Saint Jean Pied de Port nach León 2

Nach beschwerlichen und heißen Asphaltstraßen komme ich nun endlich an der Brücke über den Ebro an, gegenüber liegt die Altstadt von Logroño, welches die Hauptstadt der Region La Rioja ist, welches wiederum das wichtigste Weinanbaugebiet Spaniens ist, was ich ja bereits erwähnte. Eine schöne mehrbogige Sandsteinbrücke überspannt den großen Fluss. Der Ebro ist mit seinen 910 Kilometern der längste Fluss Spaniens. Er entspringt in der Sierra del Cordel in Kantabrien und mündet weiter östlich im Mittelmeer

Ich gehe über die Brücke und biege am anderen Ende rechts ab, lass mich von meiner Wander-App durch die Stadt leiten und komme an der Iglesia Santiago el Real an, die Türen stehen offen. Was? Ich kann es kaum glauben. Offen? Ich trete ein. Nun, es findet gerade ein Gottesdienst statt, aha, deshalb ist sie offen. Ich setze mich hinten in eine Bank und höre etwas zu, verstehe aber natürlich gar nichts, da spanisch. Nun denn, es ist schön kühl hier und ich verweile etwas, bevor ich mich auf den Weg zu meiner Herberge mache. 

Auch heute komme ich in einem Einbettzimmer unter, in den Städten finde ich das sowieso auch besser. Leider, das muss man sagen, wird hier auf dem Camino auch geklaut. Man muss gut auf seine Sachen aufpassen. Nun das muss man sowieso, aber was das Klauen angeht, habe ich auf meinem ganzen Weg bis hierher nichts erleben oder hören müssen. Hier ist das mitunter anders, die ein oder anderen Geschichten machen ihre Runde, das weckt nicht gerade Vertrauen in die Mitpilger, schade finde ich das. 

Ich gehe durch die engen Gassen geradewegs auf die Calle Portales, die Hauptstraße und Fußgängerzone Logroños zu, die später auch zum Plaza del Mercado und zur Kathedrale führt. Ich stehe vor dem hohen, etwas schäbig aussehenden Haus, der Mut verlässt mich. Oh je, was habe ich mir da gebucht? Wenig später befinde ich mich im netten Eingangsportal der Herberge mit schwarz-weißen Fliesen und einem hübschen bunten Rioja-Wandbild. Es geht über ein beeindruckendes schickes Treppenhaus in den zweiten Stock. 

Ich klingel an der Türe und die Pensionsbetreiberin öffnet mir. Sie kann kein Wort Englisch und so versuchen wir es auf Spanisch, was auch ganz gut klappt, das freut mich. Ich habe im dritten Stock mein Zimmer mit Sicht auf die Fußgängerzone und zur Concatedral de Santa María de la Redonda, die Hauptkirche LogroñosEin Minibalkon ist mit von der Partie und ich finde alles schlagartig so richtig toll. So richtig mittendrin, toller Ausblick in die Altstadt und der kleine Balkon, auf den ich mich mit einem Stuhl setze und meinen nun doch schon krassen Hunger mit Pan und Salchicha stille, ist große klasse. Auf der Straße unten ist Totentanz, denn es ist Siesta und wie schon erwähnt ist zu dieser Zeit auch in Städten nicht viel los. Mein Mochila ist noch nicht da, die Dame des Hauses versichert mir aber, dass der auf alle Fälle bis 15 Uhr ankommen wird. So kommt es dann auch, hat alles gut geklappt und ich springe unter die nun doch dringend notwendige Dusche, hmm, das erfrischt und tut gut. Ich habe mich auch alsbald von meinem Walk erholt und bin bereit die Stadt zu erkunden. 

Ich komme an den Hauptplatz mit der Kathedrale, die erst ab 17 Uhr geöffnet ist. Nun, immerhin öffnet sie dann. Der Platz ist menschenleer, umgeben von hübschen bunten Häusern. Diverse Bars, Restaurants und Tiendas (kleine Lädchen) befinden sich in den Arkaden. Da ich immer noch der Meinung bin ein Hemd zu benötigen suche ich nach einem Centro de Commercial. In Pamplona war das ein Kaufhaus, hier sehe ich aber nur leere Geschäfte, das kannste dann wohl abhaken. Ich beschließe kein Hemd mehr zu wollen, es geht auch ohne, basta! Ich bin genervt vom vielen Rumlaufen und dem ganzen Straßenverkehr. Im Carrefour, dem Supermarkt ums Eck, kaufe ich dann noch diverses, vor allem meine Mentos, die es hier im Angebot gibt und mir gerade als Nervennahrung dienen. Nach dem vielen Gelatsche bin ich k.o. und kehre wieder um zur Albergue und liege entspannt auf meinem Bett unter einem Ventilator, der vergeblich versucht etwas Kühlung in den Raum zu bringen.

Verena und ich hatten Telefonnummern ausgetauscht, wir hatten es ja bisher nicht hinbekommen gemeinsam zu pilgern. Ich habe ihr einfach gesagt wo ich unterkomme heute, und nun ist sie auch hier, aber im Mehrbettzimmer. Und man mag es kaum für möglich halten, aber sie sollte tatsächlich die einzige bleiben heute Nacht. Das hätte ich ja nun nicht gedacht, so waren doch alle Albergues bisher bis auf den letzen Platz voll gewesen, komisch. Aber es liegt auch nicht daran, dass das Zimmer Schrott ist, keineswegs, es ist wunderbar. So genießt sie es, ist ja auch mal schön. 

Plaza del mercado mit der Kathedrale

Wir treffen uns später zu einem Kaffee und gehen dann auch gemeinsam in die nun geöffnete Kathedrale. Sie ist ziemlich dunkel und kalt, was aber erst mal nichts ausmacht, denn draußen haben wir mittlerweile 33 Grad. Das Altarbild ist mit viel Gold bestückt, wie man es oft hier in Spanien in den großen Kirchen sehen kann. Nun, so viele große Kirchen habe ich noch nicht gesehen, aber im weiteren Verlauf sollte ich noch die in Burgos und León erkunden, die wahnsinnig beeindruckend sind. 

Als wir nach einer Weile frierend ob der Kälte im Gemäuer, wieder hinaustreten, laufen wir fast gegen eine Wand, heiß ist es im Lande. Wir haben wir Kohldampf und landen in gegenüberliegender Tapas y Pinchos Bar. Pinchos ist die etwas aufwendigere Tapas-Variante. In einer Vitrine sind lauter tolle Kreationen zu entdecken und wir bestellen fleißig, dazu ein gutes San Miguel. Wir sitzen draußen am Tisch, quatschen und essen, lecker ist das. Danach schlendern wir noch durch die Gegend und in den ein oder anderen Shop, um dann bei der Eisdiele zu landen. Die Straßen haben sich nun wieder gefüllt, eine Menge Leute sind unterwegs und wir sitzen eisessend auf dem Kirchplatz. Schön ist das.

Nun ist es Zeit nach Hause zurückzukehren. Ich bin schon wieder völlig durchgeschwitzt und nehme eine weitere Dusche. Der Ventilator an der Decke versucht mal wieder alles zu geben und ist damit weiterhin semi-erfolgreich. Ich muss nun selbst meinen Rucksacktransport klären und rufe doch leicht aufgeregt, jetzt eventuell ein spanisches Telefonat führen zu müssen, bei Jacotrans an. Zuvor habe ich mir alles aufgeschrieben. Sie dürfen nur keine Zwischenfragen stellen, das wäre dann doof. Aber ich frage anfangs, ob sie denn auch englisch sprechen, da mein spanisch nicht gut ist: „Hola, mi nombre es Maika. Lo siento, mi español no es bueno. Habla Inglés?” Und? Yeah, sie spricht english, toll. Somit kann ich meinen Transport nach Ventoza morgen klar machen. Der Rucksack muss morgen in der Küche abgestellt werden und ich kann dann wieder mit dem kleinen losgehen. läuft!

Ich sitze noch lange auf meinem Bett, höre Meditationsmusik, genieße das Geraune der Leute, die die Straße unten entlang gehen, das Glockenläuten der Kirche gegenüber, die warme einströmende Luft von draußen und schreibe. 

Erschöpft und selig schlafe ich dann ein, um leider mitten in der Nacht von zwei doofen, sich laut unterhaltenden, grölenden, besoffenen Spaniern geweckt zu werden, die sich noch einiges auf dem Gang draußen zu erzählen haben. Ich springe wutentbrannt aus dem Bett, reiße meine Zimmertüre auf und rufe. ¡Tranquilo! Und knalle die Tür wieder zu. Kurz ist es leise, dann reden sie wieder was, hören aber alsbald auf. Schwachmaten!

20.5.2022

Logroño nach Ventosa

21 km

Mein Handywecker klingelt. Draußen ist es noch dunkel, die Straßen sind leer und still. Ich stehe auf dem Balkon und schaue rüber zur Kathedrale, die gelb beleuchtet ist. Die Luft ist angenehm. Ich packe meine Sachen, schaue mich im Zimmer noch mal um, ob ich alles dabei habe und gehe runter zur Küche, wo ich meinen großen Rucksack in die Ecke zum Abholen hinstelle. Ich schultere nun meinen kleinen Minirucksack, Check, alles klar, packe den Schlüssel in den Briefkasten und schließe die Tür hinter mir. 

Oh nein!!! Ich habe meine Wanderstöcke im Zimmer vergessen. Wie konnte das passieren, ich habe doch so viel gecheckt? Ein junger Mann, der wohl die Nacht durchzecht hatte, kommt mir im Treppenhaus entgegen. Ich bitte ihn die Tür für mich zu öffnen, er schaut mich nur unverständig an und torkelt nach oben. Was hilft es mir auch, ich komme ja nicht mehr in mein Zimmer. Ich klingel, aber nichts rührt sich. Die haben sicher die Klingel ausgestellt, damit sie nicht gestört werden, kann ich auch verstehen. Ich bin verzweifelt. Nun habe ich diese Hüftbeschwerden und bräuchte nun gerade jetzt die Wanderstöcke und stehe hier so vor der verschlossenen Tür. Ich ärger mich über mich selbst, dass ich schon wieder was vergessen habe. Aber es nützt ja alles nichts. 

Ich trete aus dem Haus und biege in die Fußgängerzone ab auf den Jakobsweg. Nette Wegzeichen sind in den Boden eingelassen, leider nur sehr sporadisch. So im Dunkeln ist es nicht ganz leicht den Weg durch Logroño zu finden und zu allem Überfluss bin ich jetzt gerade komplett alleine unterwegs, keine anderen Pilger zu sehen. Ich lotse mich mit meiner Wanderapp durch die Stadt, gehe durch einen Park, was mir im Dunkeln ein bissel unheimlich ist und komme nach einigem Stadtgelaufe auf einen geraden ebenen Weg. So ohne Stöcke ist das schon eigenartig und meine Hüfte macht sich auch wieder bemerkbar.

Ich komme an einen See (Pantano de la Grajera). Es geht nett an seinem Ufer entlang, aber ich kann das Ganze nicht wirklich genießen. Wie komme ich wieder an meine Stöcke oder wo gibt es eine Möglichkeit neue zu kaufen? Es ist 8 Uhr und ich rufe in der Albergue an. Es ist nur ein spanisch sprechender Herr des Reinigungspersonals am Telefon. Ich kann ihm klar machen, dass die Stöcke in meinem Zimmer vergessen wurden. Ich soll mich später noch mal melden, es ist ein Krampf. Ich hatte gehofft, dass Jacotrans die dann mitnehmen könnte. Ich könnte nur noch brechen. 

Ich komme an einer kleinen Hütte vorbei, dort sitzt ein langbärtiger urig aussehender Herr, das ist der bekannte Marcelino, dessen Foto auch in meinem Wanderführer zu sehen ist. Auf einer Bank unweit sitzen die beiden Litauer, der Vater mit dem Sohne. Ich sage hallo und erkläre meine Misere. Algid, der ewig grinsende Sohn lacht. Ich werde wütend und frage was daran so lustig ist. Ich habe Probleme mit der Hüfte und die Stöcke wären wichtig. Er sagt nur, Gott ist immer bei mir und ich solle doch mal zu Marcelino rüber schauen. Ich wende meinen Blick und sehe einen Trog mit haufenweise Wanderstöcken. Wie geil ist das denn? Ich frage Marcelino, ob er mir zwei verkauft. Na klar! Er verkauft mir zwei Stöcke für nur 14 Euro. Mir kommen die Tränen, ich kann es gar nicht glauben. Ist Gott doch immer da? Ich komme ins grübeln. Marcelino gibt mir einen Stempel in meinen Pilgerpass und ich wende mich Algid zu, frage ihn, ob er denn spanisch könne. Klar sagt er und natürlich grinst er, was sonst? Ich bitte ihn für mich in der Albergue anzurufen und zu klären, dass die Stöcke von Jacotrans mitgenommen werden. Er macht es und klärt das Ganze in perfektem Spanisch. Man will sich drum kümmern. Ob ich die Stöcke jemals wiedersehe, ich weiß es nicht. Aber ich habe ja nun welche, verabschiede mich von den beiden und stapfe glücklich nun von dannen Richtung Navarrete. Geht doch!

Es geht über eine Autobahnbrücke, von weitem ist der Ort oben auf dem Berg schon zu erkennen, sieht toll aus. Linkerhand befinden sich die Ruinen eines Pilgerhospitals aus dem 12. Jahrhundert. Ist schon beeindruckend wie alt das hier alles ist und dass der Weg mitunter mit dem uralten Pilgerweg aus eben dem 12. Jahrhundert zusammenläuft. Sicher, manche Wegführung musste geändert werden, denn es wurden Straßen gebaut, Felder geschaffen und so weiter, aber oft sind es tatsächlich noch die alten Pfade. Frohgemut laufe ich durch die hügelige Landschaft. Weinberge, Weizen und Gerste, soweit das Auge reicht und im Hintergrund die Berge. Und ich habe wieder Wanderstöcke, schön ist das. 

Die kleine Straße endet unten im Ort. Es geht über Treppen steil den Berg hoch, denn Navarrete liegt oben. Durch hübsche gepflegte Gassen geht es Richtung Kirche, die Iglesia de Nuestra Señora de la Asunción, aha, was für ein Name,  und zum Platz mit einem kleinen Brunnen. Ich fülle mein Wasser auf. 

Neben der Kirche gibt es eine sogenannte Bocadería, wahrscheinlich einen Bocadillo-Laden. Eine Schlange steht an der Theke an und im Innenhof sitzen unendlich viele Pilger. Ich hätte echt Lust auf einen Kaffee, aber das ist mir viel zu voll hier, das nervt mich. Na und wenn an der Theke mehr als zwei Leute stehen, dann muss man in Spanien ewig warten, die haben die Ruhe weg. Obwohl so ganz kann ich das auch nicht sagen. Ich habe ja nun einiges hier mit den Spaniern schon erlebt. Anfangs das Ignoriert werden, was ich echt ätzend fand und wo ich mittlerweile echt grantig werde. Dann sind sie selbst mitunter unfreundlich und genervt, es sei denn man steht da alleine, dann sind sie sehr nett. Vielleicht ist der Spanier einfach sehr schnell überfordert. Denn wenn mehrere Gäste dastehen, dann kommen sie oft unfreundlich rüber. Eigenartig ist das alles. So richtig warm werde ich mit den Spaniern nicht. Das kann natürlich auch alles daran liegen, dass hier so viele Leute durchlaufen, dass es einfach zu viel für die Menschen hier ist, es ist zu stressig. Ich weiß es nicht, ich könnte mir das aber vorstellen. Bisher habe ich solche Dinge auf meinem Pilgerweg nicht erlebt. Es gibt schon einiges hier auf dem Camino Francés, was für mich sehr gewöhnungsbedürftig ist und ich übe mich fleißig im Sich-daran-gewöhnen. Mal klappt es besser mal schlechter. 

