Saint Jean Pied de Port nach León 1

Rue de la Citadelle, Saint Jean Pied de Port

Hamburg

9.5.2022

Nun ist es also tatsächlich wieder soweit und ich werde pilgern gehen, was nicht unbedingt selbstverständlich war, denn ich habe eine dunkle Zeit hinter mir und es war nicht wirklich sicher, dass ich auch tatsächlich starten kann. Im Januar ist mein Vater schwer krank geworden. Wie das im Leben manchmal so spielt, wie sage ich immer so schön?

 

Das Leben ist ein Pilgerweg und der Pilgerweg ist das Leben, nur komprimiert.

 

Gute Zeiten, schlechte Zeiten, Sonne und Regen, Glück und Unglück, Dualitäten eben. Und so ging es in meinem Leben ordentlich abwärts und Richtung Dunkelheit. So langsam geht es auch wieder aufwärts und es wird heller, aber ich fühle mich sehr erschöpft und wenn ich alleine darüber nachdenke, dass ich die Pyrenäen überqueren muss, könnte ich schlafen gehen.

Nun, der Rucksack ist gepackt, der Flug ist gebucht. Diesmal soll es nicht der Zug sein, Corona hat eine Pause eingelegt und so ist das Fliegen auch wieder möglich und geht ja doch auch etwas schneller. Da die Flüge in Hamburg nur extrem früh morgens oder eben erst abends losgehen, habe ich mich entschieden heute schon nach Hamburg zu fahren und dort in der Nähe des Flughafens in einer Pension zu übernachten und morgen dann einfach rüber zum Terminal zu laufen.

Gesagt, getan, ich verabschiede mich von meinen Eltern und hoffe dass alles gut gehen wird zu Hause und mache mich auf den Weg. Ich gehe diesmal sehr befangen los, mache mir weiter Gedanken wie es zu Hause mit meinem Vater weiter läuft, so richtig entspannt bin ich nicht.

Ich laufe durch die Straßen Hamburgs und komme an einer schönen kleinen Pension an, mitten im Grünen, damit habe ich so gar nicht gerechnet, nett hier. Meine erste Übernachtung ist somit schon mal eine gute, wenngleich auch sehr kurze, nun denn! 

 

Hamburg

nach Saint-Jean-Pied-de-Port

10.5.2022

Früh morgens, es ist noch dunkel, mache ich mich auf den Weg rüber zum Flughafen, denn um 6 Uhr soll mein Flug starten. Ein laues Lüftchen weht mir um die Ohren, es ist angenehm warm. Auf dem Flughafen ist alles noch sehr beschaulich, allzu viele Menschen sind nicht unterwegs und so geht es relativ flott durch den Check in und ins Flugzeug. Ein bisschen bange habe ich vor dem Umsteigen in Paris, ob das auch alles klappen wird, denn viel Zeit habe ich nicht, aber es gibt keine Probleme, alles ist pünktlich und so lande ich auch gar nicht mal so viel später in Biarritz

Strahlender Sonnenschein empfängt mich, als ich dort ankomme, meinen Rucksack abhole und mich auf dem Weg zum Bus mache. Ich stehe an der Haltestelle, neben mir Palmen, die Sonne brennt schon vom Himmel, da werde ich von einem irischen Pilger angesprochen. Wir schnacken etwas, dann geht er seiner Wege und ich steige in den Bus, welcher mich rüber nach Bayonne bringt. 

Biarritz und Bayonne liegen gleich nebeneinander, Biarritz am Atlantik und Bayonne inländisch am Adour. Diesen Fluss kenne ich ja schon aus Aire sur L’Adour, da war er noch kleiner. Hier strahlt er in einem schönen Blau und fließt träge Richtung Atlantik. Ich steige aus und überquere die Brücke, setzte mich auf eine Bank am Fluss und warte.

Mein Zug fährt erst in drei Stunden ab, was anderes gibt es leider nicht nach Saint Jean Pied de Port. Nun denn, kann man nichts machen. Ich wechsel wenig später in einen kleinen Park in den Schatten, ist mittlerweile doch mächtig warm jetzt. Eine Pilgerin kommt auf mich zu und spricht mich auf Englisch an, es ist Ingvild aus Norwegen. Aha nun geht es also los mit dem Multikulti. Ich freue ich sehr darüber, denn dann hat das Französische der letzten beiden Jahre ein Ende gefunden, mein Englisch ist doch um einiges besser, als mein französisch. Sie redet viel, fast zu viel, aber es ist okay für mich und so gehen wir gemeinsam Richtung Bahnhof. Sie war schon mal auf dem Camino unterwegs, ist nur einen Teil bis Burgos gelaufen, jetzt möchte sie komplett bis Santiago kommen. 

Als wir am Bahnhof ankommen trifft mich der Schlag. Eine Riesenhorde Pilger steht davor, eine Koordinatorin versucht die vielen Leute zu sortieren. Ein extra Bus wurde geordert, da es zu viele für den Zug und den späteren Bus ab Cambio les Bains sind.  Ich bin leicht überfordert und stelle mir schon vor mit Horden den Camino laufen zu müssen. 

Ingvild und ich sitzen zusammen im vollen Bus, der sich in Serpentinen durch die Vorberge der Pyrenäen vorarbeitet. Es dauert lange, bis wir ankommen. Ich bin echt im Eimer und das erste Mal kommt der Gedanke auf, ob das wirklich gut ist was ich hier mache, ob es wirklich gut war mich nun doch für den Camino Francés zu entscheiden und nicht für den Camino del Norte. Ich war mir dann doch unsicher gewesen, bin ich doch des Spanischen nicht so mächtig. Auch habe ich mir gedacht, nun habe ich so viel vom Camino Francés gehört, nun möchte ich die Orte und Stätten auch leibhaftig sehen und bin einfach auch sehr gespannt auf alles. Auch will ich einfach geradeaus den Berg hoch gehen, so wie die anderen auch, und nicht rechts abbiegen, ganz alleine Richtung Irun.

Gegen 17 Uhr kommen wir in Saint Jean Pied de Port an. Da ich mich hier nun schon bestens auskenne, lotse ich Ingvild und mich vom Bahnhof weg in die Altstadt. Ich habe meine Gîte vorgebucht und werde in der Nähe der Porte St-Jacques unterkommen, Ingvild sucht sich was anderes. Es ist schön wieder hier zu sein, all das bekannte wieder zu sehen. Das Wetter ist toll und ich hoffe, dass es das morgen auch ist, denn dann geht es die Berge der Pyrenäen rauf.

Wenig später stehe ich auf der Rue de la Citadelle vor der Gîte. Der Herr des Hauses erwartet mich schon und spricht tolles Englisch, das ist großartig. Ich werde hoch in den Dachboden in ein Mehrbettzimmer geleitet und treffe dort auf Sandra, eine Holländerin, die auch prima Englisch redet. Wir schnacken etwas zusammen und ich entspanne mich wieder. Nach der Dusche und vielem Gewurschtel in und um meinen Rucksack (es dauert ja immer eine Weile, bis man sich eingefunden hat mit allem) gehe ich nach draußen durch den Ort zum Pilgerbüro, um mir den ersten Stempel abzuholen. Ein paar Leute stehen davor und es dauert lange, da es nur zwei  englischsprachige Leiter im Büro gibt.  Hier gibt es ja auch alle Infos für den Weg und das kann mitunter dauern. Ich entscheide mich dann kurzerhand mutig einfach für die französisch sprechende Frau, will nicht ewig warten, und wir können uns auch ganz gut verständigen, geht doch. 

Ich bekomme noch eine Karte mit, mit Tipps, wie ich über die Pyrenäen komme und auf was ich achten soll, welcher Weg besser gemieden wird und natürlich meinen Pilgerstempel, schön. Ich gehe die Straße runter zur Kirche und über die kleine Brücke über den Nive. Ich muss daran denken wie Elisabeth und ich uns hier verabschiedet haben, ein Jahr ist es nun her. In der kleinen Bar, die ich ja nun auch schon kenne, setze ich mich an einen Tisch und trinke ein schönes Bier, ich fühle mich wohl und bin ob der vielen Pilger vom Bahnhof gar nicht mehr so nervös. Es hat sich doch hier auch gut verlaufen und ist gar nicht mehr so voll, eigentlich überhaupt nicht, das lässt hoffen.

Leicht angetütert gehe ich wieder zurück zur Gîte und setze mich dort auf die Terrasse mit tollem Blick rüber zu den Pyrenäen und den Weinbergen. Wenig später zur Essenszeit sitzen wir alle gemeinsam draußen und sprechen, ich will es kaum glauben, englisch. Ich bin so happy dass wir jetzt bei Englisch gelandet sind und sogar ein bisschen deutsch ist mit dabei, endlich zusammensitzen und alles verstehen können, toll. Wir sind eine nette Multikulti-Runde, essen und quatschen. Zwei englische Schwestern, eine Deutsche, die Holländerin und zwei Brasilianerinnen, alles mit dabei. Die Sonne macht sich langsam bereit unterzugehen und ich beschließe noch hoch zur Zitadelle zu laufen und mir den Sonnenuntergang anzuschauen. Nina, die eine Deutsche, kommt mit mir und wir stapfen gemeinsam den Berg hoch und kommen schnaufend oben an. Aber der Blick lohnt sich und so sehe ich den roten Sonnenball alsbald über Saint Jean untergehen.

Das meiste ist tatsächlich ausgebucht, wer nicht vorgebucht hat, könnte mitunter blöd dastehen

Ich bin schon sehr aufgeregt was mich morgen erwarten wird, weit werde ich nicht gehen, nur die 8 Kilometer nach Orisson, denn ich möchte es langsam angehen lassen. Die meisten werden nach Roncesvalles gehen, das sind 25 Kilometer und  ca. 1200 Höhenmeter, das möchte ich mir nicht am ersten Tag antun und ich glaube der ein oder andere hätte das besser auch nicht getan, denn ich habe auf keinem meiner Pilgerwege so viele Blessuren, Blasen und Gelenkprobleme gesehen wie auf dem Camino Francés, und ich bin schon viel rumgekommen auf meinem Weg von Lüneburg bis hierher. Ich glaube, dass viele sich schon nach dem ersten Wandertag einiges kaputt machen, sich überfordern und im Eimer sind. Auch ist es sicher so, dass viele keine Wandererfahrung haben und einfach losgehen und die gesamte Strecke nach Santiago machen wollen und das in einer bestimmten Zeit, sind also in gewisser Weise auch in Zeitdruck, da der Urlaub sonst vorbei ist. Das lässt viele über ihre Grenzen gehen und so nehmen die Dramen mitunter ihren Lauf. Da ich ja nun schon einiges an Erfahrung habe, bin ich da vorsichtiger und fange dezent an.

Wir kommen zurück zur Gîte und gehen in unser Dachboden-Zimmer. Jeder wurschtelt noch so vor sich hin und so legen wir uns dann schlafen. Ist erst mal alles sehr ungewohnt für mich jetzt wieder mit mehreren in einem Zimmer zu schlafen, aber der Mensch ist ja ein Gewohnheitstier, gell? Die Nacht legt sich über den Ort und es wird still.

11.5.2022

Saint-Jean-Pied-de-Port 

nach Orisson

10 km

Früh am Morgen wird es geschäftig in unserem Mehrbettzimmer. Der ein oder andere steht auf, packt seine Sachen zusammen und so treffen wir uns wenig später bei einem lauen Lüftchen und strahlend blauem Himmel draußen auf der Terrasse beim Frühstück. Es gibt ein klassisches französisches Frühstück mit Kaffee, Baguette und süßer Marmelade. Kennt man ja nicht anders. Ich bin gespannt wie es in Spanien aussehen wird, aber ich denke das wird da wahrscheinlich ähnlich sein. Mein Fall ist es ja nicht, aber es sättigt und der Kaffee ist gut. Ich schultere meinen Rucksack und verabschiede mich von der Truppe und mache mich auf den Weg. Auf der Rue de la Citadelle ist relativ wenig los, die meisten gehen früh los, da sie ja den langen Weg nach Roncesvalles vor sich haben. Da ich nur meinen kurzen Weg nach Orisson habe, lasse ich mir Zeit und schlendere die Straße hinunter, lass nochmal alles auf mich wirken und kehre kurz vor der Brücke über den Nive in die Kirche ein. 

Dunkel ist es und Stille umgibt mich. Außer mir ist noch eine Frau auf einer Bank sitzend in der Kirche, sie fängt wenig später an zu singen: „Bonum es confidere in Domino“. Das berührt mein Herz und diesen Satz und dieses Lied möchte ich mit auf meinen Camino nehmen. Bonum es confidere in Domino, gut ist es in Gott zu vertrauen. So habe ich meinen Glauben Anfang des Jahres mit all dem Horror um meinen Vater verloren und bin auf der Suche ihn wiederzufinden. Ich hoffe auf diesem meinen Camino Gott wieder näher zu kommen, denn ich fühle mich gottverlassen und habe keine Verbindung mehr zu ihm und das tut mir überhaupt nicht gut. Ein großes Unterfangen, eine große Hoffnung. Nun, wie wird es laufen? Wer weiß das schon? Da gilt es weiterzulesen, denn das ist eine Geschichte, die nun folgt!

Ich setze mich auf eine Bank und entzünde drei von den großen Kerzen für meine beiden lieben, meine Mutter, meinen Vater und für mich. Wir haben wirklich eine schwere Zeit hinter uns und ich verfalle in ein Gebet für uns drei und weiterführend in den Psalm 23: Der Herr ist mein Hirte. 

Ich sitze lange so da und denke über die Vergangenheit nach, über die Zeit ab dem 18. Januar, als alles anders wurde in unserem Leben. Tränen rollen mir die Wangen runter. Ich schaue lange auf die drei brennenden Kerzen, sage Amen, stehe auf, schultre meinen Rucksack und verlasse die schöne Kirche und trete aus der Dunkelheit ins Licht.

Nun geht es für mich los, nun ist es soweit und ich bin jetzt ein Jakobspilger auf dem Camino Francés und verlasse Saint-Jean. Da stand ich hier vor einem Jahr und habe mit sehnsuchtsvollen Blick die vier Basken verabschiedet und jetzt bin ich dran die Pyrenäen zu überqueren, wie geil ist das eigentlich? Vergessen der Gedanke, dass ich doch eigentlich schlafen gehen könnte ob der auf mich zukommenden Herausforderung. Ich fühle mich gestärkt und fit und freue mich total.

Natürlich kehre ich noch in die Boulangerie ein, um mir zwei Chocolatines zu kaufen,  das muss schon sein, lecker! Morgen ist Frankreich vorbei, dann gibt es bestimmt keine mehr. Ich trete durch die Porte de Espagne raus aus der Altstadt und stehe vor dem Schild, welches besagt, ob der Weg und der Pass geöffnet sind, was jetzt der Fall ist, wie schön. Nun geht es ordentlich bergauf, und das alleine und laut schnaufend. Keine Menschenseele in Sicht, ist schon erstaunlich, muss ich schon mal sagen.

Als geschichtlichen Hintergrund zum Jakobsweg muss man sagen, dass Jakobus der Ältere einer der ersten Jünger Jesu war. Ob er wirklich in Spanien das Evangelium verkündet hatte, wie es mitunter heißt, ist immer noch fraglich. Zahlreiche Legenden ranken sich um ihn, vor allem eben in Spanien. Ob nun das Evangelium gepredigt oder gar als Ritter gegen die Mauren kämpfend (er wird in Spanien auch als Maurentöter, Matamoros betitelt), ob seine Gebeine wirklich in der Kathedrale von Santiago begraben sind, wer weiß das schon? Fakt ist, der Camino Francés, ist der am meisten bewanderte Jakobsweg

Seit dem 11. Jahrhundert gibt es Aufzeichnungen der Pilgerschaft und seit dem 12. Jahrhundert wird von Hospitälern und Unterkünften entlang des Weges berichtet. Es ist ein Weg der Buße zur Vergebung der eigenen Sünden. Man geht zum Grab des Jakobus und wird seiner Sünden enthoben. Schön! Ich denke aber, dass die meisten Pilger mit anderen Hintergründen unterwegs sind. Da gibt es die religiösen, spirituellen, nach Sinn suchenden, welche, die nach Antworten auf ihre Fragen suchen. Manche wollen einfach eine Herausforderung, auch gerne sportlich gesehen, manche gehen für andere, für Verstorbene oder sind selbst erkrankt und wollen den Weg für sich gehen. Es gibt viele verschiedene Gründe, warum Menschen sich diese Strapazen, das sind sie ja mitunter, antun. Für mich ist es ein Weg der inneren Einkehr, der Suche zu Gott, aber auch einfach in der Natur unterwegs sein, einen Schritt nach dem anderen machend. Zusammenfassend gesagt, den eigenen Lebensweg gehen, nur eben komprimiert. Wie sage ich ja immer so schön: Der Pilgerweg ist das Leben, nur komprimiert, alles mit dabei an Höhen und Tiefen. Ich bin immer unterschiedlicher Verfassung und mit unterschiedlichen Gedanken und Fragen losgegangen, jedes Jahr aufs Neue. Dieses Mal gehe ich sehr belastet los. So ist das Leben, so ist der Pilgerweg.

