daran vorbei wählen, wäre aber schade, denn es hat viel zu bieten.
Aber vorerst bin ich auf der elenden Suche nach meiner Pension, finde sie einfach nicht und gehe nochmal zur Touriinfo. Die Dame hilft mir weiter und so entdecke ich das Haus hinter diverse Baggern einer Baustelle und muss abenteuerlich über einen Graben gehen, Baulärm umgibt mich. Meine Begeisterung hält sich in Grenzen. Christine, die Betreiberin der Pension, steht schon an der Tür und begrüßt mich, geht mit mir durch ein chaotisches Wohnzimmer mit viel Kunst an den Wänden und Büchern in Regalen, so leicht französisch chaotisch. Diesen Eindruck macht die Dame selbst auch, ich muss in mich rein grinsen. Sie ist aber sehr nett. Ich wohne im ehemaligen Kinderzimmer der Tochter unterm Dach, ebenfalls mit Kunst an den Wänden, Schulbüchern und Diercke Weltatlas in den Regalen, interessant.
Nach der Dusche mache ich mich wieder auf in den Ort, da ich noch zur Kirche und dem Kreuzgang möchte, bevor die zu machen. Man kann sogar auf den Kirchturm raufklettern, na Mensch, das lasse ich mir nicht zweimal sagen, obwohl meine Beine langsam schlapp machen.
Aber oben angekommen werde ich mit einem herausragenden Blick über die Dächer von La Romieu und der umliegenden Landschaft beglückt. Das ist wirklich großartig.
Eine schmale Wendeltreppe führt wieder hinunter in die Kirche, die mit beeindruckender Decken-und Wandmalerei aufwartet.
Draußen umrunde ich noch den schönen Cloître. Auch diese wunderbare Kirche aus dem 14. Jahrhundert steht auf der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes, wundert mich nicht. Unten angekommen gehe ich erst mal auf ein Bier rüber in die Brasserie und wer kommt mir da entgegen? Die Horde aus meinem Hotel in Lectoure. Nun, morgen werde ich es anders machen, da gehe ich einfach früher los, ja! Das Bier ist wunderbar und erfrischend. Ich schaue mir das Treiben auf dem Marktplatz an, im Hintergrund läuft amerikanische Countrymusik, die Menschen sind ausgelassen, schön ist das.
Ich finde das hat schon hier alles einen sehr mediterranen Eindruck, die Palmen stehen in den Gärten, die schönen Häuser aus hellem Gestein, Blumen überall, Bananen und…
…Katzen.
Die Legende besagt, dass es wohl im 14. Jahrhundert hier mal eine Hungersnot gab und die Bewohner die Katzen des Ortes gegessen haben. Ein Mädel, Angéline, rettete ein Katzenpärchen, welches Junge bekam. Und als die Hungersnot vorbei war, haben sich wegen der fehlenden Katzen die Ratten ausgebreitet. Sie ließ ihre Katzen frei und sie befreiten das Dorf von den Ratten. Somit sind hier, wer genau hinschaut, überall Katzenskulpturen zu entdecken. Spannend!
Im Garten meiner Pension setze ich mich an den Tisch und nehme mein Abendbrot zu mir. Es ist schön warm, ich bin schön entspannt, schreibe noch ein wenig, als zwei Herren, die auch hier wohnen in die Küche, die übrigens genauso chaotisch aussieht, kommen und kochen. Sie heißen Pierre und Bruno, wir reden ein bissel auf Französisch und sie geben mir noch den Rest ihrer Spagetti ab, das ist ja mal nett und lecker. Ich bedanke mich und mache mich auf den Weg nach oben in mein Diercke-Weltatlas-Kinderzimmer.
28.5.21
La Romieu nach Larressingle
22 km
Frühstück um 7 Uhr, Pierre und Bruno sitzen mit am Tisch. Es gibt mal wieder extrem süße Marmeladen auf hartem Baguette. Nun denn, aber der Kaffee ist gut. Ich mache mich auch sogleich auf den Weg, noch schnell an der Boulangerie vorbei und dann La Romieu adé. Weit und breit ist niemand zu sehen, ich bin vor der Horde unterwegs, das ist wunderbar und ich singe fröhlich im Sonnenschein bei angenehmen Temperaturen eine Strophe aus „Lobet den Herren“:
Gib, dass wir heute,
Herr durch dein Geleite,
auf unsern Wegen
unverhindert gehen.
Und überall in Deiner Gnade stehen.
Lobet den Herren.
Das passt gut.
Es geht einen Wiesenweg umsäumt mit quietschgrünen Gerstenfeldern von der Straße ab Richtung Castelnau-sur-l’Auvignon, was für ein beeindruckender Name. Der Ort liegt oben auf einem Berg. Ich steuere geradewegs auf den Wasserhahn zu und schütte ordentlich Wasser in mich rein, das muss erst mal für die nächste Zeit reichen, Wassertrinken in Etappen. Pierre und Bruno überholen mich und gehen geradewegs in die Kirche und beten. Das finde ich ja wunderbar, dann bin ich nicht die einzige Betende hier auf dem Weg, schön! Daneben steht das Denkmal, welches an die Kämpfe zwischen Deutschen und Franzosen im 2. Weltkrieg hier erinnert. Da wurde mal wieder einiges zerstört und getötet. Hmm, irgendwas draus gelernt? Ach, lassen wir das :-(
Wir irren etwas durch die Gegend, finden dann aber den Weg. Die beiden laufen vorneweg, ich hinterher, bin gemächlicher unterwegs. Der Tag ist schön, ich fühle mich gut, und die Horden sind sicher noch um einiges hinter mir. Ich sollte sie heute tatsächlich auch nicht entdecken. Nun, mir ist’s recht. Grüne Felder wechseln sich mit ockerfarbenen ab, auch kommen die ersten Weinberge in Sicht, auch in leuchtenden Grün mit kleinen grünen Traubendolden dran, hübsch
Es geht runter zu einem See, dem Lac de Bousquètara, das ist doch mal was. Seen gab es ja nur wenige auf meinem Weg durch Frankreich. Daneben ist eine abgemähte Wiese, es duftet wunderbar nach Heu und es ist Zeit für eine Pause. Ich packe mich einfach auf eine Anhöhe mitten ins Heu und genieße meine Chocolatines und den Anblick von dem ein oder anderen am See entlanggehenden Pilger. Ruhig ist es, idyllisch, einfach nur schön.
Im Heufeld am schönen See und der nun brettharte Boden, der große Risse aufweist und aussieht, als ob es hier nie geregnet hätte
Heute geht es nach Condom, noch so ein komischer Name, hat wohl aber mit den Präservativen nichts zu tun. Nun denn, auf geht’s einen schnurgeraden Weg entlang. Ich überlege wo denn jetzt die Pyrenäen sein müssten und schaue nach links. Oh, da kann ich sie in der Ferne im Dunst erkennen, ganz klein, aber immerhin. Ich gehe ja nun nach schräg links unten, heißt, immer mehr auf die Berge zu, ich bin schon gespannt wie das alles so mal aussehen wird. Nun stehe ich aber vor einem netten Stein, die Leute aus Condom, die Condomer oder so, begrüßen den Pilger, das ist doch mal nett: Les amis de la marche de Condom vous saluent. Nett!