Nun stehe ich gerade hier und bin genervt ob der vielen Leute. Aber mitten im Gewusel sehe ich Verena an einen der Tische sitzen, das freut mich und ich setze mich dazu. Ich erzähle ihr was mir passiert ist heute morgen. Sie schaut um sich und findet nun ihrerseits ihre Stöcke nicht. Sie wird hektisch, oh sie hat sie in der Kirche stehen lassen (die tatsächlich geöffnet ist). Sie läuft los und kommt um sich schauend und sehr frustriert wieder raus, die Stöcke sind weg. Oh man! Es sind wohl sehr teure und spezielle aus der Schweiz. Sie tut mir sehr leid jetzt. Was für ein Generve. Einfach geklaut. Ein anderer Pilger bietet ihr einen Stock von sich an, das finde ich sehr nett, das ist echt toll. Aber geklaute Stöcke sind Mist, sowas darf einfach nicht passieren, ich finde das unmöglich. Was soll das? Verena zieht frustriert mit diesem einen geliehenen Wanderstock von dannen und ich sitze noch auf dem Mäuerchen und kaue Mentos im Akkord, Nervennahrung. Ich bin jetzt so genervt von der ganzen Situation und so frustriert auch über die geklauten Wanderstöcke, dass ich echt denke, nee, ich habe dazu keine Lust mehr. Ich will diesen Weg mit solchen Leuten, die klauen, nicht mehr gehen. Ich bin richtig schlecht drauf und kann mich selbst nach einer ganzen Packung Mentos nicht wirklich beruhigen. Ich bin fassungslos!

Ich entscheide mich aber nun auch in die Kirche zu gehen, ein bisschen was schönes erleben. Der ganze vordere Altarraum ist vergoldet und mitten drin die Maria, die Señora, mit dem Jesuskind. Das Gold geht hoch bis in die Kuppel mit ihren vielen filigranen Goldarbeiten. Unheimlich beeindruckend, kann man nicht anders sagen. Ich trete aus der Kirche, es hat sich mit Leuten ein bissel gelichtet, aber es steht immer noch eine Schlange an der Bocadería. Nun, ist vielleicht einfach auch wirklich stressig, wenn so viele Leute auf einen Schlag kommen. 

Ich gehe aus Navarrete raus, links der Wein und rechts der Wein, dazwischen eine Bodega. Es ist wieder stiller geworden und ich beruhige mich langsam. Das ist heute einfach irgendwie zu viel für mich. Ich gehe alleine meiner Wege über die Hügel, in langen Ketten reihen sich Weinstock an Weinstock, mitunter sind schon kleine Träubchen zu sehen, also gaaanz kleine. Das dauert noch eine Weile bis es ein guter Rioja wird.

Die Sonne brutzelt vom Himmel, als ich die N120 erreiche, die mir noch einige Male begegnen wird. Es geht scharf links auf einem breiten mit rötlichem Schottersand bedeckten Weg an ihr entlang, und das für eine lange Zeit. Na toll sieht anders aus. Ich fange an lauthals italienische Lieder zu singen, die ich mal von Gisella, einer Freundin in London gelernt hatte, gefolgt von diverse Taizé-Liedern, die mir gerade so einfallen und kämpfe somit gegen den Lärm der Bundesstraße an. Eine neue mich fröhlich machende Liedkreation kommt mir von den Lippen. Zu „Viva Colonia“ singe ich:

Ja der Weg, der ist Scheiße

Ja, der ist Scheiße

Deshalb gehe ich jetzt auch einen andern Weg hinein

Ja das ist wirklich prima,

das ist fein

Ja, ja!

So läuft es sich leichter. Eine Horde Pilger vor mir, eine Horde hinter mir. Oh man. Ich werde nachher vom Weg Richtung Ventosa abbiegen, das ist eine Variante. An der Weggabelung angekommen freue ich mich enorm darüber, denn alle anderen gehen geradeaus an der Nationalstraße weiter. Ein schönes Schild über Ventosa verrät ein nettes Örtchen, was da auf mich warten könnte. Nun denn, ich biege ab.

Plötzlich stehe ich ganz alleine an einem Wegekreuz. Darunter haben Pilger Steine, Fotos und Kerzen niedergelegt. Ich bin total gerührt und bleibe wie angewurzelt stehen und bete mein Gebet: „Von allen Seiten umgibst du mich und du hältst deine Hand über mir. Dafür danke ich dir“. Die Fotos lassen erahnen, dass es sich um Verstorbene handelt. Ich stehe hier so und denke über die Pilger nach, die hier was abgelegt haben, über die Menschen auf den Fotos, was mit denen wohl passiert ist. Dann fällt mir mein eigener Stein ein, den ich aus Deutschland mitgenommen habe. Es ist mein Stein aus der Quercy-Region in Frankreich letztes Jahr. Ich habe den Stein aufgesammelt und wollte ihn dann irgendwo ablegen, habe es aber vergessen. Als ich zu Hause war, ist er mir wieder in die Hände gefallen. Ich spüre, jetzt ist der Augenblick gekommen ihn hier abzulegen. Ich stehe da, denke nach über Gott, über Jesus, über mich, über die Dunkelheit der vorangegangen Monate, die ich aber verdränge, ich will nicht darüber nachdenken, es schmerzt zu sehr. 

Mein kleiner weißer Quercy-Stein liegt nun gleich neben der grinsenden Jakobsmuschel, schön!

Ich verneige mich und gehe weiter. Der Weg ist liebevoll mit schönen und interessanten großen Fotos gestaltet. Die Menschen in Ventosa sind scheinbar sehr kreativ. Ich komme in den Ort, eine Bar ist zu sehen, rote Stühle stehen auf der Terrasse, es sieht einladend aus. Und wer sitzt da? Verena. Ich geselle mich zu ihr und bestelle mir ein kleines Bier. Sie ist schon eine Weile da und meint, dass die Albergue noch nicht auf hat. Verena geht immer sehr früh los. Sie hat sich in Logroño sogar eine Stirnlampe gekauft und ist oft schon um halb 6 am Start und da ist es noch stockduster. 

Wir gehen gemeinsam zur Herberge und sind auch die ersten, die eintreten. Eine spanische Hospitalera nimmt uns in Empfang und ist sehr nett. Ich erzähle ihr von meinem Wanderstock-Problem und frage sie, ob sie da nochmal anrufen könnte, was sie auch macht. Nach einigem hin und her stellen wir fest, dass meine Leki-Stöcke schon längst da sind. Sie stehen im nebenan befindlichen Zimmer, wo die Jacotrans-Rucksäcke abgestellt werden. Ich freue mich total, damit habe ich nun so gar nicht gerechnet, das ist ja toll. Somit habe ich nun zwei Paar Wanderstöcke und vermache die vorhin gekauften Verena, die sich wiederum freut. So viel Freude! Sie sollte ihre Wanderstöcke nie wieder sehen, ach man, reden wir nicht weiter drüber, das ist einfach nur ärgerlich. Allgemein ist es auch wohl gar nicht so problematisch, wenn man was verloren hat, da immer wieder Pilger was in den Albergues vergessen und somit Stöcke, Hemden, Capes und Co ihre Runden machen. Es findet sich immer irgendwas, wenn dem ein oder anderen was verloren gegangen ist oder eben was vergessen wurde. Der nächste freut sich. Dann hat es ja auch noch was Gutes. 

Wir betreten das Acht-Bett-Zimmer und richten uns ein. Mit uns werden noch zwei Franzosen einziehen, was Verena besonders freut, dann kann sie schön französisch reden. Sie hat nun leider das Problem hier, was ich in Frankreich hatte. Sie sitzt am Tisch und kann nicht so richtig mitreden, weil alle englisch reden und ihr Englisch ist nicht so der Hit. Sie ist in Le Puy-en-Velay losgelaufen, die Via Podiensis durch Frankreich, und war dann nicht sehr erfreut, als sie über die Grenze kam, dass es mit dem französisch nicht mehr so weit her ist. Ja und wenn am Tisch alle halbwegs Deutsch können, dann reden doch alle englisch miteinander, das versteht sie nicht. Nun ich kann das alles gut nachvollziehen, zwei Jahre war ich in Frankreich in ähnlicher Position.

Des weiteren kommt noch eine Holländerin, die über mir schläft und drei Koreaner ins Zimmer. Ich habe mal eine  Koreanerin gefragt, warum so viele von ihnen den Jakobsweg gehen, ob es da auch ein Buch gab oder was auch immer. Sie meinte, dass es viel im Fernsehen über den Weg gab und somit viele Koreaner diesen Weg nun auch gehen wollten. Spannend. Außerdem sind nun auch einige Amerikaner unterwegs, der ein oder andere Südamerikaner, zwei aus Neuseeland und welche aus Australien hatte ich ebenfalls getroffen. Na und was Europa betrifft ist alles mit dabei, klar. 

Nach der Dusche ist Wäsche waschen angesagt. Es ist wirklich eine nette Herberge mit einem schönen grünen Innenhof. Die Wäsche hängt wenig später an der Leine in der Sonne, ein sanfter Wind trägt seines dazu bei, dass die Klamotten schnell trocknen. Wir sitzen im Garten zusammen, neben uns drei deutsche Freundinnen, die aber, so hört es sich an, gerade ein Problem miteinander haben. Verena spricht mit den Franzosen, neben mir die Holländerin. Es ist einfach nur nett. 

Verena und ich entscheiden uns später in die Bar zu gehen und dort was zu essen. Wir nehmen einen kleinen Umweg den Berg hoch zur kleinen oben thronenden Kirche mit nettem Ausblick in die Landschaft. Leider ist die Kirche geschlossen, nun, kann man nichts machen, isso! Wir sitzen wenig später auf der Terrasse, wo sich auch der ein oder andere Pilger unserer Herberge einfindet und essen Pizza. Yeah, das ist mal großartig, mal kein Pilgermenü. Wir schnacken und es ist richtig schön jetzt hier zusammen zu sitzen. Morgen soll nun der heißeste Tag mit 35 Grad werden und wir haben einen langen Weg vor uns. Ich frage Verena ob ich mich ihr morgens anschließen könnte, sie hat ja die Stirnlampe. Sie bejaht und so werden wir morgen gemeinsam losgehen. 

Hörbuchhörend liege ich in meinem Etagenbett. Alle Sachen sind schon gepackt, so dass wir morgen keinen stören, wenn wir so früh aufstehen. Ich bin schon sehr gespannt wie das ablaufen wird. Hauptsache nicht wieder was vergessen. Hmm, nun ja, lassen wir das :-(

21.5.2022

Ventosa nach Cirueña

25 km

Mein Handywecker klingelt. Es ist 5 Uhr morgens. Puh, es wird immer früher. Ich sehe, wie Verena schon ihren Seidenschlafsack zusammenknüllt und stehe auch auf. Leise nehme ich meine Sachen und gehe nach draußen in die Küche, um dort in Ruhe alles einzupacken. Überrascht stelle ich fest, wir sind nicht die einzigen, die schon so früh auf den Beinen sind. Nun, die Temperaturen lassen nichts anderes zu, finde ich jedenfalls. Ein Kaffee ist aber noch drin, dann ziehen wir beide gegen viertel vor 6 in der Dunkelheit los. Die gelben Straßenleuchten glimmen heimelig, die ersten Vögel sind schon kräftig am singen. Wir gehen aus Ventosa raus, nun ist die Stirnlampe von Verena am Start, denn es ist stockduster. Sie gibt uns etwas Licht für den Weg, der etwas steinig ist. Es geht durch die Weinberge, die ein oder andere Bodega ist zu erkennen, es ist ruhig und angenehm kühl.

Es wird nach und nach heller, eine schöne Landschaft kommt in Sicht und die Stirnlampe kann weggepackt werden. Im Hintergrund türmt sich die sich im Norden befindliche kantabrische Gebirgskette scharfkantig auf, toll sieht das aus. Der Himmel verfärbt sich rötlich-gelb und die Sonne geht über den Weinbergen auf. 

10 Kilometer sind es bis Nájera, die wir teils gemeinsam, teils hintereinander über diverse Hügel, mal auf, mal ab durchpilgern. Alsbald kommt Nájera in Sicht und schmiegt sich an steile, rötliche, aufgeschichtete Felsen, und ist über den Fluss mit dem passenden Namen Najerilla zu erreichen. Wir passieren die Brücke. Linkerhand hat ein Café unten am Fluss geöffnet, ein paar Pilger haben sich hier schon niedergelassen. Dummerweise gehen wir weiter, auf der Suche nach einem weiteren Café, in das wir uns setzen können. Aber alles andere hat leider noch zu. Wir laufen etwas durch den kleinen Ort, an einem beeindruckenden Kloster vorbei, an der ein oder anderen geschlossenen Kirche und kehren dann wieder um zum Fluss und sitzen wenig später in hiesigen Café und machen Pause mit Café con leche und Bocadillo, klar, was sonst. 

Aus dem Ort rauskommend geht’s bergauf an eben diesen wirklich interessant aussehenden roten Felsen vorbei. Sieht aus wie einzelne Pfannkuchen übereinander gestapelt. Kiefernwälder wachsen links und rechts, Thymian und Oregano am Wegesrand. Hier und da ein schöner mit dicker gelber Farbe gemalter Pfeil auf den Felsen. Verena läuft wieder etwas vor mir, ich bin da langsamer und bleibe immer mal wieder für ein Foto stehen, aber wir kommen dann auch immer wieder zusammen. 

Wir brauchen noch etwas um uns aufeinander einzugrooven. Aber wenig später laufen wir gemeinsam durch die schöne wellige Landschaft und schnacken. Sie erzählt mir viel über ihre Verluste von ihr lieben Menschen, jedes Jahr ist einer gestorben und davon gab es drei. Der letzte war ihr Mann gewesen, eine traurige Geschichte und nun möchte sie den Camino bis nach Santiago gehen, gestartet wie gesagt in Le Puy. Oh man, die Menschen haben schon krasse Geschichten hier auf dem Weg, ich werde nachdenklich und frage mich immer wieder was das ganze Leid soll.  

Die Landschaft ist nun wieder landwirtschaftlich, mal mit Wein, mal mit Weizen, Gerste oder Roggen, Olivenbäume hie und da, der Weg schlängelt sich hindurch. In der Ferne können wir auf einer Anhöhe Azofra erkennen, nett sieht das aus und lädt doch wieder zum Pause machen ein. 

Wir betreten das kleine Dorf und schlendern die kleine Hauptstraße entlang, und da, ich kann es kaum glauben, sehe ich Martina und Sabine an einem kleinen Tisch draußen sitzen und Kaffee trinken. Sie springen auf und wir fallen uns in die Arme, wie geil ist das denn? Damit habe ich ja nun gar nicht mehr gerechnet, denn sie waren ja nun doch einiges vor mir. Aber so ist das immer wieder auf dem Camino, und plötzlich trifft man sich doch wieder. 

Wir setzen uns mit dazu und trinken auch einen Kaffee. Es gibt viel zu erzählen. Mit am Tisch sitzt noch eine weitere Pilgerin, auch deutsch, sie heißt Petra und möchte nach Burgos laufen. Martina und Sabine wollen heute noch nach Santo Domingo de la Calzada, Verena, Petra und ich laufen nach Cirueña. Somit ist das wohl nur ein kurzes Treffen, schade. 

Wir brechen dann kurzerhand auch auf und pilgern gemeinsam, schön ist das. Es verläuft sich etwas, der eine weiter vorne, der andere weiter hinten...

