León nach Santiago de Compostela 1

 Kathedrale Santa María de Regla von León

Pilgerbericht Ende vom letzten Jahr:

Leider hat sich mein Hüftschmerz als Arthrose herausgestellt und es macht etwas bange, ob ich überhaupt nächstes Jahr weitergehen kann, aber ich will unbedingt! Wie blöd wäre das denn, wenn ich den ganzen Weg von Lüneburg nach León gelaufen wäre und den letzten Abschnitt nach Santiago nicht mehr schaffe? Nee, das geht gar nicht! Nun das ist aber natürlich eine andere Geschichte, die ein anderes Mal erzählt wird. Wer weiß schon was das Leben bereithält? 

 

30.4.23

Lüneburg nach Hamburg

Es ist soweit, diese andere Geschichte, die ein anderes Mal erzählt wird, ist jetzt dran, sie wird jetzt erzählt.

Ein Jahr lang hatte ich mit meiner Hüfte zu tun, sämtliche Therapien und Übungen hinter mir, so dass es mir jetzt eigentlich ganz gut geht. Wie es aber mit erneuter Belastung sein wird, das weiß ich nicht und somit habe ich einfach mal keinen Rückflug gebucht, denn wenn die Schmerzen wiederkommen, dann muss ich abbrechen, damit kann ich nicht laufen. 

Ich bin also sehr sorgenvoll und auch sehr gestresst losgegangen. Irgendwie war dieses Mal auch einiges anders. Ich war fürchterlich aufgeregt, hatte Angst irgendwas Wichtiges zu vergessen, dass irgendwas nicht hinhauen könnte, dass noch mehr Stress auf mich zukommt, dass das Hinkommen nicht funktionieren könnte, es Probleme mit dem Rucksack im Handgepäck geben könnte, die Hüfte nicht mitmacht und so weiter. Ach ja Madame Souci ist wieder hie :-), Frau Sorge ist wieder da! Ich glaube, da kann man einfach nichts machen, so isse halt. 

Mein Flug geht wieder früh ab Hamburg und so entschied ich mich dort in der gleichen Pension wie letztes Mal zu übernachten und dann rüberzugehen zum Flughafen. Meine Mutter schlug mir vor, mich zum Bahnhof zu bringen, das fand ich ganz großartig. Gesagt getan, wir stehen am Bahnhof und verabschieden uns. 

Nun sitze ich hier im Zug und alles beruhigt sich etwas. So kommt doch immer Zweifel an der eigenen Courage auf, aber das kenne ich ja schon. In Hamburg angekommen bekomme ich das gleiche Zimmer wie letztes Jahr, das freut mich außerordentlich. Ein letztes Telefonat mit einer Freundin aus Lüneburg, dann geht es mit meinem ersten Hörbuch ins Bett, morgen geht es wieder früh raus. Die Temperaturen sind angenehm, ich habe meine Warmweste zu Hause gelassen, somit sollte es morgen nicht kalt für mich werden. Das mit der Warmweste hätte ich besser mal anders gemacht, denn ich sollte in Spanien doch mit einigen kühlen Temperaturen überrascht werden. Nun denn, irgendwas ist eben immer. 

1.5.23

Hamburg nach León 

Zu all meinen Sorgen kam ja noch die Sorge dazu, dass gestreikt werden könnte, denn das Land ist in Aufruhr, die Inflation zollt ihren Tribut und die Leute gehen reihenweise auf die Straße, da das Geld knapp wird. Der Ukrainekrieg ist immer noch im Gange und die Auswirkungen dessen sind nun für alle spürbar. Es stand also alles in den Sternen, aber heute am Tag der Arbeit wird nicht gestreikt, da wird dann eher auf den Straßen demonstriert. Für mich eine gute Sache. Es ist noch dunkel, als ich den mir bekannten Weg rüber zum Flughafen antrete. Die Luft ist kühl und ich bin gespannt was mich erwartet. Meine Wanderstöcke habe ich zu Hause gelassen, da mir gesagt wurde, dass die nicht ins Handgepäck dürfen. Und das Gepäck aufgeben geht gar nicht, nachdem ich im letzten Jahr so schlechte Erfahrungen gemacht habe. Ich will nicht in Madrid stehen und mein Rucksack hockt noch in Hamburg, nee, lass mal. So werde ich mir in León eben neue Stöcke kaufen müssen, denn ohne geht das nicht. Ich komme ziemlich rasant durch die Kontrolle, es wird nochmals in die Tasche reingeschaut und rumgewurschtelt, aber es läuft gut und so sitze ich alsbald entspannt rum und warte mit einem guten Kaffee und einem Baguette in der Hand auf den Aufruf zum Einsteigen. Alles läuft pünktlich, wir stehen im Schlauch zum Flugzeug und dürfen dann alle wieder umkehren, man hatte wohl das betanken vergessen, was weiß ich. Ich bereite mich schon auf eine stressreiche Zeit vor und bin den Tränen nahe, kommen da wieder Erinnerungen vom letzten Jahr ums Eck. Werde ich meinen Bus in Madrid noch bekommen, was wenn nicht? Ich setze mich also wieder hin und krame meine Spanischvokabeln hervor, will mich doch wieder etwas vorbereiten, nützt ja alles nichts. Aber lange währt es nicht und dann kann es auch endlich losgehen. Ich sitze gedankenversunken am Fenster und lass das schöne Panorama der Wolken und der Landschaft unter mir auf mich wirken, Ruhe kehrt wieder ein. 

Start Hamburg, Ankunft Madrid

Wir kommen eine halbe Stunde verspätet in Madrid an. Ich kann mit meinem Handgepäcksrucksack ohne langes Warten einfach raus marschieren, wie geil ist das denn? Das ist super. Ich entscheide mich gegen das Nahverkehrsnetz von Madrid und gehe zum Taxistand, muss ich doch zur Estación Sur, das ist ein Stück entfernt vom Flughafen. Ich stehe in einer riesigen Menschenschlange am Taxistand und mir sinkt das Herz in die Hose, aber wir werden schnell zu den Taxen geleitet und so sitze ich schon 15 Minuten später in einen von diesen. Der Herr teilt mir mit, dass sie heute Feiertag haben, da Tag der Arbeit ist. Oh, ich dachte das wäre ein deutsches Ding, aber nein, in Spanien ist das auch so, in Madrid sogar zwei Tage lang. Es wird auf die Straße gegangen und demonstriert, die Geschäfte haben natürlich geschlossen. Shit, ich wollte mir nachher Wanderstöcke in León kaufen, das hatte ich nicht auf dem Plan gehabt. Okay, zum Glück ist dort nur ein Tag geschlossen, dann muss ich eben morgen einkaufen, leider dann auch erst ab 10 Uhr, dann komme ich erst ziemlich spät los. Blöd, aber so isses halt.

Ich stehe verpeilt am Busbahnhof vor der großen Tafel mit den Destinationen. Alle Busse sind schön untereinander angezeigt, wann sie wohin fahren und um welche Uhrzeit, außer meiner!!! Der existiert auf dem einen Tableau überhaupt nicht, auf dem anderen schon, aber mit zwei Strichen dahinter. Fällt der aus? Ich bin kurz vor dem dekompensieren, denn ich finde auch keinen, der mir Auskunft geben kann, da Feiertag. Aber da, oh super, ein Alsa-Bus-Typ an einem Schalter. Dieser teilt mir lächelnd mit, das ich mich nicht nach dem Tableau richten darf. Hä warum nicht? Nun denn, ich soll zu Gate 50 – 55 gehen, da wird dann mein Bus fahren.

Okay, gesagt getan, ich hoffe er weiß was er da sagt. Für mich macht das alles keinen Sinn, aber ich stehe wenig später unten an den Gates, wo mein Bus leider auch nicht dran steht. Aber auch der Herr, der da anbei steht, versichert mir, dass hier der Bus nachher fahren wird. Doch leicht angestresst stehe ich dann draußen an den Bussen, die alle vorschriftsmäßig auf Fernsehern angezeigt sind, außer eben meiner. Ich treffe auf einige Pilger, die das gleiche Problem haben und planlos da so stehen. Das erleichtert etwas, denn dann bin ich nicht alleine damit, das ist gut. Ich lerne Claudia aus Hamburg kennen. Wir kommen ins Gespräch, das ist schön. Fünf Minuten vor der Abfahrtszeit kommt tatsächlich ein Bus ums Eck, hält vor unseren Nasen und will nach León fahren. Nun, spanische Logik, spanische Mentalität, was auch immer, ist jetzt egal, wir steigen erleichtert ein. Claudia und ich setzen uns nebeneinender und somit wird die Fahrt kurzweiliger. Immerhin sind es doch vier ganze Stunden nach León. Wir schnacken, wie man auf norddeutsch so schön sagt, die ganze Zeit und sind schon ganz aufgeregt, was so auf uns zukommen wird. Jetzt mit ihr hier zu sitzen finde ich fabelhaft. Sie ist ehemals in Pamplona losgegangen und möchte dieses Jahr Santiago erreichen. Wir kommen tatsächlich exakt um 16 Uhr an. Sie Sonne lacht von einem blauen Himmel und es ist angenehm warm, als wir uns auf den Weg über die Brücke über den Río Bernesga machen. Wie schön wieder hier zu sein. León begrüßt uns wieder mit vielen Menschen, seinen tollen vielen Cafés und wenig später mit der wunderschönen Kathedrale. Wie geil das alles ist! 

Alle Sorge ist vergessen, ich bin wieder hier, hier an meinem Endort des letzten Jahres, den ich mit Corona im Gepäck verließ. Nun geht es mir gut, ich bin gesund, die Hüfte muckt nicht auf und ich sitze hier mit Claudia bei unserem ersten Café con leche draußen und beobachte die Leute. Kaum Pilger sind zu sehen, eher Touristen, die den Sonntag hier genießen. 

Wir tauschen Telefonnummern aus und jede geht zu ihrer Unterkunft. Ich übernachte in einem schönen netten Zimmer am Platz der Basilika San Isidoro. Im Café gegenüber hole ich meinen Schlüssel und bekomme den ersten Stempel in mein Credencial, toll. Das Zimmer ist gemütlich, die Atmosphäre drumrum nett und ich kann sogar einen kleinen Blick auf die Türme der Kathedrale erhaschen. Schön ist das. Da ich mich ja für den Rucksacktransport entschieden habe um meine Hüfte zu schonen, ist es jetzt an der Zeit anzurufen, oh ich bin aufgeregt, spanisch sprechen, irgh! Klappt alles? Kein Problem, ich sehe sogar, dass man das auch via Whatsapp machen kann, was einiges erleichtert und ich im weiteren Verlauf auch so machen werde. Somit gehe ich morgen mit meinem kleinen Rucksack los und der große wird mit Jacotrans gefahren, schön. Nachdem alles sortiert ist treffen wir uns am Platz und gehen noch ein wenig durch die schönen Gassen. Wir kommen am schönen Plaza Mayor vorbei, klar, das muss schon sein, besuchen Orte, die ich auch noch nicht gesehen habe, wie der schöne Plaza de San Marcelo mit dem anbei stehenden Casa de los Botines, von Gaudí erbaut und das Museo de Gaudí beinhaltend. Sieht schon beeindruckend aus, was der Herr da so kreiert hat. Später in Astorga ist dann nochmal ein Haus von ihm zu bewundern, da freue ich mich schon drauf. 

Der Plaza Mayor, Fußgängerzone, mal wieder ein Löwe und das tolle Casa de los Botines von Gaudí

Wir suchen uns eine Tapas Bar in einer der kleinen Gassen aus, sitzen draußen und genehmigen uns ein schönes kühles Estrella Galicia, hmm! Claudia fällt auf, dass sie hier schon mal gesessen hat und kennt auch den Kellner. Ein lustiges Wiedertreffen mit Fotos startet, die Freude ist groß. Wie schön, dass wir uns getroffen haben und jetzt hier zusammen sitzen können. Leider geht sie aber dann ab morgen in Mammutschritten vorwärts, so dass wir uns hier auf dem Camino nicht mehr wiedersehen werden, aber im Kontakt bleiben. Sie fragte noch in ihrer Herberge, ob vielleicht zwei Wanderstöcke übrig geblieben sind, aber dem war nicht so und somit muss ich eben morgen bis 10 Uhr warten, was aber auch kein Problem darstellen sollte. Meine Herbergsdame hätte mir einen Pilgerstab mitgeben können, zwar nett anzuschauen, aber damit kann ich nichts anfangen. Nun gut, so sei es. Wir verabschieden uns mit einer Umarmung und gehen jede ihren Weg. 

Ich komme abends nochmal zum Platz und fotografiere die schöne beleuchtete Kathedrale, wie wunderschön sie ist. Immer noch ist viel los, Halligalli in León, das kenn ich ja schon. Morgen beginnt also meine Pilgertour. Wie weit werde ich kommen? Schaffe ich es tatsächlich nach acht Jahren ans Ziel? Nun wir werden sehen. 

2.5.23

León nach Villar de Mazarife

22 km

Die Sonne lacht, ich packe meine Sachen, fülle meine Trinkblase mit leicht nach Chlor riechendem Wasser auf, daran werde ich mich nun wieder gewöhnen müssen, verteile alles auf die zwei Rucksäcke und stelle den großen unten im Gang ab. Drüben im Café gibt’s dann klassisches spanisches Frühstück, einen Café con leche mit einem Schokocroissant, einem Napolitan. Ich habe noch einiges an Zeit, bevor nun die Läden wieder aufmachen, das ist hier eben so, vor 10 Uhr läuft da nichts. Ich liege auf meinem Bett und höre leise Musik. Endlich, endlich kann ich losgehen und lass mich von Google maps durch die nun wieder geschäftigen Straßen Leóns leiten. Da ist ein Laden mit Wanderstöcken, toll. Der Verkäufer spricht sogar englisch, das ist schön, die Stöcke sind aber teuer. Nun, ich versuche ohne Erfolg noch einen anderen Laden, weiter will ich aber nicht rumsuchen, was soll's, dann eben teure Wanderstöcke. Er stellt sie mir ein und nun kann es endlich losgehen. Ich komme am Ende der Straße am Convento de San Marcos, welches heute das Hotel Parador de León beinhaltet, an. Die Ursprünge dieses Gebäudes gehen bis ins 12. Jahrhundert zurück. Ehemals war es eine Zuflucht für Pilger, die medizinisch versorgt werden mussten. Ein beeindruckender Bau mit vielen Verzierungen, wie es auch die Kathedrale aufweist, Prunkstücke der Renaissance in Spanien. Davor ein großer heller Platz mit dem in sich gekehrten Pilger, der seine Augen geschlossen hält und den Kopf gen Himmel richtet. Wie schön das alles hier ist. 

Ich gehe über die kleine Puente de San Marcos und verlasse die schöne Stadt. Nun geht es also für mich los. So habe ich doch zu Hause in Gedanken verbracht, wenn ich erst mal über diese Brücke über den Río Bernesga gegangen bin, dann ist alles gut, dann bin ich wieder Pilger auf dem Weg nach Santiago de Compostela. Mein Herz ist leicht, das Gepäck zum Glück auch und die Hüfte macht gut mit und zuppelt nur leicht. Abends sind nun immer ordentlich Dehnübungen angesagt, die ich auch diszipliniert mache und die wirklich wunderbar helfen. Es ist geschäftig auf der anderen Seite der Brücke. Eine Straße mit viel Verkehr wartet auf mich, daneben die Schienen, im Hintergrund steigt ein Flugzeug in die Höhe. Es geht leicht bergan, die gelben Pfeile leiten mich hindurch.