Vor mir läuft ein einsamer Herr, es macht den Anschein, dass er auch einsam bleiben will, er legt einen Zahn zu, mir ist’s recht. Und oh, ich muss pieschern, hmm! Weit und breit keine gute Gelegenheit. Nun was solls, ich packe mich also neben das Feld mit Blick auf die Stadt in der Ferne und hoffe, dass keiner vorbei kommt. Glück gehabt, wäre echt peinlich! Unten im Tal kann man die Stadt auch schon ausmachen, nicht zu übersehen ist der Turm der Kathedrale St-Pierre.
Ich komme über einen schmalen Weg direkt in die Bambule und auch an einem Hinweisschild vorbei: Maske tragen! Okay, hier ist wohl coronatechnisch mehr los. Nun gut. Es ist unheimlich warm und mit der Maske sehr mühevoll. Ich lasse sie erst mal weg und setze sie dann in der Altstadt auf, das ist echt zu heavy sonst.
7000 Einwohner zählt die kleine Stadt und hat eine lange Geschichte hinter sich, ist also sehr alt. Ich gehe durch die engen Gassen, in Cafés sitzen Menschen und unterhalten sich, die Sonnenschirme sind aufgeklappt, kleine Lädchen links und rechts. Ich gehe geradewegs auf die Kathedrale zu und was steht davor? Eine Skulptur vom Herrn d’Artagnan und seinen drei Musketieren Athos, Porthos und Aramis. Sowas finde ich wieder klasse. Der Herr ist wohl in der Gascogne geboren und somit verehrt man die vier mit eben dieser Statue. Davor wiederum steht der Herr, der alleine vor mir her ging. Nun sind wir zu zweit, was eine gute Sache ist, denn wir machen Fotos voneinander mit eben diesen vier Jungs, die ein bissel groß geraten sind, aber toll. Ich verabschiede mich und gehe in die Kathedrale, die mit den vielen filigranen Steinarbeiten beeindruckt, vor allem Rund um den Altar, mit vielen Statuen von Heiligen anbei. Es ist still und kühl, angenehm nach dem Trubel draußen.
Ich begebe mich hinter die Kirche an einen kleinen Platz mit einer Bank und mache hier meine Mittagspause. Aber so ein Kaffee wäre doch auch noch was, denke ich so bei mir. Ich mache mich auf die Suche, finde ein Café und setze mich an einen freien Tisch, werde aber von der Kellnerin darauf hingewiesen, dass die alle reserviert sind. Ich könnte mich aber zu dem Herrn da drüben setzen, worauf ich wiederum keine Lust habe. Okay, dann soll es so nicht sein. Ich gehe noch rein, frage die Frau an der Bar, ob sie meine Trinkflasche auffüllen kann. Sie hat da ein Problem mit, weil ich ja nichts verköstige, was ich ja eigentlich wollte, aber es ist ja kein Platz frei. Es wird ein ordentliches Gerede als dieselbe Kellnerin von eben nochmal reinkommt. Nein das können sie dann so nicht machen mit dem Leitungswasser, bla bla. Ich bin völlig genervt, sowas habe ich ja auch noch nicht erlebt. Ich will ja nur Wasser aus dem Wasserhahn haben und keinen Champagner umsonst. Völlig genervt lasse ich die blöden Kühe stehen und gehe rüber zu einer Brasserie, der Herr hinterm Tresen hat überhaupt kein Problem damit. Das Wasser ist schön kühl, ich bedanke mich und will nur noch weg her.
Condom ist sicher schön, ist es ja auch, aber ich war nur noch genervt und stapfe von dannen, über die Brücke, die den Fluss La Baise überspannt und dann einen schönen Wanderweg an eben diesem Fluss entlang. Die Stadt entfernt sich, es wird ruhiger und auch ich habe mich wieder beruhigt. Es ist heiß geworden, ich bin erschöpft. So packe ich mich an einen Rastplatz einfach auf eine Bank, ziehe die Schuhe aus und döse da so vor mich hin. Der ein oder andere Pilger zieht an mir vorbei, wir grüßen und ich döse weiter.
Es geht an viel Wein vorbei, wir befinden uns im Land das Armagnac. Der Armagnac ist das Pendent zum Cognac, also ein Weinbrand, der in den Départements Gers, Landes und Lot-et-Garonne hergestellt wird. Und ich werde noch einiges mehr davon in Erfahrung bringen im weiteren Verlauf, ja, ja!
Es geht bergauf, puh. Heute bin ich doch froh, wenn ich ankomme. Es gibt nicht viele Unterkünfte hier in der Ecke um Larressingle, aber ich komme unweit vom Jakobsweg in einer Gîte auf einem Bauernhof unter. Ich biege also vom Weg ab, gehe einen kleinen Trampelpfad entlang und lande inmitten einer Horde Leute, die inklusive Hund vor einem Haus sitzen. Ich frage, ob das hier die Gîte ist, meine Laune sinkt gewaltig. Die eine Frau meinte, dass ich sicher den Berg noch runter zum Haupthaus gehen muss, da ist noch eine Gîte. Das mache ich dann auch. Ein etwas wie ein Waldschrat aussehender Bauer kommt auf mich zu, es ist Mr. Carrière, der mich zur Gîte begleitet und mir mein Zimmer, eine Treppe höher, zeigt.
Aha, Zimmer kann man es nicht wirklich nennen, denn es ist nur durch einen Vorhang verschlossen. Okay, gewöhnungsbedürftig. Unten steht ein großer Tisch, eine kleine Küchenzeile und ums Eck ist die Dusche, die auch etwas speziell aussieht. Er stellt mir Wasser, Grenadine und einen Armagnac auf den Tisch, ich kann mich bedienen. Dann verlässt er die Bude wieder. Der Rucksack und die Schuhe bleiben unten, also ist sortieren angesagt. Die beiden Rucksäcke von Pierre und Bruno liegen auch schon da, die sind sicher noch nach Larressingle gelaufen, denn das soll ein Ort sein, den es lohnt sich anzuschauen. Nicht für mich, bin im Eimer. Ich versuche mich also mit der Situation zu arrangieren und dusche erst mal, mache mir einen Kaffee, mit einer total verkalkten Kaffeemaschine, es dauert Ewigkeiten. Der Kaffee ist aber gut.
Zwei Frauen kommen zur Tür rein, sie kommen auch hier unter. Die eine schaut sehr entgeistert, ist auch not amused. Ich find’s mittlerweile okay. Ich sage ihr, dass es speziell ist, aber der Kaffee ist gut und nach der Dusche wird’s sowieso besser. Am Ende wird es doch immer gut. Sie steht unschlüssig im Raume. Tja Madame, nun muss du dich aber leider damit arrangieren, denn sonst ist hier nichts. Die Bude sieht ein bissel so aus wie der Waldschrat selbst, etwas schmuddelig. Nun denn, was soll's. Ich wasche Wäsche, hänge sie draußen in der Sonne auf die Wäscheleine und muss aufpassen, dass ich nicht auf die umher watschelnden Enten trete, die hier überall rumlaufen, Bauernhof halt!
Ich sitze draußen auf einem Stuhl im Schatten, Beine hoch, trinke Kaffee und esse Kekse. Die Enten kommen des Weges und trinken Wasser aus einem Eimer zu meinen Füßen. Oh nee, das Wasser sieht oll aus. Ich nehme geradewegs den Eimer und schütte alles weg und gebe den Damen frisches Wasser, das finden sie auch gut. Nun fühle ich mich wieder fit und entscheide mich doch noch nach Larressingle hochzugehen, das ist so einen Kilometer entfernt und ich habe noch Zeit. Pierre und Bruno kommen gerade von dort zurück und empfehlen es mir wärmstens.