Kurz vor Cirueña, die Hitze ist mittlerweile schon unerträglich geworden und wir suchen vergeblich nach einem schattigen Plätzchen in den Feldern, kommt ein Baum in Sicht, der wird es sein. Gedacht, getan, wir versammeln uns alle unter eben diesem. Das ist so richtig geiles Pilgerfeeling, finde ich. Wir sitzen hier so, essen, trinken, quatschen, nett ist das, ich freue mich total, dass ich die beiden wiedergetroffen habe, aber ein bissel Wehmut ist mit dabei, da wir uns ja nachher auch wieder trennen werden. Hmm, kann man nichts machen, man kommt zusammen und trennt sich auch wieder, so ist das im wirklichen Leben, so ist das auf dem Pilgerweg. Weiter geht’s erfrischt durch die quietschgrüne Landschaft und durch die brütende Hitze. Ich muss es noch mal sagen, es ist toll jetzt hier in dieser Jahreszeit unterwegs zu sein, denn es ist einfach nur farbintensiv in jeglicher Hinsicht, die grünen Felder, die vielen Blumen am Wegesrand, der Ginster in seinem tollen Gelb und mit seinem wundervollen und intensiven Duft, klasse.

Wir erreichen Cirueña. Hmm, nun ja, was ist das denn für ein Ort?  Also er geht definitiv als der bisher hässlichste Ort in die Camino-Francés-Annalen ein. Eine langgezogene einsame Straße mit diverse Neubeuten links und rechts, in denen aber keiner wohnt. Es gibt einen Golfplatz und die Dame der nächsten Herberge teilte mir später mit, dass es sich um Appartements für die Golfbesucher handelt, die aber scheinbar nicht vorhanden sind. Es gibt sogar ein Schwimmbad, was leer so dasteht, keine Menschenseele, sowas hab ich auch noch nicht gesehen, komisch. 

Wir verabschieden und von Martina und Sabine, die weiter geradeaus gehen, am liebsten würde ich auch einfach mit den beiden weitergehen, aber ich bleibe nun hier und sie haben noch geschlagene sieben Kilometer in dieser Hitze vor sich, ist auch nicht zu beneiden. Für uns drei, Verena, Petra und mich geht es nun nach links. Wir erhoffen uns irgendwie noch einen netten Ortskern oder so, hmm, naja, geht so. Aber wir kommen an der Herberge an, die an einem großen Weizenfeld liegt. Ich stelle fest, dass ich ein paar Ecken weiter unterkomme und die beiden hier bleiben. Doof, ich finde das gerade echt doof und bin maulig, aber hilft ja alles nichts. Ich werde zu der anderen Herberge am Ortsplatz, ja den gibt es tatsächlich doch, sogar mit einer Bar, in der gerade echt was los ist, geleitet, und bekomme ein schönes kühles ruhiges Zimmerchen. Das gefällt mir gut.

Wir haben uns einfach für später verabredet und überhaupt gibt es dann das Pilgermenü in der Herberge am Weizenfeld. Die Dusche ist ein Segen, das Bett klasse. Ich lasse mich erst mal drauf fallen und verschnaufe. Puh, ist doch ganz schön heiß heute, ich wollte jetzt nicht noch weiter gehen. Nebenan ist eine kleine Küche mit Getränken und Schokis, eine kleine Tür führt auf eine nette Terrasse. Richtig schön. Ich sitze dort lange bei einem netten Kaffee und einem Kitekat und schreibe. Das haben die hier richtig schön gemacht. 

Ich bekomme eine Nachricht von Nina, die ich ja in Pamplona das letzte Mal gesehen habe, wo sie ja zwei Nächte blieb, da der Körper streikte. Sie hat abgebrochen. Nee, sie hatte keine Lust mehr und wollte die Restwoche ihres Urlaubes dann mit Stadt-Sightseeing verbringen und grüßt aus Bilbao. Das ist ja schade. Ich weiß nicht, ob sie noch mal den Camino gehen wird. Sie fand es zwar spannend, interessant, nett mit den Leuten, aber mehr auch nicht. So ist jeder eben anders und geht seinen eigenen Camino.

Ich habe mich mittlerweile mit den vielen Leuten abgefunden, versuche aber immer noch Abstand zu halten und einen großen Teil meines Weges alleine zu gehen. Der Ich-breche-ab-Gedanke ist ad acta gelegt. Es gibt eben immer mal wieder Situationen, da muss man durch, im Leben, als auch auf dem Pilgerweg. Okay, auf dem Pilgerweg ist das noch ein bissel anders, man kann ja tatsächlich abbrechen. Im Leben geht das oft nicht so leicht. Aber immer im Gepäck, die Hoffnung. Die Hoffnung, die uns weitermachen lässt, die uns am Leben hält, die uns nicht aufgeben lässt. Nun leider hatte ich Anfang des Jahres jegliche Hoffnung verloren, auch das kann passieren, das ist eine schlimme Situation, denn sie ist bestückt mit Hilflosigkeit. Diese Hilflosigkeit ist eine der schlimmsten Gefühle, finde ich. Machtlos, hilflos ausgeliefert sein. Aber genug der dunklen Gedanken. Ich bin jetzt hier, die Sonne scheint, und arrangiere mich mit allem was ist, auch etwas was man lernen kann. Dann sehe ich es doch einfach als Lernprozess, jo!

Verena und ich haben uns angenähert und somit werden wir weiterhin zusammen gehen, aber auch jeder mitunter für sich alleine. Es ist schön abends Leute um sich zu haben, dass Verena auch da ist, sich auszutauschen, quatschen, nicht alleine zu sein, das genieße ich wirklich sehr. Wir verabreden uns für ein Bier in der Weizenfeld-Herberge. Wir sitzen draußen und schnacken, der ein oder andere Pilger gesellt sich dazu. Wir werden eine nette kleine Runde heute Abend beim Essen sein. Die Herberge hier ist auch ganz nett und es gibt einen kleinen Gemeinschaftsraum in dem wir uns gegen 19 Uhr auf ein klassisches Pilgermenü einfinden.

Es gibt bei Ankunft am Ort noch immer einiges zu regeln, das muss schon sein. Jacotrans muss wieder angerufen werden. Wo bin ich heute und wo geht der Rucksack morgen hin? Wanderführer durchforsten, was es morgen auf dem Weg gibt, worauf ist zu achten oder gibt es Varianten, die ich gerne immer alle mitnehme. Ich fotografiere auch immer noch die Streckenführung in meinem Wanderführer ab, dass ich die vor Augen habe, da ich das Buch nun nicht mit in meinen kleinen Rucksack nehme. Auch habe ich zwei Unterkünfte heute geändert, da ich mit Verena zusammen unterkommen möchte. 

Somit werden wir also morgen wieder gemeinsam losgehen oder jeder für sich und uns irgendwo treffen, mal sehen. Mit Erschrecken stelle ich fest, dass ich nun schon wieder was vergessen habe. Meine neu erworbene Bikinihose aus Pamplona hängt noch auf der Wäscheleine in Ventosa. Scheiße, ich ärgere mich, das kann doch echt nicht wahr sein. Ich habe noch nie so viel liegengelassen wie hier auf diesem Camino, wie kann denn das sein? Es nervt echt, aber was soll ich machen? Vielleicht finde ich eine neue in Burgos. Irgh!

Das Essen in der Weizenfeld-Herberge ist gut und reichhaltig, dazu ein guter Rioja. Zu viert gehen wir noch in die kleine Bar ums Eck, ein Bayer ist mit dazu gekommen, eine Koreanerin, die der englischen Sprache nicht so mächtig ist, ich und Petra. Wir genehmigen uns noch ein Getränk, dann geht jeder seiner Wege und ich verbringe eine schöne und ruhige Nacht in meinem Zimmerchen. 

 

22.5.22

Cirueña nach Viloria de Rioja

22 km

Heute gibt es Frühstück in der Albergue, ist ja auch mal ganz schön, und dann noch was ganz anderes als Baguette mit Marmelade, es gibt Tortilla. Das gehört mit zu den spanischen Nationalgerichten und ist ein Eieromelett mit Kartoffeln und Zwiebeln, sehr lecker. Ich dachte immer das wären diese Maisfladen, aber das sind südamerikanische Tortilla, was ganz anderes. Dazu gibt es reichlich Kaffee und noch etwas Obst, wunderbar. 

Verena und ich lassen es ruhig angehen und gehen gemeinsam los gen Santo Domingo de la Calzada. Die Hitzewelle ist vorbei und es ist heute etwas moderater und wir laufen sogar mit leichten Jacken los. Ein netter Schotterweg windet sich über sanfte Hügel und quietschgrüner Gersten-und Weizenumgebung durch die Landschaft. Wir gehen nebeneinander her und reden über unser Leben. Es ist nicht weit nach Santo Domingo, sieben Kilometer sind es. Auf der Anhöhe Mirador del Santo an einem kleinen Rastplatz mit einer netten Pilgerstatue angekommen haben wir einen schönen Blick runter zur Stadt und gehen somit geradewegs auf sie zu.

Unten angekommen geht’s etwas durchs Gewerbe, dann kommen wir im Klassiker an, der Calle Mayor. Linker Hand ein noch aktives Zisterzienserkloster (in dem es auch eine Herberge gibt) und im Hof davor ein netter Pilgerbrunnen, schön aus Metall kreiert, wir holen uns unser Wasser. Die schmale Straße liegt einsam da, links und rechts die sandsteinfarbenen Häuser, es ist noch früh am Tage. Rechter Hand steht nun die Catedral de Santo Domingo de la Calzada, beeindruckender Name. Der Heilige Domingo de Viloria ließ sich hier nieder, aha! 

Das was die meisten Leute hier wohl eher interessiert ist die Sage vom Hühnerwunder. Es ist schon spannend, wo diese Sage überall so auftaucht. Als ich in der Schwäbischen Alb unterwegs war, da war das auch ganz groß das Thema, schön noch gemalt von Sieger Köder, später in Tafers in der Schweiz gab es das auch an der kleinen Kapelle, und nun hier. Ich will gar nicht groß über das Thema "Hühnerwunder" berichten, hatte ich es doch schon in meinem Bericht der Schwäbischen Alb bei Hohestadt getan. Hier gibt es jedoch wohl in der Kirche einen Käfig mit einem weißen Hahn und einer weißen Henne. Wenn man aus der Tür hinaus geht und der Hahn kräht, dann verspricht das immerwährendes Lebensglück. Naja und wenn nicht? Puh, gar nicht auszudenken. 

Nun, die Kirche öffnet erst um 9 Uhr, was es eigentlich auch momentan gerade ist, aber es steht schon eine Schlange davor und soll natürlich was kosten. Also entweder sind die Kirchen hier in Spanien geschlossen, oder sie kosten was. Dass man einfach so mal reingeht und beten kann, ist eher selten, jedenfalls hier auf dem Jakobsweg. Ich weiß nicht ob es woanders anders ist, aber ich finde das doof, das nervt mich. 

Wir entscheiden uns gegen Schlange stehen und Eintritt und gehen kurzerhand zur Parallelstraße der Calle Mayor, um von irgendeinen Automaten Geld abzuholen, und was sehen wir da? Wir können es kaum glauben, da stehen drei Ich-kann-mir-was-ziehen-Automaten. Einer mit Getränken und Schokolade und einer mit Hygieneartikeln, Kondomen, Gummivaginas und Dildos. Oh man, wer’s denn braucht und nötig hat, nun ja. Und sogar einen Burger-Automaten gibt es, 24 Stunden alles immer erhältlich, gar nicht mal so schlecht, finde ich. 

Weiter geht es durch die einsamen Straßen Richtung Brücke über den Rio Oja, der der Region Rioja auch ihren Namen gab, das ist ja mal spannend. Leise plätschert er dahin. 

Der Wanderweg geht nun an eben dieser Straße entlang und da steht mein erstes Wegkilometer-Schild hier in Spanien. Es hat durch Schmiererei etwas gelitten, aber die 565 Kilometer, die es noch nach Santiago sind, sind gut zu erkennen. Wow, ist wirklich nicht mehr weit. Wenn ich bedenke, an was für Schilder ich alles vorbei gekommen bin. Da standen noch vierstellige Zahlen drauf. Ich weiß noch bei Diekholzen in Niedersachsen stand was von 2850 km oder so. Wobei ich sagen muss, dass ich weit über 3000 Kilometer schon hinter mir habe mit der Streckenführung, die ich mir ausgesucht habe und gegangen bin, über die Schweiz und so. Schon toll. Nun sind es nur noch 565 Kilometer. Stolz laufen wir beide weiter. 

Wir überqueren sanfte grüne Hügel. Die Triebe des Getreides wiegen sich wunderbar im Wind und sehen aus wie das Meer mit seinen Wellen, nur in Grün, ein wunderschönes Bild eines wellenumtosten Meeres, ob des nun stärker werdenden Windes. Im Hintergrund sind weiterhin die nördlichen Berge zu erkennen, die alsbald in das Kastilische Gebirge übergehen werden, deren höchster Berg sich über 2500 m erstreckt. Lange geht es an einer Bundesstraße entlang, bis eine Brücke über sie hinüberläuft. Weiter geht’s dann auf der anderen Seite. Die Landschaft ist schön, die Straße weniger, aber so viel Verkehr ist hier nicht mit dabei, das ist schon mal gut.

Nach weiteren Kilometern geht’s dann nun endlich wieder von der Straße weg auf einen netten Weg ins Land hinein und  hoch zum auf einer kleinen Anhöhe liegenden netten Ort Grañon, welches zum Verweilen einlädt. Pause ist angesagt und die wird einem hier wirklich nett und schmackhaft gemacht, im Hintergrund läuft schöne Klaviermusik, es ist heimelig.  Wir treffen auf eine bunt mit Jakobsmotiven bemalte schöne Mauer, die wirklich süß gemacht ist, hindurch geht eine kleine Treppe nach oben, dort gibt es einen Rastplatz mit einem Foodtruck, Stühlen unter Bäumen, so richtig nett. 

Wir bestellen uns das ein oder andere und setzen uns unter einen Baum, halten Siesta. Ein paar andere Pilger sind auch mit zugegen, ich treffe wieder auf Louise und Ashley, die beiden Amerikanerinnen, Tochter und Mutter, die ich in Torres del Rio abends beim Essen kennenlernte. Wir schnacken etwas. Louise hat wirklich große Probleme mit ihren Füßen, diverse Blasen an den Zehen und der Ferse, oh oh, nicht gut, sowas ist echt ätzend und kann einen alles vermiesen.

Wir brechen alsbald auf und gehen weiter durch den netten Ort. In der Panadería Jesus, wie süß, kaufe ich noch Brot und Kuchenleckereien für später. 

Es geht aus dem Ort raus mit einem netten Platz am Ende des Ortes mit View. Wie schön das alles aussieht. Die grünen Hügel, der Weg schlängelt sich hindurch und man kann schon weit nach vorne schauen, weiß also, wo man in einer Stunde langlaufen wird. Nach gehörigem Bergab, geht es nun wieder hoch auf eine Anhöhe und dann ist es wieder soweit: Regionenwechsel. La Rioja war nur kurz, jetzt befinden wir uns in Kastilien, auf Spanisch: Castilla y León. Ein großes Hinweisschild zeigt den Weg durch Kastilien mit seinen beiden großen Städten Burgos und León, die ich ja auch noch sehen werde. Wir machen eine kleine Pause oben, schnacken etwas, Ashley und Louise sind auch gerade angekommen, in der Ferne laufen weitere Pilger. 

Neue Region, neue Schilder. Castilla y León zeigt sich interessiert daran dem Pilger viel zu bieten. Schöne und klar gestaltete Schilder mit stilisierter Muschel und gelbem Pfeil auf blauem Grund zeigen dem Pilger wo es langgeht. Verena läuft nun wieder vorneweg, ich bleibe ständig stehen und mache Fotos, schön ist es hier. Ich liebe es in die Weite zu schauen, das ist wirklich toll, und alles so farbintensiv. Wir durchqueren noch zwei weitere kleine Ortschaften. In Castildelgado wollte ich eigentlich unterkommen, hatte mich ja dann aber anders entschieden, was ein Segen sein sollte. Also nicht des Ortes wegen, aber der Leute wegen, denn wenig später, nun doch schnaufend ob der Berge und der nun doch wieder eintretenden Hitze, kommen Verena und ich oben in Viloria de Rioja an. Und auf wen treffe ich da im Bett des Mehrbettzimmers liegend?...