Kurz vor Virgen del Camino komme ich auf meine geliebte N120, oh man, wird die mir weiter erhalten bleiben? Brech! Die Bundesstraße wartet mit ordentlichem Verkehr auf, aber kurz hinter dem Ort wird es langsam ruhiger. Meine erste Variante wartet auf die selbst ernannte Varianten-Queen. Man kann nun entscheiden einen kürzeren Weg an eben dieser Bundesstraße weiterzugehen, der ist sicher scheiße, wird auch so im Wanderführer beschreiben, für mich ein absolutes No-go. Damit ist die Laune auf den Jakobsweg gleich getrübt. Nee, ich gehe die Variante durchs einsame und stille Outback, so nenne ich es jetzt mal, denn so sieht es auch tatsächlich aus mit der roten Erde. Die Meseta erstreckt sich auch hinter León noch um einiges weiter, verändert aber ihr Aussehen und wird vom Land her karger, auch wird hier nicht mehr viel angebaut. Ab Astorga findet die Meseta dann ihr Ende und es geht bergig weiter. Ich freue mich über die nun einkehrende Ruhe des neuen Weges. Frohgemut und mutterseelenallein gehe ich weiter. Ich sehe in der Ferne wie sich ein Pilger den Weg an der N120 den Berg hoch quält, oh nee, nichts für mich. Ich habe mir ja nun auch einige Gedanken gemacht bezüglich meiner Pilgertour diesen Jahres. Aufgrund der doch nun mehr werdenden Pilger werde ich nicht in den Hauptorten übernachten, sondern eins oder zwei dahinter. Diese Rechnung sollte auch tatsächlich aufgehen. Ich sollte nicht mehr diese Horden mit auf dem Weg haben, wie ich es mitunter im letzten Jahr auch erlebte. Auch sind natürlich wieder die Uhrzeiten des Losgehens ein Thema. Frühes Losgehen diesmal nicht aufgrund der Temperaturen, die sollten moderat bleiben, aber aufgrund der vielen Pilger. Mir ist das dann zu viel und somit bin ich mit meiner neuen Pilgerweg-Kreation gut gefahren. 

Die verlassenen Autobahnen von Spanien, mein erster Pausenort naht, nur noch 306 km bis zum Ziel und die einsame Landstraße

Kurz vor Fresno del Camino überquere ich die A66. Ich staune nur noch. Sie ist einfach komplett leer, kein einziges Auto fährt hier lang. Das lässt den Gedanken aufkommen, dass man die sich hätte auch sparen können. Nun, die EU macht es möglich und so wurden hier viele Autobahnen gebaut, die nur sehr wenig befahren werden. Auch kosten sie ja Mautgebühren, das will der ein oder andere dann sicher doch vermeiden. Sowas habe ich in Deutschland auch noch nicht gesehen, da sind die Autobahnen ja doch um einiges mehr befahren. Ich bekomme eine Whatsapp von Claudia, sie ist schon um einiges weiter und wird heute über 30 km nach Hospital de Órbigo gehen, Wahnsinn. Nee, das ist nichts für mich. Die 22 km sollen erst mal geschafft werden. Der Magen knurrt, ich mache Pause in hiesiger Bar mit meinem ersten diesjährigen Bocadillo mit Salchicha. Ich plappere auf Spanisch drauflos, er versteht mich gut und reicht mir Kaffee und Brot. Das finde ich wunderbar. Ich lüfte meine Füße etwas, belausche die drei Pilger neben mir und mache mich über das Bocadillo her. Im Hintergrund ist ein Kuckuck zu hören, ich lächel in mich rein und bin glücklich jetzt hier so zu sitzen. 

Weiter geht es auf einer kleinen nicht befahrenen Straße und später auf einen rötlichen Schotterweg durch die leichten Hügel. Die Landschaft hat wirklich Outback-Charakter mit ihrem ganzen stacheligen Gestrüpp und dem roten Weg. Aber da in der Ferne schimmert es gelb. Wie schön, der Ginster blüht wieder in seinem satten Gelbton, herrlich sieht das aus. Lila Knabenkraut und Lavendel, gelbes Habichtskraut mit seinen kleinen Blüten sind zu sehen und vor mir die Berge, die ich ja bald überschreiten werde. Der Himmel ist quietschblau, die Temperaturen angenehm, die Grillen zirpen leise vor sich hin. Mein Herz ist weit, ich ziehe den zarten Duft des Lavendels und des Ginsters tief in mich ein. 

Meine Schuhe hinterlassen bei jedem Schritt ein kleines Staubwölkchen und färben sich langsam rot. Nun denn, dann eben nicht mehr blau, sondern rot, kann man nichts machen. Der Weg ist gut ausgeschildert und ich komme an meinen ersten KM-Stein. 306 km sind es noch bis Santiago, das ist nun wirklich nicht mehr weit, werde ich es schaffen? Ich gehe alleine meiner Wege, in der weiten Ferne ist ein anderer einsamer Pilger auszumachen. 

Im nächsten kleinen Ort Chozas de Abajo werde ich mit gelben Pfeilen durch einen wirklich nett zusammengezimmerten Ort geführt. Die Häuser aus Backsteinen, teils mit Lehm oder Mörtel verputzt, zeigen nur aufgrund von Antennen, dass hier tatsächlich wohl auch jemand wohnt. Ist schon speziell. Camino de Santiago steht auf einem Schild, der Pfeil zeigt nach links, yeah, mein Weg. Die Landschaft verändert sich, hier wird wieder Getreide angebaut und es ist quietschgrün, wie schön.

Der blaue Himmel, das grüne Feld, der rote Weg, tolle Farben. Ich mache meine Pause in einer netten Sitio de descanso, einem Rastplatz, kurz vor Villar de Mazarife. Einige Bäume spenden Schatten, in der Sonne wird es doch mitunter sehr warm. Ich esse meinen mitgebrachten Apfel, zerschneide ihn mit meinem Minimesser, bis 5 cm durfte die Klinge im Handgepäck sein, geht auch. Leider habe ich es im Laufe der Tour irgendwo liegen gelassen, nun, reden wir nicht darüber. So das ein oder andere hat die liebe Maika dann leider wieder verloren. Irgh!!

Gestärkt geht es nun nach Villar de Mazarife, welches aus dem Nirwana plötzlich auftaucht und mit nettem Eingangsbild auf einen wartet. Ich gehe zu meiner Albergue. Sieht nett aus von außen, eine Wiese mit Tischen und Stühlen, der ein oder andere Pilger sitzt schon hier und schaut in Wanderführer oder Handys. Der Dormitorio ist riesig und ich bin froh in einem Einzelzimmer unterzukommen, nee das hätte ich nicht drauf gehabt. Die Verständigung mit den jungen Damen, die mir einen Stempel in den Pilgerausweis machen und mir das Geld abknöpfen, ist nicht ganz einfach. Sie sprechen wirklich nur spanisch und so ist ein bissel Hände und Füße angesagt, bis ich meine Infos, die ich benötige, bekomme. Die Herberge macht einen leicht ungepflegten Eindruck und die Organisation mit allem ist leicht chaotisch.

Ich dusche, mache mich zurecht und gehe runter, habe jetzt Bock auf ein schönes Bier. Ich sitze mit einer englischsprachigen Pilgerin am Tisch, die in ihr Handy versunken ist. Ich würde jetzt gerne quatschen, mich über den Weg austauschen. Da hinten auf dem Sofa sitzen wohl zwei Deutsche und unterhalten sich. Hmm, soll ich sie ansprechen? Ich bin etwas verhalten. Nach dem Bier schaue ich mir den Ort mit seiner urig aussehenden kleinen geschlossenen Kirche an und kaufe im hiesigen Tienda (Lädchen) das ein oder andere ein. Eine leckere spanische Orange soll es wieder sein und ein paar Mentos sind auch mit dabei, lecker. 

Ich sitze mit einem Eis auf der Bank vor einem Steinpilger an der Kirche in der Sonne und mache mich alsbald dann auf und gehe in die Albergue Jesús, die wohl eher empfohlen wurde, setze mich mit einem weiteren Bier in den schönen Garten und erhoffe mir ein Gespräch, was ich dann mit einer Amerikanerin, die mit dem Rad unterwegs ist, dann auch habe. Sie ist nun in Rente und will jetzt einfach mal machen was sie will, ganz ohne Verpflichtungen, das hört sich doch gut an. Am Nachbartisch sitzen ein paar Deutsche, die ich zuvor im Tienda getroffen hatte. Ich entscheide mich später nochmal hierher zu kommen, da bei uns irgendwie nicht viel los ist. Scheinbar eben die falsche Herberge ausgesucht, shit happens!

Aber abends beim Pilgermenü kommt dann doch die große Überraschung, wir sitzen nett mit Engländern, Deutschen und Österreichern zusammen, am anderen Ende ein paar Franzosen, die aber ob der fehlenden Englischkenntnisse unter sich bleiben. Der Tisch ist wunderbar gedeckt, ein toller Salat steht schon bereit, Wasser und Wein, klar. Der Hausherr heißt Antonio und köchelt an einer großen Paellapfanne herum und sieht in seiner Kochmütze witzig aus. Heute gibt es also Paella, ich freue mich total. Das hier ist alles unheimlich schön und lässt das doch etwas mitunter schäbig aussehende Hostal in einem neuen Glanz aufleuchten. Wir quatschen viel, haben doch alle ein gemeinsames Thema, das Pilgern. Viele haben tatsächlich auch erst in León angefangen, so wie ich. Das hätte ich nicht gedacht, ich hätte gedacht, dass die meisten aus Saint Jean Pied de Port kommen, aber nein, dem ist nicht so. Die, die übrigens von dort herkamen, also so Anfang/Mitte April losgegangen sind, sind auf den Pyrenäen im Schneegestöber gelandet. Oh oh, nicht gut. War es auch nicht, es gab sogar Hubschrauber-Einsätze, weil da Pilger runtergeholt werden mussten. Och nee, aber spannende Geschichten. Ich hoffe, dass mich so ein Schicksal auf den Bergen, und es wird da zum höchsten Punkt meiner gesamten Pilgertour auf über 1500 Metern gehen, nicht ereilen wird. Nun sehen wir weiter.

Also es wurde ein nettes Essen und eine lustige Runde, so mag ich das. Abends bin ich dann noch mit Volker, Harald, Martin und Eugen zur Albergue Jesús rübergegangen, da bei uns Totentanz angesagt war. Ich leite uns durch den netten Ort und wir treffen auf die anderen Deutschen dort im Rund. Biere und Weine finden ihren Weg in die Mägen und es wird ein toller und lustiger Abend. Ich treffe auf Urte und ihren Mann, die gemeinsam den Jakobsweg bis nach Santiago beschreiten wollen und auch ab León losgegangen sind. Urte ist am überlegen auch morgen in Santibanez de Valdeiglesias, meinem nächsten Übernachtungsort, unterzukommen. Das übernächste wäre dann schon Astorga mit über 30 km. Ich freue mich sehr und hoffe, dass sie das auch so machen. Leider sind sie dann doch weitergegangen und ich habe sie nie wiedergesehen. Nun denn. Wir flitzen etwas, damit wir noch vor 22 Uhr in der Herberge sind und wünschen uns eine gute Nacht. Für mich heute schnarchfei in einem Einzelzimmer, das ist schön. 

 

3.5.23 

Villar de Mazarife

nach Santibanez de Valdeiglesias

21 km

Das Frühstück findet um 7 Uhr statt, das ist gut, genau meine Zeit. Es gibt sogar Cornflakes, die ich mir tonnenweise reinziehe. Das ganze mit Brot und Marmelade ist einfach nicht so mein Ding. Der Kaffee ist gut und reichhaltig, ich unterhalte mich mit Volker, der mir gegenüber sitzt. Wenig später packe ich meine Sachen, stelle meinen Rucksack in den Gang und gehe dann alleine los. Es geht durch den kleinen Ort auf eine flache Ebene immer geradeaus, nun sind es wieder bewirtschaftete Felder. 

Die Sonne kommt raus und wärmt den Rücken schön, bringt die rötlichen Farben der Landschaft in ein wunderbares Licht. Noch ist nicht viel auf den Feldern zu sehen, ich nehme mal an es wird später Mais werden. Bewässerungsanlagen befeuchten die trockene Erde und der ein oder andere Meseta-Bewässerungskanal wird überquert, das Land ist durchzogen damit. Mein Pilgerschatten hat unendlich lange Beine und ich gehe nachdenklich meinen Weg. 

Gerne würde ich mit den anderen zusammen gehen oder zumindest abends beieinander sein. Das war eine tolle Runde gestern, aber meine Tour ändern? Über 30 km nach Astorga? Nee, das will ich nicht. Es ist schon komisch, aber bevor ich in Spanien ankam hatte ich solche Gedanken gar nicht, mir war einfach klar, dass es in Deutschland oder der Schweiz keine anderen Leute geben wird. Na und in Frankreich habe ich mich mit den ganzen Franzosen eben abgefunden. Okay, als ich dann doch mal die beiden Österreicher Herma und Karl traf oder später dann Monique und auch Elisabeth, das war schon auch toll. Aber nun mit meiner letztjährigen Erfahrung hier auf dem Camino Francés, mit den tollen Leuten, die ich immer wieder getroffen habe, das war schon schön. Sowas hätte ich nun auch gerne, aber irgendwie treffe ich nur auf Leute die mit Riesenschritten unterwegs sind und extrem viele Kilometer machen. Somit sollte mir also auch diese Truppe von gestern Abend abhandenkommen. Ich traf sie nochmal in Villavante in einer Bar draußen beim Kaffee und sah sie danach nie wieder, schade. Die Landschaft ist hier nun etwas öde. Da hinten sind ein paar Büsche, da springe ich mal rein, ich muss mal und es muss schnell gehen, denn hinter mir kommen schon die nächsten Pilger. Nicht dass es jetzt hier brechend voll wäre, das ist es nicht, aber sie kommen gleich ums Eck. Egal, weiter geht’s. Wie gesagt, in Villavante treffe ich auf die anderen und erfahre, dass sie nun doch alle nach Astorga gehen und auch gleich aufbrechen werden. Alleine bleibe ich zurück, doof, aber ich gehe weiter meinen Weg, meinen Camino, gemeinsam mit Jesus im Herzen. Er kam hinzu und ging mit Ihnen, er kommt hinzu und geht mit mir. Mein Herz wird wieder leichter. 

Es zieht sich heute etwas zu, als ich kurz vor Hospital de Órbigo wieder auf den eigentlichen Jakobsweg treffe. Kurz vor der großen beeindruckenden Brücke über den Río Órbigo bleibe ich stehen, lausche dem Presslufthammergeräusch neben mir, welches alsbald verstummen wird, denn die Siesta naht, und freue mich über die vielen Störche auf dem Kirchturmdach. 

Berühmt wurde die Brücke Puente de Órbigo durch ein Ereignis im Jahre 1434, den sogenannten Paso Honroso ein ritterlicher Zweikampf. Jedes Jahr Anfang Juni ist es hier Schauplatz eines mittelalterlichen Spektakels, dann tobt hier der Bär, oder besser der Ritter, im Kettenhemd. Ist bestimmt spannend. Heute ist alles ruhig und die Wiese unten am Fluss liegt verlassen da. Ich überquere die schöne Brücke und treffe im Ort nochmal auf Urte und Ihren Mann, verabschiede mich nun endgültig von beiden und lege mich an die kleine Stadtmauer unweit der großen Wiese und mache meine ausgiebige Mittagspause mit Füße lüften, hinlegen, essen, trinken und so sein. 