Ich gehe die kleine Straße den Berg hinauf. Larressingle ist eine „Plus beau village de France“, wie mir ein Schild mitteilt, neben diverse anderen Schildern, total der Schilderwald. Es ist eines der besterhaltenden befestigten Dörfer der Region, sagt mein Wanderführer, der Ortskern ist aus dem 13. Jahrhundert und von einem Mauering umgeben.
Man kommt durch ein großes Tor hindurch, darinnen ein kleiner Platz mit einer netten Brasserie, Leute sitzen draußen und trinken Bier. Es ist sehr klein und überschaubar, ich gehe erst mal in die hiesige Kirche, die vom Inhalt eher übersichtlich ist, aber irgendwie schön. Kerzen sind an der einen Seite angezündet. Ich nehme mir auch eine, zünde sie an und bete für eine Freundin von mir, das hatte ich ihr versprochen. Der Ort ist schnell angeschaut, süß ist er. Ich setze mich an einen Tisch, bestelle mir auch ein Bier und schreibe, fühle mich wohl.
Auf dem Heimweg werde ich von einer Frau aufgehalten: ob ich denn Pilgerin sei. Ich bejahte. Sie meinte, dass da ein Herr ist, der ist auch Pilger, ist total fertig, kann nicht mehr weiter und ob ich eine Unterkunft weiß. Ich gehe zu dem Herrn hoch, der auf einer Steinbank sitzt. Er heißt François und hat mächtige Blasen an den Füßen, es schmerzt gewaltig und mit dem Weg hat er sich wohl verschätzt. Ich gebe ihm die Nummer vom Ferme (Bauernhof) wo ich untergekommen bin. Er ruft an und kann dort auch übernachten und ist überglücklich. Die Frau kommt mit einem Bulli zu uns gefahren, lädt uns beide ein und ich lotse uns wieder runter zum Bauernhof. Da habe ich wohl jemanden glücklich gemacht, das macht auch mich wiederum glücklich.
Wir sollten uns später im Hof zu einem Aperitif einfinden. Ich ahnte schon schlimmstes. Viel Gerede und wenig verstehen. Aber aus dem Aperitif wurde dann eine Dégustation von…
…Armagnac, denn unser Waldschrat ist Weinbauer (mitunter) und hat Weinberge, die eben für den Armagnac genommen werden, den er dann auch selber brennt. Die Truppe des Hauses oben auf dem Berg und wir von der Hütte unten sitzen zusammen im Eingangsbereich des Weinkellers, bekommen jeder ein kleines Glas in die Hand gedrückt und dann geht’s los.
Es wird eingeschenkt. Wir probieren den ersten Armagnac, lecker, dann einen anderen, dann einen noch anderen. Dazu redet er ohne Unterbrechung über die Herstellung von eben diesem Getränk. Da wir noch nicht gegessen haben, sind wir mittlerweile ziemlich angeheitert. Wenn das so weitergeht bin ich völlig breit. Dazu gibt es Flips. Nach einigem Probieren geht’s dann rüber zur Terrasse, wo seine Frau schon schön den Tisch gedeckt hat. Ich sitze mit Pierre und Bruno an einem Tisch, die mir tatsächlich jetzt erst mitteilen, dass sie ja Businessmen seien und somit toll englisch können. Meine Freude ist enorm und so reden wir englisch zusammen. Es wurde ein toller Abend mit tollem Essen und natürlich mit Armagnac. Herr Carrière schenkte immer wieder nach, bis er dann mit einer Riesenflasche mit seinem Konterfei ums Eck kam, den er fürs Dessert, bestehend aus einem Stück Apfelkuchen, verwendete. Das war jetzt echt heavy. Ich versuchte ihn noch aufzuhalten, aber er war in seinem Element, so schmeckte der Kuchen jetzt nicht mehr nach Apfel, sondern nach Alkohol. Es wurde ein sehr lustiger Abend, kann man sich vorstellen. Mal sehen wie meine Birne morgen aussieht :-) Wir verabschieden uns und gehen dann jeder in seine Kojen. Was für ein Tag. Toll!
29.9.21
Larressingle
nach Lamothe/Pardeillan
21 km
So nach und nach kriechen wir aus den Kojen. Die beiden Jungs gehen als erste los, ich folge, die Mädels werde ich nicht wiedersehen. Und François, der Typ von gestern mit den Blasen, kommt mir später wieder in die Quere. Ich gehe erst mal wieder zurück auf den Jakobsweg und setze meinen Weg über die Pont d’Artigues fort, eine schon im 12. oder 13. Jahrhundert für die Pilger erbaute Brücke. Und sie steht immer noch, das ist doch mal Qualität. Somit gehört sie auch zum UNESCO Weltkulturerbe. Kurz davor besagt ein Schild, dass es von hier aus nun noch 1000 km bis nach Santiago sind. Wow, Hammer. Ich werde die 1000er-Marke knacken und nur noch eine dreistellige Zahl zum Pilgern haben. Das ist schon ein großer Moment für mich.
Ich gehe weiter, es ist bedeckt und von der Temperatur her angenehm heute. Oben auf einen Hügel sehe ich François stehen, der auf mich wartet. Oh nee, habe ich eigentlich gar keine Lust zu. So am Tage brauche ich jetzt keine anstrengenden französischen Gespräche, aber wir gehen gemeinsam weiter, bis sein Telefon klingelt und er lang und breit mit seiner Frau telefoniert. Ich verabschiede mich und gehe weiter, das brauche ich noch weniger. Schön ist es hier über die grünen Hügel zu gehen. Es sind vorzugsweise landwirtschaftliche Wege, die leider asphaltiert sind. Oder vielleicht auch zum Glück, wenn ich an den Lehmboden hier denke. Aber Asphalt ist anstrengend, nun denn. François holt auf und wir machen gemeinsam Pause im Gras und teilen unser Essen, das ist schön, und gehen dann gemeinsam weiter.
Es gibt kaum Berge, das ist angenehm. Wir kommen in Montréal-du-Gers an. Tja Montréal gibt's scheinbar nicht nur in Kanada, besser is, sonst hätte ich mich ja total verlaufen :-) Aber jetzt ist erstmal Shopping time. Irgendwie kommt mir François wieder abhanden. Ist auch gut jetzt mit zusammengehen, finde ich. Er ist ja sehr nett, aber für mich ist es nicht ganz leicht und auf die Dauer mit dem Französisch reden anstrengend. Ich kaufe alles ein, was ich zum Essen brauche, setze mich noch bei einfallendem Pieselregen überdacht in ein Café und warte ab. Die Kirche hier ist sehr dunkel, spricht mich nicht so an und so gehe ich wieder raus. Montréal ist schon speziell. Es gibt den zentralen Marktplatz und ein rechtwinkliges Wegenetz, sieht ein bissel so aus wie in New York, nur kleiner :-) Es gibt eine Stadtmauer, durch dessen Tor ich mich nun wieder nach draußen begebe und mich Füße lüftend auf eine Bank setze, als die Sonne sich so gaaanz langsam aufmacht durch die Wolken durchzukommen.