...Martina. Na das ist ja mal eine Überraschung, ich freue mich total, das hätte ich nicht gedacht, war sie doch schon um einiges weiter gegangen. Aber nun, ihr Fuß hat ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht, der schmerzt sehr und so hat sie heute eine kürzere Strecke von Santo Domingo bis hierher gemacht. Die Herberge ist sehr nett, unten ein schöner rustikaler Raum. Man kann sich Getränke nehmen für eine Spende. Eine kleine Treppe geht hoch in das Mehrbettzimmer, welches doch recht groß, aber verwinkelt ist, was an sich gar nicht so schlecht ist, aber die Betten sind der Hammer, leider im negativen Sinne. Klein, schmal und zum hochklettern muss man sich eine Leiter teilen, anders kommt man da nicht hoch. Die Matratzen bestehen aus Plastik, zusätzlich kommt der klassische weiße Plastiküberzug darüber. Das habe ich schon einige Male erlebt, Corona und Hygiene lassen grüßen. Ich stehe da so ratlos, ist überhaupt nicht meins und zu allem Überfluss wird es voll werden, klar, hab ich auch nicht anders erwartet. 

Ich sortiere mich und gehe duschen, auch klein und naja, geht so. Was soll's. Draußen im Gärtchen vor der Türe ist es netter, denn da sitzen nun Louise und Ashley, Martina und Verena kommen dazu, später noch die Französin, deren Namen ich vergessen habe, mit ihrer Hündin Maika, die dann aber später bei der Kirche unterkommen wird. Wir sitzen hier so und quatschen, essen was, ein erstes kühles Bier, ein leichter Wind weht und der Blick schweift in die Ferne über die grünen Felder. 

Die Albergue Parada Viloria ist wirklich mit allem was das Land so hergibt zusammengezimmert, Lehm, Holz, Kalk, sieht schon abenteuerlich aus, aber viele Häuser sind mitunter so hergerichtet, man nimmt das was halt gerade zur Hand ist. Eine Wäscheleine hängt in der Sonne mit einigen bunten Shirts drauf, welche durch den stärker werdenden Wind halb von der Leine geweht werden. Die Beine hochgelegt, entspannen wir vom Walk heute. Wir sind relativ früh hier und sich oben aufs Bett packen ist keine Option, nee lass mal. Ich werde dort nur ein einziges Mal hochklettern, Verena schläft unter mir, und dann wieder morgen runter, sonst mache ich mit diesem Bett gar nichts, die Unfallgefahr ist echt zu groß. Runter kann man ja springen, für „hoch“ muss man sich die Leiter vom Nachbarn klauen, schon speziell, finde ich. Auch sollte man sich besser festschnallen, dass man nicht runtersegelt. Krass!

Ich gehe noch ein bissel im Ort umher, hier ist nicht viel los. Sandfarbene, wie schon gesagt, teilweise zusammengezimmerte Bauten, drumherum die grünen Felder. Die Kirche im Ort sieht nett aus, daneben steht ein kläffender Hund, im Hintergrund kräht ein Hahn, sehr ländlich alles.  Neben der süßen Fachwerkkirche steht eine Statue des Heiligen Domingo mit Hahn und Henne, nett gemacht. Über den leeren Straßen sind Bänder mit kleinen Fähnchen in allen Farben drapiert, etwas Staub wirbelt auf und das Zirpen der Zikaden ist leise im Hintergrund zu vernehmen. 

Gegen Abend zieht es sich zu, eine dunkle Wolke kommt auf uns zu und ich sollte den ersten Regen seit meiner Ankunft hier in Spanien erleben. Ein lautes Grollen ist zu hören, Blitze kommen auf uns zu und erhellen den nun dunklen Himmel, dann schüttest es aus Kübeln. Wir stehen oder sitzen nun drinnen und beobachten das Schauspiel. Mittlerweile hat sich ein kleiner Fluss gebildet, der an der Tür der Albergue entlang bergab schießt. Wenig später ist das Spektakel vorbei und die Flüsse versiegen wieder, die Sonne kommt nochmal raus.

In einer großen Paellapfanne köchelt es schon fleißig vor sich hin, die Herbergseltern kochen. Das ist doch mal hammerklasse. Eine Riesenpaella mit allem drum und dran wartet auf uns. Wir setzen uns an die Tische und warten. Vorab gibt es aber einen tollen leckeren Salat. Wir sitzen zu Sechst an unserem Tisch, Martina, Verena, ich, ein Vater mit seinem gerade 18 Jahre alten Sohn aus Deutschland und ja, da war ich erstaunt: Ingvild. Ingvild war ja meine erste Pilgerin, die ich ja schon in Bayonne getroffen hatte, die Norwegerin, die ist mir nun auch wieder über den Weg gelaufen, man trifft sich doch immer mal wieder. Sie ist ein bisschen speziell, muss ich mal sagen, aber nett. Sie stellt mit Schrecken fest, dass sie an einem deutschen Tisch sitzt, aber wir schalten kurzerhand auf Englisch um, was Verena nun mit Schrecken feststellt, denn sie würde lieber deutsch reden und ist des Englischen ja nicht so mächtig, ja irgendwas ist eben immer, aber wir arrangieren uns mit Kauderwelsch. 

Die Paella ist nun fertig und lecker. Die Herbergseltern lassen uns nun allein und jeder kann sich davon nehmen, dazu gibt es guten Rioja und Wasser, wie immer. Was für ein schöner Abend das doch heute ist, ich genieße es. 

Das mit dem Schlafen ist dann so eine Sache, ist weniger der Hit, denn ich versuche, nachdem ich ächzend oben im Bett angekommen war, meine Wertsachen irgendwie zu sichern, was aber nicht so einfach ist, denn das Bett steht nicht wirklich an der Wand und so könnte alles runterfallen. Oh man, was tun? Ich stopfe alles ans Fußende meines Schlafsackes und versuche mich nicht zu bewegen. Irgh, geht alles gar nicht. Man liegt hier drinnen in einer Kuhle wie in einem Sarg. Was soll's, irgendwann bin ich dann doch eingeschlafen. Also dieses Zimmer war echt grenzwertig, aber die Herberge selbst mit dem schönen Raum unten, dem draußen sitzen und der Paella empfehlenswert. 

 

23.5.2022

Viloria de Rioja nach

Villafranca Montes de Oca

21 km

Um 6 Uhr geht es für mich los. Die Nacht war kurz und unbequem, ich bin froh, dass sie vorbei ist. Vereinzelt sitzen wir unten an den Tischen und frühstücken. Man kann sich alles aus dem Kühlschrank holen, Kaffee ist auch mit dabei, das ist wunderbar, dann ist man vom Start her unabhängig. Verena ist schon weg, sie ist immer sehr früh am Start, ich lasse mir noch etwas Zeit, schnacke noch kurz mit Martina, der es mit dem Fuß wirklich nicht gut geht, doof, und breche auf. 

Ich habe es beibehalten meinen großen Rucksack abzugeben und wandere jetzt nur noch mit dem kleinen, das ist wunderbar. Meine Hüfte muckt ab und an noch, aber es hält sich alles im Rahmen. Es geht aus dem kleinen Ort raus den Berg runter zur N120, die mir nun eine Weile hold bleiben wird. Ein kräftiger kühler Wind weht. Die Sonne macht sich bereit hinter den Bergen aufzugehen als ich vor dem Schild Burgos-Logroño stehe. Nun, meine Richtung ist klar, ab gen Burgos, wo ich zwei Nächte bleiben werde. Ich plane ja immer eine Pause mit ein und diese wird nun in Burgos sein, ich bin gespannt. 

Nun geht es elendig an der Bundesstraße entlang. Ich entscheide mich mir Musik auf die Ohren zu packen, denn der zeitweilige Lärm der Straße nervt mich, na und der Weg ist halt auch nicht der Hit. Klaviermusik von Ludovico Einaudi soll es sein. Sie ist wunderschön und emotional. Ich laufe da so alleine vor mich hin, die Gedanken kreisen und dann passiert das, was ich eigentlich vermeiden wollte. Die ganzen Erinnerungen diesen Jahres, der ganze Horror im Krankenhaus mit meinem Vater und alles was dann noch kam, prasseln über mir herein und ich kann es nicht aufhalten,  ich fange an zu weinen. Der ganze Schmerz kommt hoch und ich kann mich überhaupt nicht mehr beruhigen und weine lauthals vor mich hin. Ein kleiner Rastplatz kommt in Sicht, ich setze mich hier auf eine Bank, packe meinen Kopf auf den Tisch und weine einfach weiter. Dieses Jahr war bisher einfach nur schrecklich und bei dem ganzen Schrecken habe ich meinen Gottesglauben verloren. "Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben", habe ich mit erhobener Faust in die Luft geschrien, "lass mich einfach nur in Ruhe". Gottverlassen, kein schönes Gefühl. So langsam nähern wir uns ja wieder an, hier auf dem Jakobsweg fernab von allem. So gaaanz langsam!

Ein Pilger kommt auf mich zu und fragt mich unnötigerweise ob alles okay ist, ich schicke ihn weg, sage: „ja ist okay“. Ist es natürlich nicht. Ist ja auch nett von ihm gemeint, aber ich will jetzt hier alleine sein. Zum Glück kommt kein weiterer. Ich beruhige mich dann auch irgendwann wieder und mache mich wieder auf den Weg. Eine gewisse Erleichterung ist zu spüren, scheinbar musste das noch mal alles raus. So viele Tränen dieses Jahr! So viele...

Der breite Sand-Schotter-Weg geht Richtung Belorado, welches ich dann nach langen fünf Kilometern erreiche. Der Ort begrüßt mich mit schönen Wandmalereien und heitert mich auf. Ich komme an einer kleinen Kirche vorbei, die zwar geöffnet hat, und das ganz ohne Eintritt, mich aber nicht anspricht. Ich habe gerade genug Emotionales hinter mir, mehr will ich nicht, reicht jetzt. Und außerdem muss ich noch was einkaufen und Geld abheben. 

Ich biege zum hübschen Plaza Mayor ab, wo gerade ein Markt aufgebaut wird. Auch hier sind Hausmalereien zu sehen, sind hier scheinbar sehr kreativ die Belorader oder Beloraner oder wie auch immer sie heißen mögen. Nach dem Shoppen setze ich mich in ein Café am Platz in die Sonne und beobachte die Marktbetreiber beim Aufbau. Sie stellen ihre Tische auf und unterhalten sich lauthals miteinander, gestikulieren wild mit ihren Armen, so richtig spanisch, ich verweile. 

Raus aus dem Ort geht es bei der Tankstelle an einer weiteren schönen Malerei über den Jakobsweg und dessen Streckenführung über den Fluss Tirón und auf den Feldweg. Ultreya e suseia steht in großen Lettern geschrieben: Auf, auf, weiter geht`s! Ein hübscher Kilometerstein, wie ich sie noch einige sehen werde, kommt in Sicht und besagt, dass es jetzt nur noch 554,6 Kilometer sind. 

Der Weg ist ein ebener, einfach zu begehender und schlängelt sich durch die Landschaft, jetzt abseits der Bundesstraße, weiterhin mit kräftigem Wind von links kommend nach Villambista. Auf der Anhöhe ist die kleine Kirche des Ortes zu erkennen, rechts von mir eine dunkle Wolke. Es wird doch wohl nicht? Regen? Shit, ich habe meine komplette Regenklamotte im anderen Rucksack gelassen, habe irgendwie damit nicht gerechnet. Oh man, geht gar nicht. Ich lege etwas an Tempo zu und hoffe, dass die Kirche geöffnet ist oder es einfach doch nicht regnet. 

Oben angekommen stelle ich fest, offen ist sie nicht, aber die dunkle Wolke zieht vorbei und ich finde für die Rast ein schönes Sonnenplätzchen auf dem Kirchengelände auf dem Rasen. Das ist ein wunderbarer Pausenort zum sich hinlegen, essen, trinken und einfach nichts tun. Die Pilger gehen vorne vorbei, keiner stört mich, so mag ich das. Wenig später, da kommt schon wieder eine dunkle Wolke ums Eck, breche ich auf, diesmal sogar noch mit meiner Jackenmütze, denn der Wind ist wirklich kalt. Nach der ganzen Hitze ist das erst mal ungewöhnlich, aber zum Wandern sicher besser, Hauptsache kein Regen. Ich könnte mich daran gewöhnen ohne Regen zu pilgern, habe ich ja, wie gesagt noch nicht so erlebt. 

Ich gehe einsam meiner Wege, irgendwie sind alle Pilger verschwunden, nun macht nichts, ich genieße es. Die Wolke folgt mir, holt mich aber nicht ein. In Espinosa del Camino, wo ich eigentlich unterkommen wollte, trinke ich draußen in einem Café einen Café con leche. Ich fühle mich gerade doch alleine hier so im Café, bin ich es doch mittlerweile gewohnt nicht alleine an irgendwelchen Tischen zu sitzen. Ein Taxi kommt ums Eck und gibt eine humpelnde Pilgerin heraus, oh oh, sieht nicht gut aus. Also ist schon erstaunlich was hier alles so an Gebrechen vorhanden ist. Sie scheint hier in der Albergue unterzukommen, besser ist es sicher. Ich stecke mir noch schnell den Keks in den Mund und weiter geht’s stetig bergauf über die saftigen Wiesen. Es hat sich ordentlich zugezogen, aber es sollte tatsächlich trocken bleiben. 

Leicht bergab geht es nun auf meinen Zielort zu, welcher am Flüsschen Oca liegt und durch den leider die nun, aus welchen Gründen auch immer, extrem befahrene N120 direkt hindurch geht. Irgh! Ich komme vom Feldweg auf die Straße und biege rechts ab, ein kleiner Fußweg quetscht sich an ihr entlang. Fette LKWs brettern vorbei und das in Massen. Was ist denn hier los? Ich bin geschockt und ahne bezüglich meiner nächsten Unterkunft schlimmstes. Ich habe ja umgebucht und bin in der gleichen Unterkunft wie Verena, die mir bei Ankunft im Ort auch gleich über den Weg läuft. Sie ist schon eine Weile hier, ist einfach immer sehr schnell. 

Ich traue meinen Augen nicht, als ich sehe, dass die Albergue nun direkt an der N120 liegt. Ich stehe fassungslos vor der Eingangstür, ein LKW brettert mit wenig Abstand hinter meinem Rücken vorbei und Verena sagt mir allen Ernstes, dass es gar nicht so schlimm sei, sie hätte ein schönes Zimmer. Was? Geht gar nicht. 

Wir gehen erst mal gemeinsam in den Ort, ich kaufe noch was ein, denn bald ist wieder Siesta und ich habe nichts zu essen mehr. Oben auf einem kleinen Berg thront ein Hotel mit angeschlossener Herberge. Wir gehen hinauf und ich beschließe, dass ich doch besser hier unterkommen will. Zu allem Glück hatte Martina mir noch zuvor das Angebot gemacht, dass ich in ihrem Hotelzimmer schlafen könnte. Sie hat sich heute ein Hotel gegönnt und es gibt zwei Betten. Ich hatte es ja erst abgelehnt, nun nehme ich das Angebot doch liebend gerne an. Gesagt getan, ich gehe zur Herberge zurück und teile der Hospitalera meine Entscheidung mit, die sie doof findet, aber ist mir egal. Mein Rucksack ist zum Glück auch schon angekommen und so ziehe ich kurzerhand von der N120-Lärm-Herberge um, auf den stillen Berg abseits der Straße.