Der Nebel hält sich noch in den Tälern, aber so langsam kämpft sich die Sonne durch die Nebelschwaden und beleuchtet die schönen grünen Hügel der Pyrenäen. Das ein oder andere Gehöft lasse ich hinter mir und gehe einsam meiner Wege. Es gibt zwei Wege nach Roncesvalles, die Route Napoléon, das ist die, die ich gerade gehe und der Weg die Straße entlang, welchen man dann wählt, wenn das Wetter nicht so der Hit ist. Mein Weg ist der schönere, bei diesem tollen Wetter allemal, und führt mich nach Orisson. Wenig später lande ich in Huntto, einem kleinen Bergdorf mit toller Aussicht in die umliegenden Berge. Nach einem netten Chocolatine-Zweitfrühstück im Schatten sitzend und in die Weite blickend, am Wegesrand wachsen herrliche blühende Callas, geht es weiter bergan.

Ein weiteres Schild besagt, dass der Pass nun wirklich geöffnet ist und so biege ich links ab, einen Pfad entlang. Ich komme ordentlich ins Schnaufen, aber ich bin guter Dinge und mein Herz ist weit und die Landschaft einfach atemberaubend schön. Der Nebel hat sich nun komplett gelichtet. So laufe ich hier im T-Shirt durch die Gegend und werde heute meine ersten 600 Höhenmeter machen und morgen dann die zweiten 600. Es geht vorbei an wunderbar gelb blühenden und intensiv duftenden Ginster, wie schön das alles aussieht. Hoch oben zieht ein Milan seine Runden und ruft einem zweiten irgendetwas zu.

Wenig später treffe ich im Schatten unter ein paar knorrigen Eichen stehend auf Dominik, einem Kanadier. Wir machen gegenseitig Fotos von uns und entscheiden dann ein Stück gemeinsam zu gehen. Ich muss mich ins englische noch ein bissel eingrooven, aber es wird schon ganz gut mit der Zeit. Er erzählt mir haarsträubende Geschichten über sich, hat ordentlich Medikamente dabei und auch einen Sturzhelm, denn er leidet an Epilepsie und an permanenten Schmerzen. Wenn er überfordert ist, kann es schnell zu einem Anfall kommen, deshalb der Helm. Er hat beschlossen diesen Camino zu gehen und will sich beweisen dass auch er das machen kann, auch wenn er so schwer krank ist. Nun, ich finde das wirklich beeindruckend, hoffe aber, dass ich hier nicht gleich in Aktion treten muss, weil er vielleicht krampfend am Boden liegt, ist ja doch auch nicht unanstrengend, das Bergsteigen. Aber diese Sorge sollte unbegründet sein, wenig später kommen wir schon in Orisson an, ganz ohne Zwischenfall, schön!

Eine schöne Terrasse mit wunderbaren Ausblick in die Berge erwartet uns und mit ihr die beiden Amerikanerinnen Bev und Dee, die beiden Schwestern, die ich schon von meiner vorherigen Gîte her kenne. Wir begrüßen uns freudig und gesellen uns dazu, Zeit für einen schönen Kaffee oder wenig später dann doch für ein Bier. Dominik wird noch weitergehen, denn er übernachtet in der nächsten Gîte. Das war’s dann auch, bis Roncesvalles gibt es dann nur noch Landschaft. 

Ich gehe in das schöne steingemäuerte Haus hinein und stehe ewig wartend neben der Bar am Empfang, hinter dem sich eine genervte unfreundliche Gîtebetreiberin befindet und wild in irgendwelchen Blättern wurschtelt. Es dauert ewig, bis ich dran bin und bis wir dann auch endlich auf unsere Zimmer geleitet werden. Ich bin etwas sprachlos, so einen Empfang habe ich von Lüneburg bis hierher noch nicht erlebt. Nun, kann ja nur besser werden. 

Das Zimmer ist mit neun Betten bestückt und hat eine geniale Aussicht in die Berge, toll. Ich muss oben schlafen, denn die anderen Betten sind schon belegt, nun denn. Ich wurschtel ewig in meinem Rucksack rum und krame meine Duschsachen raus, sortiere hier und sortiere da. Nun, meine Zimmergenossin, eine ältere Dame, ihren Namen habe ich vergessen, hat das gleiche Problem und ist genervt von sich selbst. Sie hatte sich heute überanstrengt und ist fast zusammengebrochen auf dem Weg nach oben. Nun, jetzt ist sie wieder besser beieinander, das freut mich. Ich mache mich auf zur Dusche. Ich habe einen Coin bekommen, den ich in einen Automaten stecken soll, die Duschzeit ist nur kurz, okay, aber der Hammer ist ja, dass die Dusche nur lauwarm ist, das geht gar nicht. Ich beeile mich und trockne mich zitternd ab, zum Glück ist es ja warm draußen, somit ist das Frieren alsbald beendet. Als ich das der Betreiberin später mitteile meint sie, dass ich die einzige bin, die das moniert, keiner hat ein Problem mit der Dusche. Nun was soll ich sagen? Ach, lassen wir das! 

Wir sitzen draußen beieinander, ich habe mich nach dem Ärger mit der Betreiberin dann doch für ein Bier entschieden, das entspannt. Es ist noch früh am Nachmittag, was nun tun? Orisson besteht nur aus dieser Herberge, sonst gibt es wie gesagt nur Landschaft. 

Ich mache mich mit meinen Sandalen, ein bissel was zu Essen und meinem Wasser, auf und stapfe alleine den Hang nach oben zu einem Haufen großer Steine, die etwas Schatten geben und mit einen tollen Rundumblick in die Berge. 

Mir ist das in der Gîte doch etwas zu trubelig. Sie sollte noch komplett voll werden, viele viele Menschen. Nach meinem doch einsamen Aufstieg hierher ist mir das zu viel. So sitze ich also mein letztes Chocolatine essend neben dem Fels und genieße die Ruhe. Bienen summen um mich rum, neben mir ein Farn, der noch im Begriff ist seine Blätter zu entfalten, kleine lila Blüten schlängeln sich entlang der Felsen und Wurze machen sich in deren Spalten breit. Ich lege mich hin und genieße.

Später mache ich mich wieder auf nach unten, bin nun wieder bereit für viele Leute und treffe auf Nina, die Deutsche meiner vorherigen Gîte. Wir sitzen bei einem weiteren Bier draußen und schnacken etwas, noch etwas verhalten, man nähert sich an. Ich freue mich nun deutsch reden zu können. 

Als wir uns um 19 Uhr zum Essen im großen Raum der Gîte einfinden ist es mächtig laut, kaum auszuhalten. In allen Sprachen wird sich lauthals unterhalten, englisch, französisch, deutsch, holländisch, alles mit dabei. Ich sitze am Tischende mit Nina, zwei weiteren deutschen Frauen und einem Spanier, der mir ein bissel leid tut in der deutschen Runde, aber wir geben unser bestes. Zum Glück habe ich noch etwas spanisch gelernt bevor ich losgelaufen bin, Pilgerspanisch und weiteres. Ich habe mal vor langer Zeit einen Spanischkurs gemacht und somit bin ich doch relativ schnell wieder reingekommen. Zwar werde ich es nicht so gut wie französisch hinbekommen, aber es lässt sich doch sehen und so werde ich mich im weiteren Verlauf auch in Spanisch eingrooven, schön! 

Die andern beiden Frauen heißen Sabine und Martina und sind sehr nett, wir verstehen uns gleich sehr gut. Das Essen ist französisch reichhaltig und auch gut, dazu gibt es den obligatorischen Rotwein und die Karaffe Wasser. Den Kuchen am Ende schaffe ich schon gar nicht mehr, aber der wird morgen einfach mit auf Tour genommen. Wir brüllen uns in ohrenbetäubenden Lärm gegenseitig an und trotz allem ist es schwer sich zu verstehen. 

Die Betreiberin, die doofe, sagt dann zu uns allen, dass doch jeder Mal erzählen soll, warum er hier ist und warum er den Camino geht. Oh, das kann dauern, ich würde mal sagen wir sind hier so 40 Leute. Nun denn, aber es ist ruhig, das ist schön. Jeder erzählt also ein paar Sätze, wie er oder sie heißt, woher er oder sie kommt und was die Beweggründe sind. Auch Tränen rollen, denn da sind auch Pilger unterwegs, die geliebte Menschen verloren haben, für sie laufen, in Erinnerung. 

Nach dem Essen gehe ich nochmal zur doofen Gîtebetreiberin  und frage, ob ich statt dem Frühstück morgen, was ich mit gebucht hatte, doch lieber was zum mitnehmen haben kann. Nein, das geht nicht. Punkt. Blöde Kuh, dann behalt doch dein blödes Frühstück. Oh man, was für ein Verein hier. Echt schön gelegen, aber die Leute sind unmöglich. So entscheide ich mich aufgrund der vielen Leute hier und der Angst, dass alle morgen gemeinsam nach dem Frühstück die Berge in einer Kolonne hochwandern, dass ich ohne Frühstück losziehen werde, und zwar früher als die anderen. Das sollte dann auch tatsächlich eine gute Idee gewesen sein. 

Nach dem Essen verabschieden wir uns alle und gehen auf unsere Zimmer. Wir sitzen oder liegen auf den Betten, schnacken noch etwas, ich mache mir mein Hörbuch von Hape Kerkeling an. Nun bin ich ja auf dem gleichen Weg unterwegs und so finde ich es sehr spannend mir immer den Abschnitt, den ich nun gerade gegangen bin, von ihm anzuhören. Im weiteren Verlauf muss ich dann feststellen, dass Herr Kerkeling doch einige Etappen hat ausfallen lassen, halt alles was mit Berg zu tun hat. Das ist mir beim vorherigen Anhören gar nicht aufgefallen. Nun, da hat er aber auch einiges verpasst, denn die Landschaft im weiteren Verlauf ist sehr schön, wenngleich aber auch sehr bergig. Er hat den gleichen Fehler wie viele andere gemacht und ist den ganzen Weg mit einem viel zu schweren Rucksack nach Roncesvalles gelaufen und hat sich die Gelenke demoliert. Doof. 

Da hier einige eben das erste Mal wandern, sieht man schon kurioses, mitunter auch wahnsinnig große und schwere Rucksäcke, puh, das ist dann schon der Hammer. Was aber auch gut ist hier auf dem Weg, das war ja auf der Via Podiensis auch schon so, man kann seinen Rucksack abgeben und für 5 Euro in den nächsten Ort transportieren lassen. Ich habe in Frankreich noch gedacht, ach nee, das ist nicht das was ich mir vorstelle, aber ich sollte im weiteren Verlauf auf dem Camino Francés auch zu dieser Möglichkeit greifen, aber dazu später. 

Ich packe mir die Ohrstöpsel in die Ohren, denn auch Frauen können ordentlich schnarchen, und schlafe ein.

12.5.2022

Orisson nach Burguete

22 km

Ein Blick am Morgen aus dem Fenster verrät: Nichts! Es ist komplett nebelig, mein Herz sinkt in die Hose. Och nee, schade, doof, menno! Ich habe mir so sehr gewünscht tolles Wetter bei meiner Pyrenäenüberquerung zu haben und nun das hier. Aber liebe Maika, nicht verzagen, auch dieser sollte sich im Verlauf lichten. 

Ich springe von meinem Bett, knülle meinen Schlafsack wieder in die Minitasche, verstaue alles im Rucksack und mache mich auf zum Essraum. Die anderen Pilger treffen nach und nach ein und es wird wieder laut. Ich trinke nur ein paar Schlucke Kaffee, packe mir ein paar Sachen vom Frühstückstisch ein und verabschiede mich, gehe alleine meiner Wege durch den Nebel die weiteren 600 Höhenmeter bergauf. Es ist ganz still. Ab und an ist das Fiepen eines Vogels zu hören, sonst nichts. Wie schön! Ein frischer Wind kommt auf, der sich wenig später als Sturm von vorne herausstellen sollte. Puh, bergauf mit Sturm, ich kämpfe dagegen an und schreite mutig voran. Die Sonne kommt raus und macht den Blick in die umliegenden Berge frei. In den Tälern hängen die Wolken noch lange nach. Toll sieht das aus von oben auf die Wolkendecke zu schauen. Ich fühle mich frei und gut, der Wind pustet mir um die Ohren, mein Blick schweift über die Pyrenäen, was für eine schöne Landschaft. 

Ich komme an einen kleinen Rastplatz, hier steht ein sogenannter Foodtruck. Sowas sollte ich noch einige Male auf dem Camino sehen. Die Infrastruktur des Weges ist herausragend, klar bei den vielen Pilgern, die hier jedes Jahr langlaufen. Auf der Podiensis fand ich es schon toll, aber das hier sollte noch alles toppen. Ich bin aber zu früh dran und somit hat der geschlossen, ist auch nicht weiter wichtig. 

Oben auf einer Felsenkuppe ist eine Maria mit dem Jesuskind zu sehen, steil fällt der Felsen in die Tiefe und lässt den Blick auf die unten liegende Wolkendecke schweifen, deren Wolkenfetzen andeuten, dass sie sich alsbald verziehen wird. Die Sonne macht sich nun breit und fängt an zu wärmen. 

Weiter geht es auf der kleinen Bergstraße bergauf. Ich komme inmitten einer Horde Pottok-Ponys an, eine baskische Rasse, die grasend über der Bergkuppe entlang wandern, toll ist das. An einem Steinhaufen mit einem Schild Richtung Roncesvalles/Orreaga geht es von der Straße ab über die Graslandschaft. Orreaga ist der baskische Name von Roncesvalles, welches die Franzosen wiederum Ronceveaux nennen, so viele Namen! 

Ich bleibe am Steinkreuz stehen und bete: „Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir. Dafür danke ich Dir“ Mein Gebet, was ich an Stein-und Feldkreuzen immer bete. Momentan hört es sich für mich noch nicht stimmig an, dazu ist zu viel Schlimmes in diesem Jahr passiert und ich hadere noch mit Gott. Werden wir wieder zueinander finden? 

Nun, ich gehe weiter meines Weges steil bergauf. Meine erste Liedkreation kommt mir über die Lippen, mit dem Titel: Hecho polvo ohne Volvo. Hecho polvo heißt auf Spanisch: völlig k.o.

Hecho polvo ohne Volvo

Ja das ist ja keine gute Angelegenheit

Haste n‘ Volvo, dann biste nicht mehr hecho polvo

Und das ist gut, ja, ja!

Aber ohne Volvo bist' schnell hecho polvo

Und das ist ja wirklich gar nicht mehr so gut

Hecho polvo ohne Volvo,

nee das ist ja wirklich gar nicht mehr so gut 

No, No

Wenig später macht meine Kamera Probleme, na toll, das brauche ich ja nun jetzt echt. Die Klappe vor der Linse öffnet nicht komplett, hmm, was tun? Vielleicht kann ich das in Pamplona reparieren lassen? Alsbald kommt die Lösung, ich muss diese Klappe einfach immer manuell nach oben schieben, dann geht das, Fotos sind also gerettet, schön! Aufregung gebannt! 

Der Blick reicht über bewaldete Berge rüber zu den ganz hohen Bergspitzen, die noch mit Schnee überdeckt sind, klasse. Die Pyrenäen erreichen Höhen von über 3000 Metern, da kann ich ja noch froh sein, dass wir da nicht rüber müssen. Der höchste Berg Spaniens ist aber mit 3715 Metern Höhe der Pico del Teide auf Teneriffa, klar, die Kanaren gehören ja auch zu Spanien. Übrigens ein toller Berg! Kann Ich nur empfehlen. Ein Hinweis teilt mit, dass ich mich schon auf 1275 m befinde, super, geht doch gut. Außer dem kalten Sturm von vorne ist der Weg nicht allzu schlimm, finde ich. 

Dann ist es soweit: Ich stehe an der Grenze zu Spanien, zu Navarra, wie die folgende Region nun heißt, immer noch baskisch. 

Spanien ist in 17 Regionen aufgeteilt und ich werde durch drei von ihnen durchwandern, spannend finde ich das. Spanien ist eine parlamentarische Monarchie, und hat mit König Felipe VI. einen König, der bei Anlässen das Land vertritt, aber auch den spanischen Regierungschef benennt. Gesetze dürfen nur nach seiner Zustimmung erlassen werden. Ansonsten wird das Land aber von einem gewählten Parlament regiert.