Ich beobachte eine große Gruppe Pilger, ich glaube Koreaner oder so, die die Brücke passieren. Oh oh, von denen habe ich auch schon gehört. Das brauche ich so gar nicht. Nun, ich warte ab und döse vor mich hin. Rucksack geschultert, weiter geht es, die Brücke ist leer, somit sollte es ein schöner einsamer Weg im Verlauf werden. Es geht aus dem Ort raus in die Weite, nun wieder gut bewässerte grüne Ebenen. Man könnte auch den direkten Weg an der blöden N120 langgehen, was ich aber natürlich nicht mache, klar :-)

Der nächste Ort ist ein sehr netter, kleiner und heißt Volares de Órbigo. Es ist immer noch Siestazeit, der Ort ist ausgestorben, gelbe Pfeile auf der Straße leiten mich hindurch.

Auf einer kleinen Bank im Schatten mache ich nochmal Pause bevor es den Berg hochgeht, aha es wird jetzt also bergiger, schön. Ein bissel schnaufend geht es den roten Schotterweg nach oben. 

Eine einsame spanische Fahne weht im Wind, eine kleine Wasserstelle kommt in Sicht. Kaltes klares Wasser sprudelt aus dem Hahn und schmeckt sogar gut: Aqua potable, Trinkwasser, das ist prima. Lavendel und Natternkopf blühen am Wegesrand, die Landschaft ist nun wieder recht karg. Von oben kann ich meinen Ankunftsort mit dem spannenden Namen Santibanez de Valdeiglesias schon erkennen. Ein leichter Wind weht mir um die Ohren, ich bleibe stehen, lausche dem Wind und den nun lauter werdenden Grillen. Eine Feldleche trällert im Hintergrund und da, ich kann es genau hören, ein Wiedehopf mit seinem charakteristischen Gu-gu-gu. Toll. 

Ich steige langsam und bedacht den kleinen Berg wieder hinab und komme im Ort an, suche meine Albergue. Ich frage einfach eine Frau auf Spanisch, die mich zurück zur Parroquial, der kirchlichen Herberge, schicken will, aber da wollte ich gar nicht hin. Nun, sie versteht und schickt mich weiter geradeaus. Ich hätte sicher auch in Google schauen können, wollte aber mal das Fragen ausprobieren: "todo recto", immer geradeaus, "e entonces a la izquerda", und dann links. Gut, das sollte zu schaffen sein. 

Ich komme in der Albergue Rural L’Abilleiru an, komischer Name. Aber das Bild eines Bienenfressers (schöner bunter Vogel, den es tatsächlich auch in Deutschland in der Lausitz geben soll) besagt wohl, dass abilleiru wohl ein Bienenfresser auf Spanisch ist. Ich klopfe an das große Tor und es wird von Eva geöffnet, die mich mit gebrochenem Deutsch begrüßt, das ist ja nett. Mein Rucksack steht auch schon da und ich komme in einen schönen Innenhof. Sie stellt mich Monica vor, die aus Mexico kommt und leider aber nur spanisch spricht. Wir sind zusammen in einem Dreibettzimmer untergebracht. Die beiden anderen Damen, die wenig später dazukommen, sind Französinnen. Okay, das ist auch nicht ganz leicht, wobei die eine scheinbar sämtlicher Sprachen mächtig ist, sie spricht recht gut englisch und auch spanisch. Ihre Freundin kann nur französisch. Nun denn. Das Zimmer ist rustikal und kühl, aber schön. Ich öffne erst mal die Fenster, die dicken Mauern des alten Hauses lassen die Wärme draußen, was im Sommer sicher gut ist, aber jetzt eben nicht. Ich gehe in die geräumige Dusche, die wunderbar ist, und lasse das Wasser auf mich rauf prasseln, hmm!

Ich mache mich kurze Zeit später nochmals auf in den kleinen Meseta-Ort und schaue ob die witzig aussehende Kirche auf hat, hat sie aber nicht. Erst später zum Gottesdienst sollte ich die Möglichkeit bekommen sie mal von innen zu sehen, schön. In der Albergue Parroquial treffe ich auf einen Herren, der mir dies bestätigt. In einer ebenfalls hier vorhandenen Bar ist keiner zu sehen, nichts los, schade. Ich gehe in die dritte sich hier befindenden Albergue und setze mich mit einem Bier in den Innenhof, beobachte den ein oder anderen Pilger. Zwei Amerikanerinnen sitzen am Tisch und schauen in die Bücher wie es morgen weitergehen könnte. Ein Pilger ist in sein Handy versunken, neben ihm eine Flasche Wein, ein Hund liegt müde neben dem Tresen. Hmm, tote Hose hier, doof! Ich schreibe Tagebuch und entscheide das mit dem Pilger-Kennenlernen heute sein zu lassen und in meine Herberge zurückzugehen, mich da aufs Sofa zu setzen und ein bissel auf Spanisch mit Monica zu quatschen, was auch geht, aber eben nur begrenzt. Mit den beiden Französinnen geht es etwas besser, sie überlegen wie es weitergehen könnte und entscheiden sich für ein Taxi nach Astorga morgen, damit sie genug Zeit haben sich den Ort anzusehen. Astorga hat viel zu bieten. Nun, jeder geht seinen eigenen Camino und jeder ist unterschiedlich unterwegs. Ich staune zwar etwas, aber so machen sie es. 

Kurz vor 6 gehe ich in hiesige Kirche. Der Gottesdienst fängt um 18.30 Uhr an und die ein oder anderen meist älteren Menschen kommen hinzu. Ich hatte mal einen Spanier gefragt, warum die Kirchen denn alle zu sind. Nun, es geht kaum noch jemand hin, meinte er, in den Gottesdiensten findet man vorzugsweise nur noch Alte und Frauen. Alle anderen haben kein Interesse mehr, na und dann macht man einfach zu. So so. Die Kirche ist schlicht gehalten wartet aber mit schönen Kirchenfenstern auf, nett!

Abends treffen wir zum Pilgermenu zusammen, zwei Amerikaner sind auch noch zugegen, das erfreut mich enorm, denn dann wird alles englischer, wie schön. Es gibt vegetarische Kost, das ist doch mal schön, einen kleinen Salat, ein tolles und reichhaltiges Linsengericht und ein leckeres Eis zum Nachtisch. Wir reden in einem Englisch-Spanisch-Französisch-Kauderwelsch, die eine Französin übersetzt alles, sie macht einen wirklich tollen Job. Wahnsinn, ich würde da völlig durcheinander kommen. Es wird noch ein richtig netter Abend, und ich bin wieder happy und habe die anderen schon fast wieder vergessen. Ob sie alle in Astorga angekommen sind? Nun, ich weiß es nicht, nehme es aber mal an. 

Das Zimmer ist kühl, will mal sagen kalt, geblieben. Ich versuche mich an der Heizung, die auch tatsächlich funktioniert. Somit haben wir es dann später ziemlich warm. Monica ist dann nachts nochmal aufgestanden und hat die ausgestellt. Nun, besser als kalt. Ich höre noch mein Hörbuch, nun kann ich Hape Kerkeling ja weiter in seiner Geschichte verfolgen und sie mit meiner vergleichen, schön finde ich das. Plötzlich legt Monica los wie ein Presslufthammer. Wahnsinn, wie kann eine Frau so schnarchen? Ich rufe rüber: "Monica!!!" Schweigen, geht doch. Krass! Da müssen die Ohrstöpsel heute Nacht aber ganzer Arbeit leisten, taten sie dann Gott sei Dank auch. Man, ich habe schon so viel erlebt, toll finde ich das alles. Morgen geht es dann nach Astorga, da bin ich auch schon gespannt auf die Kathedrale und den tollen Bischofspalast von Gaudí.

 

4.5.23

Santibanez de Valdeiglesias

nach Murias de Rechivaldo

20 km

Morgens um 7.30 Uhr gibt es für Monica und mich Frühstück, die Klassiker sind alle mit dabei, nicht so meins. Das Brot ist hart, die Marmelade süß, nur der Kaffee lässt sich sehen. Nun denn, zwei Magdalenas verschwinden noch in meinen Beutel, die sind dann für später dran. Die anderen Pilger sind noch nicht am Start und schlafen scheinbar noch. Ich sortiere meine Sachen, der Rucksack steht schon im Gang, schultere den kleinen und mache mich alleine auf, aus dem Ort raus. Kalt ist es, 6 Grad zeigt das Thermometer an, puh, mit solchen Temperaturen habe ich so gar nicht gerechnet, hatte ich doch permanent 30 Grad letztes Jahr. Nun, wenn’s zu krass ist, dann ziehe ich eben noch die Regenhose an, die hält den Wind gut ab. Alsbald stehe ich wieder auf dem roten Schotterweg und habe die 300er-Marke unterschritten, das hört sich doch toll an. 

Die Sonne kommt raus und wärmt schön den Rücken, uh, das tut gut! Die Landschaft wird nun langsam hügeliger und grüner, auch sind wieder ein paar Bäume mit dabei. Der ein oder andere Olivenbaum steht am Rand, vereinzelte Wiesenblumen öffnen ihre Blüten und der Pirol ist im Hintergrund zu hören, wie schön. Alleine gehe ich meiner Wege, der sich rot durch die schöne Landschaft schlängelt. Ein Fahrradfahrer fährt an mir vorbei, die habe ich ja noch gar nicht gesehen bisher. Ich weiß noch, dass die letztes Jahr sehr zugegen waren, das war nicht immer ganz einfach gewesen und manchmal fand ich es auch gefährlich, wenn die so an einem vorbeirasen.  Meine Schritte knirschen auf den kleinen Kieseln, die Stöcke klackern, ein leichter Wind weht mir um die Ohren, als ich nach einer Weile an einer Pilgerraststelle ankomme. Eine spirituelle Musik ist zu hören, Sofas, eine Steinspirale vor dem Haus, Hängematten zwischen zwei Bäumen. Der Herr des Hauses sieht etwas verwegen aus und bietet Getränke an. Ich habe noch genug in meiner Wasserblase, verweile aber etwas. Ein Pilger kommt daher und humpelt etwas, er hat eine dicke Blase am Fuß, die ihm große Beschwerden macht. Er zieht den Schuh aus, hmm, nicht so toll. Viele laufen in Turnschuhen den Weg. Ich weiß nicht ob das so der Hit ist, hat man doch etwas weniger Halt als in Wanderschuhen. Er versorgt seinen Fuß mit Compeed und ich erzähle ihm noch was von Achtsamkeit mit sich selbst und dass auf keinen Fall die Haut von der Blase kaputt gehen sollte. Nun denn. 

Es geht den Berg hoch, links und rechts befinden sich nun Kiefernwälder und oben auf der Ebene angekommen begrüßt mich ein Wegekreuz, Pilger haben hier einige Steine niedergelegt, süß sieht das aus. Ich spreche mein Gebet und gehe über die Ebene rüber zum Wegkreuz von Santo Toribio, von dessen Stelle man eine tolle Aussicht auf die unten liegende Stadt Astorga hat. Wie schön das alles ist. Ich verweile, genieße meine beiden Magdalenas, halte einen kurzen Schnack mit einem ums Eck kommenden spanischen Pilger und mache mich an die Abstieg. 

Steil geht es nun die Straße an blühenden und duftenden Akazien vorbei nach San Justo de la Vega. Unten an der Straße treffe ich auf die Skulptur des durstigen Pilgers. Ein paar Radler machen eine Vollbremsung und schauen sich den Herren an. Ja mit Rad geht einem vieles verloren, da ist man als Fußpilger besser dran, da entgeht einem nichts. Ich gehe durch den Ort und treffe auf eine Frau, leider Französin und des englischen nicht mächtig. Wir gehen nun aber gemeinsam Richtung Astorga und unterhalten uns, klappt dann aber auch ganz gut. Ein abenteuerlicher Fußüberweg überquert die Schienen unter uns. Oben angekommen hat man einen schönen Blick rüber zur Altstadt mit Kathedrale und dem Gaudípalast. 

Es geht steil bergauf in die trubelige Altstadt. Schön sieht es hier aus, der gelbe Pfeil lotst uns durch. Wir verabschieden uns alsbald. Sie trifft später ihre Freundinnen und ich gehe geradewegs in die Catedral de Santa María de Astorga und hole mir einen schönen Stempel.

Astorga hat ca. 10000 Einwohner und ist Bischofssitz des Bistums Astorga und eine der größten Diözesen Spaniens. Nach dem versiegenden Goldrausch aus den Montes de León und dem Biérzo wurde es wieder ruhiger um die Stadt. Mit dem Beginn der Wallfahrt nach Santiago de Compostela wurde sie dann zu einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt. Der Camino Francés (Ost–West) und Vía de la Plata (Nord–Süd) treffen hier aufeinander.  Mit der zunehmenden Popularität entstand dann im 15. Jahrhundert eine neue Kathedrale. Ich bekomme das komplette Programm mit Flyer und Kopfhörer in die Hand gedrückt. Man kann sich überall in der Kirche hinstellen und sich anhören, was das alles sein soll. Ist mir eigentlich alles zu viel, somit lasse ich das sein und trete, nachdem es quer durch das Museum geht, in die stille und kühle Kathedrale ein.

Ein schöner Hochaltar begrüßt mich. Diesmal gar nicht so vergoldet, aber mit vielen Szenen aus der Bibel und hoch oben thront Jesus. Ein roter Teppich lässt das ganze sehr edel erscheinen und im Rücken befindet sich das Chorgestühl, filigran verarbeitet, darüber thront die große Orgel.

Einige Seitenkapellchen laden zum in sich gehen ein. Ich wähle mir die mit Jesus, zünde Kerzen an und setze mich in die Bänke. Still ist es, wenig Menschen sind zugegen, keiner sagt was, das tut gut. Ich sitze da so. 

Später draußen wieder angekommen empfängt mich der strahlende Sonnenschein. Gleich neben der Kathedrale befindet sich die kleine Iglesia Santa Marta, die einen erstens mit offenen Türen und zweitens mit netter gregorianischer Musik empfängt. Auch hier setze ich mich nochmals hin. Schön, dass hier alles offen ist. Die Französin und ich hatten vorhin noch einen Spurt hingelegt, da es in meinem Wanderführer hieß, dass die Mittagspause in der Kathedrale machen, machen sie aber nicht. Also alles sutsche, wie der Norddeutsche so schön sagt. 

Auf dem schönen Vorplatz angekommen bewundere ich den Bischofspalast von Gaudí und laufe geradewegs in die beiden Französinnen von gestern rein, die ja heute ein Taxi genommen haben. Wir tauschen uns kurz aus und jede geht dann wieder ihrer Wege. Ich sollte sie später auf dem Aufstieg nach O Cebreiro wiedertreffen. Toll sieht das alles aus. Der  neogotische Bischofspalast von Antoni Gaudí, begonnen 1889 und 1913 nach zwanzigjähriger Unterbrechung von Ricardo García Guereta vollendet, sieht toll aus mit seinen Türmchen und Bögen. Heute ist hier ein Museum beinhaltet, welches ich aber nicht besuchen werde.