Wie schön ruhig es hier ist und das Hotel hat es auch echt in sich. Ist wirklich sehr herrschaftlich eingerichtet, toll sieht das aus. Ich kann auch schon einchecken und stehe in einem schönen Prinzessinnen-Zimmer mit Blick auf die Kirche und die schöne Landschaft, fernab von den LKWs. Oh man, man erlebt schon Sachen, aber am Ende ist es doch gut geworden. Da hätte ich echt nicht übernachten wollen, finde ich schon krass sowas. 

Martina trudelt etwas später ein. Das Bad ist riesig und komfortabel, ich dusche und sitze dann im Schneidersitz meine spanischen Klassiker essend auf dem Bett. Wenig später gesellt sie sich dazu und sitzt auf dem Nachbarbett, wir quatschen lange und erzählen uns einiges über unsere Leben. Schön ist es, dass wir jetzt hier zusammen sind. 

Das Hotel ist rustikal eingerichtet mit großen Teppichen auf dem Boden, Ritterrüstungen und großen Bildern und Spiegeln an den Wänden, Ohrensessel und Sofas in den Gängen und einen schönen Saloon mit Billardtisch. Unten befindet sich eine rustikale Bar, die ich später auf ein Bier aufsuche. 

Draußen ist es jetzt etwas moderater geworden, so setze ich mich dort an einen Tisch, nebenan ist die Pilgerherberge, trinke Bier, esse Chips und schreibe. Louise und Ashley setzen sich mit dazu. Die beiden Amerikanerinnen haben sich entschieden ab Burgos nach León mit dem Fahrrad zu fahren, denn Louise geht es wirklich nicht gut mit ihren Füßen und durch die Meseta, die ja ab Burgos losgeht, kann man das ja auch gut machen. Eine gute Entscheidung finde ich. Man sollte doch mit den Möglichkeiten, die man hat, gut haushalten, wenn man auf dem Weg bleiben will. Somit werden sie es bestimmt nach Santiago schaffen. 

Nach meinem emotionalen Walk vorhin whatsappe ich mit meinen Eltern, dass ich froh bin dass es sie gibt und es meinem Vater wieder so viel besser geht. Er ist kurz bevor ich losgepilgert bin aus der Reha nach Hause gekommen. Sie antworten mir just in diesem Moment mit einer Sprachnachricht. Ich höre ihn sprechen und dann sind sie wieder da, die Tränen. Ich weine und weine und Ashley schiebt mir ein Taschentuch nach dem nächsten zu. Oh man, was für ein emotionaler Tag. Wir sitzen noch lange zusammen und sprechen über dunkle Zeiten im Leben. Louise berichtet von ihrer dementen Mutter und wie hart dass alles gewesen ist. Die Menschen haben alle ihre dunklen Geschichten. Es tut gut darüber sprechen zu können, über all die ganzen Dunkelheiten.

Abends kommen wir alle im Essraum zusammen und sitzen an runden Tischen. Es gibt klassisches Pilgermenü mit allem drum und dran, Ingvild ist auch wieder mit von der Partie und ein netter älterer Herr aus England. Vollgestopft bis zum Rand machen wir uns auf in unsere Prinzessinnen-Suite und quatschen noch eine Weile. Ich hoffe, dass es Martinas Fuß bald besser geht. Sie bräuchte unbedingt eine Pause und sollte auch ihren schweren Rucksack abgeben, aber bislang hält Martina noch nichts davon. Nun, wir werden sehen wie es weitergeht. Wie schön, dass ich jetzt hier im Hotel bin und nicht in der LKW-Albergue. Verena teilt mir am nächsten Tag mit, dass es gar nicht so schlimm war. Nun denn, wenn sie meint. Wir verbringen hier jedoch eine ruhige Nacht, wenngleich die Kirche, die übrigens zu hatte :-), jede Stunde ihr Gebimmel von sich gibt, aber mit Ohrstöpseln ist das kein Problem für mich. 

24.5.2022

Villafranca de Oca nach Atapuerca

18 km

Heute geht es über die Montes de Oca, die sich mystisch und nebelverhangen zeigen. Es ist so richtig kühl geworden, will mal sogar sagen kalt, brr! Das sind wir ja gar nicht gewohnt. Nun denn. Wir stehen auf, Martina geht es mit ihrem Fuß nicht gut, oh je, Shittenkram. Sie humpelt krass vor sich hin und ich frage mich wirklich, wie sie das heute schaffen will und vor allem wie lange sie das noch durchhält. Was auch immer es ist, es ist sehr schmerzhaft und sie tut mir wirklich leid, doof ist das. 

Wir gehen gemeinsam runter zum Frühstück, welches mit einem tollen Buffet in einem speziellen, schwarz-weiß gestreiften Frühstücksraum angeboten wird. Also dieses Hotel ist wirklich sehenswert und spannend, kann man nicht anders sagen. Somit geht es heute etwas später los, was aber ob der moderaten Temperaturen kein Problem ist. Wasser und Proviant sollten für die nächsten 12,5 km reichen, besagt mein Wanderführer, denn bis nach San Juan de Ortega gibt es außer montañas, bosques y flores nichts. Naja und einige Peregrinos und Peregrinas nicht zu vergessen :-) Ich verabschiede mich von Martina, die noch etwas Zeit braucht, und begebe mich hinter dem Hotel an den steilen steinigen Aufstieg in den Nebel hinein auf 1160 m Höhe. Mir gefällt das ganz gut jetzt hier im Nebel rumzulaufen, der sich dicht in den Bäumen hält. Die Luft ist kühl und feucht. 

Steineichen und Buchenwälder wohin das Auge schaut, dazwischen wächst gelb am Wegesrand der Ginster und ab und an auch eine Ansammlung der nun schon bekannten Affodills, der ästige, der sich wohl über den gesamten Mittelmeerraum verteilt, sagt wiederum meine Blumen-App. Schön sieht das aus. Ab und an verschwinden Pilger mit bunten Rucksäcken im Nebel. Kleine Farne wachsen zwischen den flechtenüberzogenen Bäumen und alles ist so richtig schön frühlingshaft quietschgrün. 

Oben angekommen geht es auf einer Ebene weiter. Oh man, ich hätte glatt noch meine Regenhose mitnehmen sollen, damit sie mich wärmt, 7 Grad zeigt das Thermometer an, krass kalt. Nach den 35 Grad ist das ein enormer Temperatursturz. Nun, da muss ich durch. Der Ginster wird von pinkfarbener Grauheide (warum auch immer grau) abgelöst, die hier im Norden Spaniens häufiger anzutreffen ist. Auch ein paar Glockenheiden in quietschpink sind zu bewundern. Diese wiederum kenne ich auch aus der Lüneburger Heide, wenngleich dort eher die klassische Erika (oder Calluna) ansässig ist.

Bergig geht es nun durch den Wald. Ein breiter Schotterpfad windet sich hindurch, auf dem in der Ferne einige Pilgergruppen zu erkennen sind. Ich versuche wieder etwas Abstand zu gewinnen, da werde ich von hinten angesprochen. Ingvild überholt mich. Ich habe wenig Lust auf quatschen und signalisiere ihr das irgendwie, sie zieht weiter. Der Weg zieht sich über steile Berge, puh, schnauf! Ich überhole eine ältere Dame mit einem enorm schweren Rucksack, sie läuft tief gebeugt und kämpft sich vorwärts.

Ich suche nach einem einsamen Platz zum Pause machen und verabschiede mich vom Hauptweg und ziehe mich in die Heide abseits zurück, esse mein vom Frühstück mitgenommenes Brot mit Käse und ruhe mich etwas aus. Auch gibt es wieder die leckeren Magdalenas, die schmecken gut, sind leicht zu tragen und machen satt, was will man mehr? Nach einer Weile fange ich an zu frösteln. Nützt alles nichts, ich muss mich weiter bewegen. Ich habe zu wenig Klamotte mitgenommen. Im Nordic Walking-Schritt geht es weiter durch die Wälder. Ein frischer Wind pfeift zu allem Überfluss um die Ohren. Der Weg nach San Juan de Ortega zieht sich hin und endet an großen Wiesen und später an einem wirklich kleinen Ort. Ich habe mir das hier irgendwie größer vorgestellt, aber außer einem Platz mit Kloster und Klosterkirche, die natürlich geschlossen hat, zwei Cafés und ein paar Häusern gibt es hier nicht viel. Ich stürme das eine Café, in dem ein lauter Fernseher vor sich hinplärrt und drei Spanier sich lauthals über die Tische hinweg mit dem Barmann unterhalten. Ich bestelle mir ein Bocadillo und einen schönen heißen Milchkaffee und setze mich nach draußen. Zwar frisch, aber ruhiger. Neben mir sitzen drei Franzosen, die auch leicht eingefroren aussehen. Aber es gibt auch tatsächlich Leute, die mit T-Shirt und Shorts unterwegs sind, sind wohl die ganz Harten oder einfach nur dumm. Wie dem auch sei, der Kaffee ist ein schneller, die Hände werden an ihm gewärmt und ich hocke hier so lustlos rum, würde mich am liebsten in ein schönes warmes Einzelzimmer verkriechen und mir die Bettdecke über den Kopf ziehen. Ich bin k.o. und träume von Wärme.

Aber weiter geht’s durch den Wald und später  über Wiesen. Die Wolkendecke hält sich zäh an diesem Tage. Die Montes de Oca sind alsbald hinter mir gelassen und ich stehe auf einer Anhöhe mit einem schönen Blick über Patchwork-Felder in Ocker-oder Grüntönen und hinunter nach Agés, welches schön eingebettet im Tal liegt. Toll sieht das von hier oben aus. 

Nach einem steinigen Abstieg komme ich im schönen Ort an. Hier wollte ich eigentlich absteigen, habe mich dann aber anders entschieden und gehe einen Ort weiter und werde mit Verena, die natürlich schon über alle Berge ist, im wahrsten Sinne des Wortes, und die ich heute noch gar nicht gesehen habe, in einem Zweibettzimmer unterkommen. Der Ort begrüßt einen mit schönen Häuschen, netten Blumen-Arrangements und Gärten, einen schönen Brunnen, den ich sogleich auch anzapfte, und schönen Hauswand-Malereien. Ich setze mich auf eine vorhandene Bank, habe dringend das Bedürfnis meine Füße zu lüften und mich etwas hinzulegen. Aufgrund der Temperaturen und des nun gemäßigten Windes ist alles schnell durchlüftet. Ich halte einen kurzen Schnack mit Ingvild, die gerade aus einem kleinen Lädchen kommt, und mir ganz aufgeregt erzählt, wie toll dieses Lädchen doch war. Ich gehe weiter, um kurze Zeit später auf einem Bänkchen in nun tatsächlich rauskommender, wenn auch verhaltener, Sonne zu sitzen und mich aufzuwärmen. Hmm, das tut gut. Ein Herr von gegenüber spricht mich auf Spanisch an, wir können etwas schnacken über den schönen Ort und die Sonne, die nun rauskommt, geht doch. Mein Spanisch bessert sich zusehends, das finde ich großartig.

Durchgewärmt geht es nun auf die letzten drei Kilometer an einem Feld mit wunderschöner pinkfarbener Esparsette entlang. Wilde Malven im ähnlichem Farbton zieren den Wegesrand, schön sieht das alles aus. Der Rest geht an der kaum befahrenen Straße an einem Grinsende-Kuh-Schild vorbei, ich muss schmunzeln. Ein großes Schild, welches besagt: Yasimientos paleontologicos. Patrimonio de la humanidad, UNESCO-Weltkulturerbe, steht am Straßenrand. Die Fundstätte ist eine der bedeutendsten in ganz Europa, sie birgt Zeugnisse der Präsenz und der Lebensweise der Hominiden vor einer Million Jahren. Spannend. In der Ferne kann ich große Busse erkennen, was erst mal befremdlich ist nach der ganzen einsamen Landschaft zuvor. Aber Atapuerca ist davon etwas entfernt und so komme ich in den kleinen Ort und gehe geradewegs auf meine Albergue zu. 

Hier treffe ich auch sogleich auf Verena, die natürlich schon lange da ist. Sie sieht auch leicht fröstelig aus und so befinden wir uns wenig später nach einer heißen Dusche mit diversen Klamotten unter diverse Bettdecken im Bett. So langsam wird es kuschelig. Oh man, wie kann es nach den 35 Grad so kalt werden?

Später machen wir uns auf den Weg und suchen uns was zu essen, machen es mal wie die Spanier und hauen jetzt schon richtig rein. Das ein oder andere wird noch geshoppt und dann geht’s wieder back retour, wo wir im Aufenthaltsraum auf Martina treffen, die nun auch angekommen ist. Sie hat es tatsächlich geschafft, wenn auch langsam und mit Schmerzen. Ich freue mich, dass sie nun auch hier unterkommt und wir klönen etwas in dem kühlen Aufenthaltsraum. Ich habe einfach eine von den Zusatzdecken um mich geschlungen und es gibt einen heißen Tee. Eine Irin setzt sich mit dazu und so sind wir eine nette Runde.

Abends gehen dann Verena und ich nochmal was Essen, Pilgermenü ums Eck, welches wirklich in einem schönen rustikalen Restaurant serviert wird und so richtig lecker ist, inklusive einer Flasche Wein, die wir nicht schaffen, ist dann doch etwas zu viel für zwei Leute. Leicht angetütert geht’s dann wieder zurück. Mit Hape im Ohr und diverse Bettdecken schlafe ich dann ein. Hoffentlich wird es bald wieder wärmer. Brr!

 

25.5.2022

Atapuerca nach Burgos

22 km

Morgens um 7 sitzen wir gemeinsam, Martina, Verena und ich im Aufenthaltsraum am Tisch und frühstücken. Verena ist mal wieder die erste, die aufbricht, ich folge alsbald, Martina lässt sich noch Zeit. Ich trete aus der Herberge auf die kleine Hauptstraße von Atapuerca, es ist immer noch kalt und die Horden kommen mir von links entgegen. Oh man, das ist doch nicht euer Ernst? Ich bin zu spät losgegangen, die Leute aus Agés sind schon hier angekommen. Ich kehre kurzerhand wieder um und warte noch eine Weile. Das ist mir einfach zu viel. Als sich die Reihen lichten mache ich mich auch auf den Weg. Wir haben 6 Grad, diesmal habe ich die Regenhose mit dabei. Brr, ist das kalt. Aber aus dem Ort raus geht es steil den Berg hoch, somit dauert es nicht lange und mir ist warm. Es ist ein äußerst steiniger Weg, der durch diverse Stein-und Korkeichen führt. Große Flächen voll mit diesen schönen weißen Affodill-Blumen sind links und rechts auszumachen, wie wunderschön das aussieht, das ist schon besonders.

Hinter mir höre ich es schnaufen, ein Japaner kommt ums Eck, ich lasse ihn vorbei und warte, bis ich wieder Abstand bekomme. Aber es ist ein frustraner Versuch, denn ich höre schon zwei Engländer lauthals schnatternd den Berg hochkommen. Ich gebe es auf und mache mich auf zum Gipfel bei gut 1100 Metern. Der kalte Wind weht mir um die Nase. Ein großes Holzkreuz ist dort aufgestellt mit vielen aufgestapelten Steinen anbei. Und drumherum überall Affodill, fantastisch. Ich bleibe lange dort oben stehen und genieße den Ausblick, warte bis es ruhig wird. 

Dann wird es still, keiner kommt, keiner vor mir, keiner hinter mir, ich gehe nun weiter, wieder den Berg hinunter. In der Ferne kann man Burgos unten im Tal schon erkennen. 

Unten angekommen geht es eben weiter in den witzig klingenden Ort Cardeñuela Ríopico. Ich habe ein dringendes Bedürfnis nach einem Heißgetränk und einfach einer netten Pause, aber im am Ortseingang befindlichen, einzigen Café sitzen 1000 Leute und stehen 1000 Leute an. Oh nee, ich gehe weiter. Es nervt mich heute enorm mit den vielen Leuten. Es geht durch den verlassenen Ort an einer netten Wandmalerei vorbei, die mich schmunzeln lässt, weiter über saftige Wiesen auf der kleinen kaum befahrenen Straße entlang. 