Ein großer Stein besagt: Navarra/Nafarroa, das ist nun also die spanische Grenze, Frankreich adé, schön war's gewesen. Ein Hammer-Gefühl überkommt mich, so habe ich es tatsächlich von Lüneburg bis nach Spanien geschafft, toll! Ich überschreite die Grenze, setze mich in den Windschatten an eine Wasserpumpstation und mache meine erste Pause in Spanien, in España. Wie wird das mit dem Spanisch wohl klappen? Wie wird der Weg sein, die Leute, das Wetter und überhaupt? Nun, warten wir’s ab. Hier in Spanien ist vorzugsweise der gelbe Pfeil zugegen, die Wandermarkierung des GR 65 mit seinen rot-weißen Streifen findet so langsam ihr Ende. Der Camino ist im weiteren Verlauf sehr gut ausgeschildert, ist also ohne Karte zu bewältigen, so wie es auf dem französischen auch schon war. Es geht weiter durch ein kleines Eichenwäldchen mit knorrigen Steineichen 

Ich erreiche den höchsten Punkt der Pyrenäenüberquerung auf 1427 m, dem Col de Lepoeder. Wow, nach langer Wanderung durch Deutschland, die Schweiz und Frankreich, habe ich meinen bisher höchsten Punkt nach dem Schweizer Haggenegg mit 1414 m errungen, Stolz! Ein paar Leute sitzen hier auf Bänken, darunter auch Sabine und Martina, wir begrüßen uns freudig und machen Fotos. Toll, ich habe es geschafft und die Pyrenäen überwunden. Nach einer Pause windgeschützt in einer Mulde ums Eck geht es nun bergab. Man hat die Wahl den krassen, steinigen, gefährlichen Weg runter nach Roncesvalles zu gehen oder den gemäßigten. Ich entscheide mich für den etwas längeren, aber gemäßigten Weg nach unten. 

Need help? Nö, alles jut!

Nun geht es durch einen kleinen knorrigen Buchenwald runter zum Ort, der wenig später schon zu sehen ist. Die große Abtei und Albergue, in die die meisten Pilger absteigen werden, mit 184 Betten, liegt im Tal eingebettet und ist aus dem 13. Jahrhundert. Roncesvalles war damals schon ein wichtiger Pilgerort mit Hospital für kranke und fertige Pilger gewesen. Ich habe hin und her überlegt, ob ich da absteige, aber das ist mir dann doch zu viel und so werde ich einen Ort weitergehen, was sich dann auch als Segen herausgestellt hat, was mir einige später erzählten. 

Ich komme unten an und gehe zur Abtei, lande im Innenhof und treffe dort auf Nina. Einige Pilger stehen an der Rezeption an und warten, dass sie rein können. Nun bin ich also in DEM historischen Ort auf der spanischen Pyrenäenseite, Roncesvalles, von dem ich schon so viel gehört habe, angekommen. Toll! Ich stehe aber unschlüssig rum, die Abtei besichtigen kann man nicht, dazu muss man sich einquartieren. Ich frage Nina noch, ob wir vielleicht einen Kaffee zusammen trinken wollen, aber sie wollte erst mal einchecken und ich wollte da nicht so rumstehen. Ich suche in der Albergue nach einem Café, irre durch die Gänge und treffe auf eine Küchenhilfe, die mir mitteilt, dass hier geschlossen ist und ich in den Ort gehen kann. Oh man, nun ist also spanisch angesagt, mit Händen und Füßen klappt es. Ich habe ja noch meine Vokabeln dabei, die ich schon im Flugzeug fleißig gelernt habe, die werde ich mir nachher noch mal zu Gemüte führen. 

Ich gehe aus dem Abteigelände raus und treffe auch gleich auf ein Café, setze mich draußen hin und fühle mich echt spanisch, bestelle auf Spanisch einen Café con leche und warte. Ich ordere wenig später noch die Karte, es dauert lange bis die Bedienung kommt, ich frage nochmal nach. Aha, hier gibt es Bocadillos, davon habe ich auch schon gehört. Das sind Baguettes belegt mit Käse, Schinken, beides oder sonstiges, die werden dann auch gerne warm gemacht und sind echt lecker. Ich bestelle nach vielem Handgewedel und Rufen endlich eines mit Jamón Serrano, Serranoschinken, das hört sich klasse an. 

Ich sitze da so und warte, warte und warte, nichts passiert. Mittlerweile brutzelt die Sonne auf mich runter und ich bin genervt. Sämtliche Leute um mich rum, die auch nach mir kamen, haben ihr Essen schon erhalten, die einen zahlen sogar schon. Ich frage mich was hier los ist? Ich habe das Gefühl irgendwie unsichtbar für die Kellnerin zu sein. Mittlerweile bin ich verzweifelt und die erste Träne kullert meine Wange runter. Ich entscheide noch bis 100 zu zählen und das Ganze dann hier abzubrechen. Ich könnte echt kotzen. Nun gesagt getan, ich gehe rein ins Restaurant und sage, dass ich bezahlen möchte und jetzt gehe. Ach ja, sie haben da ja noch das Bocadillo für mich, na toll, danke auch. Ich gehe befrustet vondannen. Was sollte das denn? Mein erstes Café in Spanien und dann so eine doofe Erfahrung. Nun, vergiss es und geh einfach weiter. 

Der Ort ist klein und unten befindet sich eine kleine Kapelle, toll, da gehe ich mal rein und setze mich hin. Nun, Pustekuchen, die ist geschlossen, auch der daneben sich befindende Kapitelsaal mit dem Grabmal von König Sancho VII ist geschlossen, man kann nur von außen reinschauen. Befrustet verlasse ich den Ort, hatte mir doch vorgestellt etwas mehr von diesem traditionsreichen Ort zu sehen, aber es sollte nicht sein. Ein Schild besagt, dass es noch 790 km nach Santiago sind, gar nicht mehr so weit. Einen schattigen Weg neben einer kaum befahrenen Straße geht es einsam weiter, klar, alle bleiben hier und somit bin ich alleine unterwegs, mir gefällt es.

Die Wegweiser kommen mir bekannt vor, die gab es auf dem GR65 in Frankreich auch immer

Es geht schattig unter Bäumen entlang. Wenig später erreiche ich schon das kleine baskische Dorf Burguete mit seinen charakteristischen weißen Häusern mit den großen Steinquardern an den Eckkanten, schön sieht das aus. Ich laufe alleine die Calle Mayor, die Hauptstraße entlang, es ist ruhig hier, nichts los. Nach dem Trubel im Innenhof der Albergue in Roncesvalles genieße ich das sehr. Ich suche meine Pension, die sich in einer Seitenstraße befindet. 

Durch einen Strippenvorhang an der Tür, wie es sie hier häufiger in Spanien in allen Varianten und Farben gibt, kommt mir die Gastgeberin entgegen. Sie spricht mich auf Spanisch an und ich kontere mit meinem neuen Klassiker: „Lo siento, mi español no es bueno“. „Es tut mir leid, mein Spanisch ist nicht gut“. Davon lässt sie sich aber nicht beirren und redet langsam und deutlich weiter und ich kann sie sogar gut verstehen, das motiviert enorm. Sie bringt mich einen Stock höher in ein nettes kleines Zimmer mit einem großen Bett mit, na klar, riesiger Bettdecke, die fein säuberlich an den Kanten unter der Matratze befestigt ist, so dass man sie kaum bewegen kann, wenn man hineinschlüpft. Ich muss grinsen, kenne ich das doch auch aus Frankreich so. Ich lasse mich darauf fallen und bin unheimlich happy nun ein Einzelzimmer für mich zu haben. 

Wenig später gehe ich duschen, sitze daraufhin Maoam-essend auf dem Bett und schaue aus dem geöffneten Fenster, durch das die warme Luft hineinströmt. In der Ferne kräht ein Hahn und Mauersegler ziehen kreischend ihre Kreise. 

Der Lebensmittelladen, den ich noch besuchen werde, macht erst um 17 Uhr auf. Zwischen 14 und 17 Uhr haben die meisten Geschäfte zu, Siesta. Selbst in Großstädten ist um diese Uhrzeit Totentanz. Dafür sind sie häufig bis 21 Uhr geöffnet, was auch mal ganz gut ist. Ich gehe einkaufen, ein Baguette, eine Salchicha (die französische Saucisson auf Spanisch, die sich auch bei Wärme gut hält), ein paar Haribo-Erdbeeren und zwei Äpfel, die leider schlimm schmecken, mehlig, irgh! Überhaupt fand ich die Äpfel meist nicht gut, dafür sind die Orangen aber ein Totalhit. Ich mache mich auf den Weg zurück. Die Gastgeberin meiner Pension teilt mir noch mit, wo ich später essen gehen kann, leider erst um 20 Uhr, oh oh, das ist schlimm, noch später als in Frankreich. Aber im weiteren Verlauf sollte es doch bei 19 Uhr bleiben, man hat sich auf hungrige Pilger eingestellt, die um 20 Uhr bereits verhungert sind, schön! 

Ich setze mich neben die leider auch geschlossene Kirche, komisch ist das, ist doch katholisch hier und alles ist geschlossen, draußen vor eine Bar. In den meisten Cafés und Bars muss man drinnen bestellen, da kommt keiner raus. Somit bestelle ich ein schönes kühles Caña Estella Galicia, Bier vom Fass. Es ist 18.30 Uhr und die Glocken der Kirche scheppern schrill vor sich hin, hören aber alsbald auf. Eine Bewandtnis haben sie scheinbar nicht, denn die Kirche bleibt zu, es gibt keinen Gottesdienst oder so. Unweit entfernt sitzt noch eine einheimische Familie, Pilger sind weit und breit nicht zu sehen.

Elisabeth, die Pilgerin, mit der ich letztes Jahr auf der Podiensis von Aire sur l’Adour nach Saint-Jean-Pied-de-Port gepilgert bin, ist auch auf dem Camino unterwegs, ist nun in León gestartet und auf dem Weg nach Santiago. Wir tauschen via What's app unsere Erlebnisse aus und entscheiden kurzerhand zu telefonieren. Wir beide hocken alleine und somit ist es ganz schön zu schnacken. Wenig später stehe ich vor dem Hotel-Restaurant, hatte zuvor ja auch gebucht und warte, bis man mir einen Platz zuweist. Die Kellnerin geht permanent an mir vorbei und beachtet mich nicht. Ein Herr kommt rein, wartet und wird dann zu einem Tisch geleitet, ich stehe immer noch so da. Das erinnert mich an das Café vorhin in Roncesvalles. Langsam werde ich sauer, will aber auch keinen nerven. Irgendwann kommt ein Herr herein und fragt mich dann doch was ich möchte. Ja nun: Essen? Ja klar, kein Problem, er geleitet mich zu einem Platz. Mittlerweile ist es 20.30 Uhr. Mich nervt das alles. Was soll denn das? Warum werde ich nicht bedient, warum werde ich stehen gelassen? Woran liegt das? Ich bin sowas von genervt, dass ich mir denke, wenn das hier so weitergeht, dann breche ich das ab, das brauche ich überhaupt nicht. Ich habe nun meinen Urlaub nach all diesen Horrer der letzen Monate und will es genießen und ärgere mich hier nur rum. Komisch die Spanier. Ich hoffe die sind nicht alle so, hmm!

Ich bin echt schlecht drauf, als er mit der Suppe ums Eck kommt. Sie gehört zum Pilgermenü, was es auf dem Camino Francés überall gibt, kostet meist so 10 bis 12 Euro und besteht aus Vorspeise, Hauptgericht, Nachspeise, Wein und Wasser. Die Suppe ist irgendwas mit Spinat und Kartoffeln, ist nicht so meins, außerdem habe ich so gar keinen Hunger mehr. Das Hauptgericht besteht aus Fisch mit Pommes, zum Abschluss gibt es ein Eis am Stiel, aha, interessant. Ich kippe den Wein runter, esse mein Eis und verschwinde. Die Pilgermenüs bestehen eigentlich fast immer aus dem gleichen Inhalt: Man kann bei der Vorspeise wählen aus Suppe, Salat oder Spagetti, als Hauptgericht Huhn, Schwein oder Fisch mit Pommes oder ähnlichem und zum Nachtisch gibt es Eis am Stiel, irgendeinen Kuchen oder aber das leckere Flan, ein Karamelpudding, der typisch für Spanien ist und der sehr lecker ist. Hmm! Wein gibt es gratis dazu. Ob man zu zweit oder zu viert am Tisch sitzt, es gibt immer eine Flasche Wein. Der Wein ist gut, die Qualität des Pilgermenüs reicht von vollgrottig über sehr gelungen und lecker. 

Ich mache mich auf den Weg zurück und sitze noch am Fensterbrett, bin auch echt k.o. war ja doch ein gutes Stück heute inklusive Berg, und schaue nach draußen, lege mich dann aber alsbald hin und höre Hörbuch. Herr Kerkeling hatte ja keine so schöne Bergtour hinter sich gehabt. Auch die Nacht in der Albergue war scheinbar nicht so der Hit. Nun, das ging nicht nur ihm so, wie ich am nächsten Tag erfahren sollte.

 

13.5.22

Burguete nach Zubiri

20 km

Ich schaue aus dem Fenster: Nebel. Hmm, ist scheinbar immer morgens hier so, später sollte die Sonne aber wieder rauskommen, und wie!

Ich gehe entspannt nach unten zu einem kleinen Essraum, in dem ich alleine sitze. Der Herr des Hauses bringt Kaffee und Brot. Mein erstes Frühstück in Spanien, gar nicht mal so schlecht, dem französischen aber recht ähnlich. Es gibt Baguette mit süßen Marmeladen, aber auch Jogurt und Obst, dazu einen schönen Kaffee con oder sin leche, mit oder ohne Milch. In Spanien ist es auch nicht ganz leicht einen großen Kaffee zu bekommen, besonders zu anderen Zeiten als morgens, ist scheinbar nicht üblich, wie in Frankreich ja auch nicht, wie wir wissen. Der Café con leche oder mitunter auch der Café americano, eher ein doppelter Espresso, sind dann noch so die größten unter ihnen. Nun ja, andere Länder, andere Kaffees.

Ich mache mich kurzerhand auf, schultere meinen Rucksack, verabschiede mich und gehe Richtung Hauptstraße. Da alle ja in Roncesvalles losgehen und ich schon weiter bin freue ich mich über genügsames Pilgern ohne Horden, werde aber kurzerhand, als ich auf die Hauptstraße einbiege, eines besseren belehrt. Ich denke ich seh‘ nicht richtig. Viele Pilger, mitunter laut schwatzend, laufen die Straße runter. Vorne grölen sogar welche, einer singt irgendwas, ich bin geschockt, sowas hatte ich auf meinem gesamten Pilgerweg noch nicht erlebt. Okay, dann mal los, Caramba, Karacho, ab in die Menge!

Ich versuche einen gewissen Abstand von den vorderen und hinteren Leuten zu bekommen und biege den Weg rechts ab, über eine kleine Brücke ins Dickicht. Der Weg ist ein schöner, schmal und unter Bäumen einhergehend, leicht hügelig, links ein paar Pferde, rechts ein paar Rinder, vorne ein paar Pilger und hinter mir ein paar Pilger. Nun daran werde ich mich vielleicht gewöhnen müssen. Leicht fällt es mir gerade nicht, muss ich sagen.

Die Sonne kommt raus und fängt auch gleich an mächtig zu wärmen, so dass man im T-Shirt gehen kann. Das Wetter ist bisher wirklich klasse, kann ich nicht anders sagen, aber es wird von Tag zu Tag wärmer und eine Hitzewelle sollte Spanien und Frankreich mit 35 Grad erreichen. Okay, mal sehen wie das machbar ist, sowas hatte ich nun auch noch nicht, hatte ich im Mai auch nicht so erwartet, ehrlich gesagt. Nun denn. Viele Pilger sind alleine unterwegs, aber auch Pärchen und kleine Grüppchen. Ich kann ein bissel Abstand gewinnen und gehe ein wenig alleine meiner Wege

Kurz vor Espinal überholt mich Nina und wir gehen gemeinsam in den Ort runter, beschließen uns hier in ein vorhandenes Café zu setzen und einen Café cortado zu trinken, das ist die spanische Variante des Latte Macchiato. Kurze Zeit später umlagern uns die Horden, alle wollen hier Pause machen und einen Kaffee trinken und man quetscht sich unter die kleinen Schatten gebenden Sonnenschirme, oh man. Ich fange an zu zweifeln, ob das so gut war den Francés zu gehen und meine Stimmung ist verhalten. Wir gehen gemeinsam wieder los. Sie hat einen ordentlichen Schritt drauf, den ich nicht mithalten kann und will und so tauschen wir Nummern aus und verabschieden uns, beschließen uns in Zubiri wieder zu treffen. 

Kurz nach einem Ort mit zungenbrecherischen baskischen Namen geht es steil bergauf. Ich schwitze und pruste ordentlich. Der Weg ist steinig, aber schön von gelbem Ginster umsäumt. Ein wundervoller intensiver Duft begleitet mich. Hoch oben sehe ich Adler kreisen, vielleicht sind es Steinadler? Ich weiß es nicht, aber sie sind riesig. 

Ich brauche dringend Pause, will aber außer Sichtweite der Leute mich irgendwo hinlegen. Ich biege einfach scharf rechts mitten im „Steil“ von der Piste ab und suche mir ein Schattenplätzchen unter einem knorrigen, sehr mediterran aussehenden Baum. Es duftet nach Thymian, der hier überall wächst, klasse. Ich breite meinen Sarong aus, ziehe die Schuhe aus und lüfte Füße, schneide mir kleine Scheiben meiner Salchicha ab, esse sie mit dem Baguette aus Burguete und entspanne mich. 