Vor dem Gaudí-Palast, das Paellapfannen-Ensemble und Innenstadt-Flair

Der Magen fängt an zu knurren, Essen muss her. Ich setze mich draußen auf den Platz am hübschen Rathaus in die Sonne und warte auf mein tolles Bocadillo, dazu gibt es einen schönen Kaffee und Wasser. Ich beobachte die Pilger vorbeiziehen, die Menschen, die sich zusammenfinden und wieder trennen, es ist echt spannend. Wenig später suche ich hiesiges Sportgeschäft auf, mein kleiner Rucksack ist nicht wirklich für lange Touren angebracht, ich brauche was stabileres und werde auch fündig. Sogar mit peppiger türkiser Farbe. Ich packe noch im Laden stehend alles um, verabschiede mich und gehe glücklich wieder zurück zum Plaza vor dem Palast.

Dort treffe ich auf einer Bank sitzend zwei Deutsche, Olaf und Christian aus Bayern, wir halten einen kleinen Schnack, machen Fotos und werden uns in Rabanal wieder treffen, wie schön. Nun ist es aber Zeit weiterzugehen. Was für eine schöne Stadt, viel gesehen, gut geshoppt, auch Geld ist nun wieder vorhanden, wobei ich mich wundere, warum die jetzt Gebühren haben wollen, das war letztes Jahr noch nicht so, nun denn, nützt ja alles nichts, Geld muss her. Ich komme an diversen netten Pilgershops und auch Paellapfannen-Ensembles vorbei, werfe noch einen Blick zurück zur hübschen Kathedrale mit ihren beiden Halbbögen und wende der Stadt den Rücken zu. Es fängt leicht an zu pieseln und wird auch kühler. Oh shit, Regenklamotte hatte ich nun nicht im Sinn gehabt. Zum Glück hört es alsbald auf und weiter geht’s an der Straße entlang zur süßen Ermita del Ecce Homo. Süß, nette Sprüche, aber leider geschlossen, wie blöd man! 

Ich gehe weiter den Weg an der Straße entlang. Murias ist gar nicht mehr weit. Die Sonne lacht wieder, ich entscheide mich scharf links auf einen Feldweg einzubiegen und abseits des Weges eine nette Wiesenpause einzulegen. Die Sonne brutzelt vom Himmel und ich genieße die Zeit hier auf der Wiese ganz für mich. 

Nach Astorga verändert sich die Landschaft, die Montes de León bilden den südwestlichen Ausläufer des Kantabrischen Gebirges und können Höhen von über 2000 Metern erreichen. Ganz so hoch werden wir nicht hinaus müssen, aber der höchste Punkt meines Jakobsweges am Cruz de Ferro ist auch mit 1500 Metern nicht ganz ohne. Es geht nun stetig bergauf. Für mich ist aber in Murias de Rechivaldo erst mal Schluss, hier werde ich unterkommen. Ich treffe auch kurze Zeit später im netten Ort ein, der sich mit hübschen Häusern und den für die Gegend, welche Maragatería heißt, typischen weißen Rahmen um die Fenster präsentiert. Er soll böse Geister abhalten, soso. Auch die Türen sind mitunter in schönen bunten Farben gehalten, die Kirche mit ihrem eigenartigen Turm inklusive Storchennest sieht schon urig aus. Toll. Leider zieht es sich nun zu und ein frischer Wind kommt auf. Ich treffe beim Suchen meiner Herberge auf eine auch suchende Deutsche, Doris. Wir kommen ins Gespräch. Später versuchte ich sie in ihrer Herberge wiederzufinden, daraus wurde dann aber nichts, schade.

Ich komme woanders unter. Meine Herberge befindet sich am Ende des Ortes direkt am Jakobsweg, ist ja auch nicht schlecht. Ein großer dunkler Raum mit bestimmt 14 Betten begrüßt mich. Kalt ist er, die Tür steht offen und Monica begrüßt mich eingemummelt von ihrem Bett aus. Sie hat zwei Kniebandagen um und massiert sich die schmerzenden Knie, das ist auch doof. Ich suche hinten im Raum mein Bett auf, zum Glück sollte es nicht voll werden, somit blieb ich ohne jemanden über mir. Naja und ich habe ja meinen Sarong und mache damit eine kleine Höhle draus, das ist toll. Eine Dusche muss her. Ich stehe zitternd im Bad, es ist wirklich kalt. Die Dusche ist aber ausgiebig und heiß und so wärme ich mich etwas auf. Mit sämtlichen Klamotten bestückt schaue ich mir noch das hübsche Dorf an, suche Doris, die ich vorhin traf, die ich aber nicht finde und gehe etwas befrustet zu meiner Herberge zurück, wo alle irgendwie nur spanisch sprechen. Das ist ja mal blöd, diesmal sind viel mehr Spanier unterwegs und ich dachte schon, och nee, erst zwei Jahre unter Franzosen, jetzt geht es mit Spaniern weiter. Leider können sie meist auch nur ihre Sprache, da kann ich dann nicht mithalten. Der Innenhof ist schön, die Herberge auch wirklich nett, aber es ist eben kalt. Ich glaube ich muss mir noch eine Klamotte kaufen, ich habe definitiv zu wenig mit. Na und wie wird es dann in den Bergen sein? Hmm. Ich frage den Hospitalero glatt, ob es denn keine Deutschen oder ähnliches so gäbe? Doch einer wäre da, der aber gerade nicht zugegen ist. Und eine andere deutsche Pilgerin ist auch gerade weg. Ich setze mich mit all meinen Klamotten und meinem Bier an den Tisch und schreibe. Dann kommt Andreas daher. Das ist schön, so schnacken wir über unsere Camino-Erfahrungen in einer Sprache, die ich auch verstehe, wie toll. Er ist über die Pyrenäen gekommen und dort auch im Schnee gelandet, oh man, das wäre ja nun gar nichts für mich gewesen. Da hatte ich doch um Längen mehr Glück gehabt, das muss ich jetzt mal sagen.

Um 19.30 Uhr gibt es erst Essen, Das ist spät und so landet zuvor sämtliches was noch im Rucksack übrig war in meinem Magen. Ich hätte noch ein bissel was einkaufen sollen in Astorga, hatte aber nur den Rucksack im Sinn, Nun, dann eben nicht. Wir kommen alle zusammen im kleinen Raum unter. Es gibt wunderbares und reichhaltiges Essen, eine schöne heiße Brokkolisuppe zum Start, Nudeln mit Gemüse und lecker Kuchen zum Abschluss. Wir sind eine tolle Runde und schnacken was das Zeug hält. Gegenüber sitzen Edwin, ein Franzose und Alexandra aus der Schweiz, die sich auf dem Camino ineinander verliebt haben, Andreas sitzt daneben, noch zwei Australierinnen sind mit dabei und Marina aus Deutschland, oh yeah, die ganze Welt ist vertreten. Was für ein toller Abend nach dem leichten Frust heute Nachmittag. Draußen vor der Tür machen Lucy, die eine Australierin, und ich noch Dehnübungen. Der Hospitalero sieht uns da rumturnen und gibt uns glatt noch zwei Yogamatten mit raus. Die Sonne kommt wieder hervor, die letzen wärmenden Strahlen diesen Tages. Es wird alles schön gedehnt,  macht richtig Spaß und sie zeigt mir noch einiges wichtiges, hat wohl mal im Fitnessstudio gearbeitet, das passt ja. Es ist nun aber Zeit, die Sonne geht langsam unter, in die Kojen zu springen. Meine kleine Höhle ist ganz wunderbar, die Ohrstöpsel auch :-) Und ganz wichtig, es gibt noch Wolldecken, das ist bei den Temperaturen sicher eine gute Investition denn in den Albergues gibt es oft eben keine Heizungen, hier jedenfalls nicht. 

 

5.5.23

Murias de Rechivaldo

nach Rabanal del Camino

18 km

Mal wieder ist es frisch am Morgen, als wir zum Frühstück nebenan eintreffen, welches es auch erst um 8.30 Uhr gibt. Das ist spät. Alle Klamotten habe ich mehr oder weniger an, der große Rucksack hat kaum noch Gewicht. Ich trete aus der Herberge auf den Jakobsweg und werde fast umgerannt. Viele Pilger kommen die Straße durch das Dorf hinunter gelaufen. Durch das späte Frühstück sind die Astorgarianer (die Pilger, die in Astorga übernachtet haben) schon da. Das ist Mist, Rechnung nicht aufgegangen, denn ich bin zu spät, ich hätte ne halbe Stunde früher sein müssen. Frust! Ich warte ab, aber weitere Pilger kommen daher und der Pilgerstrom hört einfach nicht auf, oh je! Aber jetzt gibt es eine kleine Lücke, ich gehe los. Ein schmaler Schotterweg führt aus dem Ort hinaus. Nun geht es dezent bergauf, Rabanal liegt auf 1150 Metern Höhe. Santa Catalina de Somoza kommt in Sicht. Wieder ein nettes Dorf mit weißumrandeten Fenstern und bunten Türen, sehr hübsch. 

Meine Komoot App zeigt mir einen Variantenweg nur 200 Meter den Berg hoch. Aus Santa Catalina raus biege ich also rechts ab, gehe den Berg hoch und bin nun wieder alleine. Sind schon viele Leute jetzt am Start, ich kann sie von hier aus sehen. Ein wunderbarer Weg durch Lavendel, Ginster und krüppeligen Steineichen erwartet mich. Mein einziger Begleiter ist nun wieder mein Schatten, toll dass ich den Weg hier gefunden habe. Abends ist das toll mit Leuten, beim Pilgern brauche ich das aber nicht. 

Im Hintergrund sind die hohen Berge zu erkennen, der ein oder andere Schneefleck ist tatsächlich noch zu sehen. Nun, ich bin ja mal gespannt, was mich erwarten wird. In El Ganzo komme ich wieder runter von meinem Weg und kehre bei einer Albergue zu einem Kaffee ein. Ich hole mir ein paar Magdalenas, eine Orange und ein Mars und setze mich zu Marina, die an einem kleinen Tischchen sitzt und Pause macht. Sie sitzt hier ganz alleine und will das auch nicht sein und somit sind wir zwei. Wir gehen auch gemeinsam weiter, aber ich vorabschiede mich wenig später zur nächsten Variante. Ich habe gut Zeit, die Sonne kracht wieder vom Himmel, nichts mehr mit frieren, jetzt ist T-Shirt angesagt. 

Ich gehe wieder den Berg hoch und mache wenig später auf einer Wiese Pause, lege mich hin, lüfte meine Füße und esse meine Orange, lecker und saftig sind die hier, toll. Die kleinen krüppeligen Bäume um mich rum sind mit Flechten bewachsen, pieksiges Gestrüpp überwuchert den Boden. Lavendelflächen befinden sich hi und da dazwischen und es duftet nach Thymian. Die Grillen zirpen was das Zeug hält und im Hintergrund ist auch wieder der Wiedehopf zu hören. Ich genieße die Ruhe und die Natur um mich rum. 

Die super-leckeren spanischen Orangen, mein kleiner Rastplatz, toller Lavendel und das Storchennest in El Ganso

Meine Variante ist jetzt aber nur eine kurze, wäre ich weitergegangen, wäre ich weit vom Jakobsweg abgekommen, das wollte ich dann auch nicht. Somit befinde ich mich wenig später wieder auf dem Schotterweg die Straße entlang. Das ist ja auf dem Camino Francés öfters so. Die Straße ist zwar so gut wie gar nicht befahren, aber Straße ist nun mal Straße. Der Weg ist aber schön und schlängelt sich an Kiefernwäldern vorbei. Im Hintergrund türmen sich die Berge der Montes de León auf. Vor mir zwei Pilger in der Ferne, hinter mir ebenso, so ist das für mich schön und ich stapfe munter weiter. Es blüht um mich rum in allen Varianten und Farben, weiß, gelb, lila und blau, auch der Affodill, der ästige, ist mit zugegen, den kenne ich ja schon aus dem Vorjahr.

An einer kleinen Kreuzung ist ein Foodtruck aufgestellt, es gibt ein paar Stühle und man könnte sich was zu trinken holen. Ich setze mich abseits ins Gestrüpp auf eine Anhöhe und esse mein Mars, beobachte die Pilger. Weiter geht es nun einen Sandweg steil bergauf von der Straße weg. Ein Kreuz steht am Wegesrand, hier ist jemand verstorben, einer von so vielen auf dem Camino Francés. Mein Herz wird immer schwer wenn ich das sehe, was hier wohl passiert ist? Kurz vor Rabanal läuft man einen schmalen Weg durch Steineichenwälder hindurch. Rechts befindet sich ein Zaun an dem aus Hölzern viele Kreuze in allen Größen angebracht sind. Was das wohl bedeuten soll? Schon ein bissel unheimlich finde ich. 

Kurz vor dem Ort treffe ich auf Monica, die Pause auf einer Bank macht und schaut, in welche Herberge sie jetzt gehen muss. Rabanal ist ein Hauptort, hier gibt es viele Herbergen. Ein nettes Dorf, welches es sich anzuschauen lohnt, kann ich nicht anders sagen. Ich komme gleich in einer Pension am Ortseingang unter, die meisten gehen ins Zentrum. Unten sitzen viele Leute im Restaurant, gemütlich sieht es aus. Ich habe ein schönes Zimmer mit netter Dusche und schönem Ausblick. Der Rucksack ist schon vor Ort und ich bekomme einen schönen Stempel in mein Credencial. Heute ist es mächtig warm geworden und ich liege ein bissel erschöpft auf dem Bett, mache mich dann aber erfrischt auf in den Ort. Der Ort war lange Zeit wegen seiner Lage vor dem Übergang über den Monte Irago sehr wichtig für den Jakobsweg, mehrere Hospize und Kirchen in dem kleinen Ort belegen die damalige Bedeutung des Dorfes, besagt Wikipedia hierzu. 

Es gibt ein Kloster, das Monasterio de San Salvador del Monte Irago, welches tatsächlich 2001 erst gegründet wurde, wahrscheinlich wiederbelebt, nehme ich mal an, von Benediktinern. Man kann hier einen Ort der Stille finden und in sich gehen, das dann aber für mehrere Tage. Die angrenzende Kapelle ist geöffnet, still und schlicht. Kerzen wurden angezündet, später soll hier ein Pilgergottesdienst stattfinden, den ich aber verpasse. Nun denn, Stempel ist auch schön.