Im nächsten Ort beschließe ich auf Martina zu warten. Die Herberge inklusive Café ist irgendwie nicht geöffnet, komisch. Ich sitze draußen in der Kälte und mache nun meine wirklich notwendige Pause, als der Bar-Typ ums Eck kommt und das Café öffnet, wie schön. Er ist gut drauf, macht sogleich etwas Musik an und bringt mir ein wunderbares Bocadillo und einen tollen Kaffee. Martina ist auf dem Weg und mittlerweile auf dem Berg angekommen, wird also noch eine Weile dauern. Aber ich habe gerade keine Lust alleine weiterzugehen, bin irgendwie nicht gut drauf und außerdem gibt es zwei Varianten nach Burgos und die schönere will ich mit ihr gehen, dann muss sie nicht die doofe nehmen. 

Der eigentliche Jakobsweg geht durch Gewerbegebiete, Wohngebiete, unendlich lang nach Burgos rein und der andere, bei dem aber doch etwas Unterstützung von meiner Komoot App vonnöten ist, geht am Flugplatz vorbei und dann die ganze Zeit durch den schönen Parque de Fuentes blancas am Fluss Río Arlanzón entlang bis in die Innenstadt, das ist doch mal ein Unterschied. 

Ich sitze hier im Café und schreibe, lese etwas, trinke noch einen Kaffee. Langsam werde ich unruhig, es dauert. Aber dann kommt sie ums Eck, so sitzen wir nun hier zu zweit und schnacken. Ihrem Fuß geht es trotz aller Versuche es zu bessern, schlecht. Nach einer Weile brechen wir auf und gehen im langsamen Tempo über die Autobahnbrücke. Einige Pilger gehen nun geradeaus weiter, wir biegen ab, yeah! Verena erzählte später, dass der eigentliche Pilgerweg durch die Vororte von Burgos echt scheiße war, man hätte aber auch einen Bus nehmen können. Nun, so ist das mit den größeren Städten, da gibt es immer ein rein-und rauslaufen, was dann nicht so der Hit ist. In Deutschland und ja auch später in Genf habe ich ja dann mitunter auch einen Bus genommen, da ich auf sowas wenig Lust hatte.

Hier nun gehen wir den schönen Weg. Es geht am Flugplatz Burgos vorbei, der wohl eher für kleinere Flugzeuge gedacht ist. Pause machen wir in einem Café in Castañares an der nun wieder aufgetauchten N120, die weiterhin mit viel Verkehr aufwartet.  Martina hat sich nun doch endlich entschieden eine Pause einzulegen und die wird in Burgos sein. Ich freue mich total darüber, denn dann sind wir zusammen. Verena hat sich nach langem hin-und her entschieden ihre Pilgertour in Burgos zu beenden und möchte nächstes Jahr weitergehen. Somit haben wir schön einen Tag zu dritt, das finde ich großartig.

Wir brechen auf und entgegengesetzt der Pilger, die nun an der N120 entlanggehen, da die Schilder den Weg so weisen, biegen wir eine kleine Straße rechts ab, passieren wenig später die kleine Brücke über den Fluss und unterqueren die Autobahn. Nun sind wir im Park, eine schöne Wiesenlandschaft mit großen Bäumen erwartet uns. Die nächste Bank ist unsere, wir kommen nur langsam voran, sie kämpft sich durch, irgh!

Weiter geht’s im Grünen und wenig später direkt am Fluss entlang, der an Größe gewinnt und über die ein oder andere Schwallstufe abwärts fließt. Nach einigen langen Kilometern und einigen aufgesuchten Bänken kommen wir am Museo de la Evolución Humana, dem Museum für die Evolution des Menschen an. Hier sind mitunter einige Fundstücke aus der Gegend um Atapuerca zu bewundern. Gegenüber ist ein riesiger Hecken-Pilger zu bestaunen. Zur Feier des Heiligen Jahres 2021 (wie wir wissen ist es ja um ein Jahr verlängert worden) ist hier so einiges gemacht worden. Später gibt es noch bemalte Pilger-Wegweiser, die durch Burgos führen, das haben die hier sehr nett gemacht. Der Hecken-Pilger ist wirklich beeindruckend, aber wir sind k.o. und wollen nun doch endlich angekommen. 

Wir überqueren die Puente de Santa María und gehen in die Altstadt durch einen schönen Boulevard mit vielen Mini-Platanen, netten Bars und Cafés, der Paseo del Espolón. Also bis dato ist es echt nett hier, kann ich nicht anders sagen. 

Durch den Arco de Santa María, ein Wahrzeichen der Stadt Burgos, welches Bestandteil der ehemaligen Befestigungsanlagen war, kommen wir auf den schönen hellen Plaza del Rey San Fernando mit einer wahnsinnig beeindruckenden Kathedrale drauf, die Santa Iglesia Catedral Basílica Metropolitana de Santa María, was für ein Name. Nun, ich nenne sie mal einfach Catedral. Wir stehen da, oder besser sitzen, denn die Bank ist unsere und sind overwhelmed, wie man im englischen sagen würde: überwältigt! Toll! Sowas habe ich ehrlich gesagt noch nie gesehen, mit diesen ganzen Schnörkeln und Türmchen. Morgen möchte ich sie dann auch von innen anschauen. Ein Glück bin ich zwei Nächte hier. 

Die Bezeichnung Burgos ist tatsächlich mit dem deutschen Wort Burg verwandt. Der Ort wurde als befestigte Siedlung gegründet, um sich gegen die Mauren zu verteidigen. Hoch oben auf einem Berg gibt es noch die Reste des Castillo. Burgos hat ca. 175000  Einwohner und ist die letzte große Stadt vor der Meseta, auf die ich schon sehr gespannt bin. 

Wir sind doch froh nun angekommen zu sein und suchen jeder ihre Albergue auf. Ich habe mich für ein Hotelzimmer entschieden, möchte doch, wenn ich zwei Nächte hier bin, es auch schön und privat haben. Es liegt sehr zentral in der Calle Paloma, eine Einkaufsstraße, die wiederum eine Fußgängerzone ist. Das finde ich hier echt toll, die Altstädte sind vorzugsweise Fußgängerzonen, also keine 1000 Autos und so. Martina muss noch ein Stück weiter. Ich habe ein Zimmer im dritten Stock und bin happy. Diesmal gibt es keinen Balkon, aber eine schöne Fensterfront und einen tollen Ausblick. Ein nettes kleines Zimmer mit toller Dusche, großem Bett und Riesenbettdecke, die, wie das in den südlichen Ländern ja scheinbar so Usus ist, komplett unter die Matratze festgetackert ist. Ich krame das immer alles raus, so kann ich nicht schlafen, da bekommt man ja Druckgeschwüre an den großen Zehen :-)

Die Dusche ist heiß und auch vonnöten. Magdalenas, Pan und Salchicha kauend sitze ich am Fenster und beobachte die wenigen Leute, die die Straße entlanggehen, klar, es ist Siesta, nichts los. Die Sonne, die sich im Laufe des Tages doch entschied rauszukommen, der graue Himmel ist passé, macht einen schönen blauen Himmel Platz und mit ihr kommt die Wärme, das ist wunderbar. Ich liege auf dem Bett und döse etwas vor mich hin. Verena fragt, ob wir uns später sehen, klar machen wir das. Auch Martina entscheidet sich vorbeizukommen und mit uns Essen zu gehen. 

Wir treffen uns am großen Platz vor der Kathedrale und machen uns auf die Suche nach was Essbarem. An der Esplanade werden wir fündig und gehen einfach in einen Pizzaladen. Leider ist es in Spanien mit dem Essen gehen nicht so einfach, da die meist erst ab 20 Uhr aufmachen oder dann erst was servieren. Das ist bei weitem zu spät, vor allem für Pilger, die den ganzen Tag auf Achse waren. Somit bleibt es bei dem Pizzaladen, der mit super leckerer Pizza aufwartet, nach den ganzen Pilgermenüs ist das wirklich wunderbar. 

Und wen treffe ich da? Bev und Dee, die beiden englischen Schwestern, die ich schon in Saint Jean Pied de Port in meiner ersten Herberge kennengelernt habe. Neben ihnen sitzt Petra, die wir wiederum kurz vor Cirueña kennenlernten. Die Welt ist doch klein. Wir freuen uns total und schnacken zusammen. Auch Verena hat zwei ihr bekannte getroffen. 

Voll bis zum Rand machen wir uns dann jeder zurück zu unserer Herberge. Verena hat den absoluten Hammer, sie hat kompletten Kathedralen-Ausblick. Toll. Ich bin mit meiner Herberge aber auch zufrieden, Martina ist etwas frustriert über ihr Zimmer. Oh man, sie tut mir echt leid und ich hoffe, dass sie in zwei Tagen wieder weitergehen kann, habe aber so ein bissel meine Bedenken. Gute Ratschläge gibt es von allen Seiten, Pause machen, Bandage, Einlage, alles mit dabei. Am Ende müssen natürlich auch die guten Ibuprofen herhalten. Meiner Hüfte geht es übrigens besser, aber ich merke sie immer noch, was auch immer das nun ist. Nun, früher waren wir jünger, nützt ja alles nichts. 

Ich verbringe noch musikhörend und später Hörbuch-hörend in meinem Zimmer auf meinem Riesenbett. Unten ist nun menschenmäßig einiges los. Die Leute sitzen draußen, viele gehen die Calle Paloma entlang. Wenn man erst abends ab 20 Uhr was essen kann, der Spanier kommt mitunter aber auch später, dann dauert das natürlich alles länger. Meins ist das überhaupt nichts so spät zu essen. Auch wenn ich nicht pilgern würde, wäre das nichts. Nun denn, muss ja auch nicht. Ich falle in einen wunderbaren Schlaf und vor allem ist es jetzt auch wieder angenehm warm und soll auch so bleiben. Das war schon ein ganz schön krasser Temperatursturz. Ich freue mich, dass ich morgen nicht meine Sachen packen muss, sondern einfach mal hier bleiben kann.

 

26.5.2022

Ein Tag in Burgos

Entspanntes Aufstehen heute, mal so richtig ausschlafen, toll! Die Sonne lacht vom Himmel, wunderbar, wie schön. Frühstück gibt es erst ab 8 Uhr, was für mich heute kein Problem darstellt, denn heute ist Pause. Ich glaube, ich habe mir auch wieder einen tollen Pausenort ausgesucht, es gibt viel zu sehen in Burgos, na und auch zwei mir liebgewonnene Freunde sind mit zugegen, das ist wunderbar. 

Ein kleiner Frühstücksraum mit nettem Buffet erwartet mich. Einen Tisch weiter sitzt ein deutsches Ehepaar, die morgen wieder gen Heimat fahren. Wir schnacken etwas und genießen das leckere und auch reichhaltige Frühstück. 

Es ist Zeit für's einkaufen. Essen muss her und auch Postkarten, denn die Lieben zu Hause möchten auch ein paar Eindrücke haben, zum Glück gibt es hier ganz schöne. Briefmarken gibt's im kleinen Tobacco Tienda ums Eck. Auch finde ich tatsächlich den gleichen Bikiniladen wie in Pamplona, wie geil. Ich gehe entschlossen rein, ein Blick durch den Raum, zielstrebiges Durchforsten der Bikinis, da sehe ich meine Bikinihose, die ja nun leider in Ventosa auf der Leine hängengeblieben ist. Zack peng, greifen, bezahlen, fertig. Die Verkäuferinnen schauen mich fragend an. So eine entschlossene Kundin haben sie wohl noch nicht erlebt. Glücklich über meine Errungenschaft laufe ich durch die Straßen von Burgos

Schöne Häuser in allen erdenklichen Farben mit kleinen Erkern und netten Arkaden, große Plätze mit Cafés, deren Stühle und Tische draußen auf Gäste warten. Nett ist es hier. Noch ist es etwas kühl und tatsächlich kommt wenig später noch ein kleiner Schauer runter, aber im weiteren Verlauf bleibt es schön. Das Waschen lasse ich sein, da wäre nur ein Waschsalon möglich gewesen, da habe ich keinen Bock drauf, dann also in der nächsten Unterkunft. 

Nachdem ich wieder back in meinem Hotel alle Karten geschrieben habe, verabrede ich mich mit Martina zu einem Bier und ein paar Leckereien im Café ums Eck. Wir beschließen nun gemeinsam kulturell unterwegs zu sein und laufen über den Kathedralen-Vorplatz. Es ist schon wahnsinnig beeindruckend, was für eine Hammer-Kathedrale. Aber wir beschließen uns erst die obige Kirche, die St. Nicolas de Bari anzuschauen. Sie ist über die Treppe hinter der Kathedrale, am schönen Springbrunnen vorbei, zu erreichen.

Die St. Nicolas de Bari besitzt tatsächlich eines der größten Altarbilder Spaniens. Es ist in Kalkstein geschnitzt und wirklich beeindruckend. Wir lassen uns viel Zeit um alles genau zu betrachten. Die filigranen Schnitzereien sind wirklich der Hammer, da hat einer aber viel Talent und Geduld bewiesen. Die Bilder zeigen Wunder und Szenen aus dem Leben des Heiligen Nikolaus und beziehen sich auch auf einige Bibelstellen. Darunter sind zwei Gräber von zwei reichen Kaufmännern zu sehen, aha! Diese sollen diese Kirche wohl gestiftet haben. Ums Eck befindet sich noch eine weitere kleinere Kapelle. Es lohnt sich wirklich diese Kirche auch zu sehen und nicht nur die Kathedrale, kann ich nicht anders sagen. 

Der Besuch der Kathedrale selbst ist natürlich obligatorisch und so treten wir wenig später in die kühlen Gemäuer durch ein großes Seitentor mit einem beeindruckenden Tympanon ein. Die Kathedrale von Burgos zählt zu den größten gotischen Kirchen in Spanien und ist UNESCO-Welterbe, klar. Der Bau der Kathedrale begann im Jahr 1221, deren Türme ragen 88 Meter in die Höhe. Und von vier Säulen gestützt erhebt sich die 54 Meter hohe Kuppel. Darunter befindet sich das Grab des spanischen Nationalhelden El Cid und seiner Gattin. Der Herr wurde 1043 in der Nähe von Burgos geboren. Er war ein Ritter und eroberte so einiges und wurde somit zum Nationalhelden Spaniens. So, so. Ein Denkmal ist ihm am Plaza Mío Cid gewidmet, wo man ihn hoch zu Ross bewundern kann. Nun, wer’s braucht! 

Wir schlendern durch die beeindruckende Kathedrale. Wie soll man denn hier Gottesdienste feiern? Vielleicht im Innenraum, welcher mit Bänken ausgestattet ist und ein großes goldenes Altarbild beinhaltet, wie man sie in spanischen Kirchen häufig vorfindet. Gegenüber befindet sich das Chorgestühl in dunklem Holz mit feinen Holzarbeiten, beeindruckend. Inmitten steht das Grab des werten Herrn Cid. Mit voller Birne geht es noch durch die Gemäldegalerie, bis wir wieder ans Tageslicht kommen, puh, ne Menge. 

Wundervolle Steinarbeiten befinden sich Rund um den Hauptaltar. Unendlich viele Seitenaltäre sind zu bewundern, mir schwirrt der Kopf, aber es ist alles unheimlich beeindruckend. 

Wir treten raus in den Klostergang und den schönen Innenhof. Die Sonne strahlt uns entgegen. Es wird nun langsam Zeit wieder nach draußen zu gehen.

Wir treffen Verena am Plaza Mayor und trinken Kaffee. Sie hat die Kathedrale auch schon durch und möchte noch auf den Burgberg hoch zum Castillo. Oh nee da hochkraxeln, das ist mir dann doch nichts, dachte ich erst, habe mich dann aber später doch umentschieden. 