Diesmal habe ich auch mehr zu trinken dabei, als letztes Jahr in Frankreich, wo ich doch einige mal sehr durstig war, bis ich wieder einen Wasserhahn gefunden habe. Ich  habe mir nun auch eine Wasserblase gekauft, so wie Elisabeth eine hatte und feier die gerade voll ab, denn damit trinke ich wesentlich mehr, da ich den Rucksack nicht immer absetzen muss, kann ich jedem nur empfehlen! Anfangs war ich mit dem spanischen Wasser etwas skeptisch, habe dann aber letztendlich auch aus Brunnen und Wasserhähnen meinen Beutel aufgefüllt. Ist nicht immer lecker, da es mitunter doch sehr gechlort ist, aber es gibt eben nicht immer Läden und sowieso gewöhnt sich der Mensch doch an vieles. 

Frisch gestärkt geht es nun weiter steil bergauf zur Passhöhe von Erro auf nunmehr 800 Metern. Der Weg ist schmal und teilweise sehr steinig. Leicht akrobatisch und abgesichert mit meinen Wanderstöcken hangele ich mich durch die Landschaft. Plötzlich klingelt es hinter mir, ein Fahrradfahrer will vorbei, dann noch einer und der dritte folgt zugleich. Also hier mit dem Rad langzufahren, durch die engen steilen Wege mit den vielen Pilgern, halte ich auch nicht für so sicher. Nun, ich sollte noch einigen Radfahrern begegnen, denn der Camino wird auch von Radfahrern sehr frequentiert. Es gibt so einiges an das ich mich gewöhnen muss, scheint mir. 

Es geht nun leicht bergab Richtung Zubiri. Ich mache noch abseits auf einer Weise meine letzte Pause bevor ich mich an den ebenfalls krassen Abstieg mache. Teilweise läuft  man über schräge Steinspalten und muss aufpassen, dass man in deren Rillen nicht umknickt, teilweise geht es über Geröll und auch über große Brocken, spannend, kann man nicht anders sagen. Ich bin froh vorher noch eine Pause gemacht zu haben, denn so bin ich fitter und stabiler. 

Die Landschaft ist wunderschön. Meine Beine zittern, ich muss nochmal eine kurze Pause einlegen. Puh, der Weg hat es in sich. Der ein oder andere ist ohne Wanderstöcke unterwegs, ich beneide sie nicht. Ich sollte später hören, dass es ein paar Stürze gegeben haben soll.

Ich versuche immer wieder Abstand zum Vorgänger und Nachfolger zu bekommen, mal gelingt es ganz gut, mal weniger. Ich komme schnaufend und schwitzend unten in Zubiri vor einer steinernen Brücke über den Río Arga an. 

Gleich vornean ist eine Albergue. Eine Koreanerin kommt gerade aus der Türe und ich frage sie kurzerhand, ob sie weiß ob hier noch ein Zimmer frei ist, denn ich habe überhaupt keine Lust im Mehrbettzimmer zu schlafen, welches ich zuvor gebucht hatte. Ich habe Glück und bekomme auch eines, was aber überteuert ist (der Betreiber meinte noch: muy barato, sehr billig). Es besteht nur aus einer Kammer mit einem kleinen Fenster oben an der Decke. Okay, das ist jetzt auch gewöhnungsbedürftig. Ich fand den Preis wucher. Scheinbar wollen die einen hier abzocken, mich nervt das schon wieder. Aber es ist kühl und die Dusche draußen ist gut. Ich lege mich total erschöpft aufs Bett, der Weg zollt nun seinen Tribut, ist schon nicht ganz einfach. 

Wenig später nach ein bissel Wäsche waschen und aufhängen gehe ich über die kleine Steinbrücke. Unten sehe ich ein paar Leute auf der Wiese sitzen, manch einer badet seine Füße im Fluss. Oh das spricht mich an, das will ich auch machen. Ich gehe nach unten und treffe dort auf Dominik, den Kanadier. Wir stehen beide Füße badend im Wasser, welches eiskalt aber toll ist, und tauschen uns über unsere Erfahrungen aus. Er hat wohl eine fürchterliche, schlaflose und schmerzgepeinigte Nacht hinter sich. Oh man, er tut sich schon einiges an so krank den Weg zu gehen. Er tut mir wirklich leid. 

Ich mache mich auf den Weg Nina zu treffen. Sie sitzt auf einer Bank im Ort und hat ordentlich Fußschmerzen. Nun so wie sie losmarschiert ist wundert mich nichts. Sie sollte im weiteren Verlauf auch tatsächlich den Weg abbrechen. Aber hier gehen wir zusammen in einen kleinen Laden was einkaufen, Essen für morgen, und trinken noch einen Kaffee. Ich gehe noch zu einer Apotheke, denn ich habe das mit der Sonne total unterschätzt, und bekomme dort Sonnenschutz mit Faktor 50, 30 reicht hier nicht. 

Happy gehe ich mit meiner neuen Errungenschaft von dannen. Gegen 18 Uhr finden wir uns an ein paar Tischen und Stühlen draußen vor einer Bar ein. Martina und Sabine sind auch zugegen, das ist toll. Zu zweit gehen wir in die Bar und stehen in einer kleinen Schlange, um Essen zu ordern: Pilgermenü in oben beschriebenen Varianten. Vor uns drei Koreaner, die nicht aus dem Quark kommen, oh man, wir stehen uns die Beine in den Bauch. Dann sind wir dran und werden nicht beachtet. Jetzt werde ich echt sauer, das kann doch wohl nicht wahr sein. Ich spreche den Typ hinter der Bar einfach an, dass wir jetzt bestellen wollen, ja einen Moment, un momento, lento! Langsam! Mich kotzt dieses Ignoriert werden echt an, zumal sie einen gerade reinkommenden Spanier vorziehen. Vielleicht hat das damit zu tun, dass ich eine Frau bin und dann noch blond? Ich weiß es nicht und spreche nachher mit den anderen Mädels über meine bisherigen Erfahrungen. Sie haben das bisher so noch nicht erlebt, aber lange warten ist scheinbar an der Tagesordnung. 

Endlich kommen wir ran, bekommen ein kleines Alarmgerät in die Hand gedrückt, wenn das Essen fertig ist, dann piept es, und zwei große Bier, schön. Dann sind Martina und Sabine dran. Zusammen essen wir an unserem kleinen Tisch. Das Essen ist gut und reichhaltig, das Bier tut seine Wirkung, es wird sehr lustig. Ich bin total happy, dass ich die drei kennengelernt habe. Das hatte ich in Frankreich ja weniger gehabt, dass ich abends zusammen mit anderen sitzen und mich über die Erlebnisse austauschen kann und sie auch noch verstehe, toll. Das gefällt mir total gut hier. Beim Pilgern brauche ich das nicht unbedingt, aber abends ist das schön. Wir sitzen lange da draußen und beobachten inklusive Kommentaren unsererseits einen älteren Herren, der ein Parkplatzschild in größerer Höhe anbringt. Siesta ist vorbei, abends wird noch mal rangeklotzt. Besser is!

Wir verabschieden uns und ich gehe wieder über die Brücke in mein Zimmer, welches immer noch schön kühl und auch ruhig ist. Ich bin sehr happy, dass ich nicht in die Albergue mit den vielen anderen gegangen bin, das hätte ich jetzt nicht haben wollen. Aber klar, ich habe denen vorher abgesagt, das, finde ich, sollte man auch immer machen. Leider machen das viele nicht, das ist wirklich ein Problem hier. Denn dann warten die Gastgeber, sagen anderen Leuten ab und dann kommen die erwarteten Gäste nicht. Doof ist das, das macht man einfach nicht, finde ich. 

Ich habe eine angenehme ruhige Nacht. Frühstück wird es hier nicht geben und ich entscheide mich morgen früh aufzustehen, damit ich vor den Horden loskomme. Meine Albergue befindet sich direkt am Fluss, man kann das Rauschen im Hintergrund hören, und liegt auch direkt am Weg. Dann kann ich gleich morgen früh losgehen und kühl ist es dann außerdem noch. Im weiteren Verlauf sollte meine Startzeit immer früher werden, da Wandern bei 35 Grad einfach nicht der Hit ist. Morgens ist es noch angenehm. Nun denn. 

Ich höre nun noch ein anderes Hörbuch als das von Hape, da er ja nun nach Roncesvalles aufgrund seines lädierten Körpers einiges ausgelassen hat. Gute Nacht! Buenas noches!

14.5.22

Zubiri nach Pamplona

24 km

Kühl ist es am Morgen, als ich um 7 Uhr aus der Türe trete. Weit und breit keiner zu sehen, toll, los geht’s! Leider hat meine Sprunggelenksbandage beim Anziehen morgens den Geist aufgegeben, da war noch nähen angesagt, so ein Mist, denn die brauche ich wirklich. Nun, vielleicht finde ich ja in Pamplona was Neues in einer Farmácia, einer Apotheke.

Es geht einen schönen Steinplattenweg im Dickicht entlang. Ich höre Stimmen im Hintergrund, die ersten Pilger des Tages, es sollten noch viele folgen. Weiterhin mache ich mir Gedanken, nun so auf Pamplona zugehend, ob ich den Camino doch noch wechsele, da es mir zu viele Leute sind. Aber wie? Gut, ich könnte von Pamplona sicher mit Bus nach Irún fahren und dort dann starten. Oder ich fahre nach Saint-Jean-Pied-de-Port zurück. Alles kommt mir sehr kompliziert vor und nervt mich einfach nur noch. Ich möchte eigentlich nur in Ruhe einen Fuß vor den anderen setzen und in der Natur sein. Mehr will ich ja gar nicht. Aber es ist hier nun mal wie es ist. 

Man muss auch bedenken, dass zwei lange Coronajahre nicht so viel hier am Start war, die Welt ist komplett ausgeblieben und auch viele Europäer sind nicht gepilgert. Jetzt ist alles wieder möglich und alles kommt zusammen. Außerdem hat Papst Franziskus das Heilige Jahr um ein Jahr verlängert. Man spricht von einem Heiligen Jahr, wenn der Jakobustag (der 25. Juli), also der Namenstag des Heiligen Jakobus auf einen Sonntag fällt. Die Puerta del Perdón der Kathedrale in Santiago ist nur an diesem Tag geöffnet. Wenn man hier hindurch geht, dann sind einem auf ewig alle Sünden vergeben. Aha! Für mich bedeutet das nun, dass hier viel los ist. Aber gut, weitergehen und schauen wohin es mich nun führen wird. 

Ich komme an einem Haus vorbei mit der Aufschrift: Welcome to the basque country. Ja ja, die stolzen Basken. Zum Glück hat man ja nun die Waffen niedergelegt und es gibt keine Attentate mehr. Davon habe ich ja schon im vorherigen Bericht erzählt. An der ein oder anderen Häuserwand sind aber noch Parolen der Zustimmung zur ETA und deren Anliegen zu entdecken. 

Die Sonne schleicht sich über die Bergspitzen und beleuchtet schon den ein oder anderen Flecken. Weiter geht es an bemoosten Steinmäuerchen entlang, welch schöner Weg. Kurz vor Akerreta habe ich schon wieder einige Pilger um mich rum und entscheide kurzerhand noch vor der Brücke einen kleinen Weg ins Dickicht zum kleinen Flüsschen zu gehen. Hier möchte ich nun Pause machen und frühstücken. Kauend denke ich nach und die Tränen rollen. Mich überfordert das sehr und ich kann mich kaum wieder einkriegen. Warum das jetzt alles hier? Habe ich in diesem Jahr nicht schon genug aushalten müssen, was soll das? Ich will einfach nur weg von allem, einfach nur Ruhe, Stille, alleine sein, Gott wiederfinden. Mir fällt mein Kärtchen aus der Pilgerherberge in Würzburg in die Hand. Der Spruch ist mir sehr wichtig und den habe ich einfach mitgenommen: Er kam hinzu und ging mit ihnen (Lukas 24,15) Es geht um die Emmaus-Jünger, die frustriert und ohne Perspektive nach Hause gehen, nachdem das dunkelste passiert ist, was überhaupt passieren konnte: Jesu Kreuzigung. Da kam er hinzu, sie erkannten ihn aber nicht. Sie gingen gemeinsam und luden ihn zu sich nach Hause ein. An der Art des Brotbrechens und wie er mit ihnen redete erkannten sie ihn dann. Jesus kommt hinzu und geht auch mit mir. Ich sitze da am Fluss und bete. Eine Erleichterung macht sich in meinem Herzen breit. Ja, er kommt hinzu und geht mit mir. Ich werde diesen Weg gehen, es ist mein Camino und ich gehe meinen eigenen Camino mit Jesus zusammen. 

Frohgemut springe ich hoch, schultere meinen Rucksack und befinde mich kurzerhand wieder auf dem Weg Richtung Pamplona. Mein Herz ist offen. Wenig später geht es parallel wieder am Fluss Arga entlang, der ja dann auch durch Pamplona fließt. Es folgt ein schmaler Weg bergauf mit Abgrund in die Tiefe und Blick ins quietschgrüne Tal, wunderschön. Nach einer Weile bin ich auch wieder komplett lonesome unterwegs, plötzlich sind alle verschwunden, komisch ist das. 

Wiederum bergauf, jetzt mit teilweise eingebauten Stufen schnaufe ich mich vorwärts, bleibe aber immer wieder hier und da stehen um mir die schönen Wiesenblumen anzuschauen, die rechts und links des Weges wachsen. Meine Blumen-App leistet wieder ganze Arbeit und somit kann ich sie auch alle bestimmen. Eine Pilgerin nähert sich ebenfalls schnaufend und wir kommen ins Gespräch. Es ist Joyce aus den Niederlanden. Sie ist auch begeistert von den Blumen und so tauschen wir uns auf Englisch aus und gehen gemeinsam weiter. Da mein Herz immer noch offen ist, ist das für mich jetzt auch schön ein bissel zu quatschen. 

Das wunderschöne pinkfarbene Knabenkraut blüht am Wegesrand, ein Natternkopf, noch ganz klein, lugt aus dem Boden hervor und auch die ein oder andere Distel zeigt schon ihre pinkfarbene Blüte und sieht anhand der schon großen Blätter aus, als ob sie noch riesig werden sollte. Lila, Pink, gelb und weiße Tupfen sind über die Wiese verteilt und der wundervolle Duft des Ginsters umgibt uns.

Wir kommen an der steinernen Brücke über den Fluss Ulzama, welcher später in den Arga fliest, kurz vor Viloria an. Auf der anderen Seite wartet ein Herr und eine tatsächlich geöffnete Kirche auf uns. Der Herr wirbt für den bald beginnenden Gottesdienst. Wir schnacken etwas auf Englisch-Spanisch, dann gehen wir aber weiter. Ich brauche eine Pause und möchte mich mit einem kalten Getränk irgendwo in eine Bar setzen, Joyce geht es ähnlich. So steuern wir gerade auf ebendiese zu und setzen uns mit Bocadillo, Kaffee und kalten Orangensaft raus. Tatsächlich werde ich drinnen auch bedient und das sogar auf Spanisch, toll finde ich das. Oft bestelle ich auf Spanisch und man antwortet mir auf Englisch, finde ich doof, aber diese Frau hinter dem Tresen ist prima und ich gehe erleichtert wieder raus zum Tisch. Genug der doofen Erfahrungen mit Bars und Restaurants.

Es ist schön jetzt hier nicht alleine zu sitzen, sondern zu zweit. Wenig später kommt Nina ums Eck und setzt sich dazu. Gut gestärkt brechen wir nun zu dritt auf. Viloria ist schon ein Vorort von Pamplona und somit wird es nun städtisch. Wir gehen die lange Calle Mayor schwatzend entlang. Ein kurzer Abstecher für mich in eine Farmácia wegen einer Sprunggelenksbandage folgt. Mit Händen und Füßen erkläre ich ihr was ich brauche. Nun ich habe zwar eine neue gekauft, aber der Hit ist die nicht. Egal, weitergehen. Wir kommen an einem Park am Río Arga an. Joyce und ich wollen noch ein bissel Entspannung und auf der Wiese liegen, bevor es in die geschäftige Stadt geht. Nina geht weiter. Wir liegen am Fluss und es schneit. Die großen Schwarzpappeln verbreiten ihre Pollen quer über den Fluss und sie bleiben am Wegesrand als große Wattehaufen liegen, toll sieht das aus.

Wir brechen sodann auf und überschreiten wenig später die kleine alte Steinbrücke Puente de la Magdalena zur Pamplona-Altstadt. Pamplona (baskisch Iruña) ist die Hauptstadt der Region Navarra und liegt in den Pyrenäen-Ausläufern. Es geht zur Festung bergauf, eine dicke und hohe Stadtmauer erwartet uns und mit ihr das Portal de Francia, welche Richtung Altstadt durchschritten wird. Wir werden begrüßt von nicht weit entfernter Blasmusik, aha, jetzt geht es also los mit der Bambule. Es ist Wochenende und ich sollte auch im weiteren Verlauf feststellen, dass in den Städten am Wochenende immer ordentlich Halligalli ist. Man hat das Gefühl, als ob es immer irgendwelche Festivitäten gibt, das kann sein, muss aber nicht. Wochenende ist Partyzeit und das ganze Volk feiert bis tief in die Nacht. Hier in Pamplona ist aber zusätzlich noch ein Event, das verschärft das Ganze noch. 