Es geht den Hügel, auf dessen Anhöhe die Stadt sitzt, runter und allein meiner Wege durch das grüne Dickicht, als ich an der Horde aus Lectoure vorbeikomme, die am Wegesrand Rast machen. Oh je, die habe ich schon von weitem gehört, die brauche ich ja nun überhaupt nicht. Ich grüße und mache mich schnell aus dem Staub. Da sind sie also wieder, okay, isso. Es kommen nun immer mehr Weinberge in Sicht. Hier wird fleißig für den Armagnac angebaut, schön sieht das aus mit den sanften Hügeln und die in geraden Linien angepflanzten Weinstöcke. François hatte mich zwischenzeitlich wieder eingesammelt und so gehen wir ein Stück gemeinsam über Politik redend, und das auf französisch, das soll mir mal einer nachmachen! :-) Aber wenig später verabschieden wir uns, ich möchte mich zur Pause auf die Wiese packen und alleine sein, er zieht seiner Wege durch die Weinberge und ward nicht mehr gesehen.
Nun zieht François alleine seiner Wege, ob er mit seinen Blasen in Santiago ankam, erschließt sich mir nicht, ich habe ihn nicht mehr gesehen
So durch die Weinberge, mittlerweile bei schönem Sonnenschein und T-Shirtwetter, gehend, kommt mir wieder ein neuer Song in den Sinn, mein Armagnac-Song:
Es gibt ne Menge Wein,
das ist doch klar,
daraus wird Armagnac, wunderbar.
Trink ich hier und trink ich dort
und trinke überall,
ja dann kannste mich vergessen, dann hab ich ‘n Knall!
Es gibt ne Menge Wein,
das ist doch klar,
daraus wird Armagnac, tralala,
Trink ich hier und trink ich dort
und trinke überall,
ja dann kannste mich vergessen, dann hab ich total ‘n Knall!
Jo!
Ich lege mich wenig später abseits zwischen die Weinstöcke und mache ausgiebig Pause. Dann geht es los zum Endspurt.
Wein soweit das Auge reicht
Heute werde ich auch vom Weg abkommend unterkommen, da es auch hier nichts anderes gibt, ich bin gespannt. In Le Bourdieu wird die Wegführung komisch. Ich kann das GR65-Schild nicht mehr finden, das ist ungewöhnlich, Komoot muss herhalten. Oh, zu weit gelaufen, also wieder ein Stück zurück. Da ist ein schmaler Pfad, das GR-Schild wurde fast komplett entfernt, was soll das denn? Nun mich kann so schnell nichts abhalten, ich nehme einfach diesen schmalen Weg runter zu einem kleinen Bach. Hier sind diverse Hürden zu nehmen. Viel Geäst liegt davor. Man hat das Gefühl, dass man hier nicht durchgehen sollte, egal, ich gehe trotzdem, und sehe dann schon von weitem den Turm von Lamothe. Merkwürdig. Nun die Auflösung folgte dann zugleich bei Ankunft in meiner Gîte. In Lamothe selbst gab es mal eine Gîte, die ist nun zu. Das macht es nicht leicht hier etwas zu finden. Ich gehe durch den kleinen Ort durch, über die Landstraße rüber noch ca. einen Kilometer weiter nach Pardeillan. Ich finde nichts groß angezeigt, irre die kleine Straße entlang und komme an einem Schild mit: Attention chien! Achtung Hund! Na toll und nun? Ich gehe nochmal zurück zum ersten Haus und klopfe an die Tür. Ein eigenartiger Herr kommt zum Fenster, ich frage ihn, aber er lotst mich wieder zurück zum „chien“-Grundstück. Okay, Mut zusammenfassen und los geht’s. Oben stehen zwei Häuser auf einer Anhöhe. Ich suche und rufe, keiner da, keine Antwort. Aber plötzlich wie aus dem nichts kommt Sabine ums Eck, ich bin erleichtert. Sie hat einen flippigen Hut auf und sieht leicht französisch, chaotisch, kreativ aus, ich muss schmunzeln. Sie kann super englisch und wir sitzen draußen wassertrinkend am Tisch und schnacken. Ich bin heute ganz alleine in der Gîte, das ist doch mal toll, ich habe das ganze Haus für mich und es kommt noch toller, es gibt einen Pool. Wie geil ist das denn?
Ich erzählte ihr von dem abenteuerlichen, eigenartigen Weg nach Lamothe. Sie ärgert sich sehr, denn da ist ein Typ, der da gerade hingezogen ist und der das gar nicht toll findet, wenn da Pilger langlaufen. Er versucht alles um den Weg zu entfernen und stresst ab. Es gibt da schon einige Diskussionen. Nun, ich lasse mich von sowas nicht beirren, ich gehe auch querfeldein wenn es sein muss, aber man ist schon irritiert. Sie suchen noch nach einer Lösung. Ich whatsappe Elisabeth, die ich ja bald treffen werde, wie die Lage ist, damit sie da keine Probleme bekommt. Wie dem auch sei, ich suche mir ein Bett aus, dusche und mache mich auf zum Pool, breite mich aus, setze mich in den Liegestuhl und trinke ein schönes gekühltes Bier. So kann man es sich gut gehen lassen. Was für ein wundervoller Ort. Ich wäre gerne baden gegangen, hätte ich auch gemacht, wenn die Sonne noch dagewesen wäre, aber leider zog es sich zu, dann war das nicht mehr so meine Ambition, aber die Füße bekamen was ab, ist doch auch was.
Katzentaktik: Anvisieren, dezent rüber greifen, verharren und so tun als ob nichts wäre und letztendlich zur Tat schreiten
Mein Abendbrot nehme ich mit frischem Salat und Spiegelei mit Reis draußen am Tisch beim Pool zu mir, es gibt dazu Wasser und Rotwein und eine süße Katze, die ganz unauffällig versucht an meinen Teller ranzukommen, ich muss echt lachen, süß. Als ich fertig aufgegessen hatte mache ich mich abends noch mal auf und laufe umher, möchte mir den Sonnenuntergang über den Hügeln anschauen. Das mit der Sperrstunde wird hier mitten in der Pampa sicher nicht überprüft. Somit habe ich nun mal die Möglichkeit. Ich stapfe durch hohes Gras auf dem Hügelrücken entlang, die Grillen zirpen was das Zeug hält, ein Wiedehopf gibt seine charakteristischen Laute von sich, die Frösche vom benachbarten Teich quaken um die Wette, geschweige denn von einem mir unbekannten Abend-Vogel, der sich anhört, als ob irgendein Gerät ein tutendes Geräusch von sich gibt. In der Ferne sind die gerade gezogenen Weinstöcke zu erkennen, ein paar Kühe grasen in der Dämmerung.
Kurz vor dem einsetzenden Starkregen komme ich auf der überdachten Terrasse an, sitze noch am Tisch, während es um mich herum schüttet und wunderbar nach Regen duftet. Morgen kann ich dann ganz alleine entscheiden wann ich aufbreche, für das Frühstück ist alles im Kühlschrank. Sowas hab ich ja besonders gerne, toll. In diesem Sinne, bonne nuit!