Das Telefonat mit Jacotrans muss noch geführt werden, denn ich werde weiterhin meinen Rucksack transportieren lassen, das ist klar. Ein neuer Jacotrans-Abschnitt von Burgos nach León beschert mir einen nur spanisch sprechenden Herrn am Telefon. Oh je. Ich frage am Anfang des Telefonats immer: "Mi nombre es Maika. Mi español no es muy bueno, ¿hablas inglés?" "Meine Name ist Maika, mein spanisch ist nicht so gut, sprechen sie englisch?" Mir wurde dann immer mit: "un poco", geantwortet, "ein bißchen" Dieses Mal ist es anders: "No!" Irgh! No? Damit habe ich nun nicht gerechnet und versuche in gebrochenem Spanisch zu erklären was ich nun möchte. Nun, im weiteren Verlauf, wir kannten uns ja dann schon, freute er sich immer mich am Telefon zu haben: "Maika de Alemania!" rief er dann immer freudig aus. Okay und ich wusste nun auch was ich sagen sollte. Klappte dann auch, man lernt ja nie aus. 

Nach einer kleinen Siesta mache ich mich bei dem tollen Wetter dann doch noch mal auf, die Treppen hoch zum Castillo de Burgos, was sich auch wirklich lohnt, also nicht das Castillo, das sind nur Ruinen, aber der Blick auf die Stadt und die Kathedrale ist toll. Vorbei geht es an der Iglesia San Esteban, Burgos hat viele Kirchen, kann man nicht anders sagen.

Der Blick reicht weit über die roten Dächer der Stadt und die grünen Hügel im Hintergrund. 

Ich hatte zuvor eine Wette mit Verena abgeschlossen, die der Meinung war, dass die nun darauffolgende Meseta immer gelb, vertrocknet und wüstenmäßg ist. Ich habe dagegen gewettet, nein, wir haben Frühling und sie wird grün sein. Es ging um ein Glas Rotwein, dass ich dann auch gewonnen habe, denn man hat hier oben auch einen Rundumblick in die umliegende Landschaft, also auch in die westlich gelegene Meseta, die Richtung, die ich morgen einschlagen werde. Und? Sie ist grün, ätsch! Das freut mich außerordentlich, denn tagelang durch die Wüste zu gehen ist jetzt nicht so mein Favorit. Und der Weg durch die Meseta dauert ein paar Tage. Einige Leute lassen den Abschnitt wohl aus, da er ohne großen Schatten aufwartet, was natürlich wenn es heiß ist, zum Horrortrip werden kann.

Nun, die Temperaturen sind wieder etwas moderater geworden, wir müssen auch nicht mehr frieren, das ist auch schön und ich bin schon gespannt was mich erwartet. Als Meseta wird das im Zentrum Spaniens gelegene, über 200.000 km² große kastilische Hochland (600 bis 900 Meter) bezeichnet. Ein langer Weg führt nun ab morgen durch die Nordmeseta. Hier wird vorzugsweise auf großen Flächen Getreide, aber auch Wein angebaut. Und da wir es Frühling haben sind die Felder eben grün, schön! Das Wort Meseta ist abgleitet von dem spanischen Wort für Tisch, Platte oder Ebene: mesa. Das passt gut.

Ich mache mich auf den Rückweg und gehe nochmal in die Kathedrale, in eine Seitenkapelle, die man durch einen Seiteneingang erreichen kann. Hier ist nun ein Ort für die Betenden, ein Ort der Ruhe, der Einkehr, der Besinnung. Ich möchte mich hier hinsetzen und in mich gehen und beten. Schön ist es hier. Lange verweile ich.

Wir treffen uns gegen 19 Uhr auf dem Platz vor der Kathedrale. Es ist schon ordentlich was los. Viele Menschen sitzen draußen in der Sonne in Cafés und Bars. Es ist Zeit für unser Abschlussfoto, natürlich vor der Kathedrale. Verena wird nun morgen wieder zurück nach Romont fahren und Martina und ich, wir machen uns auf den Weg in die Meseta

Nach langem Suchen finden wir ein Restaurant, was uns auch vor 20 Uhr bewirtet, direkt am Platz. Nun wir hätten vielleicht vorher mal im Internet oder so geschaut, denn es war echt grenzwertig. Schade eigentlich, so wollten wir mal schön spanisch essen gehen, ganz ohne Pilgermenü. Überall erhältlich hier in Burgos sind die Blutwürste, Morcillas, in allen Varianten, was nun aber so gar nicht meins ist. Aber die klassische Sopa castellana, die kastillanische Knoblauchsuppe, die will ich probieren. Hmm, nun ja, geht so. vielleicht ist sie woanders schmackhafter. Martina bestellt sich spanische Crocettas con queso. Hört sich toll an, aber was sie dann bekommt ist der Kracher. Ich würde mal sagen einfach Kühlregal-Ware. Dazu gibt es eine belanglose Soße. Oh man, ich glaube wir haben das schlechteste Restaurant von ganz Burgos erwischt. Nun, kann man nichts machen. Wir lassen uns die Laune nicht verderben, was soll’s. Ein schönes Glas Wein erheitert :-)

Mit einer langen Umarmung verabschiede ich mich von Verena und wünsche ihr eine gute Heimreise. Schade, dass sie nun nicht mehr mit dabei ist. Aber wer weiß, vielleicht sehen wir uns nächstes Jahr wieder? Wer weiß das schon? Das ist eine andere Geschichte, die wird ein anderes Mal erzählt gell? Martina werde ich ja bestimmt morgen wiedersehen, das ist schön. Im Hotel angekommen packe ich nun wieder meine Sachen. Schön war es hier gewesen, ein schöner Pausenort, eine tolle Stadt, die viel zu bieten hat. 

27.5.22

Burgos nach Hornillos del Camino

21 km

Um 6 Uhr bin ich wach und unruhig, da ich heute erst später losgehen kann. Es wäre blöd das Frühstück sausen zu lassen, aber es fängt halt spät an. Ich packe meine Sachen und gehe dann einfach früher runter und siehe da, kein Problem, ich kann schon anfangen. Auch die Deutschen kommen wenig später ums Eck und so labern wir noch etwas. Das ein oder andere nehme ich für den Weg mit und verabschiede mich, wünsche ihnen eine gute Heimreise.

Ich gehe meine Straße runter zur Kathedrale, ganz alleine, keine Pilger weit und breit, das ist schon mal gut. Um die Kathedrale rum geht es an dem hübschen Brunnen vorbei die Treppe hoch. Plötzlich klingelt mein Telefon und ich sehe Verena bei ihrem Hotel am Frühstückstisch sitzen und winken. Das ist ja mal eine Überraschung, wie schön. Wir verabschieden uns ein zweites Mal und ich gehe nun wieder auf dem Jakobsweg Richtung Westen aus der Stadt hinaus. Hinaus ist es gar nicht schlimm, der schlimme Teil ist das Hineingehen in die Stadt. Diverse bunte Blechpilger zieren den Weg, zum feierlichen Heiligen Jahr bemalt und überall in der Stadt am Jakobsweg aufgestellt, sehr nett sieht das aus. 

Der gelbe Pfeil führt mich um diverse Ecken hinaus aus der Altstadt und weiter über eine Brücke über den Río Arlanzón und durch einen hübschen Park. Ein, zwei Pilger kann ich ausmachen, der Rest sind Studenten, die zur Uni gehen, die ich wenig später auch erreiche. 

Kreuz und quer geht es gut ausgeschildert durch Burgos. Ein Eisenpilger sagt adé. Ich selbst muss aber noch auf grün warten :-)

Ein wenig geht es nun an meiner Lieblings-Bundesstraße, der N120, brech! entlang. Dann biege ich auf einen gut ausgebauten Schotterweg ein. Ein Kilometerstein zeigt an, dass es nur noch 501 km bis nach Santiago sind. Ich bin immer noch geflasht, wenn ich das lese. Wie lange bin ich doch im vierstelligen Bereich rumgelaufen, aber das sagte ich ja bereits. 

Es geht unter diverse Autobahnen und Zubringern hindurch, das große West-Autobahnkreuz von Burgos. Der Himmel ist strahlend blau und die Temperaturen angenehm, ein leichter Wind weht von hinten, das ist schön. Und wen sehe ich da auf einer Bank sitzen? Martina. Ich freue mich riesig, wenngleich der Grund, warum sie hier sitzt kein schöner ist. Leider ist es mit dem Fuß nicht besser geworden und sie schleppt sich humpelnd vorwärts. Nun zumindest hat sie den Ratschlag den Rucksack aufzugeben befolgt, das ist schon mal gut. Sie ist nun nur noch mit kleinem Gepäck unterwegs. 

Wir gehen gemeinsam langsam weiter gen Tardajos, überqueren noch ein letztes Mal den Río Arlanzón und kommen im Ort an. Wir bleiben direkt an der N120 im Café und machen Pause. Ums Eck kommen Louise und Ashley mit dem Fahrrad gefahren, die beiden Amerikanerinnen, Mutter und Tochter, die sich nun Räder geliehen haben und bis León radeln werden. Somit können sich Louises Füße wieder regenerieren. Wir fallen uns freudig in die Arme, das ist ja eine Überraschung. Draußen sitzen wir nun gemeinsam, trinken Kaffee und O-Saft. Die Bundesstraße ist hier erstaunlich wenig befahren, wie schön.  Alsbald müssen Entscheidungen her. Martina entscheidet sich das Taxi nach Hornillos zu nehmen, nichts geht mehr. Das ist sicher eine gute Entscheidung. 

Ich verabschiede mich von allen und überquere die verlassene Straße. An einer im seichten Wind wehenden spanischen Fahne geht es in den Ort hinein, der teilweise mit schönen Steinhäusern aufwartet, teilweise aber auch renovierungsbedürftig ist, wie das in einigen spanischen Dörfern der Fall ist.

Auf Türmen kann man viele Storchenpaare brüten sehen, das ist doch mal toll. Es gibt hier wirklich viele Störche und momentan werden die lieben Kleinen aufgezogen, die auch mal über den Nestrand runter schauen, süß! Kreuz und quer durch den Ort komme ich auf eine kleine verlassene Straße, welche mich über den Úrbel-Fluss an einem großen grünen Hügel vorbei führt. Es heißt, dass nach Rabe de Las Calzadas die Meseta beginnt. Plötzlich klingelt es hinter mir, die beiden Amerikanerinnen radeln winkend an mir vorbei. Die beiden werde ich bestimmt nicht wiedersehen, nun sind sie um Längen zu schnell. 

Ich passiere den kleinen einsamen Ort, welcher aus hübschen Steinhäuschen besteht, und einen sehr gepflegten und auch gläubigen Eindruck macht. Leider ist die Kirche, auf deren Dach auch ein Storchenpaar brütet, geschlossen. Aber es gibt viele schöne Bilder mit Bibelsprüchen an den Wänden. Das macht es spannend und auch spirituell, schön find ich das. 

Ich komme an der kleinen Ermita de la Virgen de Monasterio vorbei. Oh, die Tür steht offen. Das ist wunderbar. Ich betrete die kleine Kirche, eine ältere Dame nimmt mich in Empfang und spricht mich auf Spanisch an, sie stellt sich vor mich und gibt mir den Segen. Ich verstehe nicht alles was sie sagt, aber es rührt mich zu Tränen. Wie wunderbar ist das denn? Sie überreicht mir ein kleines Amulett mit der Maria drauf und verneigt sich. Ich bin gerührt, gehe noch rein in die Kirche und setze mich in eine der Bänke, gehe in mich und bete. Was für ein toller spiritueller Ort. 

Ich kann mir vorstellen dass es nicht immer ganz einfach ist mit den vielen Pilgern. Es sind doch ganz schön viele unterwegs. Also wenn ich das hier in Lüneburg hätte, ich weiß nicht ob ich da so begeistert wäre. Man merkt den Leuten halt auch mitunter ihre Überforderung an, das muss ich jetzt mal so sagen, kann ich auch verstehen. Aber der Jakobsweg ist ihre Einnahmequelle, sie leben von den Pilgern. Ohne Pilger wäre es auch nicht gut. Nun, irgendwas ist immer, alles Gute ist eben nicht beieinander. Ich verabschiede mich von der Dame und der Kirche und gehe beseelt weiter. 

Die nächste Häuserecke verrät: Lobt Gott in seinem Heiligtum, / lobt ihn in seiner mächtigen Feste! Salmo (Psalm) 150,6. Und die letzte Hauswand vermittelt etwas über die gegenseitige Hilfe der Pilger untereinander, wenn Hilfe nötig ist: Amar a Señor tu dios con todo tu corazón,...; y ama a tu prójimo como a ti mismo. Du sollst den Herrn deinen Gott lieben von ganzem Herzen,…; und deinen Nächsten wie dich selbst. Tja, da kann man noch mal drüber nachdenken. Nachdenklich gehe ich somit meiner Wege. Gott lieben von ganzem Herzen? Ich habe Gott den Rücken gekehrt, da war nichts mit lieben. Ich wollte mit Gott nichts mehr zu tun haben. Zu schrecklich waren all die Geschehnisse diesen Jahres. Nun komme ich ihm langsam wieder näher, aber das erzählte ich ja bereits. Das mit Jesus ist für mich eine andere Sache, Jesus habe ich immer an meiner Seite, das kann ich gut auch so empfinden, denn Jesus hat auch gelitten, Jesus weiß was Leiden bedeutet. Natürlich würde jetzt der ein oder andere sagen, Jesus und Gott sind ein und derselbe, aber so kann ich es nicht sehen, so wird es ja auch nicht in der Bibel formuliert. Jesus ist der Mittler zwischen den Menschen und Gott, weil Gottes Wege eben oft unergründlich sind. Er verhilft den Menschen dazu Gott zu verstehen und mit Gott zu leben. Liebe deinen nächsten wie dich selbst. Ja, da kann man auch lange drüber nachdenken. Liebe ich mich denn selbst? Liebe ich mich genau so wie ich bin, mit all meinen Schwächen und Döspaddeligkeiten? Vielleicht sollten wir es erst mal mit „Annehmen“ versuchen. „Lieben“ ist ein großes Wort, finde ich. 

Ich stapfe nachdenkend über den Text vor mich hin, jeder Schritt gibt ein kleines Staubwölkchen frei und meine blauen Schuhe haben einen leichten Beige-Sandfarben-Ton angenommen. Es geht in die Weite, die Meseta beginnt.

Die Meseta, so sagen viele, die sie schon durchschritten haben, ist auch die Zeit des In-sich-Gehens. Sie ist mit ihrer Aufregungslosigkeit dazu bestens geeignet. Das finde ich auch. Der Weg geht schnurgeradaus, links sind Felder, rechts sind Felder, keine großartigen Erhebungen, kein ultra-steiniger Weg, auf den man achten müsste. Die verschiedenen Grüntöne des Weizens (in blaugrün) und der Gerste oder des Roggens (in gelbgrün), versetzt mit dem ein oder anderen leuchtend orangenen Mohn am Wegesrand und dem ultrablauen Himmel im Hintergrund, geben ein tolles farbintensives Bild ab und beruhigen enorm. Der Wind fegt durch die Ähren und es sieht aus wie ein großes grünes in Wellen sich bewegendes Meer, wie wunderschön. Den ein oder anderen Baum hat man dann doch an den Wegesrand gepflanzt, dass man doch mal Pause im Schatten machen kann. Das war vor Jahren wohl noch nicht so gewesen. Wahrscheinlich gab es zu viele zusammengeklappte Pilger oder so. Eigentlich könnte in der Meseta auch die Polizei auftauchen und Wasser reichen, so wie es kurz vor Uterga der Fall war. 