Es ist Triathlon und die Triathleten laufen quer durch die Stadt und landen dann am großen Hauptplatz, wo schon Bühnen aufgebaut sind. Überall gibt es Blaskapellen, viele Menschen, die lachen, trinken, tanzen. Die Stadt ist bunt und Corona ist sowieso nicht mehr aktuell. Ich staune ehrlich gesagt, so war bei uns in Deutschland echt noch Corona-Programm angesagt. Hier jedoch existiert Corona nicht, es sei denn man sitzt im Zug oder Bus, da ist noch Maskenpflicht. Ach ja und in Apotheken. 

Wir treten in die Calle Carmen ein, hier soll unsere Albergue sein, Joyce kommt auch hier unter. Ich bete noch: Bitte nicht im Voll-Lärm, aber mein Gebet wird nicht erhört. Genau vor dem Eingang steht die Blaskapelle, oh oh. Wir werden in das Mehrbettzimmer gebracht. Ich habe mich schon total drauf gefreut, denn es sah in Booking.com sehr nett aus, Schlafkojen mit Vorhang, so dass man ein bissel Privatsphäre hat. Aber letztendlich ist es nur eng, der Vorhang defekt, hängt schräg, die Duschen winzig, das Klo stinkt, der Innenhof ist verdreckt mit Kippen und alten vergammelten Plastikstühlen. Ich stehe unschlüssig und überfordert im engen Raum und versuche irgendwie meine Sachen zu sortieren. Unter dem Bett ist Stauraum, wo der Rucksack deponiert werden kann. Überflüssigerweise kommt jetzt noch ein Typ, der das Bett unter mir hat, und wurschtelt auch rum. Ich verkrümele mich in die Minidusche, die vor sich hin pieselt. Oh man! Ich treffe auf Martina, die auch hier untergekommen ist. Sabine ist woanders und Nina hat sich für ein Hotel entschieden, wo sie auch zwei Nächte bleiben wird, da die Füße oder Beine gerade nicht mitmachen. 

Als ich dann soweit sortiert und wiederhergestellt bin mache ich mich auf durch die bunte geschäftige Stadt. Hübsch ist sie. Die Häuser farbig gestaltet, nette Altstadtgassen, Bars hier, Cafés da, ein hübscher Brunnen und erhöht auf einem Hügel die sandfarbene Kathedrale von Pamplona. Der Hauptplatz heißt hier Plaza del Castillo und ist mit Buden und Bühnen bestückt. Die Triathleten werden nachher hier einlaufen. 

Da mein Bikini aus dem Jahre 1995 erstaunlicherweise nun doch seinen Geist aufgibt :-), gehe ich in einen Bikini-Shop und hole mir einen neuen. Der spanischen Sprache nicht so mächtig wird es teilweise echt lustig, aber wir verständigen uns gut und jeder weiß ja auch worum es geht. Stolz komme ich mit meiner neuen Errungenschaft nach draußen, suche mir meinen Weg zu einem großen Kaufhaus, um nach einem langärmeligen Hemd zu schauen, denn die Sonne brennt erbarmungslos, auch mit Faktor 50. Aber ich komme ohne neues Hemd wieder raus, ist auch halb so wild, geht auch so. 

Per What’s app verabreden Sabine, Martina, Nina und ich uns für später. Wir schlagen uns durch die Menschenmenge, die nun deutlich zugenommen hat. Wir wollen Tapas essen gehen, denn Pamplona ist die Stadt der Tapas, hier sollen sie wohl herkommen. Wir werden von einem Herrn in eine Bar gelotst und suchen uns vorne an der Vitrine unsere Tapas aus. Dazu gibt es ein schönes Bier und einen lautstarken großen Fernseher an der Decke auf dem ein Pelota-Spiel stattfindet, vielleicht sogar irgendwelche Meisterschaften, denn es wird viel gegrölt. Pelota ist, wie ich ja schon im Bericht davor erwähnt habe, ein baskisches Ballspiel ähnlich dem Squash und wird im gesamten Baskenland leidenschaftlich gespielt. 

Die Tapas sind lecker, kleine Appetithäppchen mit Oliven, Garnelen, Ziegenkäse mit Honig und Jamón auf einer Scheibe Weißbrot, Sardellen, Schafskäse und Paprika mit Chorizo, die spanische feurige Salami. Lecker ist das. Dazu gibt es Patatas bravas, knusprige Ofenkartoffeln und fritas, die Pommes. 

Wir sind eine lustige Runde und lachen viel. Das macht richtig Spaß und ich bin total happy, dass wir hier alle wieder zusammen gekommen sind. So alleine in so einer Party-Stadt, das wäre jetzt nicht schön. Das ist das schöne hier auf dem Camino Francés, das muss ich jetzt mal so sagen, dass man abends nicht alleine ist. Draußen ist eine Blaskapelle in vollem Gang und die Leute tanzen und singen, das macht Lust auf mehr. Wir stellen uns nach dem Essen dazu und tanzen etwas mit, ich zumindest. Ich könnte jetzt noch weitermachen, aber die drei anderen sind da etwas verhalten. Nun gut, dann lassen wir das. 

Der letzte Triathlet ist nun auch im Ziel und somit kommen wir jetzt besser durch die zuvor abgesperrten Straßen, die Straßen wo dann im Juli die Sanfermines stattfinden, wo dann auch der bekannte Stierlauf abläuft. Die Tiere werden durch die Straßen Richtung Stierkampfarena gejagt, wo sie dann abgeschlachtet werden. Waghalsige oder besser gesagt bekloppte Typen springen dann vor die Tiere und finden es toll, wenn sie umgerannt werden, dass soll mal einer verstehen. Da ist eine ganze Woche dann hier Ausnahmezustand. Generell war es bisher immer noch nicht möglich die Stierkämpfe, so wie sie hier in Spanien laufen, zu unterbinden, zu verbieten. Es sei ja Tradition und die müsse man doch wahren und all so ein Mist. Und so macht man einfach weiter. Für die Tiere ist es Quälerei und viel viel Schmerz. Darüber darf ich gar nicht nachdenken, dann könnte ich brechen. Hierzu muss man sagen, dass die Mehrheit der Spanier bei einer Abstimmung zur Abschaffung des Stierkampfes 2007 dafür waren, aber man hat am Ende das ganze zum Kulturgut erklärt und somit ist alles so geblieben, vor allem das Leiden der Tiere. Die Spanier haben es mit der Tierliebe leider nicht so, da habe ich schon einiges gehört. Vieles hört man ja auch über die spanischen Hunde und wie die behandelt werden. Nun, reden wir nicht drüber. Zum Glück ist heute nichts dergleichen am Start. 

Wir verabschieden uns und gehen jeder in seine Kojen. Es ist unglaublich, aber ein schrilles gleißendes Licht bleibt die ganz Nacht über an und mein Vorhang ist, wie gesagt, nicht ganz funktionell, somit scheint es in die Koje rein. Oh man, bin ich froh, wenn ich hier wieder weg bin. Aber nun muss ich mich irgendwie damit arrangieren, hilft ja alles nichts.

15.5.22

Pamplona nach Uterga

19 km

Nach einer weniger guten und leider aufgrund des defekten Vorhangs hellen Nacht, springe ich von meinem Hochbett. Es dämmert draußen und der ein oder andere ist schon am wurschteln, ein großer Teil hat wohl aber gefeiert und schläft noch. Ich versuche im Halbdunkeln alle meine Plünnen zusammenzuraffen und gehe in den dreckigen Innenhof um alles zu packen, damit ich keinen störe. Leider habe ich dabei meine Schlafshorts liegen gelassen, welche jedoch im Verlauf nicht das einzige verloren gegangene Kleidungsstück sein sollte. So in Mehrbettzimmern alles beieinander zu behalten ist nicht ganz einfach. Nun, muss auch ohne gehen. Ich mache mich alsbald auf den Weg. Pamplona ist nun in Stille getaucht, das Fest ist vorbei, alle schlafen noch, außer die Müllabfuhr, die hat wirklich einiges zu tun, es sieht abenteuerlich aus. Ich gehe die Calle Carmen weiter runter und treffe wenig später auf Sabine, das freut mich außerordentlich. Wir gehen zusammen aus der Stadt raus, halten noch an einem Bäcker und frühstücken dort. Weiter geht’s. 

Wir schlendern schwatzend die Straße hinunter, durch eine Grünanlage und später an der Uni vorbei. Die Stadt findet allmählich wieder ihr Ende und es geht ins Grüne, das ist auch wieder schön. Sabine ist schneller als ich, da ich permanent fotografierend zum halten komme. Es geht an quietschgrünen Feldern vorbei, ein Feld ist noch in Rapsblüte, der Mohn steht verteilt am Wegesrand und der Wanderweg schlängelt sich gemächlich bergan. Wunderschön ist es hier. Ich blicke zurück auf die Stadt, die wahrscheinlich nun so langsam wieder in die Gänge kommen wird, sicher um heute Abend weiter zu feiern, wer weiß. 

Aus dem breiten Sandweg wird ein Steinplattenweg. Es hat sich mit den Leuten etwas verlaufen, vereinzelt kann ich welche in der Ferne erkennen, schön ist das. Auch in der Ferne sind Kirchenruinen zu erkennen, der Weizen wächst in Wellen über eine riesige Fläche und die Grillen fangen langsam an zu zirpen. Vor mir befindet sich die Bergkette mit den vielen Windrädern, 40 sollen es sein, da muss ich heute rauf, auf die Höhe Alto del Perdón mit den Blechpilgern, da freue ich mich schon drauf. 

Weiter höher im speziell benannten baskischen Ort Zariquiegui steht eine kleine Kirche, die San Andrés, und es gibt einen Wasserhahn, Zeit für eine Pause. Ein paar Pilger sitzen auf dem Steinmäuerchen oder den Bänken neben der Kirche. Sie ist tatsächlich geöffnet, das sollte ein Grund zum Feiern sein, aber mir ist gerade nicht nach Kirche und in mich gehen, dazu ist das hier alles viel zu spannend, schön und aufregend. Somit esse ich mein selbstgemachtes Bocadillo mit Chorizo, hau mir ordentlich Wasser rein, denn der Planet brennt mal wieder und somit ist viel trinken angesagt, und mache mich wieder auf den Weg, als kein anderer sich auf macht. Möchte doch lieber alleine sein. 

Der Weg wird nun steiler und schmaler, windet sich an Ginsterbüschen und Thymian entlang. Die Hügel in der Ferne sind entweder leuchtend grün, das ist die Gerste, oder gelb, das ist der Ginster, toll. Schnaufend gehe ich in der Einsamkeit bergauf, das gefällt mir gut. Eine kleine Eidechse huscht vorbei. Oh man, passt doch mal auf, bin fast raufgelatscht. Ich bin mal wieder froh über meine Bastones, meine Wanderstöcke, denn es wird steiniger. Nicht so schlimm wie vor Zubiri, aber doch vorhanden. Je höher ich komme, desto windiger wird es. 

Die Passhöhe Puerto del Perdón ist alsbald erreicht, hier stürmt es. Der Wind ist kühl, was bei der vielen Schwitzerei bergauf gerade echt gut tut. Rechterhand befindet sich das Denkmal mit den Blechpilgern, linkerhand sitzen Sabine und Martina auf einem Stein und winken mir zu. Das ist ja schön, da freue ich mich. Die Blechpilgertruppe bilden diverse Menschen, Esel, Hund und Co dar, die eben auf dem Pilgerweg unterwegs sind, die ich tatsächlich auch in Natura gesehen habe. Einige haben ihre Hunde mit dabei, einer ist mit Esel unterwegs gewesen, zwei mit Pferden, schon spannend. Das habe ich bisher nicht erlebt. Ah doch, in Franken traf ich die Truppe, die mit Lamas unterwegs waren, auch interessant. Naja und einige Invaliden sind auch mit am Start. Da war einer, der einen Blinden führte oder einer mit Krückstöcken, der älteste war tatsächlich über 80. Ein kunterbunter Haufen, kann man nicht anders sagen. 

Der Wind pfeift mir um die Ohren und ich bin happy. Ich mache Pause, wir schnacken etwas und machen uns zu dritt auf den Weg nach unten Richtung Uterga

Es geht ein Treppchen bergab und weitergehend über einen recht abenteuerlichen, steinigen, teilweise staubigen Weg. Wir hangeln uns entlang der Steinsbrocken, an dem ein oder anderen verkrüppelten Baum vorbei. Die Grillen sind nun voll in ihrem Element, die Sonne brutzelt vom Himmel, das fühlt sich wirklich sehr südländisch an. Nun ja, ist es ja auch, obwohl wir uns ja doch ziemlich weit im Norden Spaniens befinden. Aber ich wollte es gar nicht glauben, ich sollte die ganze Tour nicht einen Tropfen Regen abbekommen, das habe ich auf keiner Tour bisher erlebt. Jeden Tag Sonne, mal ein Tag ein bissel verhangen, aber immer schön, wenn doch auch ziemlich hot. Eine Hitzewelle, wahrscheinlich aus der Sahara kommend haben Spanien und Frankreich überrascht. Temperaturen von bis zu 35 Grad waren auch mit dabei. Somit bin ich jeden Tag früher losgegangen, denn so warm es auch tagsüber war, nachts kühlte es schön ab und morgens war es sehr angenehm mit dem Wandern. Man muss sich halt den Gegebenheiten anpassen. Somit sollte ich die nächsten Tage immer so um die Mittagszeit, spätestens um 14 Uhr meinen Zielort erreichen. Die größte Hitze kam dann nachmittags immer. 

Aber ich muss sagen, ich bin heilfroh, dass ich im Frühling unterwegs bin, denn alles ist noch wunderbar grün, alles blüht und die Nächte sind angenehm, das sieht dann später Ende Juni schon anders aus. Also im Juli bis September würde ich nicht hier laufen wollen. Aber muss ich ja auch nicht. 

Sabine ist die schnellste und läuft vor, ich mache ja immer wieder Fotos und hänge hinterher, Martina folgt mir auf den Fersen. Die Erde ist rötlich, dorniges Gestrüpp wuchert über den Boden, Steineichen spenden ab und zu mal Schatten. Es kommt eine schattige Bank in Sicht, yeah, die ist unsere. Wir packen uns zu dritt da rauf, ich lüfte meine Füße und schmiere sie danach wieder mit Hirschtalg ein. Damit fahre ich wirklich sehr gut, ich habe keine Blasen mehr. Viele, die hier unterwegs sind haben jetzt schon fette Blasen, ich beneide sie nicht, das ist wirklich nervig und schmerzt. Nein, meine Schuh-Bandagen-Hirschtalg-Kombi funktioniert hervorragend. 

Wir machen eine ausgiebige Pause. Mit frischer Kraft geht es dann steinig weiter bergab, Uterga liegt 250 Höhenmeter tiefer als der Pass und diese Höhenmeter haben es in sich.

Unten kommen wir auf eine saftig grüne Ebene, die rote Erde und das Dorngestrüpp liegen hinter uns, es wartet die Polizei vor uns. Oh je, was ist los? Haben wir was verbrochen? Wir überlegen, na wir sind vorhin über eine rote Ampel gegangen. Aber das kann es doch nicht sein oder doch? Die Fußgängerampeln in Pamplona fand ich toll, das sollte man hier auch mal einführen, die zeigen nämlich immer an, wie viele Sekunden man noch warten muss, dann kann man sich besser drauf einstellen. Nun, wir sind trotzdem über rot gegangen, war ja keiner da. Die Polizistin grüßt uns. Ob es uns gut ginge, ob wir Wasser oder Medikamente bräuchten. Na das ist ja mal nett. Die Polizei ist dafür da, dass es den Pilgern gut geht. Wir bedanken uns herzlich und sind gerührt. Nun, mittlerweile ist es echt heiß geworden, vielleicht bricht da mal der ein oder andere zusammen. Im weiteren Verlauf habe ich auch einige Kreuze, Gedenken an verstorbene Pilger gesehen. Das ist schon unheimlich, finde ich. Es sind einige hier auf der Strecke geblieben. Das kann an Überanstrengung gelegen haben, aber sicher auch daran, dass hier auch Alte und Kranke unterwegs sind. Also ist nicht ganz unberechtigt die Sorge. Nun wir verabschieden uns und gehen weiter direkt nach Uterga hinein.

Ein kleines Dorf mit wunderschönen baskischen Häusern, einer kleinen, leider geschlossenen Kirche mit freihängenden Glocken, ein Brunnen begrüßt uns mit frischem Wasser. Zwei Pilger sitzen am Brunnenrand und schütten sich das Wasser über den Kopf. Wir gehen die Straße hinunter, es gibt links und rechts eine Herberge, meine ist die rechte. Auf der Terrasse linkerhand sehe ich Joyce sitzen und begrüße sie freudig. Sie ist schon sehr früh angekommen und sitzt mit einem Bier vor sich am Tisch. Sabine möchte weitergehen und so verabschieden wir uns. Martina entscheidet sich später doch auch hier zu bleiben.

Ich habe ein Einzelzimmer gebucht und bin heidenfroh, dass ich das gemacht habe, denn der Bettensaal ist eng und mit vielen Betten vollgestopft. Ich muss durch den ganzen Raum nach hinten gehen und habe da mein Zimmer  mit  Bad, einem großen Ehebett und einem Ersatzbett an der Wand. Es ist angenehm kühl. Der Blick aus meinem Fenster zeigt einen schönen Garten mit Liegestühlen, im Hintergrund höre ich jemanden Gitarre spielen. Martina hat ganz vorne das Doppelstockbett und dann auch noch oben, hmm! Ich bot ihr noch an, dass sie in meinem Zimmer mit schlafen kann, aber sie lehnte ab. 