Ich gehe in den nahegelegenen Tienda und kaufe mir eine neue Orange, das Obst meiner diesjährigen Tour, ja lecker! Ich suche in den anderen Albergues ein bissel rum, ob ich jemanden zum quatschen finde. Marina, die ich ja vorhin in El Ganso traf, wollte in der Municipal unterkommen, aber hier finde ich niemanden und außerdem möchte ich gerne ein schönes Bier trinken. Nebenan in der Albergue mit dem schönen Innenhof werde ich dann fündig. Olaf aus Astorga und Marina sitzen beieinander, ich setze mich dazu und so wird es sehr nett. Ich bin happy. Wenig später kommt Paul aus Holland dazu, man kennt sich, und eben Christian, der Freund von Olaf. Eine nette Runde ist das. Nach dem zweiten Bier entscheiden Paul und ich uns für später zum Essen zu verabreden, die anderen brauchen nichts oder hatten schon. Ich freue mich sehr, daß ich heute nicht alleine essen muss. Das ist der Nachteil an Pensionen, dass man oft keine Leute trifft, das ist in den Herbergen natürlich anders, da hat man abends dann auch oft gemeinsam das Pilgermenü und man kann sich austauschen. Nun, aber Paul, der schon 75, aber sehr drahtig ist, ist ein netter Gesprächspartner und so treffen wir uns um 19 Uhr vor dem Restaurant und haben dort ein schönes gemeinsames Pilgermenü. Er erzählt ja eine haarsträubende Geschichte. So hatte er wohl zu wenig gegessen und getrunken, wahrscheinlich auch zu viel Sonne abbekommen und saß da so auf einer Bank und wusste nicht mehr wo er ist. Zum Glück haben Olaf und sein Freund die Lage geschnallt und den Notarzt angerufen. Er verbrachte eine Nacht im Krankenhaus, wurde aufgefüllt und dann ging es wieder. Ja ja, die liebe Meseta kann schon Sachen mit einem machen. Nicht umsonst stehen so viele Kreuze am Wegesrand. Nun geht es ihm aber wieder besser, er macht horrende Kilometer am Tag und das in Sandalen, und will morgen nach Ponferrada, 35 km. Oh Gott, das wäre mein Untergang, nicht nur die 35 km, sondern noch den ganzen Berg runter, irgh! Und so ist mir auch Paul abhanden gekommen und auch Olaf und Christian, die wollen nach Molinaseca. Ich bin da etwas vorsichtiger und gehe nur bis El Acebo und dann am nächsten Tag die restlichen Kilometer downhill. Im weiteren Verlauf meiner Tour habe ich auch erfahren, dass sich einige da die Gelenke demoliert haben, denn die 900 Höhenmeter den steinigen steilen Weg bergab, die haben es in sich. Ich teile das also durch Zwei und hoffe, dass meine Hüfte mitmacht. Bis dato alles gut. Somit haben wir noch einen netten Abend und verabschieden uns dann voneinander. Ich habe eine wundervolle Nacht in meinem Einzelzimmer, ganz ohne Schnarchen, wie schön.

 

6.5.23 

Rabanal del Camino nach El Acebo

18 km

Bedeckt und kalt ist es am Morgen, 5 Grad, oh oh. Früh packe ich meine Sachen und gehe runter ins Café, Frühstück ist hier inklusive. Ein paar Leute sind schon zugegen. Eigentlich würde ich gerne losgehen, damit ich nicht in die Horden gerate. Ich lasse mir ein tolles Bocadillo machen und nehme es mit, der Kaffee geht schon noch rein. Dann geht es für mich los, der Raum füllt sich enorm, es ist Zeit. Ich gehe durch den schönen Ort, vor mir ein einsamer Pilger, es ist still an diesem Morgen. Stetig geht es nun bergauf nach Foncebadón, der Ort, von dem Hape Kerkeling ob der Hunde so einen Schiss hatte. Nun, wie ich schon sagte, mit Hunden gibt es hier überhaupt keine Probleme, auch nicht in Foncebadón. Die Sonne geht über den Bergen auf und beleuchtet diese in einem schönen Orangeton. Ein teils sandiger, teils steiniger Weg führt hinauf, links und rechts die blühende Heide, der ein oder andere Ginster, eine Singdrossel trällert im Hintergrund ihr ganzes Repertoire ab, ich muss grinsen. Schön ist das. 

Der Wind wird stärker und ich bin froh bergauf zu gehen, denn dann bleibt es warm. Mittlerweile habe ich alles an, was man so anhaben kann, auch die Regenhose ist nun zugegen, hilft gegen den kalten Wind. Schnaufend arbeite ich mich den Berg hinauf, der Blick schweift weit über die Ebene hinunter. Oben auf der Bergebene kämpfe ich gegen den kalten Wind an und bin froh, als das Dorf in Sicht kommt. Ein geöffnetes Café lädt zum verweilen und aufwärmen ein. Oh man, mit so einer Kälte habe ich überhaupt nicht gerechnet, ich hätte doch die Warmweste mitnehmen sollen. Leicht verzweifelt stehe ich vor der Tür. So kann es nicht weitergehen, ich friere mir echt den Arsch ab. Aber es gibt tatsächlich auch Leute, die mit kurzen Hosen unterwegs sind, kernig oder dumm, wer weiß das schon? Ich komme ins warme Café und finde nicht nur einen tollen Stempel mit dem Cruz de Ferro drauf, sondern noch einen tollen Kaffee, Olaf und Christian vor der Tür frühstücken und dann noch einen Laden mit: Mützen, Handschuhen, Pullovern. Oh ja, der Tag ist gerettet. Also es gibt zwei Dinge, die überhaupt nicht bei mir gehen: frieren und hungern. Somit decke ich mich mit einer Wollmütze, Handschuhen und einem Pullover ein, der mit einem komischen Männchen und einem Foncebadón-Schriftzug in Grün aufwartet. Nun, gewöhnungsbedürftig, aber egal, Hauptsache warm. Mit allem bewaffnet begebe ich mich mit meinem Kaffee nach draußen zu den beiden Bayern, wir schnacken schön und ich bin happy ob der ganzen Klamotten, das gibt mir eine gewisse Antifrost-Sicherheit. Frohgemut geht es mit Starkwind weiter, nun ist mir schön warm, Maika ist glücklich! 

Das Heidekraut ist mittlerweile nicht nur Kraut, sondern erreicht Baumhöhe und erstrahlt in einem satten Pink, toll sieht das aus. Der höchste Punkt meines Caminos ist alsbald erreicht und das Cruz de Ferro kommt in Sicht. Zeitgleich wird das Wetter aber nun auch ziemlich trüb und es fängt an zu pieseln, irgh, nicht schön. Ich stehe am Kreuz, ein großer Haufen mit vielen Steinen, Muscheln, Ketten, Fotos von Verstorbenen, kleinen Briefen befindet sich oben auf dem Berg, inmitten der fünf Meter hohe Eichenstamm mit dem Eisenkreuz oben drauf. Wie viele Pilger haben hier seit hunderten von Jahren diesen Haufen mit ihren Steinen erschaffen? Ich bin überwältigt. Ein sehr emotionaler Ort! Wie viele Tränen sind hier schon vergossen worden, wie viele Gebete gebetet? Eine Frau steht anbei und hat Tränen in den Augen und wird von Ihrem Freund oder Mann getröstet. Nun ist es für mich soweit. Ich habe einen Stein mitgebracht. Ich habe diesen von einer Freundin letztes Jahr, als sich alles um mich rum in Dunkelheit hüllte, bekommen. Ein Engel gemalt von ihrer Freundin. Sie hat ihn mir als Schutzengel und Trost geschenkt. Ich betrete den großen Steinhaufen und lege oben meinen Stein zu den vielen anderen, schließe die Augen und bete, fange an über eben dieses Jahr nachzudenken. Unerwartet und aus heiterem Himmel kommen die Emotionen über mich, damit habe ich so gar nicht gerechnet. Ich breche in Tränen aus und mein Bauch verkrampft sich. Ich stehe hier so oben, es pieselt vom Himmel. Der kleine Stein und die vielen Erinnerungen, viele Tränen kommen. ich bete. 

Viele Steine und auch Fotos von Verstorbenen sind niedergelegt, der Stein mit meinem Engel im grünen Gewand ist auch mit dabei

Ich lasse meinen Stein hier und gehe hinunter, die Frau von eben schaut mich verstehend an. Was hier wohl alles so in den Gedanken und Seelen der vielen Pilger abgeht? Nun wird es mächtig feucht von oben und ich trete die Flucht an zu einer kleinen Kapelle nebenan, die natürlich geschlossen ist, habe auch nichts anderes erwartet. Sie ist aber mit einem Vordach ausgestattet, unter dem Carmen und ihr Freund Steffen aus McPomm stehen und sich eine kleine Flasche Rioja zur Feier des Tages gönnen. Wir kommen ins Gespräch, das ist schön. Ich krame nun meine Überschuhe hervor und muss feststellen, dass ich die falschen mitgenommen habe, sie passen nicht über die Schuhe, da hilft auch alles ziehen nichts. Über diese Quadratlatschen passt nichts. Doof! Was soll ich machen? Dann eben nasse Füße. Ich ärgere mich maßlos, da ich zu Hause noch dachte, probier sie nochmal aus ob alles klappt und passt. Ja ja, das sagte die kleine leise Stimme im Hintergrund, aber nein, die liebe Maika hörte nicht auf sie und nun habe ich den Salat. Nun, dann ist eben abwarten angesagt. Zum Glück regnet es nicht lange und so mache ich mich wieder auf den Weg. Ich verabschiede mich von den beiden und wünsche ihnen einen "buen camino". War nett mit ihnen hier unterm Kirchendach. Ich laufe den schmalen bunten Sandweg an der nicht befahrenen Straße entlang, weiß-rote Stäbe am Straßenrand zeugen davon, dass hier sicher mitunter mächtig Schnee liegt. Zum Glück nicht jetzt. Mir ist angenehm warm mit meinen ganzen Klamotten, na und das Regencape hält den Wind auch schön ab und flattert vor sich hin. Ich passiere ein weiteres Kreuz mit Fotos, was hier wohl passiert ist? Da ist zumindest einer gestorben, hmm!

Ich gehe weiter auf die nächste Nebel-und Regenwolke zu. Es wird wieder feucht von oben, aber just in dem Moment taucht ein kleiner Wohnwagen mit Überdachung auf und ich mag es kaum glauben, einem Kamin mit brennendem Feuer. Ich bin in Manjarín angekommen, welches scheinbar nur aus eben diesem Café, oder wie man das hier nennen soll, besteht und wenig später noch aus einer ehemaligen sehr spartanischen Herberge, die aber geschlossen ist und keinen Besitzer mehr hat. Sieht jetzt auch nicht sehr ansprechend aus. Ich stürme mehr oder weniger vor dem Regen flüchtend unter das kleine Dach direkt an den Kamin und treffe hier auf Monica, die es sich hier schon gutgehen lässt, wir schnacken etwas. Ich verspeise genüsslich in angenehmer Kaminwärme mein Bocadillo. Was für ein toller Ort bei diesem unwirtlichen Wetter. Eine junge Deutsche sitzt klitschnass mit kurzen Hosen und einem nicht ganz so warmen Shirt neben mir. Ja ja, die jungen Leute. Solche Erfahrungen habe ich auch mal gemacht und beschlossen, dass ich sie nie wieder machen will. Ich nehme mal an, sie wird auch aus dieser Situation lernen. Schön ist das sicherlich nicht und warm schon mal gar nicht. Brr!  

Aber es hört auch wieder auf zu regnen und ich mache mich auf den Weg. Der Himmel reißt so langsam auf und zeigt, dass er ja doch eigentlich blau ist. Die Landschaft ist einfach wunderschön. Die Wolkenfetzten hängen tief in den Tälern, eine Herde Kühe hockt tiefenentspannt im Gras und käut wieder. Ab und an ist ein „Muh“ zu hören. Schön haben die es hier. Ein Falke dreht hoch am Himmel seine Runden und erzählt dabei etwas auf falkisch einem anderen. So so! Dünne Wege, so nenne ich das immer, die liebe ich besonders. Ein richtig schöner Wanderweg führt am Abhang über den Berg. Die Aussichten sind wunderbar und ich bleibe ständig stehen um zu fotografieren. 

Und dann kommt so langsam die Sonne raus und wärmt wunderbar. Ich beschließe inmitten der pinken Heide eine kleine Pause einzulegen, Füße müssen gelüftet werden. Nun und die doch ziemlich angefeuchteten Socken brauchen auch einen Wechsel. Ein Mars verschwindet in meinem Magen und ich genieße die aufkommende Wärme und erfreue mich an einer quietschgrünen vorbeihuschenden Eidechse.

Als die Sonne ganz rauskommt, mache ich mich wieder auf. Nun kann die Mütze abgesetzt werden, auch die Handschuhe haben den Weg in die Tasche gefunden und so nach und nach entblättere ich mich, denn es wird mächtig warm. Was für ein Unterscheid zu vorhin. Die Landschaft ist üppig mit Heide bewachsen, die Farben flashen mich total, wie wunderschön das alles hier ist. Im Hintergrund ist ein emsiger Kuckuck zu hören, ab und an kommt ein Pilger vorbei, aber alles in allem ist es schön ruhig. Ich würde mal sagen, ich bin genau zur richtigen Zeit hier. Blühende Heide im Mai, dieser wundervolle Duft überall, nun denn, ich find’s toll. Die Ebene findet ihr Ende und es geht bergab, und das so richtig. Hier haben sich auf den Weg nach Molinaseca so einige Pilger ihre Knie-und Fußschmerzen weggeholt. Auch gab es hier Stürze, habe ich gehört. Der Weg ist steinig und uneben, meine Stöcke leisten ganze Arbeit, aber es ist einfach nur schön. Der Blick schweift weit über die grünen Berge im Hintergrund und unten im Tal ist ein größerer Ort auszumachen, ich würde mal sagen, dass das schon Ponferrada ist. Nun, das ist aber morgen dran, jedenfalls für mich. 

Den Abstieg beschreite ich nur noch im T-Shirt, die Kälte ist weg, die entsprechende Klamotte verstaut und ich fange mächtig an zu schwitzen. Man muss ordentlich aufpassen nicht mit dem Geröll unter den Füßen einen Abgang hinzulegen, aber für mich läuft alles gut und so sehe ich unten im Tal schon das kleine Dorf El Acebo, süß sieht das von hier oben aus.

Auf einer kleinen Bank an einem Mirador (Aussichtspunkt) sitzend treffe ich wieder auf Monica, die mächtig Probleme mit ihren Knien hat. Hat sie ja von vornherein schon, aber der Abstieg macht ihr sehr zu schaffen. Sie möchte heute nach Molinaseca, ob das so gut ist, weiß ich nicht. Aber jeder geht ja seinen eignen Camino. Wenig später komme ich im Ort an und treffe auch sogleich linkerhand erstens auf meine Pension und zweitens auf Carmen und Steffen, die in der Sonne an einem kleinen Tischchen was essen. Schön, ich setzte mich mit einem Bier dazu und wir schnacken noch etwas, bevor sie sich auf den weiteren Abstieg nach Molinaseca machen. Wir trafen uns im Verlauf noch einmal, es soll echt krass gewesen sein. Schade, dass sie nun weitergehen, ich bleibe alleine zurück und beziehe mein schönes Zimmer mit tollem Ausblick in die umliegenden Berge. Wie wunderschön! Mein Rucksack steht schon vor der Tür und eine ausgiebige Dusche ist vonnöten. Die Schuhe trocknen draußen in der Sonne auf der Veranda, passt! 

Alsbald mache ich mich auf den wirklich netten Ort zu erkunden und gehe durch die schmalen Steingassen. Hübsche aus vielen Steinen übereinander gezimmerte Häuschen prägen das Dorfbild. Kleine Holzbalkone zieren die Fassaden und diverse Elektrokabel führen von einem Haus zum nächsten, so richtig nett. Am Ende des Ortes ist eine Grünfläche mit einem großen Holzkreuz. Hier werde ich zum Sonnenuntergang nachher nochmal herkommen. Nun brauche ich aber ein schönes Bier und ein bissel was im Magen. Ich finde eine Albergue mit Bar, bestelle mir beides und setze mich draußen in die Sonne auf die Terrasse und schreibe. Drei junge Franzosen setzen sich nebenan hin und quasseln was das Zeug hält, ich muss schmunzeln. Schön ist es hier. 