30.5.21
Lamothe/Pardeillan nach Manciet
21 km
Um 6.30 Uhr bin ich schon aufgestanden, es ist grau draußen. Bäh, doof! Ich mache mir erst mal einen Kaffee, lege mich wieder ins Bett und höre mir eine tolle Predigt im ERF-Radio an. Danach steigert sich meine Laune und ich mache mir Frühstück. Das ist mal richtig lecker, zwar auch mit Baguette, Marmelade und Co, aber gut und reichhaltig, dazu Orangensaft und einen Jogurt. Ich schultere meinen Rucksack, schreibe noch ein paar Dankeszeilen und schließe die Tür hinter mir. Ich gehe den Kilometer wieder hoch nach Lamothe und stehe wenig später neben der kleinen Kirche an einem weiteren Kilometerstein, es sind wieder 1000 Kilometer nach Santiago, ja ja :-) Ich bin ganz alleine unterwegs, es ist still, ich genieße die Ruhe und den nun folgenden sehr angenehmen Weg, einer ehemaligen Bahnstrecke mit Waldboden, nach Eauze. Das ist ja mal wunderbar. Ab und an gibt es eine Brücke oder noch ein übrig gebliebenes Bahnzeichen. Es ist ein Weg zum in sich gehen. Ich denke viel nach über mein Leben, meinen Alltag, mich selbst, Gott und Jesus und komme am ehemaligen Bahnhof Bretagne-d’Armagnac an, was heute ein Wohnhaus ist, aber das alte Bahnhofsschild hängt noch.
Kurz vor Eauze komme ich an einen See und mache dort auf der Bank Pause mit Chocolatine und Co. Ein paar Angler sitzen in sich versunken am See und warten auf einen guten Fang. Die Sonne kommt nun doch langsam raus und glitzert im Seewasser, wie wunderschön das ist. Wenig später betrete ich die kleine Stadt, kaufe noch was beim Bäcker und sitze am Marktplatz mit seinen schönen Fachwerk-und Steinhäusern mit einem Kaffee auf einem Mäuerchen und warte bis der Gottesdienst beendet ist, denn ich möchte die Kirche noch besuchen. Neben mir plätschert ein kleiner Brunnen vor sich hin. Die Glocken läuten, es ist soweit, viele Menschen strömen aus der Kirche (oder besser gesagt Kathedrale mit Namen Saint-Luperc, aha!) und der Platz füllt sich.
Ich gehe hinein. Hübsch ist sie mit den hellen Steinen und besonders ist, dass das große mittlere Kirchenfenster in der Apsis gar kein Fenster, sondern ein wundervolles als Kirchenfenster gemaltes Bild ist, das habe ich so auch noch nie gesehen. Und auch unser Jakobus ist auf einem schönen Bild verewigt.
Ich verlasse die kleine Stadt, gehe an wieder eigenartig aussehenden Platanen vorbei, als mich ein Typ anspricht und mir einen Zettel in die Hand drückt, ich solle doch mal einen besonderen Ort für Meditationen aufsuchen. Hmm, naja, gut. Ich gehe weiter.
Vor mir erstreckt sich wieder üppiges grünes Land mit Roggen, Gerste und viel, viel Wein, einfach nur wunderschön. Zum Ambiente gibt es einen blauen Himmel mit kleinen Puffwölkchen. Ich bin einfach nur happy und laufe achtsam und genießend meinen Pilgerweg durch Frankreich, meinen Pilgerweg durch mein Leben.
Ich komme durch kleine Dörfer mit schönen Gärten, am Wegesrand überrascht mich ein ganzer Stapel Callas. Da mache ich doch mal ein Foto und sende es meiner Mutter zum 2. Muttertag, dem französischen, denn der ist erst heute am 30. Mai, das passt doch.
Durch schattige Wege und über sanfte Hügel laufe ich fast in zwei Pilgerinnen rein. Wo kommen die denn plötzlich her? Ich habe bisher noch nicht einen einzigen Pilger getroffen, alle verschollen. Die Beiden nerven etwas, denn sie bleiben ständig stehen, ich warte, will alleine sein, aber sie warten auch immer wieder. Irgendwann überhole ich sie und gehe weiter durch die quietschgrüne und auch erdfarbene Landschaft.
Ich mache später noch eine letzte Pause an ein paar schönen Angelteichen auf einer Wiese sitzend, da überholen sie mich wieder. Nun letztendlich werden wir uns in der Gîte tatsächlich wiedersehen.
In der Ferne sehe ich eine Rauchwolke, da verbrennt einer wohl eine Menge Zeugs. Ich sehe die beiden Frauen durch diese Rauchwolke verschwinden, die direkt den Weg kreuzt. Oh man, da bin ich ja gleich mal gespannt, sowas kann ich gar nicht ab. Ich mache mich wieder auf und kurze Zeit später stehe ich auch in dieser Wolke und könnte brechen. Ich lege einen Zahn zu, japse nach Luft, zu allem Überfluss geht es noch bergauf. Ich bin den Berg mit meinem Tuch vor der Nase fast hochgerannt und habe das Gefühl gleich zu ersticken. Diverse Flüche bezüglich des Vollidioten, der das Feuer gemacht hat, kommen aus meinem Mund und damit auch gleich die Sorge: Was ist wenn der Rauch in ganz Manciet ist? Nee das kann ich echt nicht aushalten. Brech!
Ich komme total erschossen, japsend mit einem Puls von 150, oben an und bin kurz davor zusammenzuklappen, aber der Geruch wird besser. Jetzt noch über den Berg rüber, dann geht’s. Ich sehe die Mädels sich den Weg entlang schleppen, die sind auch im Eimer. Oh man, ich will nur noch ankommen. Manciet begrüßt mich, naja wie soll ich sagen, geht so. eine vielbefahrene Straße befindet sich vor einer Mauer, ich nehme mal an das ist die Stadtmauer, oberhalb befindet sich wahrscheinlich die Altstadt. Es sieht irgendwie wenig einladend und ein bissel schäbig aus, eigentlich hässlich, finde ich. Na toll, bin gespannt was mich erwartet. Das Wetter ist super und unendlich viele Tische und Bänke am kleinen Platz laden zum Picknick machen ein, ich frag mich nur warum hier so viele Picknick machen sollten, egal, weitergehen. Ich suche meine Gîte auf, die sich gleich neben der Kirche befindet, welche ganz süß aussieht, in die man aber nicht hineingehen kann. Leider gibt es als Gîte nur dieses Haus, kein Gärtchen oder sonst was, Stadt eben (also Kleinstadt), was für ein Kontrast zu gestern. Okay, wir sitzen unten am Tisch. Eine Gruppe mit vier Frauen und die beiden, die mir vorneweg gelaufen sind, trinken Wasser mit Grenadine und unterhalten sich wild auf Französisch. Ich will nur noch in mein Zimmer, habe da so gar keine Lust drauf und kann das auch nicht so richtig unterdrücken. Mein Zimmer ist ganz schön, Kamin gegenüber, kleines Fenster zu dieser befahrenen Straße raus, was soll's. Das Bad ist ständig besetzt, ich nehme kurzerhand einfach ein anderes.
Nun bin ich hier so und sitz hier so. Was soll ich machen? Ich schaue mich mal im Ort um, vielleicht gibt es doch noch was Nettes. Vielleicht hilft ein frisches Bier. Was soll ich sagen? Nichts hat offen, gar nichts! Okay, Annehmen, Aushalten, Gottvertrauen!