Die Albergue ist noch voll geworden und als später ein älterer Herr mit hochroten verschwitzten Kopf reinkam, den ich auch schon mal gesehen habe und hoffte, dass er seinen Herzinfarkt nicht in meiner Nähe bekäme, und nach einem Bett fragte, welches aber nicht mehr vorhanden war, gab Martina ihres an den Herrn ab und kam in mein Zimmer. Schön, so haben alle was von und der Herr überlebte. Da könnte ich mir vorstellen, das so jemand auf der Strecke bleiben könnte, aber wir sollten ihn unterschätzen, wir sahen ihn später wieder, ebenfalls mit hochroten Kopf, aber am Leben, nun denn. 

In jeder Albergue gibt es Waschmöglichkeiten, meistens auch mit Waschmaschine, manchmal auch mit Trockner. Wir schmissen zusammen und wuschen Wäsche, muss ja doch mal richtig sauber werden. Draußen hängt eine Wäscheleine in der Sonne, das trocknet dann schnell. Ich packe mich nach der Dusche auf einen Liegestuhl und genieße das Gitarrenspiel des einen Pilgers. Ein laues Lüftchen weht und ein gutes kühles Bier tut sein übriges. 

Ich mache noch einen kleinen Rundgang durch den Ort, wollte ja eigentlich die Kirche aufsuchen, die ja aber, wie schon gesagt, geschlossen hat. Dafür gibt es hier in der Albergue einem kleinen Gebetsraum, das finde ich ja großartig. So knie ich mich hier in Stille hin und gehe in mich. Was habe ich in dieser kurzen Zeit nicht schon alles erlebt, mir brummt der Kopf, viel viel Input, ich kann es manchmal kaum sortieren. Meine anfänglichen Gedanken den Weg abzubrechen, mich irgendwo an den Strand zu packen und zu entspannen oder den Camino del Norte zu gehen, habe ich ad acta gelegt. So langsam groove ich mich ein und ich habe auch das Gefühl, dass es sich seit Pamplona auch etwas mit den Leuten verläuft und nicht mehr so geballt ist. Ich bin einfach auch sehr erschöpft losgegangen, komme aber langsam wieder zu Kräften, auch wenn der Weg anstrengend ist. Aber die Ablenkung tut mir gut. Ich hoffe zu Hause ist alles okay. Ich whatsappe täglich mit meiner Mutter, bisher sind keine doofen Nachrichten gekommen. 

Wir essen in zwei Etappen und ich entscheide mich für den frühen Termin. War keine so gute Wahl, denn ich komme in den Raum, eine Horde Franzosen sitzt gemeinsam laut schwatzend am Tisch. Oh nee, Erinnerungen kommen hoch. Nee, da will ich nicht sitzen, da sitze ich nur rum und verstehe nichts und keiner redet mit mir. Ich entscheide mich für den englisch sprechenden Tisch, der aber auch nicht ohne ist, denn neben mir sitzt Paul, ein Engländer, der vor einer Weile seine Frau verloren hat, mit der er den Weg schon mal gegangen ist und ihn jetzt alleine geht, aber nicht wirklich kann. Er sucht permanent Anschluss und erzählt jedem seine Geschichte. Mittlerweile kennt ihn jeder. Er sucht sich gerne nette Mädels zum quatschen aus, die er beim Pilgern zutextet bis nach Meppen. Oh man, nun sitze ich hier. Aber gut, alles besser als die Franzosen. Es ist dann auch ganz nett, so habe ich mir seine Geschichte auch anhören können, er ist halt einsam, kann ich auch verstehen. 

Das Pilgermenü ist eine Katastrophe, alles auf einen Teller gepackt, der Reis von gestern hat schon eine leicht harte Konsistenz angenommen, das Fleisch eine Schuhsohle. Allein der Salat war okay, da kann man auch nicht so viel falsch machen. Dafür gab es ne Menge Wein, also einfach schöntrinken. Also ich fand das Essen schon frech, muss ich sagen. Aber was soll's, ist eben so. Martina und Joyce haben die zweite Essenszeit genommen. Nach einem Stieleis mussten wir dann aufbrechen, damit die nächste Truppe essen konnte, Futterzeit die Zweite.

Im Zimmer saßen Martina und ich noch lange auf unseren Betten und quatschen, das war schön. Morgen wird es wieder früh losgehen, denn ich habe einen langen Weg vor mir. 

16.5.22

Uterga nach Lorca

23 km

Ich schiebe mir schnell das nicht erwähnenswerte Frühstück rein und mache mich auf den Weg. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, aber es dämmert. Still ist es um mich rum, ich habe eine Pilgerlücke erwischt und gehe strammes Schrittes durch den Ort voran, damit ich weiter alleine sein kann. Aber nein, wen sehe ich da vor mir? Paul. Er bleibt auch sogleich stehen, tut so, als ob er was in seinen Taschen sucht und wartet so lange, bis ich aufgeholt habe. Er sagt „hi“ und „buen camino“ und geht dann an meiner Seite. Och nee, darauf habe ich jetzt gar keine Lust. Ziemlich wortkarg gehe ich neben ihm her, dann scheint er zu merken, dass ich für seinen heutigen Weg nicht die richtige bin. Ich verabschiede mich und gehe meiner Wege, puh, nee, keine Lust auf Gelaber. Er wird jemand anderes finden. Richtung Puente la Reina geht es weiterhin leicht bergab. Der Weg ist ein netter, die Luft angenehm kühl und die Sonne bescheint schon die ersten Hügelspitzen in der Ferne.

Ich erreiche kurzerhand Muruzábal mit seiner hübschen Kirche, von außen jedenfalls, denn von innen kann ich es mal wieder nicht beurteilen, das nervt echt. Also weitergehen Richtung Obanos, welches verlassen daliegt und auch eine hübsche, aber geschlossene Kirche hat, ich bin befrustet, denn ich habe gerade das Gefühl mich hinsetzen und beten, in mich gehen zu wollen. 

Der gelbe Pfeil lotst mich kreuz und quer durch den verlassenen Ort. Der ein oder andere Pilger folgt mir. Ich versuche immer wieder meinen Abstand zu wahren, denn ich bin am liebsten beim Pilgern alleine und mag es nicht, wenn ich von allen Seiten Gelaber höre. Das ist mitunter auf dem Camino Francés nicht ganz einfach, aber mitunter klappt es doch ganz gut, man muss nur manchmal Geduld haben. 

Die Sonne ist nun wieder voll da und wärmt schön, ja sehr schön sogar, will mal sagen: es wird hot! Aber alles besser als Regen, finde ich. Ich erreiche Puente la Reina, auch so ein sagenumwobener Ort, von dem ich schon so viel gehört habe, mit seiner tollen Brücke mal wieder über den Río Arga. Ich biege ab in die Altstadt. Eine scheinbar sehr alte Kirche, die Iglesia del-Crucifijo-Eliza, aha, befindet sich gleich am Anfang. Auf deren Dach wachsen einige Pflanzen, witzig sieht das aus. Und man mag es kaum für möglich halten, diese ist nun geöffnet. Wie geil ist das denn? 

Ich begebe mich in den dunklen Raum. Eine Frau sitzt in den Reihen, versunken im Gebet. Ich lege meinen Rucksack ab, verneige mich vor einem großen Jesuskreuz und setze mich ebenfalls. Es ist still, ganz still. Ich gehe lange in mich, mein Herz wird ruhig und weitet sich. Ich bete: Der Herr ist mein Hirte. Er kam hinzu und ging mit ihnen, er kommt hinzu und geht mir. Ich möchte alles annehmen wie es ist. Alles ist gut wie es ist. Und wenn es dunkel ist, dann wird irgendwann auch wieder Licht kommen. Wie sage ich immer so schön: Ostersonntag kommt bestimmt, denn es war schon immer so. Es bleibt nicht ewig Karfreitag. Die Frau steht auf und geht, ich bin alleine in der Kirche mit Jesus. 

Nach einer Weile verneige ich mich und gehe zu dem Kreuz, an dem viele Zettel mit Friedenstauben angeheftet sind. Jeder kann sich so einen Zettel nehmen und was rauf schreiben und Jesus zu Füßen legen. „Paz en el mundo“ steht auf dem einen: Frieden auf Erden. Seit Februar tobt der Krieg in der Ukraine, den die Russen begannen. Keiner weiß was da noch auf uns zukommt und es macht Angst. Viele Flüchtlinge sind auf den Weg gen Westen, mal wieder. Warum sind die Menschen nur so böse, so schrecklich? Immer wieder neu, immer das gleiche, keiner lernt vom anderen. Auf die Frage warum es das alles gibt, gibt es keine Antwort und wenn man noch so lange danach sucht. Eine große Inflation rollt da auf uns zu. Wir werden alle den Gürtel enger schnallen und uns im wahrsten Sinne des Wortes wärmer anziehen müssen. Aber, und da bin ich überzeugt, es wird auch wieder besser werden. Ich trete aus der Kirche in den Sonnenschein und bin geblendet, muss mich erst mal dran gewöhnen.

Mein Herz ist leicht und ich schreite frohgemut voran Richtung Brücke. Über eine schmale Gasse, die Calle Mayor, klar, kommt eine weitere Kirche in Sicht, die aber zu ist, nun, ist mir jetzt egal. Ich erreiche die schöne steinerne Brücke aus dem 11. Jahrhundert. Das nenne ich mal Qualität, steht heute noch, toll. Hier vereinigen sich der aragonesische (über den Somport-Pass) und der navarresische Weg (meiner). Wunderschön überspannt die Brücke den Fluss und spiegelt sich im Wasser, toller Anblick. Da kommt wieder so ein richtiges Pilgergefühl auf. Ich bin ein Jakobspilger, aber sowas von. Ich verweile.

Wenig später geht es wieder bergauf ins nächste Dorf, rechts von mir die Autobahn A12, welche uns bis Santo Domingo de la Calzada immer wieder mal in die Quere kommen wird. Durch sanfte Hügel geht es an grünen Wiesen entlang. Der rosa Lauch, von dem ich noch nie was gehört hatte, blüht am Wegesrand, die Schwarzwurzel gelb daneben, in der Ferne der Ginster, davon gibt es hier ja einige. Große Hundsrosen-Büsche mit weißen oder zartrosa Blüten und angenehmen Duft tauchen vor mir auf.

Gerne werden die Klamotten zum trocknen auch mal an einer Leine vors Haus gezogen, witzig sieht das aus

Schmetterlinge fliegen von einer Blüte zur nächsten, die Grillen zirpen, ein Schrei aus der Luft, schön! Schroffe Felsen ragen vor mir empor und ich befürchte, dass es alsbald auch wieder schön bergauf gehen wird. Der Magen knurrt und ich suche nach einem geeigneten Rastplatz irgendwo im Dickicht. Den finde ich sogleich und lege mich auf meinen Sarong, ziehe die Schuhe aus, lege meinen Kopf auf den Rucksack und döse etwas vor mich hin. Dann geht es ans Essen, meine eigene Bocadillo-Kreation und als Nachtisch ein paar Mentos, super Nervennahrung und richtig lecker. Die sollten mir diesen Pilgerweg hold bleiben. 

Nach einer halben Stunde mache ich mich erfrischt und erholt wieder auf den Weg und laufe aus dem Gebüsch geradewegs in eine Gruppe mit vier laut schwatzenden Italienern rein. Oh nee, da warte ich besser ab. Ich stehe so rum, dann kommt ein französisches Pärchen ums Eck, weiter warten! Dann wird es ruhig und ich mache mich alleine auf, den Berg steil nach oben zur Autobahn. Oben kann ich das blaue Autobahnschild schon erkennen, dazwischen gelber Ginster und die ein oder andere Zypresse. Schnaufend und zählend laufe ich an dem extrem langsam gehenden Paul vorbei, der sich eine Koreanerin zum Quatschen geangelt hat. Oh man, die Arme, aber sie sind in einem regen Gespräch vertieft. Ich überhole sie und komme oben an der Bergkuppe an. 

Ein Stück geht es an der Autobahn entlang, verlässt diese aber sogleich und es geht in den netten baskischen Ort Mañeru. Der gelbe Pfeil lotst mich durch das hübsche Örtchen. An der Kirche treffe ich auf Martina, na das ist ja mal eine Überraschung, so trifft man sich doch immer wieder. Wir setzen uns draußen vor die vorhandene Bar und trinken einen Kaffee. Ich freue mich jetzt mit ihr hier zu sitzen und nicht alleine. Wir beschließen dann auch gemeinsam weiterzugehen. 

Sie beklagt beginnende Fußschmerzen, nicht gut. Nun, wenn ich mir ihren Rucksack so anschaue, der sieht sehr schwer aus. Man muss mit dem Gewicht schon sehr haushalten. Man macht so seine Erfahrungen. Davon habe ich ja auch einige hinter mir. Ich erinnere nur an die nicht mitgenommene Regenhose und der darauffolgende Regen, der mir einfach in die Schuhe floss. Ich bin nie wieder ohne Regenhose pilgern gegangen, das war mir eine Lehre. Ich hatte auch schon einige Themen mit meinem Körper am Start gehabt, klar, Blasen an den Füßen, bis hin zu den extremen Schmerzen an den Sehnen am Sprunggelenk, wo ich in Rothenburg ob der Tauber fast hätte abbrechen müssen, auch meine Krampf-und Brechattacke in der Schweiz in Flüeli oder die Knieschmerzen in Biberach an der Riss. Ja ja, so einiges. Was mir nun hier am Ende auf dieser Tour widerfahren sollte, war dann auch nicht ohne, aber dazu später. 

Wir verlassen den gepflegten, hübschen Ort und befinden uns wieder in den Hügeln von Navarra. Die Pyrenäenausläufer haben wir lange hinter uns gelassen, das Land bleibt aber weiterhin bergig. Die ersten Weinberge kommen schon in Sicht, weitere werden dann natürlich in La Rioja, DEM Weinanbaugebiet Spaniens, noch dazukommen. Es gibt Mandelbäume mit kleinen grün-pelzigen Früchten dran, sogar der ein oder andere Olivenbaum ist zugegen. 

In der Ferne ist oben auf einem Berg der Ort Cirauqui auszumachen, welcher ebenfalls wunderschön ist. Wie unterschiedlich die Ortschaften doch sind. Manche sind einfach nur öde und nichtssagend, manchmal auch gammelig und oll und dann das hier, schön. Martina fängt etwas an zu humpeln, hmm. 

An einem Getränkeautomaten machen wir Halt und ziehen uns kalte Getränke und ein Schokolädchen. Das finde ich hier auf dem Camino auch toll. Man hat oft diese Automaten mit diversen Nahrungsmitteln für den hungrigen und durstigen Magen in den Ortschaften aufgestellt. Manchmal gibt es aber auch Pilgerwichtiges wie Zahnpasta, Deo und Co. Ich genieße ein kaltes Wasser und ein kühles Kitekat, wir machen Pause, was auch wirklich gut ist, denn der weitere Weg soll uns noch viel abverlangen. 

Der Weg windet sich nett durch den schönen Ort

Aus dem Ort raus geht es eine alte noch vorhande Römerstraße mit Pflastersteinen entlang über die ebenfalls uralte, halb zerfallene, kleine Römerbrücke und mal wieder über die Autobahn. Olivenhaine auf rotem Sand prägen nun das Bild. 

Ein weiteres kühles Wasser gibt es am Olive Garden. Hier haben ehemalige Pilger eine Raststätte aufgebaut. Man kann sich auf Stühlen unter Olivenbäume setzen, ein Buch lesen oder nur was trinken. Das haben die hier echt sehr nett gemacht. Das Wasser kommt sehr gelegen, mittlerweile ist es heiß geworden, das gelbe Teil da oben am Himmel brennt und es gibt keinen Schatten auf dem Weg. 

Martina ist mit ihrer langärmeligen Jacke unterwegs. Ich weiß nicht wie sie das aushält. Sonne hin, Sonne her, aber nur im T-Shirt für mich und mit Faktor 50.  Wir gehen weiter über schmale Wege bergauf und bergab. Unten an einem kleinen Fluss sehen wir die beiden, Vater und Sohn, aus Litauen, die wir auch schon kennen. Der Vater sagt nie ein Wort, versteht auch nichts, dafür redet der Sohn umso mehr und ist immer am Grinsen, speziell. Ich finde Menschen, die immer grinsen, egal was das Thema ist, irgendwie eigenartig. Nun denn. Sie liegen nackt nach einem Bad am Fluss und sonnen sich oder so. 