Endlich gibt es Essen und ich begebe mich rüber ins Restaurant, das einzige, was hier was her gibt. Ich sitze an einem netten kleinen Tisch und schaue in die Speisekarte. Steffen hatte vorhin gemeint, ich soll hier in der Biérzo-Gegend, in der ich mich nun befinde, doch das Nationalgericht Botillo del Biérzo essen, irgendwie sowas wie Gulasch im Schweinemagen. Na ich weiß nicht, das ist mir dann doch zu krass. Hier in Spanien, jedenfalls hier im Norden, ist das Ganze auch wirklich sehr fleischlastig. Später kommen dann auch die Fischgerichte dazu, aber hier ist nun Fleisch angesagt. An den Nebentisch gesellen sich drei junge Pilger, ein Engländer, ein Serbe, eine Schweizerin und wenig später auch an meinen Tisch eine Ecuadorianerin. Wie schön, ich freue mich total. Da ich einfach offen andere Pilger anspreche, kommen wir schnell ins Gespräch und ich muss nicht alleine essen. Das finde ich großartig. Die Frau aus Ecuador, ich weiß ihren Namen leider nicht mehr, kann gut englisch, was mich außerordentlich freut. Wir bleiben beim allgemeinen Pilgermenü und haben eine Flasche Wein für uns beide auf dem Tisch zu stehen, ein Wein nun aus der Biérzo-Gegend, denn das hier ist ebenfalls eine große Weingegend in Spanien, welche wunderbare Weine produziert. Lecker! Am Nebentisch sitzen Schweizer mit einem Herrn aus Ungarn, schön Multikulti. Es wird ein richtig netter Abend. Wir verabschieden uns mit einem „buen camino“, sie kommen hier in der Albergue unter und ich werde sie auch nicht wiedersehen, wahrscheinlich wieder Pilger mit Siebenmeilenstiefeln.  

Ich gehe noch zum Sonnenuntergang am Kreuz, setze mich auf den Steinsims und beobachte das Schauspiel, welches aber von vielen Wolken verdeckt wird. Unten im Tal gehen die Lichter an. Es ist Zeit zu meiner Herberge zurückzukehren. In meinem Riesenbett mit Riesenbettdecke finde ich alsbald in einen guten Schlaf. Was für ein abwechslungsreicher, aufregender, emotionaler Tag. Danke für alles. 

 

7.5.23 

El Acebo nach Camponaraya

28 km

Früh morgens, die Sonne ist noch nicht aufgegangen, geht es für mich los. Die Schuhe sind schön trocken geworden, ich schultere meinen kleinen Rucksack, Frühstück muss es später geben. Ich gehe durch den verlassenen stillen Ort an einem selbstgemalten Schild vorbei: 228 km sind es noch bis nach Santiago. Später teilt mir der klassische Caminostein, wie sie hier ja in Kastilien üblich sind, mit, es sind nur noch 223 km. Man, das ist schon der Hammer, das ist wirklich nicht mehr weit.

Na und wenn ich das hier geschafft habe und unten ohne Hüftprobleme ankomme, dann könnte ich es doch auch tatsächlich nach Santiago schaffen? Hoffnung macht sich breit, ich bin guter Dinge, denn es läuft tatsächlich gut. Abends mache ich meine Dehnübungen, die sind wunderbar und scheinen auch gut zu helfen. Na und nicht den schweren Rucksack zu tragen ist sicher auch förderlich, denke ich mal. Ich treffe am Ortsausgang auf Maynard, einen Amerikaner aus Austin in Texas, wir gehen nun zusammen und quatschen dabei. Er redet gerne und viel, ist mir anfangs etwas zu viel, aber es entspannt sich mit der Zeit und so machen wir uns gemeinsam an den Abstieg nach Molinaseca runter, der von seiner Wegbeschaffenheit Erinnerungen an den krassen Abstieg nach Zubiri wachruft. Aber ich bin gut ausgeruht und die Temperaturen sind angenehm. Heute sollte mich kein Regen ereilen und auch der Wind hat etwas nachgelassen. 

Nach einigen Biegungen, unten im Tal schlängelt sich die kleine Straße entlang, kommt Molinaseca in Sicht, nett steil bergab in eben diesem Tal gelegen. Wir hangeln uns durch, Maynard bleibt etwas zurück, die Knie machen zu schaffen. Aber wir kommen unversehrt unten an einem aussagekräftigen Schild an der Straße an: Unos de los pueblos más bonitos de España. Eines der schönsten Dörfer in Spanien. Toll. Der kleine Ort liegt auf knapp 600 Metern Höhe am Río Meruelo gelegen. Wir überqueren die hübsche romanische Brücke, linksseitig befindet sich die Iglesia San Nicolás, im Hintergrund die grünen Berge und unterhalb eine schöne Wiese, die zum sich hinlegen einlädt. Wenn man wollte, könnte man auch Füße baden. Wir setzen uns mit einem leckeren Napolitan, das sind die spanischen Schokocroissants, und einem Café con leche draußen in die Sonne zu einem netten Iren mit Namen Timothy. 

Nach chillen und quatschen brauche ich mal eine Runde hinlegen und Füße lüften. Ich verabschiede mich von den beiden und gehe die Wiese am Fluss hinunter, die leider noch etwas feucht vom nächtlichen Regen, der hier wohl runterging, ist. Nun denn, dann eben nicht. Ich gehe durch den schönen Ort mit den hübschen Häuschen, inklusive Holzbalkone und weißumrandete Fenster. Das ein oder andere Café lasse ich hinter mir und treffe wenig später auf Edwin und Alexandra, die beiden, die sich hier auf dem Camino verliebt haben und immer noch in Liebe sind, wie schön. Sie war schon mal auf dem Camino und rät mir einen kleinen Nebenweg abseits der Straße zu gehen, was ich mir natürlich nicht zweimal sagen lasse, Straße finde ich doof. Ich verabschiede mich und finde den Weg dank Komoot auch alsbald und mache wenig später auf einer Wiese meine zweite Pause. Dehnübungen sind vonnöten, das spüre ich, meine Hüfte macht sich nach dem Abstieg bemerkbar, beruhigt sich alsbald aber wieder. Frisch erholt und mit neuen Socken mache ich mich wieder auf den Weg. Alsbald erreiche ich die Straße und stehe wenig später vor einem wunderschönen Bergpanorama mit Blick in die Bierzoberge-und schluchten mit Weinplantagen, wo der gute Bierzo-Wein angebaut wird. Wie schön das aussieht. Die Reben sind mit dezentem Grün bestückt, dazwischen große Ginsterflächen, der ein oder andere Feigenbaum und vereinzelte Mohnblumen. 

Ein Pilger steht neben mir und staunt auch. „Isn’t it just great?“, sage ich. „Oh yeah!“ antwortet Rick. Rick kommt auch aus Texas und will nach Santiago. Wie schön! Wir gehen gemeinsam weiter und bestaunen die schöne Landschaft und erreichen nach einer Weile Ponferrada an einer süßen Fußgängerbrücke über den Fluss Sil gelegen. Dazu gibt es den klassischen Schriftzug, klar, der darf nicht fehlen.

Ponferrada ist die Hauptstadt der Bierzo-Region und inmitten der Stadt thront die große beeindruckende Templerburg. Bei der ursprünglichen Burganlage handelte es sich wahrscheinlich um eine keltische Befestigungsanlage. Im Jahr 1178 gründeten die Tempelritter, Mönch und Ritter in einem, eine Festung. Sie war wohl auch zum Schutz der Pilger auf dem Weg nach Santiago de Compostela gedacht. Sie sieht echt beeindruckend aus.

Es ist Sonntag und zugleich spanischer Muttertag, heißt, es ist viel los in der Altstadt. Rick und ich entscheiden uns zusammen zu Mittag ein paar Rationes zu essen. Das sind Häppchen, die man in der Regel zu zweit isst, etwas mehr als Tapas oder die baskischen Pintxos. Wir bestellen uns ein Bier dazu. Zum Bier gibt es hier in der Region oft schon kleine Rationes gereicht. Wenn man drei Biere trinken würde, dann würde man ganz umsonst auch satt werden, schön finde ich das. Die Sonne lacht von einem strahlend blauen Himmel, die Leute sind gut drauf, im Hintergrund ist Musik zu hören und jetzt hier mit Rick zu sitzen finde ich richtig nett. Erstaunlicherweise bin ich diesmal diejenige, die weitergeht. Er wird hier zwei Nächte bleiben, denn er hatte ein australisches Pärchen kennengelernt, die nach Santiago nach Porto weitergehen wollen, also den Portugiesischen Weg an der Küste entlang, bloß in anderer Richtung. Denen hat er sich angeschlossen und somit muss er jetzt etwas langsamer machen. 

Nun bin ich also die schnellere und somit trennen sich alsbald unsere Wege auch wieder. Aber ich werde ihn wiedersehen und wir tauschen Handynummern aus. Ich finde es richtig schön hier und komme kaum los. Das Bier tut sein übliches. Normalerweise würde ich keinen Alkohol trinken, wenn ich noch Wanderzeit vor mir habe, aber heute mache ich mal eine Ausnahme. Wir schauen uns noch den Ort an und gehen in die sich nebenan befindliche geöffnete Basílica Nuestra Señora de la Encina. Gemeinsam gehen wir nun durch die hübsche Altstadt und verabschieden uns wenig später mit einer Umarmung, er biegt zu seinem Hotel ab. Mein Weg führt mich runter ins Grüne unter großen schattenspendenden Bäumen am Flüsschen Sil entlang. Ruhig wird es um mich rum, keine Pilger sind zugegen.

Ich komme am Energiemuseum vorbei: La Fábrica de la luz. Museo de la Energía. So so! Die Bierzo-Gegend ist nicht nur eine sehr fruchtbare Ecke, was der ganze Weinanbau zeigt, sondern hat auch Bodenschätze, Kohle und Eisenerzvorkommen. Unweit der Stadt befinden sich die Las Médulas, hier gab es einst viel viel Gold, was nun aber wohl nicht mehr der Fall ist. Dafür ist es jetzt ein Naturschutz-und Wandergebiet. Der Camino de invierno, der Winterweg, beginnt hier in Ponferrada, führt zwar sehr bergig, aber weniger hoch als der Camino Francés Richtung Santiago. Er wurde ehemals als Winterweg verwendet. Ich hatte ursprünglich ob der vielen Leute überlegt diesen Weg zu gehen, habe mich aber aufgrund meiner Hüftprobleme dann doch dagegen entschieden. Es gibt hier weniger Unterkünfte, somit weite Entfernungen und viele Auf-und Abstiege, das habe ich mir dann nicht zugetraut. Außerdem weiß ich nichts von einem Rucksacktransport. Na und da ich in Santiago ankommen möchte, bleibe ich auf dem Francés, was auch gut so ist. Ja ja, so einige Varianten habe ich mir überlegt, am Ende ist es dann doch der Hauptweg geblieben. Es geht nett und ruhig aus der Stadt raus. 

Ich bekomme eine Whatsapp von Maynard, der dicht hinter mir ist. Ich bleibe einfach auf einer Bank sitzen und warte auf ihn, sogleich kommt er ums Eck. Wir gehen gemeinsam weiter nach Columbiranos, die C-Dörfer folgen. Columbiranos, Camponaraya und Cacabelos. Ich habe ein Zimmer in einem Hotel unweit der Stadt gebucht. Wir kommen ums Eck, da steht es, ein hässlicher Klotz direkt an der Autobahn. Oh je! Ich meinte noch grinsend zu ihm: "Ich gehe jetzt ums Eck und dann wird der Oberhammer auf mich warten". Leichte Zweifel konnte ich aber nicht wegwischen. Nun denn, wir verabschieden uns und ich gehe ums Eck. Und was erwartet mich? Irgh, ein großer Autobahnparkplatz mit LKWs, ein verlassenes Hotel, ich muss erst mal anrufen, damit einer vorbei kommt. Also Oberhammer würde ich es jetzt nicht nennen, im Gegenteil. Der Herr kommt ums Eck, ich fühle mich überhaupt nicht wohl hier. Ich frage ihn nach was zu essen heute Abend, nee, sowas gibt es heute nicht, ich kann ja nach Ponferrada gehen. Ich meinte noch, dass ich Pilgerin bin und kein Auto habe, das geht nicht. Ich bin verzweifelt, ich will hier nicht bleiben und frage ihn ob wir das ganze canceln können. Er hat damit überhaupt kein Problem, was ich großartig finde und wir beenden unser Zusammenkommen. Ich schultere nun meinen großen Rucksack, vorne auf der Brust der kleine und mache mich auf den Weg ins Ungewisse. Ich gehe einfach weiter, wird schon irgendwo ein Bett geben für mich. Die Sonne brennt mittlerweile vom weiterhin strahlend blauen Himmel. Ich komme an der nächsten Albergue an, zu! Oh man, das ist nun gar nicht gut. Jetzt werde ich langsam nervös. Wie weit werde ich noch laufen müssen? Ich schaue in meine Buen camino App, die Pension ums Eck ist nicht einladend. Ich gehe weiter, überquere die Straße und mache einen Satz nach vorne und falle hin. Aha, der Teufel sitzt im Detail, solche Situationen kenne ich schon, ruhig bleiben Maika. Ich liege mitten auf der Straße, zum Glück kommt gerade kein Auto. Bis man sich mit allem wieder aufgerafft hat, das geht ja mit dem Rucksack nicht so schnell. Der Ellenbogen ist aufgeschrabt und blutet etwas, der kleine Finger umgeknickt, hoffentlich ist da nichts Schlimmes passiert. Egal, weitergehen. 

Im Sturmschritt schreite ich die kleine Straße entlang und überhole Edwin und Alexandra, die auf dem Weg nach Cacabelos sind, was noch 11 km entfernt ist. Alexandra meint, im nächsten Ort Camponaraya werde ich schon noch was finden, das sind 5 km. Okay, nützt ja alles nichts. Es beruhigt mich, dass ich die beiden im Rücken habe und marschiere voran. Die Beine werden müde, bin ja doch schon lange unterwegs heute. Der Nachmittag neigt sich dem Ende zu. Kurz vor Camponaraya schaue ich in meiner Buen camino App und rufe in der nächsten Albergue an. Bitte bitte mach, dass die ein Bett haben! Der Herr am Ende des Telefons ist ein sehr netter und meint "klar, komm vorbei, wir haben ein Bett für dich". Man kann die Steine von meinem Herzen poltern hören und nun gehe ich entspannter weiter. Im Ort angekommen komme ich an der Albergue La Medina an und treffe beim Eintreten geradewegs auf Maynard, der mit einem Bier an der Bar sitzt. Er schaut mich erstaunt an. "What?" Tja, es kommt eben oft anders als man denkt, das Hotel war der totale Reinfall. Ich freue mich ihn zu sehen, setze im Zimmer meinen Rucksack ab und trinke mit ihm erst mal ein schönes Bier. Im Innenhof ist ein schöner Garten mit Restaurant. Einige einheimische Familien sind zugegen, schön ist es hier. Maynard und ich verabreden und nach der Dusche zum Abendessen. Wir sitzen mit leckerem Pilgermenü und Vino tinto aus der Bierzo-Region draußen an einem kleinen Tischchen. Was für ein schöner Abschluss, am Ende wird doch alles immer gut, gell? Und der lange Weg heute gibt mir die Zuversicht, dass ich auch längere Strecken mit meiner Hüfte machen kann, wie schön. Morgen ist es dafür kürzer, morgen ist aber auch Waschtag, das ist dringend notwendig.

 

8.5.23

Camponaraya

nach Villafranca del Bierzo

16 km

Eine unruhige Nacht habe ich hinter mir, konnte nicht wirklich gut schlafen, obwohl alles ruhig und schön war. War doch alles sehr aufregend gestern, na und die 28 km zollten ihren Tribut. Aber es ist schon erstaunlich, wie der Körper sich über Nacht regeneriert, denn ich wache frisch und munter wieder auf. Ich verlasse alsbald die stille Herberge und mache mich alleine auf den Weg die Straße hinunter, die langsam geschäftig wird. Es ist Montag und die Arbeit ruft. Ich überquere wenig später die A6, die in der Rush hour um 8 Uhr morgens komplett leer ist. Also das ist schon der Hammer. Wenn ich mir vorstelle wie um diese Uhrzeit die Autobahnen in Deutschland aussehen, hmm!. Das musste ich einfach mal fotografisch dokumentieren.