Der Ort zeigt aber die Straße runter mit netten Häusern auch seine schöne Seiten. Das Rathaus ist hübsch, die Kirche von außen auch und unten befindet sich ein Waschraum, ein Lavoir, das ist wirklich klasse. Hier haben die Frauen früher Wäsche gewaschen. Es ist überdacht und die Sonne spiegelt sich im glasklaren Wasser. Frischwasser kommt über ein kleines Fließ ins Becken, toll. Und es gibt sogar eine Stierkampfarena. Ich wusste gar nicht, dass es das in Frankreich auch gibt, aber hier in der Ecke, später auch in Nogaro ist das Tradition, die Course Landaise, wie es auf französisch heißt. Es sind für die Gascogne typische Veranstaltungen, die aber unblutig ablaufen. Die Toreros springen mit Saltos und ähnlichem über die angreifenden Stiere hinüber, weichen mit geschickten Bewegungen aus. Nun, ob das alles ist weiß man nicht, irgendwie müssen die Stiere ja auch angriffslustig werden, ich bin da etwas skeptisch. Nun denn, die Arena von Manciet sieht jedenfalls sehr schick und farbenfroh aus, ist auch nur eine kleine.
Wir sitzen zum Essen unten am Tisch, das Essen ist toll, der Wein auch, den Tisane lasse ich dann mal sein und gehe hoch zum schreiben. Das Wifi geht, ich habe ein großes Bett im Einzelzimmer, das erfreut enorm und morgen ist auch noch ein Tag. Schade, dass ich heute keinen Pool hatte, denn heute hätte man echt reinspringen können, denn die Sonne blieb uns dann den ganzen Tag hold. Ich versuchte noch die Unterkunft morgen zu ändern in ein Chambre d’Hôtes mit Pool, aber die gibt es nicht mehr. Die Frau am Telefon konnte sogar deutsch und erzählte mir, dass ihr Mann erkrankt sei und sie das somit aufgegeben hätten, schade, das wäre sicher toll geworden. Okay, soll so nicht sein, hat alles seinen Sinn, ich werde für sie und ihren Mann beten. Morgen sind es nur 18 km. Ich hoffe, dass es in der Gîte in Lanne-Soubiran vielleicht zumindest einen Garten oder so gibt, bin gespannt.
31.5.21
Manciet nach Lanne-Soubiran
18 km
Ich habe viel Zeit, die Frauen haben sich einen ultralangen Variante-Weg vorgenommen und sind somit schon früh losgegangen. Ich sitze noch alleine mit Marie, der Gastgeberin, am Tisch. Sie kommt ehemals aus dem Elsass und kann deutsch, na das ist doch mal was. So sitzen wir deutsch redend am Tisch und es gibt den absoluten Oberhammer: Müsli mit Erdbeeren. Das ist doch super, ich lasse alles Baguette, alle Marmeladen, und sind sie noch so selbstgemacht, beiseite und esse Müsli, das ist wunderbar und sättigt schön, dazu eine Bol du café, der Tag fängt gut an. Ich verabschiede mich von ihr und gehe die schöne Altstadtstraße aus dem Ort raus. Es geht leichte Berge immer hoch und runter an Weinstöcken und Sonnenblumenfeldern vorbei.
Kreativ gestaltete Vogelscheuchen sollen die Vögel von der Saat fernhalten. Auch hört man immer wieder Schüsse. Anfangs habe ich gedacht, dass die hier ständig am Jagen sind, aber Marie meinte dann, dass das Schreckschuss-Anlagen sind, damit die Vögel verscheucht werden, die sonst die Saat fressen. Ab und zu fällt dann immer so ein Schuss, nun, andere Länder andere Sitten. Am Bodensee habe ich ja immer den Mäusebussard schreien gehört, aber keinen gesehen, alles nur Attrappe. Aber die Vogelscheuchen machen schon was her, sehr individuell und kreativ gestaltet, ob sie helfen weiß ich nicht, jedenfalls ist kein Vogel zu sehen. Der Blick schweift weit über die Landschaft, die Grillen zirpen enorm laut, toll ist das. Ich gehe einsam meiner Wege.
Nach einer Weile höre ich Motorengeräusche wie bei der Formel 1. Ich war ja mal so richtiger Formel 1-Fan gewesen, damals zu Schumachers Zeiten, war auch auf zwei Rennen gewesen, deshalb kam mir das sehr bekannt vor. Es ist der Nogaro-Ring, welcher 1960 gebaut und später erweitert wurde, auf dem sicher getestet wird. Ich las später, dass es sich aber um Motorräder handelte, toll. Von dem habe ich auch schon gehört. Da übt aber auch die Formel 1 manchmal. Kurz vor Nogaro auf dem Berg gibt es etliche schwarz-weiß Portraits von Pilgern, die ein Fotograf mal gemacht und hier ausgestellt hat. Etwas kulturelles, kreatives auf dem Pilgerpfad, das finde ich ja toll und macht Spaß anzuschauen. Es sind wirklich schöne Fotos.
Ein anders Schild teilt mit, dass wir uns auf dem Greenwich Meridian befinden (der 0-Meridian), aha, super Sache. Den anderen habe ich vor etlichen Jahren mal in Greenwich selbst erlebt, man ist das lange her. Ja ja, früher waren wir jünger! :-) Es geht ins Tal runter, unten ist schon die Stadt und der Kirchturm zu sehen, sieht nett aus. Davor befindet sich noch ein großer Weinberg. Unten angekommen geht es schattig unter richtig tollen, großen, nicht beschnittenen Platanen einen schmalen Weg zum Ortseingangsschild von Nogaro.
Ich laufe geradewegs auf die große Stierkampfarena zu, die gerade geöffnet hat, da hier sauber gemacht wird. Die sieht klasse aus, mit richtigen Tribünen, einen schönen Portal und alles in rot-weiß gehalten. Nogaro gilt wohl als Hochburg des Stierkampfes hier in Frankreich.
Es geht in die Altstadt rein, die wahrschlich ganz schön wäre, wenn nicht der ganze Verkehr hier durchbrettern würde, inklusive fette LKWs und so. Schade ist das hier mit den Altstädten, überall sind wirklich Autos, es gibt kaum Fußgängerzonen. Okay gibt es in den größeren Orten schon, aber wenig. Nun denn, ich kämpfe mich an dem einen oder anderen Auto vorbei zur Kirche vor. Es ist Zeit für eine Pause, und zwar auf einer Bank im Schatten. Bingo, da ist eine im Kirchenschatten, die ist meine, prima. Eine Pilgerin kommt zu mir rüber gehumpelt und spricht mich an. Sie leidet sehr, hat krasse Knieprobleme und wartet auf ihre Freundin. Sie will aber unbedingt weiter wandern, wir sehen uns später in der Gîte wieder, sie sollte es auch tatsächlich noch bis zu ihrem Ankunftsort Aire-sur-l'Adour schaffen, schön!
Nach dem Essen gehe ich die Straße weiter den Berg hoch und aus dem Ort raus, es wird ruhig, das Bas Armagnac zeigt sich von seiner besten Seite mit…
…natürlich Wein, klar. Es wird ordentlich heiß, der folgende Schatten ist eine Wohltat. Ich treffe niemanden mehr auf meinem Weg nach Lanne-Soubiran, außer ein paar Vögeln, immer wieder Eidechsen, die schnell von A nach B huschen und ein paar Kaninchen. Im Ort selbst komme ich direkt an der Kirche an, vor der ein Herr auf einer Bank davor sitzt. Er ist mit Rad unterwegs und kommt auch in der Gîte nebenan unter, die, ich bin hellauf begeistert, einen tollen großen Garten mit Liegestühlen hat. Wie geil, da wird gleich einer meiner sein. Ich gehe noch in die hübsche, kleine und kühle Kirche zu einem Gebet und packe mich dann entspannt in den Liegestuhl und warte, bis die Gîte um 15 Uhr öffnet.