Nun geht es bergauf, einen schmalen Weg an Ginster und sonstigen Stechkram vorbei Richtung Lorca. Das Steil am Ende ist echt die Härte. Wir sind echt am kämpfen. Ich fange wieder an zu zählen, mache aber schon Pause bei 40, ich bin echt im Eimer, weiter geht’s. Nach langer und schwitziger Zeit komme ich schnaufend oben in Lorca direkt an der Kirche an. Ein kleines im Schatten liegendes Steinmäuerchen lädt zum verschnaufen ein. Oh man, ich kann echt nicht mehr. Ich hole alles Essbare raus, was der Rucksack noch so hergibt und schiebe mir alles rein. Martina kommt wenig später den steilen Abschlussberg hoch und sitzt neben mir. Es dauert lange bis wir wieder einigermaßen hergestellt sind. Wir gehen gemeinsam zu meiner Albergue. Auch hier werde ich in einem Einzelzimmer übernachten, welches wirklich hübsch ist, mit toller Aussicht in die umliegenden Berge.

Erschöpft, aber happy in der schönen Herberge angekommen

Martina möchte noch ein Getränk trinken und will dann weitergehen, was ich überhaupt nicht verstehen kann, denn sie ist echt im Eimer. Ein Deutscher begrüßt uns hinter der Bar und versorgt uns mit Kaffee und Wasser. Wenig später verabschieden wir uns. Ich bin traurig, denn das war richtig schön mit ihr. Nun bin ich wieder alleine. Nachdem ich wiederhergestellt bin schaue ich mir noch die Albergue an und finde neben einer kleinen Küchenzeile auch eine kleine Terrasse. Joyce, die Holländerin, sitzt dort an einem kleinen Tisch und schreibt. Das ist ja toll, wir begrüßen uns freudig und ich hole uns zwei Bier. Wir sitzen gemeinsam beim Bier und quatschen, das ist ja großartig. Abends gibt es dann noch ein großartiges Pilgermenu, ja so unterschiedlich können die Menüs sein, im großen Gemeinschaftsraum. Neben mir ein Filipino, mensch der kommt von weit her, gegenüber zwei Holländerinnen, es wird noch richtig nett. 

Später sitzen die beiden Holländerinnen und ich noch mit dem deutschen Albergue-Betreiber und quatschen darüber, wie es nun weitergeht, denn es gibt eine Variante. Na und da ich gerne alleine unterwegs bin, wollte ich eben eigentlich diese Variante nach Luquín gehen, die aber sehr bergig und anstrengend sein soll. Ich zweifel wieder an mir, ob ich das wirklich schaffen kann, bin ich doch heute sehr gefordert worden, na vor allem auch mit der Hitze, das ist schon nicht leicht. 

Auf dem Bett liegend überlege ich hin und her und entscheide mich letztendlich gegen die Variante und für den eigentlichen Weg, was dann auch eine gute Entscheidung war, denn die Albergue, in der ich dann unterkam, war toll und spirituell christlich orientiert. Tja, wo Gott einen manchmal so hinführt, seine Wege sind und bleiben doch immer unergründlich. 

17.5.22

Lorca nach

Villamayor de Monjardin

19 km

Die Sonne lacht, der Himmel ist blau und das Frühstück ist der Hammer, das Beste, was ich bisher hatte. Es gibt Cornflakes, Jogurt und Obst, Brot mit Marmelade, aber auch Käse, lecker Orangensaft, einen tollen Kaffee, schlemmen am Morgen. Eine grüne hügelige Landschaft wartet auf mich, einige Weinberge sind zugegen und weit im Norden sind die Pyrenäenausläufer zu sehen, die Richtung Westen dann übergehen in das Kantabrische Gebirge. Schroffe kahle Bergkuppen sind zu erkennen auf denen sich das Sonnenlicht ausbreitet. Ich gehe einsam einen schmalen Trampelpfad entlang, es duftet wunderbar nach leicht angefeuchtetem Grün, die Feldlerche trällert im Hintergrund ihr charakteristisches Lied, ich fühle mich wohl.

Der Weg wird breiter, mohnbewachsen, der ein oder andere Pilger kommt in Sicht. 9 km sind es bis Estella, eine lang gezogenes kleines Städtchen am Río Ega gelegen. Dort muss ich ein paar Einkäufe erledigen, auch muss wieder Geld her, mein erster Bancomat in Spanien, mal sehen wie das klappt. Ich komme kurz vor Estella an diversen geschlossenen Kirchen vorbei, ein beeindruckendes Kirchenportal auf der linken, auf dem Berg dahinter eine Schlossruine und eine Menge Pilger um mich rum. Mich nervt das etwas und so mache ich mich auf den Weg über eine kleine Brücke, überquere den Fluss, der wirklich sehr schön ist mit den umliegenden Häusern und gehe in die Altstadt. Ich irre etwas wahllos umher, gehe in eine kleine Panadería für ein medio pan, ein halbes Baguette, weiter zum Bancomaten La Caixa. Ja schön, den kenne ich noch aus Frankreich, eine baskische Bank, da hole ich mir mein Geld, das klappt auch gut. Weiter in einen kleinen Supermercado für Mentos, Salchicha und ein paar Galletas, Kekse. Ich setzte mich mit meinen neuen Errungenschaften auf eine Bank in die Sonne vor die Iglesia San Juan Bautista, wer auch immer das ist. Sie ist zu, klar. 

Irgendwie habe ich es mir hier schöner vorgestellt. Nun vielleicht bin ich auch in den falschen Gassen rumgeirrt. Ist nicht hässlich, aber auch nicht herausragend. Nach einer Weile will ich aber wieder aufs Land und schlängel mich mit meiner Kompass App durch den Ort und komme wenig später wieder auf den Jakobsweg. Auf einer Bank sitzend schiebe ich mir noch eine der herausragenden, saftigen spanischen Orangen rein, da kommt ein Pilger daher und erzählt mir auf Französisch, dass er Geldprobleme hätte, ob ich ihm was geben könnte. Ich sage ihm, dass ich nur ein wenig französisch rede, das ermuntert ihn dazu drauflos zu plappern. Oh man! Nun ich gebe ihm etwas Geld und erfahre später, dass es einige dieser Pilger auf dem Weg gibt, die sich so über die Runden halten. Was soll's. Ich breche getrennt von ihm auf und folge den an diversen Häuserecken befindlichen gelben Pfeilen in den Nachbarort Ayegui und dann endlich raus aus dem Städtischen einen seichten Berg hoch Richtung Irache

Hier gibt es eine Bodega, das sind die Weinkellereien, die tatsächlich außen am Haus einen Brunnen oder Wasserhahn für durstige Pilger bereitstellt, und zwar mit Wasser, aber daneben auch mit Wein. Das finde ich ja wieder kultig und zapfe mir ein wenig vom Rotwein ab. Nun, so richtig gut schmeckt er nicht, ich nehme auch nur einen Schluck, zum wandern ist das nicht gut, da bevorzuge ich doch das Wasser. Neben der Bodega befindet sich das Kloster Irache und daneben eine tolle grüne Wiese mit einer tollen Schatten gebenden Linde. Das ist mein Pausenplatz, hier lege ich mich hin und mache so richtig ausgiebig meine Siesta, schön.

Wenn Sie mit Kraft und Vitalität, von diesem großartigen Wein, in Santiago ankommen möchten, trinken Sie etwas und stoßen Sie auf das Glück an

Ich mache mich wieder auf. An diverse Weinranken vorbei geht es später teilweise zum Glück schattig am Waldrand und an quietschgrünen Gerstenfeldern entlang, im Hintergrund immer die entfernte Bergkette im Norden. Vor mir ein markanter kegelförmiger Berg mit der Burgruine von Monjardin oben drauf. Ab und an führt der Weg durch Kork-und Steineichenwälder, das ist sehr angenehm. Die mir doch unbekannten Bäume finde ich klasse. Die Steineichen sind als Eichen kaum zu erkennen, völlig andere Blätter und sie blühen in gelben Dolden. Generell sind sie eher klein, wenn ich da an unsere Eichen in Deutschland denke.

Es ist wieder sehr warm geworden und der vor mir liegende Berg nach Azqueta lässt mich ordentlich schwitzen. Oben angekommen suche ich mir eine Bar und setze mich mit einem eiskalten Orangensaft draußen hin. Eine Koreanerin sitzt mir am Tisch gegenüber, wir kommen etwas ins Gespräch, ein bissel verhalten, da sie des Englischen nicht so mächtig ist. Sie heißt Ran und wird auch in meiner nächsten Herberge unterkommen. Ich breche alleine wieder auf und entdecke am Ortsausgang einen älteren Herrn. Er sitzt dort auf einem klapprigen Stuhl mit einem noch klapprigeren Tischchen davor und winkt mich heran. Er hat einen großen Stempel in der Hand, spricht spanisch mit mir und riecht etwas streng nach Urin. Er lächelt mich mit einem teilweise zahnlosen Lächeln an und gibt mir einen tollen Stempel in mein Credencial. Ich freue mich sehr und wünsche ihm noch einen schönen Tag. So sitzt er hier wohl tagaus und tagein und wartet auf Pilger. 

Ich gehe einen schmalen Weg bergauf an dicken Felsbrocken vorbei. Zwei Bauern stehen in der bratenden Sonne und unterhalten sich. Ich grüße mit einem beherzten "Buenos días", sie antworten mit einem "Buenos días, buen camino", nett. 

Die Landschaft ist wirklich wunderschön und der Blick reicht nun weit in die Täler. Weiter oben kann ich schon den mittelalterlichen Maurenbrunnen aus dem 13. Jahrhundert erkennen, dahinter wird die Kirche meines Zielortes sichtbar. Am Brunnen angekommen schaue ich hinein, eine Treppe geht hinunter zu kühlem, plätschernden Wasser. Ich verweile. 

Nun geht es den Restberg hoch nach Villamayor. Die alte Kirche mit ihrem geschwungenen Vor-Portal sieht toll aus und würde mich zum Einkehren einladen, wenn sie denn geöffnet wäre. Ich versuchte es dann nach 17 Uhr auch nochmal, denn da öffnet mitunter die ein oder andere Kirche, diese jedoch nicht, kann man nichts machen. Blöd ist das, das muss ich jetzt mal sagen. 

Im Ort sehe ich auf einer Anhöhe meine Herberge für diese Nacht. Davor befinden sich ein paar Tische und Stühle, zwei Pilger sitzen schon dort und ruhen sich aus, ein Wäscheständer steht in der Sonne, ein paar T-Shirts werden vom leichten Wind durchlüftet, es ist still. Ich bin noch früh und kann noch nicht einchecken, aber ich bekomme ein erfrischendes Wasser vom Hospitalero, so heißen die Herbergsleute hier, oder eben das weibliche Pendant, die Hospitalera. Das ist doch mal ein netter Empfang. An der Wand sehe ich ein Schild: Jesus @ 20.30 Uhr. Aha, was heißt das wohl? Aber es hört sich gut an, hier ist man also gläubig. Ich setze mich an den Tisch neben Verena, die ich schon in Lorca gesehen hatte, wir hatten aber keinen großen Kontakt gehabt. Sie kommt aus der französischen Schweiz, aus Romont, spricht aber auch deutsch. Toll, aus Romont, da bin ich auch durchgepilgert. Wir kommen ins Gespräch, als die ebenfalls vorhandene Hospitalera Ellie uns Fußbäder zum Füße kühlen anbietet. Das finde ich ja toll, was für ein Empfang. Ich fühle mich wohl und das Schnacken mit Verena ist auch schön. Ich hole mein restliches Brot aus der Tüte und fülle meinen nun doch hungrigen Magen. Essen gibt es erst um 19 Uhr, da muss ich noch eine Weile warten. 

Nun können wir einchecken und bekommen unseren Stempel. Ich schlafe in einem Sechsbettzimmer mit schöner Aussicht runter zum Ort und die umliegenden Berge. Es gibt zwei Duschen, eine davon kralle ich mir zugleich und wasche noch ein bissel Wäsche, das muss schon sein. Später gehe ich nochmal runter zur Kirche und sitze dort im Schatten auf dem Steinvorsprung und schreibe, schade dass sie zu hat, ich hätte mich gerne reingesetzt.

Im vorhandenen kleinen, süßen Supermercado gibt’s noch Essen für morgen, dann geht’s wieder hoch zum Abendessen. Heute ist der erste Tag, wo draußen gegessen wird, sagt Ellie, das ist großartig, denn es ist einfach nur schön hier. Ich sitze mit dem zukünftigen Hospitalero am Tisch, sie wechseln so alle zwei bis drei Wochen, und rede über mein Problem Gott in der Dunkelheit verloren zu haben. Wir reden über Jesus und darüber wie es weitergehen könnte, das ist schön. Am Tischende befinden sich die beiden aus Litauen, der Vater mit dem Sohne. Der Vater schaut wieder grimmig und sagt nichts, sein Sohn grinst dafür umso mehr, gleicht das ganze wohl etwas aus.  "Es ist alles wunderbar und überhaupt das Leben ist toll und alles gehört halt mit dazu." Ich glaube ich rede besser nicht von dem, was mir in diesem Jahr passiert ist, ein Grinsen und ein: "Das gehört halt dazu und das Leben ist wunderbar", könnte ich nicht ertragen. Er geht mir auf den Keks, aber gut, es gibt eben solche und solche, auch beim Pilgern. Neben mir sitzt Ran und ist ins Essen versunken. 

Am Nachbartisch haben sich ein paar Italiener eingefunden, die lautstark miteinander diskutieren, nun andere Länder, andere Sitten. Wenn Italiener oder Spanier miteinander reden, denkt man immer sie streiten sich, aber nein, sie reden nur sehr laut. Vielleicht hören sie auch schlecht, wer weiß das schon? Für uns eher leise redende Nordeuropäer ist das gewöhnungsbedürftig. Das Essen ist herausragend. Eine Italienische Mama präsentiert einen tollen Riesensalat, danach ein wunderbares Risotto, gefolgt von einem frisch gebackenen Sandkuchen mit einer Kugel Vanilleeis. Dazu gibt es einen guten Rioja und Wasser, richtig klasse. Was für ein herausragendes Mega-Menü.

Danach folgt Jesus um 20.30 Uhr, heißt, wer möchte findet sich im Meditationsraum ums Eck zu einer Einkehr ein. Der Raum sieht gemütlich aus, am Boden diverse Kissen zum drauf sitzen, Teppiche an den Wänden, Kerzenschein. Einer der Hospitaleros liest auf Englisch christliche Texte vor, wir beten. Es ist wirklich schön. Ellie, die Hospitalera schenkt danach noch Tee aus. Jeder kann nun was sagen, wenn er möchte, aber es bleibt ruhig. Paul, der hier auch untergekommen ist, aber Gott sei Dank nicht an meinem Tisch saß, steht als erster auf und geht raus, sind wir doch alle auch müde vom Tag. So nach und nach gehen wir nach draußen.

Ellie hat wohl mitbekommen was mit mir los ist, was meine Suche nach Gott betrifft und fängt mich draußen ab. Wir reden lange über den Glauben, über Gott, wie es weitergehen könnte, dass ich die Hoffnung nicht verlieren darf, das Gott weiß was er tut und immer da ist, auch wenn ich ihn nicht spüren kann, dass ich nicht alleine gehe. Er kommt hinzu und geht mit mir, Jesus ist da und das fühlt sich gut an. Ich hoffe so sehr, dass ich hier meinen Glauben wiederfinden kann denn ohne Gott ist es nicht schön für mich. Mein Glaube hat mich schon durch viele Dunkelheiten geführt und gestärkt. Hier nun mit dem ganzen Desaster um meinen Vater und mit jedem weiteren neuen Desaster tagtäglich ist er mir abhanden gekommen, ich habe kein Licht mehr gesehen, ich habe Gott nicht mehr gespürt. Ich wollte einfach nichts mehr mit Gott zu tun haben, war wütend, lass mich einfach in Ruhe!

Erfüllt von allem spirituellen an diesem Abend bin ich dann nach oben in mein Bett gegangen. Das Fenster blieb Gott sei Dank auf, denn es ist doch recht warm geworden im Zimmer. Noch ein bissel Hörbuch hören, leider immer noch nicht von Herrn Kerkeling, da er ja diesen Teil einfach Bus gefahren ist und erst ab Viana wieder den Weg fortsetzte. Nun denn, da hat er viel ausgelassen, leider auch viel schöne Landschaft. Morgen wird es sehr früh für mich losgehen, denn es werden wieder hotte 34 Grad werden. Ich habe beschlossen nun mal vor Sonnenaufgang um 6 Uhr zu starten, besser is. 

 

18.5.22

Villamayor de Monjardin nach Torres del Río

21 km

Halb 6, es wird geschäftig in unserem Zimmer. Es wird gewühlt und gekramt, der Schlafsack wieder in ein komfortables Minipäckchen verwandelt, die Klamotten in den Rucksack geschmissen und los geht’s. Ich habe immer noch meinen Instantkaffee dabei und mache mir einen Kaffee, den ich draußen im Dunkeln an einen der Tische trinke. Dann geht es los. 