Ich unterschreite die 200er-Marke und wandere durch schöne Weinberge, erreiche alsbald Cacabelos. Eine Bar ist geöffnet, Zeit für's Frühstück, Napolitan und Kaffee im Innenhof des Cafés. Nebenan sitzen zwei Bauarbeiter, die sich lautstark unterhalten, in der Bar ein Fernseher mit irgendeiner Quizsendung, am Tresen Spanier, die ein kärgliches Frühstück zu sich nehmen und ich mittendrin, halt  so richtig spanisch.

Ich mache mich gesättigt auf. Cacabelos ist auch ganz hübsch, die Gassen liegen verlassen da und als ich wenig später den Río Cúa überquere bekomme ich eine Whats app von Maynard, der schon Meilen voraus ist, ich werde ihn wohl nicht mehr wiedersehen, schade. Nun denn.

Es geht einen schmalen Weg an der Straße entlang. Vor mir ein Pilger in der Ferne, hinter mir höre ich es schnaufen, ein gegenseitiges „buen camino“ und weiter geht’s. In akkuraten geraden Linien schlängelt sich der Wein über die Berge, hübsch sieht das aus. Die Blätter sind in einem frischen quietschgrün am wachsen und wenn man genau hinschaut sind kleine Träubchen oder Dolden zu erkennen. Hinten auf einem Berg befindet sich eine Bodega, hier wird auch vor Ort der Wein verkauft, inklusive Weinverköstigungen. Eine schöne Sache, aber nicht beim Wandern.

Kurz hinter Pieros gibt es eine kleine Variante. Man kann an der doofen Straße geradeaus gehen direkt nach Villafranca rein oder eben die Variante über die Berge und den Ort Valtuille de Arriba. Arriba? Oben, aha, okay, dann eben bergauf. Ich nehme natürlich die Variante, die Herrschaften vor mir den Straßenweg. Ein steiniger Weg schlängelt sich durch die Weinberge, im Hintergrund ist die Singdrossel zu hören und die Grillen beginnen auch so langsam mit ihrem Gezirpe.

Ich erreiche das wirklich lütte (kleine) Bergdorf. Ein Bauer mit einem uralten Traktormobil fährt an mir vorbei. Ehemals gab es hier mal eine Bar, das scheint lange her zu sein. Aber der Ort hat was. Die Häuser teilweise sehr hübsch und farbenfroh, teilweise aber auch am zusammenfallen. Die Holzbalkone machen den Anschein sie besser nicht mehr zu betreten, das ein oder andere Haus wurde nie wirklich fertiggestellt, so richtig klassisch. In der ungefähren Ortsmitte gibt es aber eine süße Albergue mit nettem Garten und schönen Sprüchen, ein Hund liegt dösend in Schatten und scheint sich so gar nicht für mich zu interessieren. Ein kleines Fließ plätschert durch den Ort, ich finde es klasse. 

Unweit des Ortes mache ich im Grünen auf einer Anhöhe meine Pause, ziehe die Schuhe aus, lüfte die Füße und esse meine Orange. Langsam schlendere ich weiter gen Villafranca del Bierzo, ich habe ja Zeit, heute ist es entspannt. Die Landschaft ist wunderschön und ich bleibe immer wieder stehen um sie zu betrachten. Oben auf dem Berg ist ein kleines Anwesen zu erkennen, ist es vielleicht eine Kirche? Es erinnert mich total an Frankreich kurz vor Ostabat Asme, als wir hoch zur Chapelle de Soyarza gelaufen sind. Wie schön das alles aussieht. Aber später lese ich, es ist eine kleine Bodega: Cantariña Vinos de Familia. Aha! 

Laut schwatzend kommen zwei Italiener an mir vorbei. Ich bleibe stehen und lasse sie ziehen, nee, das brauche ich jetzt nicht. So langsam geht es bergab und ich erreiche die kleine Stadt an der Iglesia de Santiago mit seiner Puerta del Perdón, der Tür der Buße. Wer hier durchgeht, dem werden die Sünden vergeben. Die Stadt wird wohl auch das kleine Compostela genannt. Hier wurden kranken Pilgern schon die Sünden erlassen und sie mussten nicht mehr bis Santiago durchgehen. Viele Kirchen und auch eine Castillo beherbergt der Ort. Nun denn, ich mache mich auf die Suche nach der Puerta del Perdón, aber wie schon nicht anders zu erwarten, alles ist zu. Wie mich das nervt hier in Spanien. Nun, dann umrunde ich die hübsche Kirche und bewundere das akkurat gezimmerte Schieferdach eines benachbarten Hauses und gehe weiter Richtung Altstadt, dann gibt es eben keine Sündenvergebung. Naja, ich bin ja auch nicht krank und kann weiter nach Santiago laufen, zum Glück.

Ich laufe geradewegs auf eben genanntes Castillo zu, welches aus dem 16. Jahrhundert stammt. Meine Albergue heißt auch „El Castillo“ und ist somit unweit eben dieser Burg beheimatet, aber auch noch zu, ich bin zu früh. Macht nichts, ich muss eh noch einkaufen und ein Kaffee wäre jetzt auch nicht schlecht. Ich gehe durch die hübschen engen Gassen, besuche noch die kleine Brücke über den Río Burbia und man mag es kaum glauben, treffe dort auf Maynard. Na damit habe ich ja nun gar nicht gerechnet. Wir fallen uns um die Arme und machen noch ein Abschlussfoto von uns, dann zieht er weiter gen O Cebreiro, schade. 

Wenig später auf den Plaza Mayor, treffe ich auf Alexandra und Edwin, die ich aber nur kurz grüße und weitergehe zum Supermercado Día, denn die Fiesta naht. Orange, Mentos, Schokis und Magdalenas verschwinden in meinem kleinen Rucksack. Gegenüber in der Ferretería, dem Eisenhandel-Laden, kaufe ich mir ein neues Opinelmesser, da ich meines leider habe liegenlassen. Nun geht das schon wieder los mit dem vergessen. Oh man, und man sollte es nicht für möglich halten, aber auch dieses gerade eben gekaufte Messer sollte ich auch wieder irgendwo auf einem Rasen vergessen. Demenz lässt grüßen, da kann man wohl nichts machen. Früher waren wir jünger! Mit allem drum und dran setze ich mich in ein Café am Plaza Mayor und genieße meinen Café con leche und ein großes Glas Wasser, ist doch wieder ordentlich warm geworden und ich bin durstig. Nun ich will es nicht anders haben, die Kälte von Foncebadón brauche ich nicht wirklich nochmal. Ich mache mich alsbald auf in meine Herberge. Claudia, die Hamburgerin aus León, die mir ja schon Meilen voraus ist, hat sie mir sehr empfohlen. Sonia begrüßt mich an der Eingangstüre. Sie spricht vorzugsweise spanisch mit ein paar englischen Brocken. Sie führt mich nach unten in eine, ich sage mal, Höhle. Ein 7-Bett-Zimmer im Tiefparterre, welches ich mir mit fünf Männern teilen muss, alles durch die Bank Spanier. Ich fühle mich etwas beklemmt, aber der auf dem einen Bett sitzende Herr ist sehr nett und so machen wir etwas Smalltalk. Als die Dusche frei ist, bin ich dran, danach drücke ich meine fast komplette Wäsche Sonia in die Hand, heute ist Waschtag. Das Wetter ist gut, ein mäßiger Wind weht, dann sollte alles schnell trocknen. Ich komme oben in einen wunderschönen Garten, der mit Sofas, Tischen, Stühlen und einer Matratze ausgestattet ist. Ein guter Ort zum entspannen.

Heute ist ein perfekter Tag um glücklich zu sein

Im Gegensatz zu der Höhle unten ist das hier wunderbar. Ich hole mir ein Bier und sitze entspannt auf dem Sofa und esse mein zuvor erworbenes Bocadillo. Ein Labrador kommt des Weges und schaut mich mit großen Augen an, oder besser gesagt, schaut mein Bocadillo mit großen Augen an. „Nee meine liebe, is nich, ist meins!“ Am Tisch sitzt eine Deutsche in den Outdoor-Wanderführer versunken und ist wenig gesprächig. Aber irgendwann schaut sie auf, setzt sich zu mir rüber und wir tauschen uns über unsere Pilgerei aus. Sie ist ehemals auch von zu Hause aus gestartet, Kölner Gegend, und ist hier mit einem Roller unterwegs. Na sowas hab ich ja auch noch nicht erlebt. Und dann ist das kein E-Roller, sondern ein ganz normaler, der sich aber zusammenklappen lässt. Geht dann besser im Zug oder Bus, sagt sie. Aha! Ich kann mir das so gar nicht vorstellen. Sie hat auch Probleme mit den Bändern an dem einen Fuß, das wundert mich nicht, denn das ist doch eine sehr einseitige Belastung. Na und die steinigen Wege, das geht doch auch so gar nicht. Nun, sie ist überzeugt davon, das ist ja auch die Hauptsache. Sie heißt Christina. Ich freue mich, dass hier nicht nur Spanier am Start sind. Wenig später kommt noch Caro dazu, eine junge Deutsche, die in Saint Jean Pied de Port gestartet ist. Ich verbringe den restlichen Tag in diesem schönen Garten und habe so gar keine Lust mir jetzt noch den Ort anzuschauen, obwohl er sicher viel zu bieten hat. Alleine die ganzen Kirchen, das Schloss und all das. Aber nee, ich muss auch auf die Wäsche achten, denn der Wind hat etwas an Geschwindigkeit zugelegt und fegt das ein oder andere von der Leine. Schön ist es hier. Abends sitzen ein Koreaner, eine Amerikanerin, eine Argentinierin und ich am Tisch draußen und essen ein leckeres Pilgermenü, von Sonia gezaubert. Die Sonne macht sich bereit hinter den Bergen unterzugehen und ich mache auf der vorhandenen Matratze noch meine Dehnübungen. Morgen soll das Wetter leider nicht so toll werden und ich habe keine Überschuhe für meine Wanderbotten. Doof, aber was soll's, so ist es eben, da muss ich halt durch. Es gibt wieder eine Variante, den Camino Duro. Ich weiß noch nicht ob ich den gehe. Ist natürlich schöner, aber auch steil hoch und steil runter. Der eigentliche Weg geht doof an der Nationalstraße N-VI entlang, welcher mit einer Betonmauer von der Straße getrennt ist. Irgendwann befindet man sich dann zwischen der Nationalstraße und der Autobahn, wie blöd ist das denn? Hape Kerkeling hat wirklich sehr anschaulich diesen Weg damals beschrieben. Er hatte Schreianfälle bekommen, es muss schrecklich gewesen sein. Nun, damals gab es sicher die Autobahn noch nicht und der Weg ging da direkt an der Bundesstraße entlang. Die Autos sind dann an den Pilgern vorbeigebrettert, der ein oder andere musste dann auch sein Leben lassen. So geht das natürlich nicht und so hat dann die Spanische Regierung dem einen Riegel vorgeschoben. Der Camino Francés ist somit um einiges sicherer geworden mit seinen extra gestalteten Pilgerwegen. Ich habe sogar gehört, dass der Weg nach Castrojeriz jetzt auch so einen Schotterweg neben der Straße haben soll. Nun, da fuhr so gut wie gar kein Auto lang, aber man will wohl auf Nummer sicher gehen. Ich finde das langweilig und doof. Morgen gibt es also wieder so einen Weg, der kilometerlang an der N-VI entlanggeht. Puh! Nun morgen ist morgen und ich mache mir jetzt keine Gedanken darüber. Ich werde früh losgehen und sehen wie das Wetter ist und wie ich mich entscheiden werde. Jetzt gehe ich erst mal in meine Höhle mit den fünf Spaniern und schlafe. Der Rucksack ist schon komplett gepackt, so dass ich einfach aufbrechen kann wann ich will und keinen dabei störe. Aus meinem Bett unten habe ich wieder eine kleine Höhle mit meinem Sarong kreiert und verkrieche mich Hörbuch-hörend darinnen. Ohrstöpsel rein und gute Nacht. 

 

9.5.23 

Villafranca del Bierzo

nach Las Herrerías

25 km

Früh um 6 Uhr herrscht schon allgemeine Aufbruchsstimmung in meinem spanischen Männerzimmer. Gut für mich, dann muss ich nicht besonders leise sein. Wir sortieren unsere Sachen, der Schlafsack wird wieder zusammengeknüllt und in der Minitasche verpackt, noch mal umschauen, dass nichts vergessen wird und dann hoch in den Aufenthaltsraum. Sonia hat sich um ein schönes Frühstück gekümmert, jeder, der zuvor gezahlt hat, kann sich nun bedienen. Ich habe das sein lassen und trinke meinen eigenen Instantkaffee, stelle meinen Rucksack ab und mache mich auf den Weg, bevor die anderen losgehen. Dunkel ist es als ich kurz vor 7 das Haus verlasse. Die Gassen sind mit heimeligen gelben Laternen beleuchtet, es ist still, kein Laut ist zu hören. Am kleinen Kreisverkehr mit einer Muschel auf blauem Grund biege ich irgendwie falsch ab und lande auf der Kreisstraße, welche wiederum in einen Tunnel mündet und im Berg verschwindet. Zum Glück gibt es einen kleinen Weg unten am Fluss entlang und wenig später erreiche ich die Brücke über den Río Burbia, was für ein Name. Ein Jakobspilger aus Stein begrüßt einen beim Betreten der Brücke, der Fluss rauscht darunter hindurch. Es ist bedeckt, regnet aber nicht, was für ein Glück.

Somit entscheide ich mich nun für den Camino Duro, der gleich hinter der Brücke rechts abbiegt, den Berg hoch. Drei Pilger kommen mir entgegen, haben sich wohl doch umentschieden. Nun, mir egal, geht doch den Straßenweg, ich werde das nicht tun. Ich laufe an der Kirche Colegiata de Santa María de Cluni, was für ein Hammername, vorbei und mache mich auf den Aufstieg, der es schon in sich hat, aber machbar ist. Der Blick von oben reicht weit ins Tal und den unten liegenden Ort, dessen kleine orangenen Lichter zu mir herauf leuchten, schön sieht das aus. Leider zieht es sich dann doch innerhalb kurzer Zeit zu, ein dicker Nebel kommt auf mich zu. Okay, Augen zu und durch. 

Alleine stapfe ich eisern voran und befinde mich kurzerhand in der Nebelwand, die mit leichtem bis mittelstarkem Feucht aufwartet. Nun also doch Regen, schade. Zweifel kommen auf, ob das jetzt eine gute Idee war hier hochzulaufen. Auch ist mir ein bissel bange im Nebel, ich kann teilweise nicht wirklich viel sehen. Ich fange an zu singen, das erleichtert das Herz und nimmt die Zweifel. Ich ziehe Regenhose und Cape an, weiter geht’s. Ich hoffe, dass meine Zimmergenossen hinter mir sind, sie wollten auch den Camino Duro gehen. Jetzt wäre ich gerne nicht allein, aber ich sollte sie tatsächlich nicht mehr wiedersehen. Nun denn. Oben angekommen, es ist wunderbar grün um mich rum wenn sich der Nebel lichtet, geht es im Regen weiter, ein unangenehmer Wind weht von der Seite herüber. Das habe ich mir anders vorgestellt, aber was soll's, da muss ich jetzt durch. Den Abzweig nach Pradela erspare ich mir, auch wenn es dort sicher einen heißen Kaffee geben würde. Ich folge der Linie meiner Wanderapp und lande in einem Maronenhain. Maronenbäume wohin man auch schaut. Es ist Zeit für Pause und ich versuche es mal mit dem Universum: „Liebes Universum, ich brauche jetzt einen schönen Pausenplatz.“ Das ganze artet dann in einer neuen Songkreation aus:

Liebes Universum

Ich bin nicht in der Rhön

Eine schöne Shelter

Das wär wirklich schön.