Marinette kommt auch alsbald aus der Tür und heißt uns willkommen. Die Klamotten müssen draußen bleiben, also der Rucksack und die Schuhe, sie stehen unter einer Überdachung. Nun, bei Regen würde ich hier nichts draußen lassen, aber den haben wir ja Gott sei dank nicht. Sie zeigt uns jeder sein Zimmer. Ich bin im Dachgeschoss alleine in einem schönen heimeligen Zimmer, das gefällt mir. Auch wäscht sie die Klamotten, die ich später dann irgendwie versuche auf so einer französischen Wäschespinne zu trocknen, nicht ganz einfach. Sind schon komisch die Dinger, darf man auch auf gar keinen Fall anfassen, sonst fallen sie zusammen und sind für einen Nicht-Franzosen nicht mehr aufzubauen. Nach und nach kommen noch andere Pilger, es wird eine große Runde später am Tisch. Ich verbringe aber den Nachmittag noch im Liegestuhl, schreibe, sonne mich, trinke ein kühles Bier, esse mein Baguette mit Hartsalami und danach Haribo Erdbeeren, auf die ich irgendwie bei dieser Tour voll drauf abfahre. Letztes Jahr waren es Brets-Chips, dieses Jahr sind es Haribo Erdbeeren, nun denn.
Die Wäsche duftet wunderbar und wird auch trocken und sauber, klasse. Das mit dem Waschen ist wirklich ein toller Service hier in der Ecke, kann ich nicht anders sagen. Auch das mit dem Rucksacktransport ist eine tolle Sache, finde ich. Wenn man nicht gut tragen kann oder es einfach auch nicht will, dann kann man mit Tagesrucksack unterwegs sein und hat immer alles dann am nächsten Ort parat. Man braucht auch nicht mit der Klamotte oder mit Kosmetikartikeln sparen, muss es ja nicht schleppen. Obwohl ich es auch toll finde, alles bei mir zu haben und minimalistisch zu leben, halt nicht alles wie zu Hause zu haben.
Am Abend sitzen wir alle draußen am großen Tisch, es ist schön warm, somit kein Problem. Gegenüber sitzt Madeleine, sie kann sogar deutsch, auch englisch, ich tausche einfach den Platz mit dem Radler, schiebe ihn auf die andere Seite und so können wir uns schön austauschen. Das Essen ist hervorragend und mit vier Gängen mehr als genug. Es wird ein schöner Abend. Die Sonne geht unter, die Grillen zirpen weiter, so richtig Sommer, toll. Schöner Ort zum entspannen!
1.6.21
Lanne-Soubiran
nach Aire-sur-l’Adour
20 km
Heute ist es soweit, Elisabeth ist mir auf den Fersen, wir werden uns heute Abend in Aire-sur-l’Adour treffen. Wir kommen sogar im selben Hotel unter. Ich bin schon sehr gespannt und freue mich total.
Unterm Dach, wo alle Schuhe und Rucksäcke lagern ist am Morgen geschäftiges Treiben. Es wird gepackt und gewurschtelt, diverse Schuhe finden die passenden Füße wieder, die Rucksäcke werden geschultert. Ich gehe alleine los, werde aber den ein oder anderen wieder treffen. Aus dem kleinen Ort geht es über sanfte Hügel an Feldern vorbei. Die Sonne lacht, der Himmel blau, die Vögel singen, die Eidechsen huschen verschreckt von ihren Sonnenflecken, auf denen sie versuchen Betriebstemperatur zu erlangen. Was für ein schöner Morgen. Es ist angenehm warm und mein Herz ist weit. Durch ein kleines aber feines schattiges und nach Wald duftendes Waldstück geht es auf angenehmen Waldboden Richtung Lelin-Lapujolle, was für ein Name. Die Vögel geben ihr bestes, es ist ordentlich was los in den Baumkronen. Madeleine überholt mich von hinten, hat ein ordentliches Tempo drauf. Ihr Mann bleibt zurück, sie treffen sich später. Sie sind beide in Le Puy gestartet und wollen nach Santiago. Sie kommt sogar aus Montfaucon-en-Velay, der Ort, in dem ich zwei Nächte blieb, da es ja Probleme mit der einen Gîte gab und die eine nette französische Familie mich mit dem Auto in die Stadt brachte. Oh ja, ich erinnere mich noch gut. Und auch da ist am Ende alles gut geworden, so war es doch immer gewesen und so ist es doch auch immer, Gottvertrauen, sag ich da nur.
Aus dem Wald raus geht’s an großen Maisfeldern vorbei. In gerade Linien ist der Mais ausgesät, im Hintergrund die riesigen Bewässerungsanlagen auf Rädern. Interessant, sowas habe ich in Deutschland noch nicht gesehen. So wird also hier bewässert. Eine Dreiertruppe Frauen läuft mir vorneweg, hintenan der Herr aus meiner Gîte mit seinem Hühnerauge, was er sich gestern einfach weggeschnitten hat und unter dem er heute doch sehr leidet. War keine gute Idee, ich hoffe es geht ihm bald besser. Wenn was an den Füßen ist, dann wird’s richtig doof, ich kann da ein Lied von singen. Meine Bänder haben sich übrigens wieder beruhigt und ich habe keine Angst mehr, dass ich abbrechen muss, das ist schon mal schön.
Neben der Kirche in Lelin-Lapujolle gibt es einen schönen Picknicktisch, ich mache Pause. Der Wasserhahn lädt zum viel Wassertrinken ein und weiter geht’s an einem kleinen Bistro vorbei. Die drei Frauen sitzen dort am Tisch, trinken was und warten auf Sandwiches, die in allen Varianten angeboten werden. Tolles Angebot hier so mitten in der Pampa. Ich habe aber keine Lust auf warten und auf Gesellschaft, so setze ich meinen Weg durch die Felder fort.
Nach einer Weile komme ich mal wieder auf eine stillgelegte Bahnstrecke, einen steinigen Feldweg geradeaus. Hier treffe ich auf den Herrn, ich weiß gar nicht seinen Namen, mit dem Hühnerauge, grüße und gehe weiter.
Nach einer Auf-dem-Baumstamm-sitzen-Pause geht’s die Bahnstrecke weiter, über den Bahndamm rüber und schnurgerade auf der anderen Seite entlang. Mittlerweile gibt es auch keine Hügel mehr, alles gerade. Ein bissel langweilig, wenn man mich fragt. Ein Schild zeigt den Weg nach Aire-sur-l’Adour an: Sentier de l’Adour, aha. Aus Langeweile fange ich einen Stechschritt an und singe, was mir so einfällt, diesmal keine Eigenkreationen, aber auch schön:
Auf der Mauer, auf der Lauer
sitzt ne kleine Wanze
Auf der Mauer, auf der Lauer
sitzt ne kleine Wanze
Seht euch mal die Wanze an,
wie die Wanze tanzen kann,
auf der Mauer auf der Lauer
sitzt ne kleine Wanze.