Die schummrigen gelben Laternen im Ort geben ein schönes heimeliges Bild ab. In der Ferne ist ein großer Vollmond zu sehen, auf der anderen Seite schon ein heller Schimmer, der Sonnenaufgang ist nicht mehr fern. Der Himmel ist wolkenfrei, es wird wieder ein schöner sonniger Tag werden, toll! Ich schultere meinen Mochila, meinen Rucksack (zum Glück habe ich auch noch ein bissel Pilgerspanisch gelernt zuvor) und mache mich auf, den Berg runter, an der Kirche vorbei, einen lustigen Wegweiser folgend ins Tal hinab. Die nächsten 12 Kilometer nach Los Arcos wird es nichts an Ortschaften, Geschäften oder Bars geben, sagt mein Wanderführer. „Bei dieser ersten „Rennstrecke“ entstehen erfahrungsmäßig schnell unbemerkt Blasen“. Rennstrecke? Was soll das denn sein? Hört sich ja krass an. Nun, weder werde ich rennen, noch werde ich Blasen bekommen. Ein schmaler Weg windet sich durch die Hügel, es ist noch recht dunkel, aber die Augen gewöhnen sich schnell. Eine tolle Stimmung ist das und angenehm kühl ist es auch. So stapfte ich mit dem Vollmond im Visier durch die Natur.

Der Himmel verfärbt sich leicht lila und wechselt dann zu rot-orange, bis dann die Sonne irgendwann über die Hügel kommt, dann ist’s gelb. Es ist ganz besonders den Sonnenaufgang auf dem Pilgerweg zu erleben. So früh war ich noch nie unterwegs gewesen. Neben mir plätschert ein kleines Rinnsal vor sich hin, ansonsten hört man nur die Vögel singen, die voll in ihrem Element sind und es duftet nach feuchtem Gras. 

Der Weg wird breiter und verläuft zwischen den Hügeln. Der Wegeverlauf ist auf eine lange Strecke hin zu erkennen, toll sieht das aus. Abblühender Raps, hellgrüne Gerste, im Hintergrund sind wieder schroffe Felsen zu erkennen. Auf einer Bank sitzt Verena und macht Pause, ich setze mich dazu und frühstücke. Sie geht weiter ihres Weges. Es gibt leckere Magdalenas, das reicht fürs erste. 

Neben mir wachsen komische Blumen, die ich noch nie gesehen habe, meine Blumen App gibt alles und sagt mir: es ist der Affodill. Interessant, davon sollte ich noch einige hier auf meinem Weg sehen, sehen wirklich hübsch aus. Ich mache mich wieder auf und gehe die restlichen Kilometer nach San Arcos

Dort angekommen geht es eine lange schmale Straße entlang, hier und da eine Albergue, aber der Ort gibt nicht viel her, finde ich. Somit hole ich mir am Brunnen Wasser und wander einfach wieder hinaus. Wenig später bergauf am Friedhof gelegen gibt es Bänke, die laden zum Hinlegen und Ausruhen ein. Die Schuhe werden ausgezogen, ich werde keine Blasen auf dieser „Rennstrecke“ haben, nö! Später in der Meseta wird wieder von Pilgerrennstrecke gesprochen. Gemeint ist damit wohl, dass es ausgebaute Wege sind und man schon die nächsten Kilometer weit schauen kann, wo man in einer Stunde langgehen wird, denn rennen tut hier keiner. Na und bei den nun steigenden Temperaturen ist eh nicht an rennen zu denken. 

Eine Französin mit Hund kommt ums Eck und wird plötzlich ganz hektisch. Oh, nein, sie hat den Pilgerstab in Los Arcos vergessen. Na da bin ich ja beruhigt, dass ich nicht die einzige vergessliche hier bin. Sie lässt ihren Hund bei mir und rennt (sie ist die einzige die rennt) wieder die 300 Meter in den Ort hinein und kommt happy mit ihrem Pilgerstab zurück. 

Grüne sanfte Hügel folgen, hier und da eine Ruine, die Pilgerin, ich habe ihren Namen vergessen, geht voran. Neben ihr, ja ich mag es später kaum glauben, ihr Hund mit dem Namen Maika. Das ist ja mal witzig, den Namen gibt es nun wirklich nicht oft. Aber wie ich ja in Ostabat Asme von den baskischen Pilgern letztes Jahr erfuhr, soll es ein baskischer Name sein. So sei es. 

Es ist heiß und staubig. Eine alte Steinmauer säumt den Weg, in den Ritzen der Steine blühen Mohnblumen. Die Insekten summen in verschieden Summ-und Brummtönen um mich rum. Ab und an ist das Schwatzen von Pilgern zu vernehmen. Ich bin weiterhin darauf bedacht meinen eigenen Camino zu gehen, halte hier und da Abstand, warte ab und gehe dann meines Weges, somit bleibt nun mein einziger Begleiter mein Schatten. Der sieht total nach Pilger aus, nun ja, ist er ja auch. 

Mein Wasser wird knapp, habe mich leider nicht um ausreichend Wasser bemüht. Mensch Maika, so langsam solltest du es ja mal schnallen. Nun, hilft jetzt nicht weiter, eine Orange habe ich noch, die ist schön saftig. Es braucht eine Weile, bis ich einen Schattenplatz unter einem Olivenbaum im Hain ergattern kann. In der Sonne hocken geht gar nicht, viel zu hot. Ich mache es mir darunter gemütlich. Die sehen echt beeindruckend aus mit ihren knorrigen Baumstämmen. Kleine grüne Oliven sind schon zu erkennen. Für mich gibt es nun aber Pan con Salchicha und ganz wichtig: meine Orange, hmm, lecker und saftig! Man kann von spanischen Orangen sagen was man will, aber sie sind echt Hammer-lecker und saftig, toll. 

Erfrischt geht es weiter über das ein oder andere Bächlein, was nur noch als Rinnsal zu bezeichnen ist, Richtung Straße. Auf ihr entlang geht es leicht den Berg hoch nach Sansol, was von weitem schon zu erkennen ist, ein kleines Dorf mit Kirche in der Mitte, sandfarben, schön sieht das aus. 

Ziemlich durstig komme ich im Ort an und steuere direkt auf den Brunnen zu, kippe mir tonnenweise Wasser in den Schlund, bevor ich mich zu den beiden Pilgern auf die Bank daneben setze. Ich möchte jetzt gerne quatschen. Sie ist Deutsche und er Tscheche, sie reden aber deutsch miteinander, haben sich schon in Bayonne am Bahnhof getroffen und sind sich immer wieder über den Weg gelaufen. Ja das ist schon spannend. Ich frage mich, ob ich Nina, Martina und Sabine wiedersehen werde. Nina ist hinter mir, Martina einen halben Tag vor mir und Sabine einen Tag weiter. Ich wünsche mir wieder jemanden mit dem ich mich immer treffen und quatschen könnte. Vielleicht wird das ja Verena sein, denn sie läuft ähnliche Etappen wie ich und kommt auch in Torres del Río unter nachher. Mal sehen!

Ich frage die Beiden, ob sie Lust haben einen Kaffee zu trinken. Sie bejahen und so gehen wir gemeinsam weiter den letzten Kilometer in den nächsten Ort hinein, Torres del Río, welches etwas weiter unten im Tal liegt. Sieht auch nett aus, auch sandfarben und auch mit einer Kirche mittendrin. Wir steuern geradewegs auf eine Albergue zu, der Blick geht durch die geöffnete Tür auf einen Pool mit Wasserfall. Oh, das ist ja klasse. Ja so ein Schwimmbecken wäre bei der Hitze toll. Wir gehen dran vorbei und hoch zum angrenzenden Café und trinken was. Die beiden überlegen, der Tscheche will weitergehen, sie entscheidet sich dann auch dazu, obwohl wir mittlerweile 33 Grad haben. Nun schade, weg sind sie. Was soll man machen? Ist eben so. 

Ich schaue wo ich heute unterkommen soll und stelle fest, dass ich genau in dieser Albergue hier mit dem Pool unterkomme, wieder ein Einzelzimmer und dann noch so ein tolles. Ich bin echt geflasht, toll ist das. Mein Zimmer heißt „Puente la Reina“ und hat ein großes Foto über dem Bett von eben dieser Brücke. Der Ausblick aus dem Fenster mit Fensterläden, die man dann nachts schön schließen kann, damit alles stockduster ist, geht rüber nach Sansol oben auf dem Berg, schön ist das. Die Dusche ist klasse, sieht alles richtig edel aus und ja, der Pool ist mit inbegriffen, wie geil ist das denn? 

Ich sitze wenig später eisessend in meinem neuen in Pamplona erstandenen Bikini und mit Sarong am Tisch und schaue Zweien beim Baden zu. Dann ist es auch für mich soweit, ich steige in den kalten Pool, uhhh, das tut gut. Ich schwimme ein paar Bahnen. Wieder schön erfrischt schaue ich mir noch den Ort an und laufe Verena, die in einer anderen Herberge untergekommen ist, in die Arme. Wir trinken einen Kaffee zusammen und quatschen, das ist mal jetzt schön. Gemeinsames Einkaufen folgt, denn es braucht für morgen wieder das ein oder andere. Mittlerweile habe ich mich auf mein Baguette mit Salchicha, Magdalenas, Mentos und Orangen eingegroovt. Die meisten Pilger gehen mittags auch was essen, Bars gibt es ja oft auch genug. Ich pilgere einfach so weiter, wie ich es auch bisher gemacht habe und packe mich dann irgendwohin ins Grüne und esse dort. Mal sehen wie es im weiteren Verlauf sein wird. Später, wenn die Meseta kommt, von der ich auch schon so viel gehört habe, dass das echt eine Herausforderung sein soll, könnte es damit vielleicht schwieriger werden, da schatten gebende Bäume dort rar sind, mal sehen. 

Der Ort ist ganz süß, die Kirche leider zu, aber von außen süß, ist ja auch was. Abends gibt es im Saal dann das klassische Pilgermenü. Da ich ein Einzelzimmer habe, kann ich mich auch entscheiden allein zu essen, finde ich aber doof und sitze kurzerhand an einem Tisch mit vier Franzosen, oh je, aber auch mit zwei Amerikanerinnen, Mutter und Tochter, Louise und Ashley. Die Franzosen entscheiden kurzerhand, dass sie nicht unter sich bleiben, sondern englisch reden, damit ich da nicht so sitze. Somit wird es am Ende eine richtig tolle Truppe und ein sehr schöner Abend. Die Wahl des Pilgermenüs ist klassisch wie immer. Ich entscheide mich heute für Pollo, Huhn, mit Patatas fritas, davor einen Ensalada mixta und danach einen tollen Flan, dazu der obligatorische Rotwein, wieder aus er Rioja-Region, der wir uns ja nun mit Turboschritten nähern, denn morgen passiere ich vor Logroño die Grenze. 

Ich habe hin-und her überlegt, ob ich meinen Rucksack auch mal transportieren lasse, denn ich habe seit drei Tagen etwas Schmerzen in der rechten Hüfte, die nicht weggehen wollen. Das kenne ich nun so gar nicht und mache mir etwas Sorgen. Hier auf dem Camino Francés wird ja Rucksacktransport angeboten. Ich frage den Herren an der Rezeption, fülle für Jacotrans, so heißt der Verein, einen Zettel aus und lege fünf Euro rein, soviel kostet das. Er ruft dann da an, sagt Bescheid und ich muss morgen früh nur meinen Rucksack an einen bestimmten Ort abstellen. Da ich ja auch immer meinen kleinen Rucksack dabei habe, geht das ganz gut, da passt alles rein, Trinken, essen, Sarong und so Gedöns. Regnen soll es ja nicht, dann brauche ich auch nicht die Regenklamotten. Ich bin ein bissel aufgeregt, ob das auch alles so funktioniert, aber ich sollte es im weiteren Verlauf so beibehalten, denn meine Hüften bedankten sich dafür. 

Man muss schon achtsam sein, sonst kann es halt passieren, dass man den Weg abbrechen muss, wenn der Körper nicht mitmacht. Somit ist es eine gute Entscheidung gewesen. Na und mit so einem kleinen Rucksack läuft es sich ja viel schnittiger, klar :-)

Ich liege auf meinem Bett, lasse die Fenster noch geöffnet und schaue in einen sternenfunkelnden Abendhimmel. Im Hintergrund sind immer noch die Grillen zu hören, die aber langsam leiser werden und dann verstummen bis morgen früh. Ich werde wieder früh losstarten, Frühstück gibt es unterwegs. 6 Uhr ist angepeilt. Buenas noches!

19.5.2022

Torres del Río nach Logroño

22 km

Es ist noch stockduster, als ich die Fensterläden öffne. Ich mache mich fertig, schiebe mir schon mal eine Magdalena rein, na das hört sich ja an, und packe nun meinen Minirucksack. Bloß nichts vergessen jetzt! Meine Trinkblase passt hervorragend ans Rückenteil des kleinen Rucksacks und kühlt den Rücken mit ihrem kalten Wasser. Ein heller Schimmer breitet sich über den Hügeln aus, ich mache mich auf. Mein Rucksack kommt im ersten Stock in den Flur, zwei weitere stehen schon da. Es gibt auf dem Gang einen Kaffeeautomaten, das lasse ich mir nicht entgehen, einen Kaffee am Morgen, dass sollte schon sein. Einige Leute stehen schon rucksackwurschtelnd unten im Flur. Ich trete aus der Tür, gehe durch den gelb beleuchteten Ort und hinaus, ganz alleine, das ist schön. Meine Hüfte schmerzt noch etwas, ich hoffe, dass sich das bald legt. Aber mit dem kleinen Rucksack läuft es sich prima. Mein Blick geht zurück zum auf dem Hügel befindlichen mit gelben Laternen beleuchteten Ort Sansol, schön sieht das aus. 

Es geht durch hügeliges Gelände in einem steten Auf und Ab des Weges. Die Sonne braucht diesmal länger, um über die vorhandenen Berge zu kommen. Die Luft ist wunderbar und ich fühle mich frei. Jedoch wird es geschäftiger auf dem Weg, die ein oder anderen Pilger kreuzen, auch ist wieder lautes Gerede mit am Start. So früh am Morgen kann ich das gar nicht ab. Aber was soll ich machen? Es ist wie es ist. Nun geht es stetig bergauf, mal auf Schotterwegen, dann kurz auf einer Straße, die kurvenreich durch die Berge führt. Oben angekommen kommt die Sonne über die Berge, was für ein Timing. Schön sieht das aus.

Das Gequatsche vom Tal her nervt dabei, ich frage mich, warum man so laut brüllen muss, nun vielleicht Südländer oder ein Streit oder beides, wer weiß das schon? Ich setze mich auf einen Stein und warte ab, frühstücke dabei. Neben mir haben Pilger Steine übereinander gestapelt, Zen-Charakter, sieht toll aus. Die laute Dreiertruppe geht dann endlich an mir vorbei und es wird wieder still. Die Pilger die nun kreuzen sind alleine unterwegs und schweigen. 

Nach einer kurzen Weile befinden sich ganz viele solcher Zen-Türmchen am Wegesrand, ein ganzes Arsenal, das ist ja toll. Ein Baum steht dahinter, der über und über mit bunten Stofffetzen behangen ist, fast so ein bissel wie in Nepal, da machen die das auch so. Ich weiß deren Bedeutung nicht, aber ich denke das jeder Stofffetzen eine spirituelle Bedeutung hat oder ein Gebet beinhaltet, welches hier gebetet wurde. Oben auf dem Berg angekommen steht die Ermita del Poyo, Nuestra Señora del Poyo. Maria mit dem Christuskind ist auf einem aus Kacheln gestalteten Bild an der Kirchenmauer zu erkennen.

Von der Kapelle aus geht es nun wieder bergab Richtung Viana, der Ort, in dem Hape Kerkeling dann doch wieder seinen Weg fortsetzte, denn danach ist es erst mal etwas ebener. Mitten auf dem Weg befindet sich ein kleines Café mit Plastikstühlen, die Casita Lucia, steht auf dem Schild, man geht mitten hindurch. Da es noch früh am Morgen ist, ist aber alles geschlossen, so ziehe ich weiter meiner Wege und gehe durch bis Viana, mal auf schmalen Schotterwegen, dann auf einer kaum befahrenen Straße. Über die nächste Hügelkuppe kommend sehe ich in weiter Entfernung schon die kleine Stadt. 

Viana ist etwas größer und sieht ganz nett von der Ferne aus. Durch ein kleines Tor begrüßt die Stadt die Ankommenden. Weiter geht es die schmale Calle Mayor, klar, zum Hauptplatz, dem Plaza los Fueros, des Ortes. Es ist 9 Uhr und so gibt’s nun geöffnete Cafés. Ich beschließe mich mit einem schönen Café con leche draußen auf den Platz zu setzen und die vorbeiziehenden Pilger zu beobachten. Neben mir das schöne Rathaus, Ayuntamiento, gegenüber die Kirche Santa María de Viana.

Entspannt mache ich mich wieder auf den Weg, gehe an der Ruine einer weiteren Kirche und einem weiteren Portal aus dem Ort hinaus. Nun geht es eben weiter. An einem kleinen Picknickplatz mache ich nun meine richtige ausgiebige Pause, ziehe meine Schuhe aus und lege mich auf eine Bank. Einige Pilgerhorden ziehen an mir vorbei, oh man! Ich warte ab bis ich wieder alleine bin und gehe weiter Richtung Logroño, welches mit seinen Vororten auch schon alsbald beginnt. 

Es geht an der befahrenen N111 entlang, dann halb über und unter Autobahnzubringern vorbei, durch Gewerbegebiete, der Weg ist blöd, aber nützt ja alles nichts. Dann kommt das Schild der neuen Region: La Rioja, aha, nun gibt es guten Wein in Massen. Toll!