Mit ner kleinen Banke

Unter einem Baum

Ja das wäre super

Ja das wär ein Traum.

Dieses Lied ist eine Variante meines Klassikers des Pilgerweges durch die Rhön mit dem Titel: Ruhebank in der Rhön:

Ruhebank

ne Ruhebank

in der Rhön das wäre wirklich schön.

Eine Ruhebank in Rhön

ja das wäre wirklich schön,

Ruhebank, ne kleine Ruhebank.

Nach einer Weile kommt ein ausgehöhlter Maronenbaum in Sicht. Okay, eine Bank ist es nicht, aber ein Dach über den Kopf habe ich schon. Ich setze mich einfach hin und hole mir mein Gummi-Bocadillo von gestern mit Salchicha raus und esse genüsslich. Scheiß auf den nassen Boden, Maika hat eine Regenhose. Somit ist es eigentlich ganz gemütlich und das dichte Blätterdach hält doch den ein oder anderen vom Himmel fallenden Wassertropfen ab. Von rechts kommt tatsächlich ein Pilger daher. So so, wir grüßen, er geht weiter. 

Und man mag es kaum glauben, aber der Nebel lichtet sich und die Sonne kommt raus und lässt das Grün der Bäume wunderbar in quietsch und kreisch erstrahlen, wenn wir wisst was ich meine. Ich mache mich auf und gehe ob des nun irgendwie nicht mehr vorhandenen Weges querfeldein durch den Maronenhain. Das Gras unter mir ist feucht und so werden auch meine Schuhe langsam feucht, habe ja keine Überschuhe, nee! Nun denn, ist auch egal, es ist einfach nur schön jetzt hier in der Sonne. Die Berge der Montes de León zeigen sich in ihren schönsten Farben. Unten geht nun also die doofe Nationalstraße entlang, mitten durch das Tal, links und rechts die Berge und auf einen dieser Berge wandert die liebe Maika so vor sich hin. Dank meiner Wanderapp finde ich dann doch einen Weg und da läuft mir Caro doch glatt in die Arme, das deutsche Mädel, welches ich gestern in der Albergue kennenlernte. Auch kommt der Herr von vorhin ums Eck, ist auch etwas rumgeirrt, er heißt José, kommt aus Barcelona und kann tatsächlich gut englisch sprechen. 

Gemeinsam gehen wir nun wieder den Berg hinunter. Und wie. Ein steiler Abstieg erwartet uns, ab und an falle ich in eine Art Galopp, das ist dann etwas leichter. Puh, der Abstieg hat es echt in sich. Unten können wir die Straße sehen, die sich durch das Tal schlängelt. Hier oben ist es einfach nur schön. Nun, hilft ja alles nichts, wir müssen runter. Wir laufen geradewegs auf den Ort Trabadelo zu, durch den die Straße mitten hindurch geht. In vorhandener Municipal (öffentliche Herberge) gibt es eine Bar, wir kehren ein, brauchen jetzt dringend Pause und einen Kaffee. Wir sitzen alle ziemlich angefeuchtet zusammen, ein Herr aus Dresden ist auch noch mit zugegen, und tauschen uns aus. Die nassen Klamotten hängen über den Stühlen, der Kaffee ist heiß und gut, ein Mars findet auch noch seinen Weg in meinen Magen. Schön jetzt hier zusammen zu sitzen. Nach und nach brechen wir auf. José und ich gehen nun gemeinsam an der Nationalstraße entlang, die wenig später unter der Autobahn, die in einer hohen Brücke über die Berge geführt ist, hindurchgeht. Wir unterhalten uns über die Problematik der Spanier mit der englischen Sprache und er erfreut sich über mein Lob, dass er wirklich gut englisch spricht.

In La Portela angekommen gibt es am Straßenrand eine kleine süße Kirche, welche sogar geöffnet ist. Ich teile José mit, dass ich mich jetzt hier hinsetzen möchte und so verabschieden wir uns. Ich sitze in den Bankreihen und gehe in mich. Was ich schon alles erlebt habe bis hierhin, wie viele Menschen ich aus so vielen Ländern getroffen habe. Ich finde das alles unglaublich toll. Auch das meine Berechnung so toll aufgeht mit dem „Nicht in den Hauptorten übernachten“. Okay Villafranca ist ein Hauptort, aber mit dem Camino Duro bin ich doch die meisten Leute los geworden, den gehen nicht viele. Nach einer guten Weile trete ich vor die Türe und werde von wunderbarem Sonnenschein begrüßt. Okay, die Regenhose kann ausgezogen werden und es ist T-Shirt-Zeit. So schnell kann sich das ändern.

Immer wieder kommt die in den Bergen verlaufende Autobahn in Sicht, von ihr zu hören gibt es aber nichts. Die Nationalstraße ist tatsächlich wenig befahren. Also die Zustände die Herr Kerkeling damals beschrieben hatte, die gibt es nicht mehr, wie schön. Es geht von der Straße ab nach Ambasmestas. Hier gibt es eine kleine Herberge. Überhaupt gibt es in jedem kleinen Dorf jetzt eine Herberge. Ich hoffe, dass meine In Las Herrerías schön liegt und nicht an der N-IV, das wäre nicht so der Hit. Ich mache Pause in angrenzender Bar. Im Hintergrund brabbelt der Fernseher vor sich hin, an einem kleinen Tisch sitzen vier Spanier und spielen irgendein Kartenspiel, die Kaffeemaschine dröhnt und ich sitze hier so Magdalena-essend und schaue mir das Ganze mit einer wunderbaren inneren Ruhe an. Draußen kommt leichtes Gepiesel ums Eck, was aber alsbald, als ich aus der Tür trete, verschwindet. Gut so!

Weiter geht es nach Vega de Valcarce. Das kleine Flüsschen Valcarce schlängelt sich zwischen Autobahn und Nationalstraße dahin, der Ort ist etwas belebter und hat einen kleinen Supermarkt, den ich auch gleich aufsuche, Orange und Mentos müssen her. Ich setze mich auf die Kirchenmauer in die Sonne und betrachte das Treiben der Pilger, die an mir vorüberziehen und esse dabei Mentos. Als es langsam abebbt, ziehe ich wieder meine Schuhe an, die immer noch feucht sind und mache mich auf den Weg die kleine Straße entlang nach Ruitelán, welches mit seiner abenteuerlichen Autobahnbrücken-Konstruktion aufwartet. Nee, ist nicht so meins.

Kurz vor Las Herrerías geht ein Abzweig nach links von der Hauptstraße ab. Wie geil ist das denn? Der Ort ist in einem grünen Tal fernab von allem Verkehr gelegen. Der kleine Fluss fließt hier hindurch, auf der Weide befinden sich happy Kühe, ein Kuckuck ruft im Hintergrund. Meine Albergue ist gleich die erste und heißt Casa Lixa. Ein schönes Restaurant ist mit anbei und ein helles 8-Bettzimmer wartet auf mich. Ich kann unten schlafen, es ist auch nicht voll belegt und ich habe das Stockbett für mich allein. Nebenan liegt ein Schwede, tatsächlich ein älterer, er heißt Ulf, wir schnacken kurz und ich mache mich auf zur Dusche, die schön groß ist und die ich ebenfalls ganz für mich alleine habe. Die Herberge ist vielleicht nur zu einem Drittel belegt, zwei weitere Zimmer sind komplett frei. Wie schön, Die meisten werden wohl nach O Cebreiro hochgehen. Das werde ich dann morgen auch machen, ein ordentlicher Aufstieg wartet da auf mich, es geht auf über 1300 Meter Höhe. Nun auch das werde ich schaffen, da bin ich mir sicher. Frisch geduscht werden die feuchten Klamotten auf die Leine gepackt und die Schuhe samt Einlagen auf das dunkle Schieferdach gelegt. Hier werden sie schnell trocknen und der Wind macht sein übriges. Die Sonne scheint von einem schönen blauen mit Puffwölkchen bestückten Himmel. Draußen vor dem Haus sitze ich alsbald mit einem schönen kühlen Bier und lege die Beine hoch. Wie wunderbar das hier ist. Ich bin echt happy hier untergekommen zu sein.

Der ein oder andere Pilger kommt vorbei und geht weiter. Nun macht mal. Das Dorf ist schnell angeschaut, viel gibt es hier nicht. Noch eine weitere Herberge, ein weiteres Restaurant, ein paar Häuschen, die kleine Brücke über den ebenfalls kleinen Fluss, das war’s. Abends gehen Ulf und ich im hiesigen Restaurant was essen, klassisches Pilgermenü mit Wein. Er ist ein bissel eigenartig, erzählt viel von seiner Familie und zeigt mir diverse Fotos von ihnen und ihren erfolgreichen Schulabschlüssen und so weiter. Das interessiert mich eher weniger. Ich finde es eher spannend sich über das Pilgern und die Erfahrungen auszutauschen. Was soll's, so reden wir halt über die Familie. Er ist ebenfalls in León gestartet und weiß noch nicht wo er morgen unterkommt. Ich werde morgen weiter laufen nach Alto de Poio, halt wieder ab vom Hauptort, der dann O Cebreiro sein wird. Aber ich bin schon sehr gespannt, denn morgen geht es nach Galicien, die letzte Region, die ich durchlaufen werde. Und Galicien ist auch so ganz anders als der Rest von Spanien. Die Sprache entspricht eher dem Portugiesischen, heißt „gallego“ und die Leute, die hier ehemals ansiedelten sind keltischen Ursprungs. Das ist auch in der Musik zu erkennen, denn der Dudelsack ist eines der Hauptinstrumente in der Region. Im Gegensatz zu den Schotten spielen die Galicier aber eher heitere, peppige und schnelle Dudelsackmusik. Die Schotten sind ja eher etwas tragend und melancholisch. Das Hauptgericht ist hier der Pulpo (Oktopus) und im weiteren Verlauf auch viel Fisch, da es ja viel Küste hat. Pulpo a la gallega heißt der Klassiker, welches mit viel Paprikagewürz serviert wird. Ist, glaube ich, nicht so meins. Muss ja auch nicht. 

Galicien ist in vier Provinzen mit insgesamt 313 Gemeinden (municipios) unterteilt: A Coruña (im Nordwesten mit Santiago de Compostela), Lugo (hier komme ich morgen rein), Ourense und Pontevedra. Das Klima ist mild, aber feucht. Es ist die feuchteste Ecke Spaniens, vom Atlantik geprägt. Nun was wird mich wohl erwarten, viel Regen? Oh je und dass ohne Überschuhe, naja nützt ja alles nichts, ist eben so. Es ist entsprechend grün mit vielen Bäumen und Bergen, na und am Ende befindet sich dann das Ende der Welt. Damals, als man noch der Überzeugung war, dass die Erde eine Scheibe wäre, hat man das wirklich gedacht, dass die Westküste Spaniens und Portugals das Ende der Welt ist und es dann hinten im Meer irgendwo abwärts geht. Nun heute weiß man, da liegt Amerika. Wie dem auch sei. 

Ich bin am hin und her überlegen, hatte ich mir doch überlegt ab Sarria den Zug nach Ourense zu nehmen und dann auf der Via de la Plata oder besser gesagt dem Camino Sanabrés weiter zu pilgern, die letzten 100 km eben nicht auf dem Francés zu machen. Jetzt habe ich mich jedoch umentschieden, ich bleibe hier und sage alles ab, muss mich dann morgen um den weiteren Wegeverlauf kümmern. Ich habe hier einige Leute kennengelernt und möchte nun nicht auf einen völlig neuen Weg gehen. Auch gab es da ein Unterkunftsproblem, was ich doof finde, na und 30 Km möchte ich auch nicht laufen. Ich bin jetzt doch sehr froh über diese Entscheidung. Galizien, ich komme!

 

10.5.23 

Las Herrerías nach Alto de Poio

20 km

Der Rucksack ist gepackt, ich sortiere mich früh im Bad, esse unten im Café noch einen schönen Napolitan, trinke dazu einen Café con leche und mache mich alsbald auf, und das im strahlenden Sonnenschein. Noch ist die Sonne nicht über die Berge gekommen und es ist kühl, aber heute wartet nun ein ordentlicher Aufstieg auf mich, über 600 Höhenmeter sind zu bewältigen nach O Cebreiro. Na und wenig später geht es dann sogar noch etwas höher zur Alto de Poio. Frohgemut laufe ich durch den netten Ort. Alsbald geht es bergauf, aber sowas von. Ein netter Waldweg führt durch moosbewachsene Steineichenwälder, der ein oder andere Hohlweg wartet auf mich, an dessen Seiten leuchtendgrüne Farne wachen, urig ist das hier. 

Ich fange an zu schnaufen und zu zählen: und 1 und 2 und 3, Pause bei 80. Der Weg geht steil ins Örtchen La Faba hinein. In der Ferne kann man schon die sonnenbeschienenen Bergspitzen erkennen. Bin ich happy heute so tolles Wetter zu haben, mein Herz hüpft und ich kann es kaum erwarten Galicien zu erreichen, welches durch einen riesigen Gebietsstein später zu erkennen sein wird. Durch den Hohlweg ist es angenehm kühl, die Sonne kann hier nicht so rein brettern, somit ist der Aufstieg gut zu machen.

In brüllender Hitze ist das sicher nicht so der Hit, aber die haben wir ja nicht. Es geht steinig und blumig weiter, das Gelb des Ginsters, das Weiß des Weißdorns, die grünen Wiesen und Berghänge, La Faba ist alsbald erreicht. Ich laufe den beiden Französinnen in die Arme, die ich ja ganz am Anfang in Santibanez getroffen habe. Wir schnacken etwas, die eine kann ja ganz gut englisch, ich setze meinen Weg dann aber alleine fort. Weiter geht es bergauf, mittlerweile dann doch in der Sonne, es wird warm, ich fange an zu schwitzen. 

Und dann kommt er: der Galicien-Stein. Yeah, ich habe Galicia erreicht, wie toll, ich freue mich total. Zum Glück kommen dann doch die beiden Französinnen ums Eck, so können wir Fotos voneinander machen. Der Stein ist wirklich gigantisch, wie schön! Singend gehe ich von dannen. Mit dem Lied „Kalinka“ singe ich fröhlich stattdessen: „Galicia“. Das macht happy, ich bin echt einfach nur happy! Ich pilgere hier so bergauf, meine Hüfte gibt keinen Mucks von sich, die Füße sind tiptop ohne Blasen, keine Bänder-oder Gelenksprobleme oder was da alles auf einen zukommen kann, es ist alles super. Die Kilometersteine sehen nun anders aus als die in Kastilien und der erste Stein, den ich sehe, zeigt mir eine akkurate Zahl an: 160,363 km. Mensch der Galicier ist ja sehr genau, bis auf den Zentimeter, ich muss grinsen.