Ein von Pilgern errichteter Steinhaufen liegt am Wegesrand, ansonsten endlose Weiten, im Hintergrund leichte Erhebungen und ein paar Windräder. Das ist also nun die Meseta. Ich mache Pause neben einem Baum am Wegesrand, andere Möglichkeiten gibt es leider nicht, da es nur Felder gibt. Ich schaue auf die Wogen des Getreides und lausche dem Gesang eines einzelnen Vogels. Hinter mir geht der ein oder andere Pilger vorbei, ruft ein „buen camino“, ich antworte mit dem gleichen Satz. Ich weiß nicht wie oft man diesen Satz auf der Pilgerreise nach Santiago hört, ob das schon mal einer gezählt hat? Jedenfalls ist es oft. Aus dem französischen „bon chemin“ ist nun ein spanisches „buen camino“ geworden. So sei es.

Die Leckereien meines Hotels finden ihren Weg in meinen Magen, dazu eine tolle saftige spanische Orange, dann kann es weitergehen. 

Ich denke darüber nach, was es in meinem Leben alles zu beweinendes gab, da gab es einiges. Ich bin zeitweilig recht abwesend in meine Gedanken versunken, als ich auf einer Anhöhe mit Blick in ein grünes Tal und auf Hornillos dort unten ankomme. Wie wunderschön das aussieht. Man kann sehen wie sich der Weg durch das Tal schlängelt, durch den Ort geht und auf der anderen Seite wieder den Hügel hoch. Eine Patschwork-Landschaft aus ockerfarbenen und grünen Tönen, der Wind weht mir mittlerweile kräftig um die Ohren, ich fühle mich frei, so richtig frei. Ich habe das Gefühl aller Ballast fällt von mir ab. Ich stehe hier so und bewege mich nicht weiter. 

Aber gut, irgendwann geht’s dann doch bergab in den netten kleinen Ort hinein. Ich komme in der Herberge El Alfar an und werde auf Deutsch von einem Pilger begrüßt, der schon einige Male auf dem Camino unterwegs war und auch mitunter als Hospitalero arbeitet. Nun will er seinen Freund, den Besitzer der Albergue unterstützen. Ich freue mich über den netten Empfang der Beiden und werde hoch ins kleine 6-Bett-Zimmer begleitet. Zum Glück ist unten noch ein Bett frei. Leider muss ich inmitten von Kerlen nächtigen, das ist ein bissel eigenartig. Ich hoffe, dass das zu befürchtende Schnarchkonzert kein so schlimmes sein wird. Über mir schläft ein 2-Meter-Mann. Der hat es mit den spanischen Betten sicher nicht leicht, denn es wird ihm definitiv zu kurz sein. 

Nun, ich arrangiere mich mit allem und gehe duschen. Frisch und fit setze ich mich auf die Bank vor dem Haus und warte auf Martina, die in der Herberge gleich gegenüber einen Platz gefunden hat. Das ist ja mal toll. Das Taxi hat sie hierher gebracht und somit war der Weg kürzer gewesen heute. Wir freuen uns uns jetzt hier wiederzusehen und sitzen Bier trinkend, ich zumindest, auf der Bank vor dem Haus. Wenig später suchen wir noch den einzigen kleinen Supermercado auf. Mit Brot, Chorizo und Serrano im Gepäck setzen wir uns in den Garten ihrer Herberge und essen. Auf der Leine trocknen Klamotten im Wind, der ein oder andere Pilger liegt im Liegestuhl oder liest auf der Bank ein Buch. Es ist schön und ruhig hier. 

Der Ort gibt nicht viel her und es gibt auch nicht viele Locations um abends was zu essen. Martina ist eh satt und will gar nichts, mir reicht das aber nicht und so gehe ich abends nochmal alleine los und besorge mir draußen auf einer Terrasse einer weiteren Unterkunft ein paar Pommes mit Majo, das reicht mir dann heute auch. Ich sitze hier mit meinem Getränk und schreibe, lausche den Nachbarsleuten, die leider nicht zu überhören sind, da der eine Typ sehr laut und präsent ist. Er und seine amerikanische Frau pilgern nach Santiago, die beiden Iren, die sie hier kennengelernt haben sind eher verhalten und stiller, werden von dem Typen zugetextet. Nun, leider werde ich von diesem Typ noch mehr hören müssen. So ist das beim Pilgern, nette Leute, doofe Leute, gute Zeiten, schlechte Zeiten, schöne Herberge, doofe Herberge, gutes Essen, schlechtes Essen. Halt das Leben, wie ich immer so schön sage, nur komprimiert. Jo!

Martina kommt dann doch noch mal auf ein Eis vorbei, Eis geht immer, klar!

Ich verziehe mich später in mein Männerzimmer und höre mein Hörbuch von Hape Kerkeling, der ja nun hier auch gelaufen ist und nicht mehr den Bus genommen hat, somit gibt es für mich mehr zu hören. Die Nacht sollte doch eine ganz gute werden, trotz der Schnarcher. Es geht doch nichts über die wundervolle Erfindung von Ohrstöpseln :-)

 

28.5.2022

Hornillos del Camino nach

Castrojeriz

22 km

Ordentliches Gewusel ist im Zimmer zugegen. Die Schlafsäcke werden verstaut, die Klamotten gepackt, der Rucksack geschultert. Ich bin eine der letzten, die losgeht, lasse sie alle ziehen und gehe somit alleine durch den Ort. Das ist ein schönes Gefühl. Martina wird heute nur bis Hontanas gehen und ist auch schon losgegangen. Es ist leicht diesig, nachts hat es wohl geregnet, aber so langsam schafft die Sonne es die Wolken zu verjagen. 

Nach dem einsamen Losgehen, habe ich plötzlich voll die Horden um mich rum. Wo kommen die denn nun plötzlich alle her? Laut quatschend ziehen sie an mir vorbei. Ich bleibe stehen und warte, das ist mir zu viel. Weiter geht es dann mit gutem Abstand nach vorne und nach hinten durch die grünen Hügel, diesmal in Gedanken, was es alles Schönes in meinem Leben gegeben hat. Auch da fällt mir sehr viel ein und lässt mich mit dem Gefühl von großer Dankbarkeit zurück, das ist schön. 

Disteln und Mohn wachsen am Wegesrand und mitunter gibt es ganze Mohnfelder, das sieht natürlich einmalig klasse aus. Die Hügel weichen einer unendlichen geraden Ebene von Feldern, ab und an gibt es Steinmäuerchen durch deren Lücken die ein oder andere Eidechse vorbeihuscht. Die Grillen fangen wieder ihr Konzert an und ich höre schon wieder Stimmen. Also heute nervt es mich wirklich, muss ich sagen. Nun, wenn man hier in so einer Einöde langgeht, dann will man es mitunter auch als Einöde genießen, aber dem ist jetzt nicht so und so warte ich mal wieder. Sie gehen an mir vorbei, nicht ohne mir noch ein fröhliches „Buen Camino“ zuzurufen. Oh man, grr! Naja, so ist das eben auf dem Camino Francés. 

Später zu Hause sollte ich mir noch einige Gedanken machen, wie ich meinen Weg hier anders gestalten kann. Vor allem werde ich natürlich Anfang Mai in León losgehen, das ist schon mal viel weiter als Saint Jean Pied de Port und zum zweiten werde ich nicht in den Hauptorten übernachten, sondern immer einen oder zwei dahinter. Somit dürfte es da auch besser werden. Jedenfalls habe ich das hier so beobachten können. Elisabeth, die ja nun schon in Santiago angekommen und auch schon zu Hause ist, hatte ja erzählt, dass sie kaum Leute Anfang Mai ab León hatte. Das lässt doch hoffen. 

Ich komme an ein Kreuz auf einer Anhöhe, welches voll mit Bildern, Aufklebern und Muscheln beklebt ist. Ich bleibe davor stehen und schaue in die Weite. Unweit davon besagt ein schöner weiterer Stein, dass es nur noch 477,7 km nach Santiago sind. Das haben die mit den Wegweisern und den Kilometer-Steinen hier in Kastilien echt schön gemacht, finde ich. Leider sind mitunter die ein oder anderen Schmierereien darauf zu erkennen, scheinbar haben manche Pilger einen Edding mitgebracht um sich überall zu verewigen. Nun, muss ich nicht verstehen. 

Kurze Zeit später ein Kreuz linkerhand. Dieses ist nun kein Wegekreuz, sondern hier ist jemand verstorben. Eines von vielen Kreuzen, die ich hier auf dem Camino sehe, ich finde das erschreckend. Was hier wohl ehemals passiert ist? Oft sind Fotos mit Namen und Sterbetag vorhanden, manchmal auch der Grund des Dahinscheidens. Oh man. 

Auf der nächsten Anhöhe habe ich nun den Blick runter nach Hontanas, welches auch schön im Tal eingebettet da liegt, ein Kirchturm ragt heraus und der weiterführende Weg ist auch schon von weitem sichtbar. Hier befindet sich ein kleiner Rastplatz mit einer kleinen Minikapelle, oder besser gesagt einem kleinen Gebets-Raum. Es ist die Ermita Santa Brígada, eine kleine Einsiedelei mit der heiligen Brígida, wer auch immer das war, darinnen. Viele Rosenkränze und Muscheln sind am vorhandenen Gitter angebracht, schön sieht das aus. Hier haben schon viele Menschen gebetet, denke ich. Ich verweile im Gebet und genieße die Ruhe, merke aber, dass Pilger vor der Eingangstüre mit den Hufen scharren, sie wollen auch hinein. Nun, jetzt bin ich hier, dann müsst ihr halt warten, was sie aber nicht tun, so wichtig ist es ihnen dann doch nicht. Gebet geht nun mal vor. Ich würde tatsächlich sagen, dass die wenigsten Pilger irgendein christliches Interesse aufweisen. Nun soll jeder so machen wie er will, aber wenn einer betet, dann müssen sie sich zurückhalten, so sehe ich das. Machen sie ja auch. 

Es ist still hier oben geworden, alle sind nun gerade mal weg. Ich genieße den netten Abstieg in den schönen Ort hinein und werde gleich am ersten Café fündig, Martina sitzt dort am Tisch. Wie toll, ich freue mich und setze mich dazu, trinke Kaffee, esse ein kleines Bocadillo und lüfte meine Füße. Sie würde auch gerne weitergehen, aber ihr Fuß spielt nun mal nicht mit. Ich befürchte, dass sie es tatsächlich nicht nach Santiago mit dem Fuß schaffen wird und rede ihr das auch aus. Denn wenn man weitemacht und vielleicht was fürs Leben zurückbehält, das wäre echt schlimm und man würde sich das bestimmt nie verzeihen, mir würde es jedenfalls so gehen. Und da ja immer noch unklar ist, worum es sich hier handelt, sollte sie da vorsichtig sein. Aber gut, ich kann es auch verstehen, dann hat man schon mal so viel Zeit und dann klappt es nicht.

Mir ist das nicht in einem ganz so großen Umfang in Frankreich passiert. Okay, ich habe da nicht abgebrochen, weil ich ein Gebrechen hatte, sondern weil es aus Eimern permanent schüttete. Ich finde das einfach doof, aber gut, da ist jeder sicher auch anders. Hier scheint nun permanent wieder die Sonne und das finde ich großartig. Und jetzt mit Martina hier zu sitzen und zu quatschen finde ich auch toll. Wir verabschieden uns voneinander und ich gehe geradewegs in die tatsächlich geöffnete Kirche von Hontanas, eine kleine süße Kirche mit einem Gebetsplatz mit Bibeln in sämtlichen Sprachen ausliegend. Das finde ich ja mal großartig. Ikonenbilder, die ich auch schon aus meinem Kloster, welches ich einmal im Jahr besuche, kenne und viele Kerzen, die in Sand gesteckt vor sich hin brennen. Ich zünde zwei Kerzen an, eine für Martina und eine für mich, dass wir beide unseren Camino gehen können. Eine Weile sitze ich noch gedankenversunken in der kleinen Kapelle und mache mich mit einer Verbeugung dann wieder auf den Weg. Was für ein schöner Ort. 

Das Dorf ist schnell durchschritten und es geht leicht bergauf und dann einen schmalen Weg am Abhang zu einem grünen und violetten Tal entlang. Ein Fließ läuft da unten lang und somit ist alles frisch grün drumherum, gepaart mit Flächen von lila Blumen irgendeiner mir unbekannten Art, wunderschön! Ich bin tatsächlich in absoluter Einsamkeit unterwegs, weit und breit kein Pilger, das freut mich außerordentlich, ich genieße es in vollen Zügen. Wo sind sie nun alle abgeblieben? Grillen, Eidechsen, Milane, Schmetterlinge und viele Blumen begleiten mich.

Ich komme aus dem Tal raus an eine kleine Straße und mache im Schatten einer Schwarzpappel, die fröhlich vor sich hin schneit, Pause. Überall die Flocken, wie Schnee an einem Frühlingstag. Ich esse meinen Klassiker aus Brot mit Chorizo und bleibe eine Weile hier im duftenden Gras liegen und genieße die Ruhe. 

Mit Aufbruch komme ich alsbald am ehemaligen Kloster St. Antón an, wo damals kranke Jakobspilger aufgenommen wurden. Ich schaue mir die Klosterreste an, die Straße führt mitten hindurch und auch viele Menschen sind wieder zugegen. Ach nö, lass mal, ich gehe weiter die Straße runter und kann den Berg von Castrojeriz schon erkennen. Rechts ein großes Mohnfeld, links der Weizen, eine Lindenbaumallee spendet etwas Schatten. 

Der Ort ist um diesen Berg herum, auf dem oben eine alte Castillo thront, gebaut. Begrüßt werde ich von der außen sehr hübschen Kirche Santa María del Manzano, von innen kann ich es leider mal wieder nicht beurteilen. Der Ort ist langgezogen und ich wohne am anderen Ende. 

Ich gehe durch sandsteinfarbene Gassen, es sieht alles sehr hübsch und akkurat aus, und komme an dem Meditationshaus vorbei, von dem der Deutsche aus Hornillos berichtete, und dessen Türe offen steht. Eine leise Musik ist zu vernehmen. Das sieht einladend aus, aber ich will jetzt erst mal ankommen und gehe weiter, das muss warten.

Endlich kommt meine Herberge in Sicht. Ich bekomme ein 5-Bett-Zimmer mit normalen Betten, also keine Stockbetten, das ist doch mal schön. Begrüßt werde ich von einem spanischen Pärchen, die auch keine andere Sprache als ihre sprechen. Spanier hatte ich noch so gar nicht auf meinem Weg entdeckt. Ein paar Italiener, aber keine Spanier. Nun hier sind sie. Ich versuche es auf Spanisch, ein bissel Smalltalk können wir halten, mehr geht bei mir nicht. Ich dusche und ruhe mich ein wenig auf meinem Bett aus. Es ist Siesta-Zeit und somit liegen die beiden Spanier auch in den Betten und dösen. Sie hustet dabei ab und an und döst weiter. Das mir das später zum Verhängnis werden sollte, war mir hier natürlich noch nicht klar. Nun denn.

Ich schaue mir später das wirklich hübsche Dorf an, komme am Klassiker, dem Plaza Mayor vorbei, der aber verlassen daliegt, es ist noch nicht 17 Uhr und somit döst das Dorf vor sich hin. Den Berg zum Castillo erspare ich mir, das muss ich jetzt nicht haben, aber den Mediationsraum suche ich auf und wage mich hinein, keiner da. Über eine Treppe ist dann der Raum mit Kissen, Bänkchen und Gongschale untergebracht, lädt zum In-sich-Gehen ein. Nachher um 19 Uhr soll hier eine Mediation stattfinden. Ich würde gerne hingehen, mal sehen ob das klappt mit dem Essen, ist ja nicht immer ganz einfach hier und ich habe mich für hiesige Pizzeria mit Terrasse und tollem Blick in die Landschaft entschieden, die aber erst um 18.30 Uhr aufmacht. Könnte knapp werden, wird es am Ende auch. Nun, man kann nicht alles haben.