Gefolgt von:
Drei Chinesen mit dem Kontrabass, saßen auf der Straße und erzählten sich was
Das natürlich in allen Varianten, da geht die Zeit gut rum:
Dru Chunusen mut dum Kuntrubuss
Dri Chinisin mit dim Kintribiss :-)
Und zum Schluss:
Was müssen das für Bäume sein,
wo die großen Elefanten
spazieren gehen,
ohne sich zu stoßen…
Oh man, der Weg zieht sich hin, endet dann aber doch auf einem Parkplatz mit ein paar Geschäften, toll. Ich brauche Wasser, Brot, Chocolatines und all so schöne Sachen. Ich setze mich nun hier an einen Tisch und esse ausgiebig. Kurz danach fängt der Ort Barcelonne du-Gers an. An einem Waschhaus mit Tischen und Bänken davor treffe ich wieder die drei Mädels, gehe aber weiter. Jetzt geht’s nach Aire-sur-l’Adour, jo! Ich gehe einen langen Weg an einer mäßig befahrenen Straße entlang, komme galant, leider ohne tolles Schild, nicht nur in ein neues Département, nämlich Landes, sondern auch in eine neue und für mich letzte Région hier in Frankreich: Nouvelle-Aquitaine, toll.
Links geht’s an eine extrem befahrende Straße über den Fluss Adour, der sich schön unter der Brücke dahin schlängelt. Leider hat es sich zugezogen und fängt auch ein bissel an zu pieseln. Somit lasse ich den krassen Autoverkehr hinter mir und finde mein Hotel Gott sei Dank abseits dessen. Puh, ein Glück.
Leider ist die Tür jedoch zu und ein Schild besagt, dass es erst in einer halben Stunde öffnet. Kein Problem ich setze mich in den Außenbereich des dazugehörigen Restaurants, was aber geschlossen hat heute, und warte Haribo-Erdbeeren-essend auf die Dame des Hauses. Wenig später kommt sie auf eine Gehstütze gestützt hinkend ums Eck. Sieht nicht gut aus. Wir sitzen an einem kleinen Tisch im Foyer, sie redet viel, vor allem die Beschreibung des Notausgangs, durch den man dann abends wieder reinkommen kann, hört sich abenteuerlicher an, als es am Ende ist. Aber endlich bekomme ich mein Zimmer. Es ist hübsch mit großem Bett und sogar einem Balkon, das finde ich ja klasse. Eine Dusche muss her, bevor ich mich aufmache mir den Ort mal anzuschauen.
Aire-sur-l’Adour hat etwa 7000 Einwohner, eine schöne Altstadt, viel Verkehr auf der Brücke und zwei tolle Kirchen.
Die eine ist die Cathedral Saint-Jean-Baptiste, also Johannes des Täufers, die von außen äußerst speziell aussieht, und innen einen fast umhaut. Die besuche ich nun erst mal. Ein Herr kommt auf mich zu und fragt ob ich eine Pèlerine sei. Ich bejahe und er gibt mir im Pilgerbüro, welches angrenzend vorhanden ist, einen Stempel und fängt an mir was über die Kirche zu erzählen. Alles schön und gut, aber ich möchte jetzt keine komplette Kirchenführung haben, schließlich werde ich ja bald Elisabeth treffen, die nun via Whatsapp mir mitteilte, dass sie jetzt auch im Hotel eingetroffen ist. Wir wollen uns vorne an der Brasserie treffen. Ich schaue mir also die Kirche an.
Die zweite Kirche ist die St-Quitterie, die morgen auf dem Weg den Berg hoch liegt, die schaue ich mir dann morgen an. Ich gehe noch zur schönen Brücke, immer noch mit viel Verkehr, aber dafür mit etwas Sonnenschein, der Regen hat sich verflüchtigt und schönem Fluss-Ambiente Platz gemacht. Unten sitzen ein paar Leute zusammen und klönen, der ein oder andere Angler wartet auf einen guten Fang, es wird viel gelacht, schön ist das. Leider ist man kurz vor einem Hörsturz ob des Verkehrs hinter mir, nun denn, Dualitäten eben :-)
Ich sitze draußen in der Brasserie bei einem Bier, als Elisabeth ums Eck kommt. Wir umarmen uns und freuen uns, uns nun leibhaftig kennenzulernen. Das ist doch mal klasse, richtig großartig, ich freue mich sehr. Wir sitzen beim Bier und haben uns viel zu erzählen, über den Weg, den wir bis hierher gegangen sind, was wir alles erlebt haben, wie uns Frankreich gefällt, was wir so im Alltag machen. Danach gehen wir rüber in ein Restaurant, welches ich schon vorgebucht hatte, denn vieles hat wegen Corona noch nicht auf. Leider entpuppte sich das als etwas eigenartig, sollte auch um 20 Uhr schon wieder zu machen und das Angebot war äußerst übersichtlich. Wir bekamen einen Salat, einen Burger, dazu einen Rotwein. Nun, satt wurden wir jedenfalls. Wir gingen in unser gemeinsames Hotel zurück, verabredeten uns dann für morgen zum Frühstück unten und natürlich zum gemeinsamen Pilgern. Spannend wird das und es tat auch mal wieder gut deutsch zu reden, einfach drauflos zu plappern ohne nachdenken zu müssen, das muss ich jetzt mal sagen. Dann also bis morgen und dann auch zu zweit.
2.6.21
Aire-sur l’Adour
nach Miramont-Sensacq
18 km
So langsam werden die Ortsnamen eigenartig, wir nähern uns dem Baskenland. Aber noch braucht es ein wenig. Heute ist die Entfernung dezent, aber dafür fast nur Asphalt, somit gar nicht so schlecht, denn das ermüdet die Füße und Gelenke. Wir treffen uns zu einem tollen, leckeren Frühstück mit Cornflakes (das gibt es ja selten) und Nutella. Toll, davon kann ich gar nicht genug bekommen. Der Kaffee ist gut, der O-Saft sowieso und dass wir hier zusammen sitzen allemal.
Gemeinsam gehen wir los. Ein bewölkter Himmel mit blauen Flecken erwartet uns. Wir gehen nochmal in die tolle Kathedrale, dann die Altstadt-Straße runter, folgen den im Boden eingelassenen goldenen Jakobsweg-Wegweisern, biegen über ein kleines Brücklein nach rechts ab und stehen vor einem eisernen Jakobspilger, der unbedingt aufs Foto muss.
Es geht den Berg hoch zur zweiten tollen Kirche des Ortes: die Abteikirche Sainte-Quitterie. Gleich daneben befindet sich eine Gîte, aus der die zwei Frauen, die ich in Nogaro getroffen hatte und mit denen ich in Manciet verbrachte, aus der Tür kommen. Sie wollten bis hierher laufen und dann beenden. Dem Knie der einen Frau ging es auch schon etwas besser. Wir begrüßen uns freudig, ich wünsche ihnen noch eine gute Heimreise und sie mir einen bon chemin.
Die Kirche ist in dezentem Barock gehalten mit einem schönen Altar mit rot-marmorierten Marmorsäulen und einen tollen Jesus, der mit offenen Händen dasteht. Die alten gut erhaltenen Steinkapitelle zeugen von einem hohen Alter, sie ist aus dem 11. Jahrhundert. Der Blick geht zurück ins Tal und in den Ort, dann drehen wir uns um und wenden der Stadt den Rücken zu.